Die Familie, die wir uns aussuchen
November, 2000
Dean wusste nicht, mit was er rechnen sollte, als er die Einfahrt zu den Novaks hochfuhr, doch er hatte garantiert kein Eingangstor erwartet, das mit großen Eichenbäumen gesäumt war, und garantiert hatte er nicht erwartet, dass das Haus von Cas' Eltern eine Villa war.
Er tippte den Code ein, den Cas ihm gegeben hatte, und das schwere, schmiedeeiserne Tor schwang gemächlich auf. Dean manövrierte den Impala die Auffahrt hoch und parkte ihn neben dem Mercedes-Cabrio, den er als Michaels erkannte. Daneben stand auch ein schnittiger, brandneuer, kirschroter Corvette. Cas hatte ihm erzählt, dass das Gabes Wagen war.
Bis vor zwei Tagen hatte er keine Ahnung gehabt, dass Cas aus einer Familie mit viel Geld kam. Er hatte keine Vorliebe für teure Sachen. Er war kein Snob wie die reichen Treuhandfonds-Arschlöcher in der Schule. Er behandelte Dean nicht von oben herab wie einige der Leute, die ihn beauftragten. Er tat nicht so, als ob Dean weniger wert war, nur weil der keinen adeligen Stammbaum hatte.
Cas war einfach...Cas.
Eine Welle von Nervosität rollte durch seinen Magen. Ein starkes Gefühl von hier gehöre ich nicht her machte sich in seinem Bauch breit, hart und schwer und sehr ungewollt.
In dem Sitz neben ihm seufzte Cas und murmelte ,,Wird schon schiefgehen." vor sich hin. Es hätte nicht deutlicher sein können, dass er viel lieber irgendwo anders wäre, nur nicht hier, an Thanksgiving im Hause seiner Eltern. Dean verstand das nicht wirklich. Er konnte sich nicht vorstellen, dass jemand mit zwei fürsorglichen, lebenden Elternteilen nicht die Feiertage mit ihnen verbringen wollte. Cas hatte ihm erzählt, dass seine Eltern seine Homosexualität nicht billigten. Aber ernsthaft, wie schlimm konnten sie schon sein?
Dean parkte das Auto und sah zu Cas hinüber, der elendig aus dem Fenster der Beifahrertür starrte. Er streckte den Arm aus und verschränkte ihre Finger.
,,Das wird schon, Cas. Es ist nur deine Familie. Wie schlimm kann das werden?"
Cas drehte den Kopf und sah Dean an. Furcht schimmerte in seinen Augen, als er seine Hand wegzog. ,,Frag mich das, wenn es vorbei ist."
Sam lehnte sich über den Sitz. ,,Dean hat recht. Wir beide sind mit dir hier, und es wird gut laufen. Du hast Unterstützung mitgebracht."
,,Ja..." Cas seufzte. ,,Kommt schon, lasst es uns hinter uns bringen."
Die Hintertür öffnete sich und Sam stieg aus. Cas' Hand streckte sich nach dem Griff der Beifahrertür aus, als Dean sich herüberbeugte und erneut Cas' Finger ergriff. Blaue Augen starrten zu ihm zurück, und Dean konnte tatsächlich Angst in Cas' Blick erkennen.
,,Hey. Ernsthaft. Ich werde bei dir sein. Das wird schon klappen. Ich verspreche es." Er streckte den Arm aus, umfasste Cas' Kinn mit seiner Hand und zog ihn in einen sanften Kuss. Cas erwiderte ihn flüchtig und lehnte sich dann mit einem verärgerten, kleinen Seufzer zurück.
,,Ich kann dich nicht einmal als meinen festen Freund vorstellen. Sag mir, in welchem Universum das klargeht. Das kann nur in einem Desaster enden."
,,Oh komm schon, Mann, so schlimm kann es nicht werden. Sie sind deine Eltern und lieben dich, richtig?"
Cas nickte.
,,Nun, das ist doch schon mal die halbe Miete. Mein Vater hasst mich."
,,Dean... Ich denke nicht, dass das wahr ist..."
,,Ist es, vertrau mir. Nun komm schon, lass uns Mr. Optimistisch finden und dann geht's los."
Castiel seufzte erneut, drückte Deans Hand und stieg aus dem Auto. Seine Schultern sackten nach unten, als er begann auf die Tür zuzugehen.
