Kapitel 2
Ein unaufhörliches Pochen durchdrang seinen Kopf.
Dann Rauschen. Meeresrauschen.
Kälte und Nässe durchfloss ihn, er spürt wie das Wasser über ihn schwappte, ihn umgab, ihn nach unten zog. Er sank immer tiefer und tiefer. Er spürte, wie Wasser in seine Lungen drang. Er versuchte zu rudern, zu schwimmen, das Wasser auszuspucken, doch er konnte sich nicht bewegen. Dann wurde alles um ihn herum dunkel.
Plötzlich leuchtete etwas in der Dunkelheit. Er sah die Sonne, die Oberfläche! Und da waren zwei Steine, blau und grün, glänzend und leuchtend, und das Tageslicht über ihm. Eine Hand streckte sich nach ihm aus, doch er konnte sie nicht ergreifen, und er wurde auf einmal wieder nach unten gezogen, der schwarze Strom zog ihn immer tiefer, das Licht und die helfende Hand entfernten sich, er rang nach Luft, verschluckte weiteres Wasser, kämpfte gegen den Sog -
Mit einem Ruck wachte John auf.
Schwer atmend und kerzengerade saß er im Bett. Als er merkte wo er war und dass das alles nur ein Traum gewesen war, entspannte er sich.
Die schlecht gefederte Matratze, die abbröckelnde Wand, das kleine Fenster mit den verdorrten Blumen und der Geruch nach Salz und altem fisch. Er war in seinem Zimmer. Seufzend fuhr er sich mit den Händen übers Gesicht.
Da fiel es ihm wieder ein - das Feuer!
Er erinnerte sich, wie er die Glocke gehört hatte, dann war die Hitze da gewesen und Alles schrie und lief. Er hatte einigen verwundeten in die Boote geholfen und ... genau, er musste Rotbart retten. Der Hund war immer herumgesprungen, sie hatten ihn an den Mast anbinden müssen. John erinnerte sich an das schauerliche Heulen von seinem Liebling.
Er hatte ihn losgebunden und war zu den Booten gerannt und dann ... weiß er nichts mehr.
John fuhr sich durch die kurzen Haare. Ein Schmerz am Hinterkopf ließ ihn zusammenzucken. Vorsichtig tastete er um den stechenden Punkt herum. Die große Beule hatte er sich wohl beim Schiffbruch geholt. Vielleicht hat ihn etwas hinten erwischt als er sich und Rotbart retten wollte.
Als John versuchte aufzustehen merkte er, dass nicht nur sein Kopf unter dem Unfall gelitten hatte. Langsam humpelte er zur Tür und musste dort erstmal eine Pause einlegen. Um ihn herum drehte sich alles. Er schloss die Augen um das Gleichgewicht zu finden.
Da tauchten plötzlich die zwei leuchtenden Punkte aus seinem Traum auf. Sie verformten sich und jetzt sahen ihn zwei ozeanblaue Augen an.
John fasste sich und öffnete die Tür.
Der große Raum wurde von der Abendsonne in ein helles Orange getaucht und erinnerte John sofort an das Feuer. Er verdrängte die Bilder und trat ins Wohnzimmer.
Er hörte Fußgetrappel und keine zwei Sekunden später begrüßte Rotbart ihn mit einem Freudenkläffer. Hechelnd sprang er um John herum und legt ihm seine langen roten Pfoten auf die Beine, um ihm das Gesicht schlecken zu können. "Stopp- Rotbart, hey! Aufhören!" John wurde von seinem Hund fast umgeworfen und versuchte ihn nun lachend abzuwimmeln.
"John!" Mike kam zur Terrassentür herein und sah wie sein Freund attackiert wurde. "Rotbart hier her!" rief er. "Lass den armen John in Ruhe, du bringst ihn ja noch um!"
Rotbart ließ von John ab und sprang nun um den anderen Mann herum. Der schimpfte liebevoll mit dem Irisch Setter. "Dankst du es einem so, wenn man dich rettet?" Rotbart bellte ihn freudig an. Mike wuschelte ihm durch das überlange Fell. Dann wand er sich an John. "Wie fühlst du dich?"
