Verschwommene Bilder

Nach einer eher unruhigen Nacht, in der er nichts geschlafen hatte, schälte Mike sich aus dem Würgegriff der Bettdecke. Man möge es nicht glauben, aber die Wohnung wurde ihm immer vertrauter.

So tapste er ins Wohnzimmer und versuchte im Kühlschrank nach etwas Essbares zu suchen. Gefunden hatte er einen Becher Jogurt und etwas Müsli, welches er sich mit etwas Obst aus der Schale, die er nun erst jetzt bemerkt hatte, mischte.

So saß er da und hatte Mühen seine Augen offen zu halten, wobei ihn der Gedanke beschlich, wie er den heutigen Tag rumbringen sollte.
Mike hatte mit sich beschlossen, die Wohnung etwas angenehmer zu gestalten und auch einen kleinen Ansporn dadurch zu finden, der ihn bei seiner Suche nicht los ließ.

Er kritzelte auf seinem Stück Papier mit einem schwarzen Kugelschreiber herum. Mike wollte seine Familie, wenn er sie schon nicht sah, auf Papier bringen. Sie irgendwo an die Wand im Flur hängen. Verzweifelt, knüllte er das Papier zusammen und zerdrückte es in seiner Hand. Den Kugelschreiber hatte er schon über die halbe Tischplatte gefetzt. Er kannte seine Familie, sein Ein und Alles, doch waren nur verschwommene Bilder in seinem Kopf, die er nicht entschlüsseln konnte.

Er wusste, würde er länger hier sitzen, dass es ihn in die Irre treiben würde. Also stand er auf und trat den Weg zur Firma an.

Auf dem Weg versuchte er einmal bewusst seine Umgebung wahrzunehmen. Die Häuser wurden von seinem etwas älteren Wohnblock immer neuer und außergewöhnlicher. Das Abbild eines Hauses​ in einem anderen Universum, wie Shinoda es sich vorstellen würde. Das Aussehen der Menschen, die verschiedenen Arten der Personen, scheinen wenig Aufsehen zu erregen. Die Kleidung war der Klasse angepasst, welchen Stil der Mittelklasse man als Retrolook der 40er Jahre bezeichnen konnte. Dazwischen tummelten sich immer wieder ein paar Hoodie-Träger, die zu den Zeichner gehörten. Der Rest, Punker und Punkeranhänger, war wohl hier nicht, weder noch die Königsklasse. Wusste Mike doch noch nicht allzu viel über diese Klassen, bei dem Problem Sam ihm vielleicht weiterhelfen konnte.

Leicht verträumt saß Mike an seinem Schreibtisch, nachdem er die Sprayhalle leer geräumt hatte und versuchte sich auf irgendetwas zu konzentrieren, was einfacher gesagt, als getan war. So hatte er vor, seinen Tag nicht ganz zu vergeuden und sich mit Sam auseinanderzusetzen. Im Thema Klassensystem.

"Donnelly?", fragte er vorsichtig, mit der Kartonschachtel in der Hand, der an seinem Schreibtisch saß, "ich wollte dir die Spraydosen zurückgeben."

Sam schreckte schon fast aus seinem kreativen Prozess auf und deutete Mike, sie nur vor dem Schreibtisch abzustellen: "Kannst du immer wieder haben."

"Darf ich dich was fragen", ging Shinoda neben ihm in die Hocke nachdem er dem Aufruf des Ablegens Folge geleistet hatte, "zu den Punkeranhänger?"

Die Gesichtszüge von Donnelly fielen schlagartig und er begann zu hauchen: "Warum denn das?! Nicht hier! Nicht jetzt!"

Mike schreckte etwas zurück, da er kaum mit diesem Ton gerechnet hatte. Sam war selbst auch etwas über seinen Ton überrascht und entschuldigte sich sofort.
"Sorry Mike, das war etwas unfreundlich, aber hier ist nicht der beste Platz um über so etwas zu reden. Sollen wir uns bei dir treffen, ich wohne derzeit noch bei meiner Mutter und die hasst solche Gesprächsthemen", schmunzelte der Rothaarige leicht verlegen.

