𝓚𝓪𝓹𝓲𝓽𝓮𝓵 1
POV: Talion
Schnellen Schrittes ging ich auf meinen jüngeren Bruder zu. In mir brodelte es, doch äußerlich war ich ruhig und beherrscht. Das einzige, was meine tatsächliche Stimmung darlegte, waren meine raschen Schritte, deren entschiedenes Klonk über den Hof hallte.
Meinem offiziellen Titel nach, war ich der Kronprinz der Drachenwandler, aber ich hasste diesen Titel. Ich war nicht umsonst ein fruchteinflößender junger Mann, dem ein feuriges Temperament nachgesagt wurde. Leider hatten die Gerüchte nicht ganz Unrecht. Es kam häufig vor, dass ich mich wegen bestimmten Sachen aufregte, aber heute war es anders.
Es ging hier schließlich um Tias und damit um die einzige Sache, bei der ich keinen Spaß verstand. Tias war mein jüngerer Bruder und somit mein Ein und Alles. Ich hasste die Rolle des Älteren, doch heute würde sie ausnahmsweise einmal nützlich sein. Ich musste ihn schließlich von etwas überzeugen.
„Wann hattest du vor, es mir zu sagen?" Ich scherte mich nicht groß darum, wie laut meine Stimme klang und auch nicht, dass wir uns direkt auf dem Hof befanden und alle uns belauschen konnten. Jetzt zählte einzig und alleine mein jüngerer Bruder.
Dieser sah mich überrascht an. „Was sollte ich dir sagen?"
„Jetzt tu nicht so!", tobte ich. Wie konnte er es wagen!
„Talion, beruhige dich doch erstmal. Wir gehen zu einem geeigneteren Ort und du sagst mir, warum du sauer auf mich bist." Beruhigend legte mein jüngerer Bruder die Hand auf meine Schulter.
Ich seufzte schwer, während ich ihm durch die Flure des Schlosses folgte. Ich hasste meine Bürde und heute war einer der Tage, in denen sie noch schwerer als sonst auf meinen Schultern lastete.
Mein Bruder hatte ebenfalls bemerkt, dass ich nicht die beste Laune hatte und sah mich mit Schlank in den Augen an. „Bruder, heute ist nicht dein bester Tag, was?"
Zur Antwort schnaubte ich nur. Er dachte doch nicht, dass sich mein Zorn auf ihn schon gelegt hatte? Ich war immer noch wütend und zwar so wütend, wie schon lange nicht mehr.
Ich folgte ihm in mein Empfangszimmer, wo es sich Tias auf meinem Sofa gemütlich machte. Er klopfte auf den Platz neben sich, aber ich dachte gar nicht daran, mich zu setzen. Stattdessen ging ich vor ihm auf und ab.
„Verdammt, Tias, wann hattest du vor, mir zu sagen, dass du eine Reise unternehmen möchtest?", brüllte ich los.
Mein jüngerer Bruder sagte vorsichtig: „Du weißt doch, dass die Reise schon immer ein Traum von mir war. Ich muss die Welt sehen."
Ich schnaubte. „Ich weiß, aber deine Träume spielen keine Rolle. Du bist der Prinz, du weißt, wo dein Platz ist."
Tias sah zu Boden.
„Du kannst jetzt nicht weg. Du darfst jetzt nicht weg!", schrie ich weiter und stampfte auf und ab. Ich wollte mir eingestehen, dass es nicht nur an der Nachricht lag, die Vater heute Morgen erhalten hatte, sondern auch an der Tatsache, dass ich Tias nicht verlieren wollte. Er war mein Ein und Alles und ohne ihn war ich ein gebrochener Mensch.
„Und warum nicht?", fragte mein Bruder und hob den Kopf. Er hatte diese verdammte Ruhe aufgesetzt. Mit dieser Ruhe hatte ich keine Chance gegen ihn. Es war die Ruhe eines Prinzen und eine Ruhe, von der ich nur träumen konnte.
Ich setzte mich auf das Sofa ihm gegenüber und vergrub das Gesicht in den Händen. Ich verstand Tias. Ich verstand ihn wirklich. Der Hof war laut und voll, außerdem waren immer Gerüchte im Umlauf, die das Leben von uns Prinzen betrafen. Anscheinend waren wir das einzige, was Vaters Hofstaat interessierte. Immer und immer wieder kamen uns die wildesten Gerüchte zu Ohren, von denen eines schlimmer als das andere war.
Es schien so langweilig zu sein, dass es jedem auffiel, wenn wir uns auch nur einen winzigen Fehltritt leisten konnten.
Ich verstand, warum Tias hier wegwollte. Warum er die Welt sehen wollte und einmal jemand sein wollte, bei dem man nicht jeden einzelnen Schritt beobachtete. Ich hasste den Hof und mein geheimster Traum war es, zusammen mit meinem kleinen Bruder diese Welt zu entdecken. Doch im Gegensatz zu mir musste Tias nur zu Vater und ihn höflich darum bitten. Dann durfte er wahrscheinlich den Hof verlassen.
Ein schwerer Seufzer entrann sich meiner Kehle. Ich beneidete meinen Bruder um seine Freiheit. Denn die hatte ich nicht.
Ich war der Kronprinz und mein Platz war bei meinem Volk. Da konnte ich nicht mal eben auf Weltreise gehen.
„Hör mal, Bruder.", sagte Tias leise und ruhig. Ich antwortete nicht, sondern wartete, bis er fortfuhr. „Ich weiß, dass du das Leben bei Hof satthast. Selbst mir gehen die ganzen Gerüchte auf die Nerven. Ich kann mir nicht vorstellen, wie es dann dir gehen muss. Tag für Tag musst du dir Beleidigungen anhören. Ich sehe, wie sehr du darunter leidest. Wir können Vater bitten, zusammen auf die Reise zu dürfen. Wir könnten Aranis besuchen, mit seinen wunderschönen Wasserfällen; oder, wir schauen uns Drangonia an, die Stadt mit den Drachenstaturen. Bitte, Talion, ich könnte mir nichts Sehnlicheres vorstellen, als zusammen die Welt zu sehen!"
Ein schwerer Seufzer entfuhr mir, als ich mich zurücklehnte. Müde strich ich mir mit den Händen über meine Schläfen. „Ach. Wenn du das vor einem Monat gesagt hättest, wäre ich sofort zu Vater geeilt und hätte ihn gebeten, uns gehen zu lassen."
„Warum tust du es dann nicht?" Fragend sah mein kleiner Bruder mich an.
„Es geht nicht mehr. Du wirst hierbleiben müssen. Wir werden bleiben müssen."
„Aber warum?"
Müde sah ich ihn an. Er war nicht der Kronprinz und somit nicht in die Regierungsangelegenheiten mit eingebunden, ich aber schon.
„Vater hat heute Morgen eine Kriegsnachricht erhalten."
933 Wörter
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