Du kennst mich nicht
November, 2000
Dean wachte langsam auf. Es war warm und gemütlich. Die Sonne strahlte durch die Fenster. Er drehte sich auf die Seite, weg von der Sonne, und fand Cas dort liegen. Seine blauen Augen funkelten und er hatte ein Lächeln auf dem Gesicht.
,,Guten Morgen", sagte er leise mit rauer Stimme.
,,Morgen." Dean lächelte zurück. Er streckte sich aus und wurde sich der Tatsache bewusst, dass er in Cas' Zimmer war, in Cas' Bett. ,,Bin ich nicht auf der Couch eingeschlafen?"
,,Ja, aber ich habe dich hierhergeschleppt. Ich dachte, das sei bequemer. Du bist süß, wenn du schläfst." Dean errötete. ,,Eigentlich bist du die ganze Zeit süß. Besonders wenn du so errötest wie jetzt."
Deans Gesicht erhitzte sich umso mehr und er vergrub es im Kissen.
,,Hey. Nicht verstecken."
,,Peinlich", grummelte Dean. ,,Hab mich letzte Nacht zum Idioten gemacht."
,,So schlimm war es nicht, aber ja, bitte tu das nicht noch einmal."
,,Tut mir leid, Cas. Ich hätte ihn nicht so an mich heranlassen dürfen. Ich hätte nicht einmal den Anruf annehmen sollen."
Er drehte auf dem Kissen seinen Kopf und bewunderte die Art und Weise, wie das Sonnenlicht Cas' Augen erhellten. Ein tiefes Blau strahlte zu ihm zurück und Dean merkte, dass er nicht mehr richtig atmen konnte. Er war wunderschön. Sein Freund war wunderschön.
,,Du bist nicht der Einzige, der Probleme mit seiner Familie hat, weißt du? Ich weiß nicht, ob ich es dir schon direkt gesagt habe, aber ich bin schwul. Und meine Eltern sind unglaublich konservativ. Ich habe nie jemanden mit nach Hause gebracht, weil ich wusste, dass das nicht gut gehen würde. Mein Vater ist definitiv aufgeschlossener als meine Mutter, und Michael und Gabriel haben mich sehr unterstützt, doch Lucifer... Naja, er ist ein Fall für sich. Außerdem hat meine Mutter sich geweigert, uns zu erlauben, die ganze Sache Raphael zu erklären. Also, ja, meine Familie, meine Wenigkeit, auch ich habe Probleme. Die Frage ist nur, wie man damit umgeht."
Dean grinste. ,,Wobei ich wusste, dass du schwul bist."
,,Hast du?"
,,Jap. Dieser erste Tag, als Victor uns einander vorgestellt hat? Du konntest nicht aufhören, auf meine Brust zu starren."
Cas errötete, etwas, das Dean bei ihm bisher noch nicht gesehen hatte. Es verursachte ein warmes Gefühl in seinem Innersten.
,,Naja, all diese Tattoos... Außerdem warst du oben ohne und siehst nicht gerade schlecht aus." Cas schmunzelte. ,,Aber was ist mit dir? Bist du schwul?"
,,Ich denke nicht. Bis vor kurzem dachte ich, ich sei ziemlich hetero, aber jetzt- Keine Ahnung. Ich schätze, ich bin an diesem Punkt wahrscheinlich bereit, überall Liebe zu finden."
,,Was lässt dich so denken?"
Dean lächelte. ,,Du."
Castiel streckt den Arm quer über das Bett und fuhr sanft mit seinen Fingern Deans Wange entlang. Langsam bewegten sie sich weiter aufeinander zu. Cas stützte sich auf seinem Ellbogen auf und sah zu Dean hinab. ,,Cas, ich weiß nicht- Ich weiß nicht, was ich hier tue", flüsterte er.
,,Keine Sorge. Ich werde einfach..." Seine Augen glitten zu, als er näher kam. Auch Dean schloss seine Augen. Es war soweit. Das war der Moment, wo die Freundschaft aufhören und etwas Neues beginnen würde, und...
...es läutete an der Tür.
,,Ernsthaft?", stöhnte Cas.
Dean schmunzelte. ,,Merk dir, wo wir stehengeblieben sind. Ich werde die Person loswerden, wer auch immer es ist, und dann können du und ich dahin zurückkehren – was auch immer es ist." Er lächelte.
Cas zog sich dramatisch ein Kissen über sein Gesicht. ,,Beeil dich", murmelte er, die Stimme durch das Kissen gedämpft.