Mike nickte und war sich etwas uneins mit sich selbst, da er doch heute eigentlich vorgehabt hatte, nach einem seiner Freunde zu suchen oder mehr über Anna herauszufinden. Kam es ihm doch eigenartig vor, ganz allein in der Wohnung zu sitzen, ohne ein einziges Wort von ihr zu hören. Er musste sich im Klaren sein, dass sie vielleicht nicht mehr seine Ehefrau war, doch er zog keine Schlüsse, ohne vorherige Recherche.

"Weiß du wo Jason wohnt?", fragte Mike, für sich geglaubt die beste Wegbeschreibung, "die Tür gegenüber. Da findest du schon hin, ich werde jetzt nämlich nachhause gehen."

"Aber mit dir ist schon alles in Ordnung oder?", fragte Donnelly etwas besorgt.

Shinoda wank nur ab und richtete sich auf, bevor er zu seinem Schreibtisch hastete und mit Tasche das Haus verließ. Eines schnellen Schrittes bedacht. War das flaue Gefühl in seiner Magengrube mehr als nur verratend. Alleine was vorgestern passiert war, möchte er nicht in der Firma präsentieren.

Mit zitternder Hand, probierte er nach drei verpatzten Versuchen immer noch den Schlüssel ins Schloss zu bringen, was er nun seufzend unterließ. Da trabte ein junger Mann über die Treppe. Elegant gekleidet in hellblauen Anzug und mit einer dunkelbraunen Tolle, die mehr als nur ein wenig an Elvis erinnerte. Mike brauchte nun seine Hilfe.

"Entschuldigen Sie", fragte er und brachte die Person zum Stehen, "ich habe gerade meine Kontaktlinse verloren und schaffe es nicht, meine Tür aufzusperren."

Ein Nicken kam ihm entgegen und der Mann hatte die Tür im Handumdrehen geöffnet. Mike bedankte sich und rannte förmlich in die Wohnung. Das Stechen in seiner Brust begann sich wieder über den ganzen Körper auszubreiten.
Machte er hier immer einen Fehler? Schaffte er es nicht, eine unbekannte Aufgabe zu erfüllen?

"Mike", streifte wieder die Stimme von Anna in seinem Kopf umher und er fuhr zur Seite. Ein Gefühl ließ ihn nicht los, dass sie wieder hier war.

"Mike", wurde es lauter und nun sah er zur Decke, wo sich wieder die schwarzen Haare vom weiß abhoben und er in diese unverkennbar dunklen Augen blicken musste. Sie war da, vielleicht auch immer an seiner Seite, doch er sah sie nur selten.

"Mike, bitte komm zurück."

"Anna", versuchte er den Drang zur Bewusstlosigkeit zu unterdrücken, "wo bin ich."

"Ich habe Angst um dich", wurde ihr Stimme und das Abbild kräftiger, als würden sie sich in seinen Kopf einbrennen wollen.

Mike stolperte an die Wand hinter sich, ohne auch nur den Blick zu lösen.

Sam war mit dem Projekt fertig, an welchen er nun schon zum dritten Mal hing. Er war nie richtig zufrieden mit seinem Ergebnis gewesen. Doch bevor er ging, wollte er noch seine Spraydosen sortieren und danach zu Mike. Im Kopf bastelte er sich schon verständliche Dinge zusammen, die auch Shinoda verstand. Hatte er einen leisen Verdacht, dass Mike nicht von dieser Welt war. Kalifornier hin oder her, das "Problem" in New York war bis weit über die Grenzen der Vereinigten Völker bekannt. Bis in das hinterste Ecke von Downtralien. Doch am meisten profitierte doch die EER, das Erste Europäische Reich, da die Europäische Krone an Wert gewonnen hatte. Menschen aus Asiachinkorea fanden in New York am meisten Arbeitsplätze, da die besten Chinacomiczeichner hierher stammen. Eigentlich war es ein Glücksspiel, als Person ohne westlicher Abstammung einen Arbeitsplatz bei den Zeichner zu finden.

Mit einem Lächeln rannte er über die Treppen nach oben, hielt vor dem leicht verschmierten Türschild​ Shinoda und klingelte. Niemand öffnete. Nach weiteren Versuchen, in denen immer keine Antwort kam, drückte Donnelly sein Ohr an die Tür und hielt den Atem an, um zu horchen, ob jemand da war. Stattdessen hörte er Schreie. Schreie, die zu Mike gehörten.

"Anna, sag mir was ich tun soll, dass dies hier ein Ende findet!"

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