,,Das wird ja spitze laufen", murmelte Dean, stieg ebenfalls aus und gesellte sich zu Sam und Cas auf den Türstufen. Cas drückte auf die Türklingel und wippte auf den Absätzen. ,,Ich will hier nicht sein", brummte er verdrießlich. ,,Wir könnten Kuchen haben und bei Ellen's Fußball gucken. Ich will hier nicht sein."
,,Das wird schon", sagte Dean leise.
,,Ich kann es ihnen nicht einmal erzählen...", erwiderte Cas leise. ,,Ich kann ihnen nicht von uns erzählen. Das Beste in meinem Leben und ich kann nicht darüber reden."
Dean grinste bei das Beste in meinem Leben, doch er wusste, wie unglücklich Castiel war. ,,Es wird schon gut gehen", sagte er erneut und drückte Cas' Schulter.
,,Ja. Du hast uns, Cas", bekräftigte Sam.
Die Tür schwang auf, und eine ältere Version von Cas lächelte sie an. Die blauen Augen funkelten. Er streckte den Arm aus, zog Cas durch die Tür und hüllte ihn in eine Umarmung. ,,Hallo, Sohn. Schön, dich zu sehen, Bursche."
,,Hey, Dad", antwortete Cas. Seine Stimme wurde durch die Schulter seines Vaters gedämpft. Sie trennten sich, und Cas zeigte auf Sam und Dean, die hinter ihm standen. ,,Dad, das sind Sam und Dean Winchester, meine Mitbewohner. Jungs, das ist mein Vater, James Novak."
,,Bitte, nennt mich Jimmy." Er lächelte, und Sam und Dean schüttelten ihm beide die Hand. ,,Es freut mich, euch endlich kennenzulernen. Michael hat meiner Frau und mir ziemlich viel von euch beiden erzählt."
,,Die Freude ist ganz meinerseits", sagte Sam freundlich, und Dean nickte zustimmend.
,,Nun, kommt herein, Jungs, ich wette, Amelia stellt schon das Abendessen auf den Tisch."
,,Es tut mir leid, dass wir so spät sind, Dad."
,,Das macht nichts, du weißt ja, wie deine Mutter ist."
,,Ja", murmelte Cas und folgte seinem Vater ins Haus.
Das Innere des Novak-Hauses war genauso nobel wie das Äußere. Anscheinend wurde man extrem gut bezahlt, wenn man Senior-Vizepräsident der Gemeinde und der Öffentlichkeitsarbeit für die Baltimore Ravens war. Dean war ein wenig fasziniert und beeindruckt gewesen, als Cas ihm erzählt hatte, was sein Vater machte, und hatte ihn gewarnt, einen gewissen Rufus Turner nicht auf so eine Information aufmerksam werden zu lassen. Bobbys alter Freund würde ihm wegen Tickets bald in den Ohren liegen.
Während sie Jimmy einen langen Flur entlang folgten, nahm Dean die teuer aussehenden Kunstwerke an den Wänden in sich auf. Er erkannte sogar ein paar der Künstler und musste sich zwingen, den Mund zu halten, da er nicht wie ein Idiot dastehen wollte.
Noch nie in seinem Leben hatte er sich so fehl am Platz gefühlt. Er war auf manch nobler Kunstausstellung gewesen, wo der Eintrittspreis teurer als ein gebrauchter Volvo war, aber er war einer der Künstler gewesen, deren Arbeit gezeigt wurde. Das ließ ihn sich ein wenig wohler fühlen und war sein Ticket, da reinzupassen.
Hier hatte er nichts.
Castiels Eltern waren konservativ. Sie weigerten sich, Cas' Sexualität anzuerkennen. Sie, naja, Cas' Mutter zumindest, glaubten, dass Cas seine Intelligenz damit verschwende, ein Diplom in Englisch und Kreatives Schreiben anzustreben. Sie hatten gehofft, dass Castiel den Rechtsweg beschreiten würde, so wie Michael und Lucifer es getan hatten. Allerdings war, soweit Dean verstanden hatte, keiner richtig glücklich mit der Art und Weise, wie Luc sein rechtswissenschaftliches Diplom verwendete, nämlich dafür, ein Anwalt für Unfallmandate geworden zu sein. Michael hatte sich währenddessen auf das weit ansehnlichere Gebiet Familienrecht und Recht der Älteren spezialisiert.