Mit einem Lächeln auf seinem Gesicht verließ Dean den Raum. Im Wohnzimmer ergriff er die Rutschstange und glitt hinunter. Er lächelte immer noch wie ein Idiot, als er steifbeinig zur Tür hinüberging, doch als er sie öffnete, verschwand das Lächeln.
Ein großer, schlaksiger Junge mit langen Gliedmaßen stand auf der anderen Seite. Eine schäbige Reisetasche war über seine Schulter geworfen und ein großer, violetter und gelber Bluterguss erblühte auf seiner Wange. Er starrte Dean mit blutunterlaufenen Augen an. Ein Durcheinander von kastanienbraunen Fransen hing ihm über die Stirn.
,,Sammy?", flüsterte Dean.
Die verzweifelten haselnussbraunen Augen seines Bruders füllten sich mit Tränen. ,,Bitte zwing mich nicht dazu, zurückzugehen. Bitte, Dean."
_____
Sam Winchester war etliche Zentimeter größer als Dean, genauso attraktiv wie sein Bruder, doch auf eine andere Art. Trotz seiner langen Haare waren seine Züge schärfer, ein wenig männlicher als Deans. Seine Lippen waren voll und seine Wangen sanft abgerundet. Er besaß die Anfänge einer eindrucksvollen Reihe an Muskeln, kombiniert mit dem unpassenden Ausdruck eines übergroßen Welpen.
Dean hatte ihn hochgebracht und Cas entschuldigend angesehen, der restlos abgewunken hatte. Sam war Familie. Außerdem brauchte er Dean definitiv, dem schlimmen Veilchen auf seinem linken Auge und der Art, wie er sich an seinen älteren Bruder klammerte, nach zu urteilen. Auch seine ruckartigen Bewegungen verrieten es, besonders die Art, wie er sich seine linke Seite hielt.
Sie setzten Sam mit einer frischen Tasse Kaffee und einer Decke um seine Schultern auf die Couch. Für Cas sah er erschöpft aus. Dean setzte sich mit einer eigenen Tasse Kaffee neben ihn auf das Sofa und beobachtete Sam vorsichtig. Seine Schultern waren starr und angespannt.
,,Wie bist du hergekommen, Sammy?"
,,Per Anhalter."
Deans Gesicht wurde blasser. ,,Dad hat dich geschlagen?", fragte er leise.
Sam nickte elendig und nippte an seinem Kaffee. ,,Ich habe ihn für das zur Rede gestellt, was er zu dir gesagt hat. Es begann als Schreiduell und wurde dann körperlich. Er hat versucht, auf mich einzuprügeln, doch den Hieb habe ich abgeblockt, und dann wurde es einfach gewalttätig. Dad fing an, mich mit allem zu schlagen, was er finden konnte. Ich versuchte zurückzuschlagen, aber dieses alte Arschloch kann stark sein, wenn er will. Als nächstes lag ich plötzlich auf dem Boden und starrte zur Decke hoch."
Deans Gesicht verdunkelte sich und ein gefährliches Funkeln trat in seinen Blick. ,,Und dann?"
,,Dann hat er mich getreten. Zweimal." Sam lachte bitter. ,,Als ich wieder aufstehen konnte, hab ich so viel Zeug gepackt wie ich konnte, so viel von meinen Schulunterlagen aufgetrieben wie ich konnte, Impfpass, Geburtsurkunde, alles, von dem ich dachte, dass ich es eventuell gebrauchen könnte, weil ich nicht-" Seine Stimme brach und seine Augen füllten sich mit Tränen. ,,Ich kann nicht zurückgehen, Dean."
Dean streckte einen Arm aus, schlang ihn um Sams Schulter und zog ihn nah zu sich heran. Sam verlagerte sein Gewicht in den Griff und vergrub sein Gesicht in Deans Hals. ,,Ich werde dich nicht zurückschicken. Aber Dad könnte – er könnte uns vielleicht Schwierigkeiten bereiten."
,,Wie alt bist du, Sam?", fragte Cas sanft und setzte sich an Sams andere Seite.
,,Werde am 2. Mai achtzehn. Warum?" Er schniefte laut.
,,Mein Bruder Michael – er ist Anwalt. Ich kann ihn anrufen. Eventuell gibt es etwas, dass wir tun können, vielleicht eine Emanzipation einreichen oder so. Das könnte eine Aussage gegen euren Vater bedeuten. Aber wir müssen etwas tun, sonst werden sie wahrscheinlich versuchen, dich in irgendein Pflegeheim zu stecken. Willst du, dass ich Michael anrufe und ihn frage, ob er zum Abendessen vorbeikommen kann? Er arbeitet hier in der Stadt."