Automatisch tastete John über die Beule an seinem Hinterkopf. Er verzog das Gesicht. "Wie ein Schiffsbrüchiger" er lächelte seinen Mitbewohner schief an.
Mike lachte in Rotbarts Nacken. "Sie haben mir erzählt, dass du Rotbart das Leben gerettet hast."
Als John nichts dazu sagte, fügte er hinzu: "Danke, ich weiß nicht ob ich das verkraftet hätte" dann lachte er " Wir stehen wohl tief in deiner schuld" fügte er mit tiefer Stimme hinzu um Johns Hund zu imitieren. "Er ist mein Hund" meinte John benebelt und steuerte auf den Stuhl an der Wand neben den Geschirrschränken zu. Es war nur ein Designerstuhl, aber das war John jetzt egal. "Was ist passiert? Was ist mit Crew? Sind alle in Ordnung, oder..." John schluckte schwer. Er brachte nicht mehr heraus. Er hat Freunde auf dem Schiff gehabt.
Mike zog sich einen Küchenstuhl heran und setzte sich vor John, so dass er die Arme auf der Stuhllehne platzieren konnte. Er sah aus wie ein großer Teddybär, hatte einen von Johns Pullover an, die ihm seine Oma gestrickt hatte und die John mindestens drei Größen zu groß waren.
"Erstmal ist wichtig, dass du lebst, hast du das schon realisiert? Du hast wie ein Wunder überlebt." Mike machte eine kurze Pause. John schwieg. "Du warst fast einen ganzen Tag lang irgendwo da draußen! Du hast irres Glück, dass du nicht erfroren oder ersoffen bist oder aufgefressen wurdest! Rotbart hat die ganze Nacht geheult und keiner hat geschlafen, wir haben alles nach dir abgesucht! Diese Bucht war reiner Zufall!" Er war aufgebracht, aber John rührte sich nicht, Mike musste immer übertreiben, aber er war ein guter Freund, keine Frage, nur vielleicht etwas zu fürsorglich. Die leuchtenden Augen schossen John durch den Kopf.
"Hast du mir überhaupt zugehört?" empörte sich Mike und versuchte Johns Aufmerksamkeit zu erlangen. "Was ist mit der Crew?" fragte John, anstatt zu antworten. Er wollte diesen Traum loswerden, und endlich wissen, was mit seinen Freunden war. Mike gab es auf.
"Einige sind noch im Krankenhaus, aber es geht ihnen relativ gut." sagte er seufzend. "Es haben alle überlebt." fügt er beruhigend hinzu. John atmete auf.
"Danke." seufzte er und machte Anstalten aufzustehen. Mike hielt ihn fest bevor er umfiel. "Du solltest dich wieder hinlegen, John, hörst du? Der Arzt meinte du sollst dich noch mindestens eine Woche ausruhen." John nickte abwesend und ließ sich von Mike in sein Zimmer bringen. Bevor Mike die Tür schloss fiel ihm wieder etwas ein. "Ach ja, Gavin oder Graham Lestrade, der Polizei-Typ, möchte noch mit dir sprechen." doch das hörte John nicht mehr. Er fiel ins Bett und in einen unruhigen schlaf.
Tropf. "221."
Tropf. "222."
Sherlock saß starr auf dem kalten Stein und zählte die Wassertropfen, die neben ihm ins Wasser fielen.
Er saß in seiner kleinen Höhle. Diesen Platz kannte nur er. Eine kleine Grotte zwischen den großen Buchten, die um die große Handelsstadt lagen. Er hatte den Eingang vor Jahren selbst gegraben und verbarg ihn seitdem, so gut, dass nicht einmal Mycroft und Eurus wussten, dass es sie gab.
Er stütze die Ellenbogen auf seinem Schoß ab, hatte die Handflächen aneinander gelegt und zwischen seinen Augen platziert. Eurus meinte immer er sah aus wie ein Otter, wenn er so dasaß und nachdachte.