Er war sich nicht sicher, was Gabriel machte, hauptsächlich deshalb, weil Cas es nicht genau wusste, aber er meinte, dass es irgendeine Art von Medien- oder Unterhaltungsunternehmen war. Was auch immer es war wurde gut genug bezahlt, um einen '01 Vette zu fahren.
Cas kam normalerweise ganz gut mit seiner Familie aus, doch jetzt fühlte er sich zu Hause nicht mehr wohl. Er glaubte nicht, dass ihn irgendjemand aus seiner Familie wirklich verstand; wer er war und was er sich vom Leben erhoffte.
Er hatte Dean erzählt, dass er sich wie ein unglaublich runder Pfahl in einer Welt voller quadratischer Löcher fühle.
Dean konnte das nachempfinden.
_____
Deans Augen hatten sich beim Anblick von Amelia Novaks modischem Esszimmer geweitet. Castiel sah fasziniert zu, als Deans Mauern in ihren Platz einrasteten. Er konnte geradezu beobachten, wie sein fester Freund eine Maske für seine Eltern aufsetzte und sich hinter der Sicherheit des Charakters versteckte, den er für diesen Anlass kreiert hatte.
Sam hingegen war total er selbst. Freundlich, entspannt, selbstbewusst; der Siebzehnjährige passte mit seiner frisch gewillten Akzeptanz für Hopkins und seinen gebildeten, höflichen Manieren perfekt zu den Novaks.
Jimmy saß am Kopf des Tisches, Amelia zu seiner Rechten, Gabriel neben ihr, und Sam neben ihm. Cas saß an der anderen Seite seines Vaters, Dean neben ihm, und Michael am anderen Ende. Raphael befand sich auf dem Platz neben Dean. Seine blauen Augen waren groß und neugierig, und beobachteten jeden Schritt der Winchesters.
Dean schien eine natürliche Verbundenheit mit Kindern zu haben. Mehrere Male während des Essens lachte Raffy laut über irgendeine dämliche Sache, die Dean sagte oder tat, um ihn zu amüsieren.
Amelia schien den Mangel an Anstand an ihrem Thanksgiving-Tisch nicht zu schätzen, doch Cas war froh, seinen zehnjährigen Bruder lachen zu sehen. Der Junge war oft viel zu ernst.
Der Unterschied zwischen den Winchesters wurde deutlicher, als Deans Meinung zur Erderwärmung gefragt war und er sich bei den Worten verhaspelte und stotterte. Sam erbarmte sich seines Bruders und setzte zu einer Erklärung an, inwieweit Al Gore mit seinen Aussagen recht hatte. Selbstbewusst diskutierte er seinen Standpunkt mit Amelia. Seine Mutter war von Sam beeindruckt, so viel war klar. Auch Michael hatte bereits eine Schwäche für den jungen Mann entwickelt.
Sein Bruder Gabriel verbrachte ziemlich viel Zeit damit, Sam offen anzustarren. Gelegentlich ließ er einen komplett unangebrachten und nicht sehr lustigen Witz in das Gespräch einfließen, doch er schien von Sam ungeheuer fasziniert zu sein.
,,Also, Dean", begann Amelia, während sie eine Gabel voller Süßkartoffeln in der Hand hielt, ,,erzähl uns von deinen Gemälden."
Dean errötete und fummelte verlegen an seiner Stoffserviette herum. Cas legte ihm unter dem Tisch eine Hand auf seinen Oberschenkel und tätschelte beruhigend sein Bein.
,,Ich, ähm, ich male Engel."
,,Wirklich? Das ist faszinierend. Bist du also ein Gläubiger?" Amelia tupfte sich mit ihrer Serviette vorsichtig den Mund ab und hob die Augenbrauen, als sie über den Tisch zu Dean blickte.
,,Äh... Nun, nein, nicht wirklich. Ich weiß nicht, ob ich überhaupt wirklich an Engel glaube."
,,Warum malst du sie dann?"