Sam sah Dean an, der nickte. ,,Das ist eine tolle Idee, Cas. Das wäre wirklich nett von dir."
,,Okay. Habt ihr Hunger? Ich könnte Frühstück machen oder zu Ellen's rennen und uns etwas holen."
,,Ja, warum holst du nicht einen Stapel Pfannkuchen und Speck, und ich stelle Sammy unter die Dusche, während du weg bist. Okay?"
Cas nickte, stand auf und ging aus dem Zimmer, um sich anzuziehen. Auf seinem Weg nach draußen blickte er zu Sam und Dean, die ineinander verschlungen auf der Couch saßen. Zwei gebrochene Jungs, welche sich an die letzte feste Sache klammerten, die sie tatsächlich auf der Welt hatten. Er verspürte eine unerwartete Welle von Zuneigung für beide von ihnen.
Zuerst Frühstück, dann würde er seinen Bruder anrufen. Cas würde den Winchester-Brüdern helfen. Ganz egal, was dazu nötig war.
_____
Jetzt
Dean rutschte unbehaglich auf der gepolsterten Bank hin und her, während er in den frittierten Tintenfischen auf seinem Teller herumstocherte. Das Restaurant war wunderschön, nahe an Annas Straße dran, doch Dean fühlte sich mehr als fehl am Platz. Er war kein Stadtmensch mehr, und dieser Teil von North Charles war eindeutig zu nahe an seiner alten Nachbarschaft und seinem früheren Leben mit Cas dran. Sicher, das Essen war gut, abgesehen von dem Fakt, dass es in seinem trockenen Mund stecken blieb. Anna und Cas verstanden sich, also war auch das auch klasse.
Ihre Vergangenheit wurde sorgsam vermieden. Anna, in einem umwerfenden königsblauen Etuikleid, diskutierte mit Cas über das UMBC. Sie hatte zwei Jahre nach ihm ihren Abschluss gemacht, doch sie waren beide Englischprofessoren und hatten viele gemeinsame Lehrer gehabt. Derzeit lachten sie über den anscheinenden Mangel an korrekter Bartpflege eines gewissen Professor Alvin Myers.
Anna sah Cas mit einem Ausdruck von Faszination und Bewunderung an. Immerhin war er ein berühmter Autor und ein Absolvent derselben Schule, auf die sie gegangen war. Annas Eltern hatten sie in ihrer Erziehung als Lehrerin vorbereitet. Seit sie ein kleines Kind war, hatte sie gewusst, dass sie das später machen würde, aber – sie wollte Schriftstellerin sein. Dean war einer von den wenigen Menschen auf der Welt, die von den vollständigen Manuskripten wussten, die auf ihrem Laptop verkümmerten. Und sie war auf ihre eigene Art genauso talentiert wie Cas.
Er wusste, dass er zufrieden sein sollte, dass sie sich verstanden. Cas sah in dem schwarzen Nadelstreifenanzug und der blauen Krawatte, die seine Augen leuchten ließ, sehr hübsch aus. Ganz nüchtern betrachtet sahen Anna und er aus, als ob sie sich so gekleidet hatten, um einander zu vervollständigen. Dean trug den dunkelgrauen Anzug, den Anna ihm letztes Jahr zum Geburtstag gekauft hatte, und eine blutrote Krawatte. Er sah völlig unscheinbar aus. Zumindest seiner Meinung nach.
Dean schob die Überreste seiner Polenta auf seinem Teller umher. Um ehrlich zu sein glaubte er nicht, dass er sich schon jemals so unwohl gefühlt hatte.
,,Also, wie habt ihr zwei euch kennengelernt?", fragte Cas und leerte sein Glas Wein.
Anna kicherte. Dean blickte mit hochgezogenen Augenbrauen zu ihr hinüber. Sie kicherte tatsächlich.
,,Naja, ich unterrichte Englisch an der Parkville Middle. Da ich die Beraterin der achten Klassen bin, war ich einer der Lehrer, die sie auf ihrer Orientierungstour der High School begleitet haben. Dean war einer der Lehrer, die die Tour geführt haben. Ich schätze, wir haben uns direkt gut verstanden und ich habe ihn um eine Verabredung gebeten. Der Rest ist bekannt, stimmt's, Schatz?"
,,Ja", murmelte er. Seine Stimme war rau, da er sie lange nicht benutzt hatte.
,,Das ist schön", sagte Cas und stieß die Gabel in sein Kalbfleisch. ,,Es ist eine süße Geschichte. Wie lange seid ihr schon zusammen?"
,,Ungefähr zwei Jahre", zwitscherte Anna glücklich. Sie trank ihren restlichen Wein. ,,Und es waren wundervolle zwei Jahre. Ich bin nie glücklicher gewesen."
,,Und was ist mit Victor und Sam?", fragte er, versuchte offensichtlich, Dean ins Gespräch einzubeziehen.
,,Ihnen geht's gut", sagte er kurz. Cas und Anna sahen bei seiner Antwort enttäuscht aus. Ein seltsamer Schmerz machte sich in Deans Magen breit. Er schob seinen Teller fort und lehnte sich gegen die Bank zurück.
,,Ich bin gleich wieder da. Zu viel Wein." Anna zwinkerte, als sie aufstand und in Richtung der Damentoiletten ging.
Dean starrte auf seinen Teller hinab, wollte Cas' Blick nicht begegnen. Er hoffte, dass Anna nicht lange brauchen würde, da der Grad an Unbehaglichkeit, den dieses Abendessen erreicht hatte, ihn schnell erdrückte.
,,Dean? Alles okay?"
,,Bin in Ordnung", murmelte er, ohne hochzusehen.
,,Nein, bist du nicht."
,,Warum spielt das eine Rolle?"
Cas seufzte. ,,Es ist wichtig. Ich möchte nicht, dass du dich unwohl fühlst, doch wenn ich dich ansehe, weiß ich, dass du das tust."
Er spürte eine Welle von Zorn in sich aufsteigen und sah zu Cas hoch. ,,Woher zur Hölle willst du das wissen?", fragte er wütend.
,,Dean..."
,,Nein. Du kannst das nicht machen, du kannst nicht einfach auftauchen und so tun, als ob du immer noch..." Er verstummte, als Anna wieder um die Ecke kam und auf ihre Seite der Bank rutschte.
,,Ich habe gehört, dass die Desserts hier gut sind", sagte sie freundlich und lächelte, während ein Ober ihren Wein auffüllte. Falls sie die Spannung am Tisch bemerkte, sagte sie zumindest nichts. ,,Also, besuchst du deine Familie oder bist du nur wegen der Buchsignierung hier?"
Dean stieß wieder mit der Gabel auf seinen Teller und spießte eine schwarze Olive auf.
,,Eigentlich hatte ich vor, zurückzuziehen."
Ein Strahl kalten Wassers ergoss sich über Deans Schoß, er schrie auf und sprang von seinem Platz. Das Wasserglas spritzte seinen Inhalt über den Rand des Tisches. Annas Augen waren aufgerissen, und er weigerte sich strikt, Cas' Blick zu begegnen. Dean riss die Stoffserviette vom Tisch und wischte über seine Hose. Die Stille um ihn herum war ohrenbetäubend, und er wagte sich im Restaurant umzusehen. Geradezu jeder Blick hier lag auf ihm, einige amüsiert, andere besorgt, aber alle sahen ihn an, als ob er nicht dazugehörte.
Seine Wangen wurden heiß. Er murmelte etwas von der Toilette und stolperte auf seinem Weg dahin rückwärts über einen weiteren Stuhl. Dean hatte sich nie sehnlicher gewünscht, der Boden möge sich öffnen und ihn komplett verschlingen, während er sich seinen Weg durch weitere Gäste und Mitarbeiter bahnte, verzweifelt auf der Suche nach der Privatsphäre der Toilette.
Erleichtert, dass der Raum leer war, ergriff er einen Stapel Papiertücher und hielt sie unter das kalte Wasser. Er presste ihn gegen seine heißen Wangen und versuchte das Brennen der Tränen in seinen Augen zu ignorieren. Das pisste ihn mehr als alles andere an: Der Gedanke, dass er wegen dieser ganzen dummen, lächerlichen Situation das Bedürfnis verspürte zu weinen.
Cas wollte also nach Baltimore zurückziehen. Na und? Er war hier aufgewachsen, er hatte jedes recht auf diese Stadt. Verdammt, er hatte mehr recht darauf als Dean. Außerdem war Baltimore eine große Stadt. Höchstwahrscheinlich würde Cas hier irgendein niedliches, kleines Reihenhaus oder eine Wohnung oder irgendeinen Scheiß bekommen. Dean kam selten in die Stadt. Er war jetzt immerhin ein County-Mann.