,,Ich... Ich denke, dass sie irgendwie cool sind. Ich meine, man sieht diesen ganzen Scheiß über flauschige, kleine Cherubim und dann liest man erst richtig die Bibel. Sie sind nicht wie kleine, geflügelte Kinder, sie sind Krieger, Hüter." Dean nahm einen Schluck Wasser. Cas konnte den Wechsel in seinem Gesicht sehen, als er sich für sein Thema erwärmte, das eine, das er besser als alle anderen kannte. ,,Gott nutzte sie, um seinen Willen auszuführen, um über seine Leute ein Urteil zu vollstrecken oder um wichtige Nachrichten zu überbringen. Die Erzengel waren absolut unerschütterlich. Wenn man sie mit menschlichen Gegenstücken verglichen werden müssten, würde ich sagen, dass sie Gottes Generäle auf dem Schlachtfeld sind."
,,Du scheinst über dieses Thema ziemlich gut Bescheid zu wissen, Dean. Ich nehme an, dir sind die Namen unserer Söhne aufgefallen?"
,,Jap", sagte Dean mit einem Grinsen. ,,Michael, der Stellvertreter Gottes." Michael lächelte darüber. ,,Sein mächtigster Erzengel, allerdings war er mit der unangenehmen Aufgabe beauftragt, seinen Bruder Lucifer in die Hölle zu werfen, als dieser Befehle missachtete. Lucifer war der Schönste, der Morgenstern, doch seine Gehorsamkeitsverweigerung und Rebellion vernichteten ihn. Gabriel", Dean lächelte Cas' Bruder an, ,,der Botschafter, von Gott damit betraut, Maria die Neuigkeiten von Jesus' bevorstehender Geburt zu überbringen. Außerdem wird ihm nachgesagt, dass er starke Gefühle für die Menschheit habe. Er war bei der Geburt und Auferstehung Christi dabei." Dean drehte sich mit einem Lächeln zu Raphael. ,,Und Raphael, der Heiler, der den Menschen Gnade bringt, aber trotzdem mächtig und kein Engel ist, mit dem man sich anlegen sollte." Er streckte den Arm aus und zerzauste Raffys blonde Haare. Der Junge strahlte Dean an. Ganz egal, was der Rest des Novak-Klans von Dean dachte, er hatte definitiv Raffy für sich gewonnen.
Castiel bemerkte, dass Sam Dean mit einem tiefen Ausdruck von Stolz auf seinem Gesicht beobachtete. Cas wusste, wie er sich fühlte. Obwohl Dean sich als der 'dumme' Winchester darstellte und behauptete, dass Sam das Genie von ihnen beiden war, glänzte er nun. Sein Engelswissen und seine Leidenschaft für das Thema waren eindeutig in seiner Stimme und seinem lebhaften Ausdruck zu erkennen.
,,Und was ist mit Castiel?", fragte Jimmy mit einem Lächeln auf dem Gesicht. Cas war sich ziemlich sicher, dass Dean auch seinen Vater schon für sich gewonnen hatte.
,,Castiel, Engel des Donnerstags. Spezieller Hüter über die, die an diesem Tag geboren werden, und Wächter der Gebete, die an einem Donnerstag verrichtet wurden. Gerüchten zufolge ist er der Seraph, der die Garnison leitete, die mit der Zerstörung von Sodom und Gomorra beauftragt war."
,,Ironisch", sagte Amelia in einem kühlten Ton.
Cas' Herz sank. Er starrte auf seinen Teller hinab.
,,Ironisch?", fragte Dean. Seine Hand fand Cas' unter dem Tisch. Er verschränkte ihre Finger und drückte sie.
,,Ja. Schließlich wähnt Cassie sich als Homosexueller", sagte eine gedehnte Stimme. Ein großer, blonder Mann mit eisblauen Augen schlenderte ins Esszimmer. Cas' Herz sank.
,,Nenn mich nicht so."
,,Luc", sagte Michael kurz angebunden. Auch er schien nicht erfreut zu sein, seinen Bruder zu sehen.
,,Entschuldige meine Verspätung, Mutter", er beugte sich hinunter und küsste sie flüchtig auf die Wange, ,,aber ich hatte einen Mandanten, mit dem ich reden musste. Es war wichtig."
,,Dieser Drecksack Alastair? Der Pädophile?", fragte Michael vernichtet, Abscheu in seiner Stimme.
,,Oh, jetzt geht's los", murmelte Gabe.