Er packte mit gesenktem Kopf die Ränder des Waschbeckens.
Nun, das war ja einfach klasse. Er konnte sich genau vorstellen, was Anna denken musste und worüber sie auf ihrem Heimweg reden würden. Dean hätte zu diesem bescheuerten Essen niemals zustimmen sollen. Er hätte Cas einfach sagen sollen: ,,Danke, aber nein danke."
Gott, wenn er ehrlich sein sollte, hätte er nie zu dieser verdammten Buchsignierung auftauchen sollen. Das war der Moment, als alles auseinanderzufallen begann. Er würde heiraten, um Himmels willen! Es war ihm nicht gestattet, die alte Liebe zu besuchen.
Dean seufzte erneut. Dieser Abend konnte nicht viel schlimmer werden. Er sollte vermutlich hier rauskommen und versuchen, den Schaden ein wenig zu beheben. Er wandte sich gerade zum Gehen, als sich die Tür öffnete und Cas den Raum betrat.
_____
,,Was zur Hölle?", flüsterte Anna.
Castiel lächelte die hübsche Rothaarige ihm gegenüber beruhigend an. ,,Ich werde nach ihm sehen", sagte er und legte seine Serviette auf den Tisch. ,,Bin gleich wieder da."
Anna nickte. Da war ganz eindeutig Misstrauen in ihrem Blick, als sie zu ihm hochsah, doch er ignorierte es und lief zum hinteren Teil des Restaurants. Dean stand an der Tür, als er hineinging, und sah aus, als ob er die Toilette gerade verlassen wollte. Seine Wangen waren immer noch feuerrot gefärbt. Er schreckte zusammen und trat einen Schritt zurück. ,,Was machst du hier drin?"
,,Wollte nur sehen, ob es dir gut geht."
Der andere Mann lachte verächtlich. ,,Ja, genau."
,,Dean, ich versuche hier nicht, dir Ärger zu bereiten. Ich schwöre. Ich wollte nur auf den neusten Stand gebracht werden."
Dean trat von ihm weg, griff sich einen Stapel Tücher und presste sie auf seinen Schritt. ,,Klar. Ich verstehe." Seine Stimme war gepresst. Er wandte sich ab und blickte ganz absichtlich den Mülleimer an, damit er Cas nicht ansehen musste.
Selbst nach all der Zeit konnte er ihn immer noch deuten. Seine hängenden Schultern, die Vermeidung seines Blicks und das eingefallene Kinn – er fühlte sich entsetzlich unwohl und wollte wegrennen, wollte das Restaurant verlassen und gehen.
Er hätte es wissen müssen. Das war die letzte Art von Ort, zu dem man Dean Winchester bringen sollte. Der Dean, an den er sich erinnerte, mochte unauffällige, gemütliche Plätze. In die Wand eingebaute Buden, wie Ellens Roadhouse. Er befasste sich nie mit den schicken Sachen, bevorzugte Orte, wo seine Jeans und Bandshirts willkommen waren. Wo die Speisekarte kleine Portionen und Cheeseburger beinhaltete, Menüs, die mit einem großen Stück Kuchen endeten.
Dieses Restaurant lag so weit außerhalb von Deans Wohlfühlzone, wie es nur möglich war.
,,Dean, es tut mir leid. Du hast dich den ganzen Abend unbehaglich gefühlt. Ich weiß, dass du solche Orte nicht magst. Ich hätte irgendeinen anderen aussuchen sollen."
,,Du weißt, dass ich solche Orte nicht mag? Verdammt, Cas", knurrte er und drehte sich, um ihn anzusehen. ,,Du kennst mich nicht mehr! Es ist zwölf verfluchte Jahre her!"
,,Du hast dich so sehr verändert? Wirklich?"
Dean starrte ihn an, Feuer in seinen grünen Augen. ,,Ja, vielleicht!"
,,Sicher? Du liebst also kein Bier mehr? Und Kuchen? Burger, Led Zeppelin, Dr. Sexy? Du liebst es nicht mehr, an einem Samstagmorgen auszuschlafen?" Mit jeder Frage fühlte Cas sich mutiger und trat näher an Dean heran, bis er weniger als einen Fuß von ihm entfernt stand.
,,Verdammt, Cas, persönlicher Freiraum, Mann. Komm schon." Dean zog sich zurück und drückte sich gegen die Toilettenwand. Seine Augen verdunkelten sich, die Pupillen weiteten sich leicht. ,,Und was, wenn ich diese Dinge immer noch mag? Bedeutet nicht, dass ich derselbe Typ bin. Du hast mich verlassen, erinnerst du dich?"
,,Nun, du hast mir keine große Wahl gelassen, oder?" Er kam näher, jetzt so nah an Dean dran, dass er seinen Atem spüren konnte.
,,Fick dich", knurrte Dean und presste sich flach gegen die Badezimmerwand.
Oh Gott, er wollte ihn küssen. Dean atmete schwer, seine Brust hob und senkte sich schnell. Falls er Cas mitteilen wollte, dass er nicht angeturnt war, würde er ihm unter keinen Umständen glauben. Seine Augen waren verengt und dunkel, die Pupillen riesig.
,,Ich hasse dich", zischte er. ,,Ich hasse dich dafür, dass ich mein ganzes Leben auf die Reihe bekommen habe und du dir denkst, dass du hier einfach antanzen kannst und alles wieder so wird, wie es vorher war. So läuft das nicht, Cas. Du bist gegangen. Du hast mich verdammt nochmal verlassen. Und ich habe Jahre gebraucht, um wieder normal leben zu können. Du wirst nicht noch einmal so übel mit mir spielen." Er legte seine Hände auf Cas' Brust und schob ihn weg. ,,Fick dich, du bescheuertes Arschloch. Fick dich."
Cas stolperte unter der Kraft von Deans Stoß zurück. ,,Dean..."
,,Nein, ich werde das nicht tun, ich werde dieses beschissene Spiel nicht mit dir spielen. Ich werde da wieder rausgehen und mein Abendessen beenden, dann fahren Anna und ich nach Hause. Und das war's. Das ist mein Ernst. Ruf mich nicht an, tauch nicht bei meiner Schule auf, verpiss dich verdammt nochmal einfach, Cas."
Er zerknüllte seine Papiertücher und warf sie in den Eimer.
,,Wir beenden dieses Essen und gehen dann getrennte Wege. Verstanden?"
,,Ja, Dean. Wie du willst", sagte Cas traurig.
Dean starrte ihn mit wütendem, misstrauischem Blick an, nickte einmal, drehte dich und verließ das Bad. Er beobachtete Dean beim Hinausstürmen und sackte in sich zusammen. Die ganze Luft in seinen Lungen kam in einem Rausch heraus.
Das hätte wirklich nicht schlimmer laufen können.
Der Rest des Essens verlief angespannt und unbehaglich. Dean starrte auf seinen Teller, aß seinen Nachtisch mit mechanischer Distanz. Anna tat ihr Bestes, um eine angenehme Unterhaltung am Laufenden zu halten, und Castiel war ihr dafür dankbar.
Sie war wirklich eine liebenswerte Frau, selbstsicher und elegant, süß und nett. Sie schwärmte von seiner Arbeit, umschmeichelte ihn mit ihren charmanten Worten, brachte ihn mit amüsanten Anekdoten über ihre Schüler zum Lächeln und hielt die Stimmung generell unbeschwert. Das konnte nicht leicht sein, wenn man neben einem mürrischen Nervenbündel namens Dean Winchester saß.
Er bezahlte die Rechnung und hinterließ ein großzügiges Trinkgeld. Dann wartete er mit ihnen, während der Diener Annas kleinen, blauen Honda brachte.
,,Nun, es war schön, dich kennenzulernen, Castiel", sagte Anna mit einem Lächeln und einer Umarmung. ,,Und danke für das Abendessen."
,,Gern geschehen." Er lächelte.
Dean hielt ihr die Tür auf, schloss sie, als Anna saß, und ging zur Fahrerseite herum.
,,Dean?"
Der andere Mann ignorierte ihn, öffnete die Tür und rutschte hinein. Er sah nicht zurück, als er das Auto auf die Charles Street hinausmanövrierte.
,,Sir? Wir haben Ihr Taxi", teilte der Diener ihm mit.
Er warf einen letzten Blick auf die kleiner werdenden Rücklichter des Hondas und seufzte. Cas kletterte ins Taxi, nannte dem Fahrer die Adresse seines Hotels und lehnte sich im Sitz zurück.
Alles in allem war dieses Essen ein gewaltiger Misserfolg gewesen.
Und jegliche Hoffnung, die er vielleicht gehabt hatte, Dean zurückzugewinnen, glitt langsam davon.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top