,,Unschuldig, bis die Schuld bewiesen ist." Lucifer grinste. Er zog einen Stuhl zwischen Sam und Michael, und grinste zu dem Teenager herüber. ,,Nun, hallo. Wer bist du?"
,,Sam Winchester", erwiderte er ausdruckslos, weigerte sich, eingeschüchtert zu werden.
,,Schön, dich kennenzulernen, Sammy."
,,Ich heiße Sam."
,,Luc Novak. Ich bin sicher, Cassie hat dir alles über mich erzählt, wenn du der Sam bist, mit dem er vermutlich wohnt. Was dich zu Dean machen würde?"
Dean nickte argwöhnisch.
,,Jetzt hört mal, lasst uns ein friedliches Thanksgiving verbringen, Jungs." Jimmy blickte demonstrativ zu Lucifer. ,,Ich werde dich rausschmeißen. Sohn oder nicht."
,,Ich werde keine Probleme verursachen."
,,Gut."
,,Obwohl du Cassie hier wahrscheinlich fragen möchtest, warum er unter dem Tisch die Hand dieses Jungen hält."
Das Blut wich aus Cas' Gesicht. Ihm war schlecht. Dean drückte seine Hand fester.
,,Willst du das erklären, Castiel?", fragte Amelia.
Cas schüttelte den Kopf und weigerte sich, von seinem Teller hochzusehen. Tränen brannten in seinen Augen und er klammerte sich an Deans Hand fest.
,,Ich hätte gerne eine Erklärung, Castiel."
,,Lass ihn in Ruhe, Amelia", sagte Jimmy leise.
,,Er weiß, was wir davon halten", zischte sie ihrem Mann zu.
,,Nun, Sie liegen falsch."
Jeder Blick am Tisch richtete sich auf Dean, der so leise gesprochen hatte, dass Cas sich sicher war, er habe sich verhört.
,,Entschuldigung?"
,,Sie liegen falsch", sagte er erneut. Seine Stimme gewann an Selbstvertrauen.
,,Raphael, geh auf dein Zimmer."
,,Aber Mom!"
,,Jetzt."
Raffy stand auf und blickte seine Mutter finster an, bevor er seinen Teller nahm und aus dem Zimmer stampfte.
,,Erklärt euch."
,,Cas und ich sind zusammen. Wir sind ein Paar. Ich schäme mich nicht deswegen. Und wenn Sie irgendeinen Zug einer Mutter hätten, würden Sie sich nicht dafür schämen, wer Ihr Sohn ist. Es ist ja nicht so, als ob jemand aufwacht und sagt: ,Oh okay, ich denke, heute werde ich schwul sein'!"
Sams Mund klappte auf. Gabe und Michael versteckten beide ein Grinsen und riskierten einen Blick auf das empörte Gesicht ihrer Mutter.
,,Aber die Bibel sagt, dass es falsch ist, Sohn", sagte Jimmy leise. Er klang nicht allzu überzeugt.
,,Ja, naja, die Bibel sagt eine Menge Dinge, die Schwachsinn sind. Zum Beispiel sagt die Bibel, dass wir kein Schweinefleisch essen sollen. Sie schmeißen diesen leckeren Schinken mit Ananas lieber in den Müll, Mrs. Novak. Oh, und ich habe Tattoos auf den meisten Teilen meines Körpers. Das ist eine direkte Fahrkarte in die Hölle."
An der Stelle konnte Gabe nicht mehr an sich halten und versteckte sein Lachen in seinem Weinglas.
,,Du stellst dieses Weinglas besser hin, Gabe, du sollst auch nicht trinken."
,,Machst du dich über meine Mutter lustig?", fragte Lucifer in einem kühlen Ton.
,,Ich mache mich über niemanden lustig. Aber weißt du was? Die Bibel, naja, eigentlich Jesus, sagte, Sünde sei Sünde und keine Sünde sei schlimmer als eine andere. Und wenn du vehement eine Regel der Bibel wahrst, solltest du besser bereit sein, dich an alle zu halten. Ansonsten siehst du am Ende nach einem totalen Heuchler aus. Meiner Meinung nach ist Cas' Homosexualität im Großen und Ganzen also nicht schlimmer als deine Verteidigung von widerlichen Pädophilen."
Lucs Gesicht wurde leuchtend rot vor Wut. Michael grinste und schlug Luc auf die Schulter. ,,Jetzt hat er dich drangekriegt, Bruder", sagte Michael fröhlich. ,,Ich mag dich, Dean. Du sagst, wie es ist."
Amelia war während Deans gesamter Rede still gewesen. ,,Ich schätze, du findest dich wohl witzig, Dean?", sagte sie eisig.
,,Ich finde mich hinreißend."
,,Nun, ich bin nicht beeindruckt. Ich denke, du und dein Bruder solltet gehen."
,,Also, Amelia..."
,,Nein. Ich werde mich nicht für die Überzeugungen in meinem eigenen Zuhause schämen."
,,Weißt du was?", sagte Castiel, nachdem er endlich seine Stimme wiedergefunden hatte, ,,Ich wäre sowieso viel lieber nicht hier. Danke, Mutter, für das angenehme Essen. Wir werden uns selber hinausbegleiten." Er stand auf und zog Dean auf die Füße.
Sie waren zur Tür hinaus, im Impala und auf halbem Weg zurück zur Feuerwache, bevor er sich schließlich ans Atmen erinnerte.
,,Das war schrecklich!", platzte er heraus und erschrak Dean damit so sehr, dass der Impala leicht schlingerte.
,,Gott, Cas!"
,,Naja, er hat recht. Das war ziemlich schrecklich. Und dein Bruder Luc? Verdammt gruselig", fügte Sam hinzu.
,,Er hätte nicht da sein sollen. Es tut mir leid, dass ihr beide euch mit ihm auseinandersetzen musstet. Und meine Mutter..." Mit einem Seufzer verstummte Cas.
,,Aber weißt du was? Ich habe dir wahrscheinlich keinen Gefallen getan, indem ich die Klappe aufgerissen habe. Tut mir leid, Cas. Ich habe die Dinge nur schlimmer gemacht."
,,Nein! Du hast dich für mich eingesetzt, Dean. Das hat bisher noch niemand gemacht."
,,Weißt du, sie definieren nicht, wer du bist, Cas", sagte Sam leise, beugte sich vor und legte seine Hand auf Cas' Schulter. ,,Sie bestimmen nicht über dein Leben. Sieh mich und Dean an. Dad hat sein Bestes gegeben, uns zu versauen, und es geht uns gut."
Ein schiefes Grinsen legte sich auf Deans Gesicht. ,,Ja. Freier Wille, Mann. Niemand kann uns zwingen, etwas zu tun, das wir nicht wollen. nicht einmal unsere Eltern. Ich meine, sieh uns an." Er deutete auf sich. ,,Ein an Schlaflosigkeit leidender, verrückter Kunstfreak", er bewegte seine Hand zu Cas, ,,ein streberhafter, schwuler, abgelehnter Englischstudent", er zeigte auf Sam auf dem Rücksitz, ,,und ein bedauernswertes Kind, das beruflich in alte Bücher starren möchte. Check uns aus. Team Freier Wille."
Sam und Cas lachten beide. Sam legte seine andere Hand auf Deans Schulter. ,,Ich persönlich denke, dass wir harte Typen sind."
,,Ja, naja, das auch." Dean sah Sam im Rückspiegel an. ,,Hey, rutsch zurück und schnall dich an!"
Sam schnaubte, gehorchte aber, und lehnte sich wieder gegen seinen Sitz. Cas streckte den Arm aus und nahm Deans Hand.
Immerhin hatte er immer noch eine Familie. Die, die er sich aufgebaut hatte. Zwei gebrochene Brüder, Ellen, Bobby, Jo und Benny... Er hatte eine Familie. Er liebte sie. Und sie liebten ihn.
Fürs Erste würde das reichen müssen.
_____
Jetzt
Die Fahrt auf der I-83 war sehr still. Sam starrte aus dem Fenster des Mietwagens und sah zu, wie Baltimore vorbeizog.
,,Ich denke nicht, dass du mit mir ins Ellen's kommen solltest", sagte Sam plötzlich.
,,Ähm, okay?"
,,Dean ist da. Ellen meinte, er habe...einen seiner Momente. Und während ich komplett damit einverstanden bin, dass du eventuell seine Hochzeit stoppst, bin ich nicht damit einverstanden, ihn zu foltern, wenn er sowieso schon einen schlechten Tag hat."
,,Okay."
,,Gut."
Erneut erfüllte peinliche Stille das Auto.
,,Sam? Warum hast du es mir nicht erzählt? Warum hast du nicht weiterhin versucht mich zu finden?"
Sam seufzte. ,,Ich war ein wenig beschäftigt. Und als ich dann schließlich darüber nachdachte, dich zu finden, sagten sie mir immer wieder, dass er starb. Ich dachte nicht... Ich dachte nicht, dass ich dich finden sollte, nur damit du ihn wieder verlierst. Dann, als es ihm besser ging und er wieder redete und kommunizierte, sagte er mir, ich solle nicht nach dir suchen. Er wollte nicht, dass du ihn siehst. Ich hätte trotzdem Ausschau nach dir halten sollen. Aber lass uns an dieser Stelle mal ehrlich sein: Wir haben die Situation alle drei versaut."
Cas nickte.
,,Und jetzt können wir das wieder geradebiegen. Vielleicht. Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass eine Heirat mit Anna ihr gegenüber nicht fair ist, weil er sich ihr nie so hingeben wird, wie es ein Ehemann tun sollte. Weil er immer Was wäre, wenn sagen wird. Sie verdient etwas Besseres als das."
Cas sagte nichts weiter. Sein Blick war auf den Highway vor ihm fixiert. Sam starrte aus dem Fenster und tippte abwesend mit den Fingern auf die Armlehne.
Der Himmel war dunkel. Ein leichter Sprühregen fiel auf die Windschutzscheibe, als ob es zu schneien oder regnen versuchte, das Wetter sich aber nicht entscheiden konnte.
Die Stille im Auto war bedrückend, doch Cas wusste nicht, was er zu Sam sagen sollte. Er hatte keine tröstenden Worte anzubieten. Außerdem drehten sich seine Gedanken um Dean und was mit ihm passiert war, seit er ihn im Einkaufszentrum gesehen hatte, was ihn dazu gebracht hatte, bei Ellen's zu landen.
Sam schniefte. ,,Ich möchte nur, dass er glücklich ist", sagte er leise. ,,Ich möchte nur..." Er schniefte wieder. Cas riskierte einen Blick zu ihm und war überrascht, dass dem anderen Mann ungehindert Tränen die Wangen herunterrollten. ,,Cas, ich weiß nicht, ob ich hier das Richtige tue, dich dazu zu ermutigen. Was, wenn ich ihn verliere? Was, wenn es zu viel ist? Ich stecke meine große Nase darein, wo sie wirklich nicht hingehört. Was, wenn er mich dafür hasst?"
,,Ich weiß nicht, was ich dir sagen soll, Sam. Ich fühle mich selber ziemlich verloren. Ich weiß nicht, wie ich überhaupt anfangen würde... Das letzte Mal, als ich ihn gesehen habe, sagte er mir, ich solle fernbleiben. Er will nichts mit mir zu tun haben und ich werde mich ihm nicht aufzwingen."
Cas parkte den Prius in einer freien Parklücke vor dem Roadhouse.
,,Ich denke, du solltest mit ihm reden. Nicht heute Nacht, aber bald. Ich könnte-" Sam holte tief Luft und wischte sich energisch die Augen. ,,Ich könnte etwas planen. Irgendeine Art und Weise für dich, einfach, du weißt schon, in ihn hineinzulaufen. Es ahnungslos aussehen lassen."
,,Glaubst du, das ist eine gute Idee?"
,,Keine Ahnung. Hast du eine bessere?"
,,Nicht wirklich."
Sam seufzte. ,,Bleib in Kontakt, okay? Gib mir dein Handy." Er nahm das Handy von Cas und beschäftigte sich kurz damit. ,,Hier. Ich habe meine und Deans Nummer eingespeichert. Aber benutz Deans nicht. Noch nicht. Ok?"
,,Natürlich."
,,Ich werde mich melden. Und danke für die Fahrt." Sam stieg aus dem Auto und eilte ins Roadhouse.
Als Cas vom Bordstein wegfuhr, hielt er für eine Minute an und starrte auf die verdunkelten Fenster der Feuerwache.
Mit einem Seufzer fädelte er sich in den Verkehr ein und ließ Baltimore – und seine Erinnerungen – zurück.
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