Sherlock hörte den Tropfen neben seinem Ohr vorbei fliegen. "223"
Mycroft würde sich wundern wo er bleibt. "224"
Er würde Suchtrupps losschicken und wissen wollen wo er gewesen ist. "225"
Und er würde ihn überwachen lassen. "226"
Sherlock ließ den Blick durch seinen Geheimplatz schweifen. Das helle silber-blaue Schimmern, dass ihm entgegenkam gab ihm keine Ruhe mehr. Er musste nun an die blauen Augen des toten Mannes denken. Der gar nicht tot war.
Verwirrt schüttelte Sherlock den Kopf und stieß sich ins Wasser. Wärme und Kälte umschlangen ihn und er wurde leicht, schwang seine Flosse, drehte sich in Richtung seiner Stadt und versuchte alles zu vergessen.
"Hat jemand meinen Bruder gesehen?" Mycroft rutschte ungeduldig auf dem Thron hin und her. Als die Wachen entschuldigend die Köpfe schüttelten winkte er sie seufzend weg.
"Mycroft, er ist kein Baby mehr." meinte Eurus genervt, während sie sich auf Mycrofts Thronlehne Blumen in die Haare flocht. "Und ich übrigens auch nicht." fügte sie trotzig hinzu.
"Ihr habt keine Ahnung von der Welt da draußen!" rief Mycroft verärgert.
Eurus verdrehte die Augen und glitt von der Lehne. "Ja, weil du es uns nicht herausfinden lässt." erwiderte sie schnippisch.
Mycroft wollte gerade etwas sagen, da fuhr sie ihn an "Komm mir jetzt bloß nicht mit deinem Unterricht! Menschen sind böse und so, jaja, wir haben es kapiert." Sie fuchtelte wild mit den Armen im Wasser herum. "Aber vielleicht sind wir alt genug um zu merken wenn Menschen in der Nähe sind oder nicht! Das Leben besteht nicht nur aus der Welt unter Wasser!"
Mycroft hob eine Augenbraue "Du klingst wie Sherlock." sagte er kühl.
"Weil er vielleicht recht hat!" fauchte sie und verließ den Saal mit scharfen Flossenschlägen in Richtung ihres Bruders.
Wütend schwamm sie zu einem der alten Korallenriffe. Dahinter gab es eine große Wiese mit wenigen aber sehr schönen dunkelroten Blumen. Meistens endete Eurus an einem dieser Orte, wenn sie mit Mycroft gesprochen hatte. Er konnte einfach nicht einsehen, dass 17 Jahre kein Kindesalter mehr war und sie weitaus mehr wusste, als jeder Andere in ihrem Alter.
Sie stieß einen tiefen Seufzer aus, als sie durch die Wiese glitt. Gedankenverloren stieß sie jemanden an.
"Entschuldigung ..." murmelt sie im Vorbeischwimmen, doch der Fremde hielt sie auf. "Ich muss mich entschuldigen." sagte er schuldbewusst und pflückte eine Blume, die er ihr reichte. Eurus war verblüfft und wusste nicht was sie tun sollte, sie begegnete normalerweise niemandem, auf ihren Abregungskuren. Der Fremde schaute etwas verwirrt. "Das ist es doch," er blickt auf die Blume, "was Leute tun." dann lächelt er sie an.
Eurus nahm zögernd die Blume an. Der Fremde grinste breit. Er hatte große braune Augen und glänzende schwarze Haare. Eurus errötete als sie merkte, dass sie den Mann von oben bis unten musterte. Sein kantiges Gesicht, die langen schmalen Augenbrauen, über den kleinen goldenen Schlüssel, der an einer Kette um seinen Hals hing, den muskulösen Oberkörper, die schlanken Arme und seine vielen Beine, die im matten Sonnenlicht violett glänzten. Eurus war schon immer von besonderen Wesen angetan.
Sie war oft in dem Gebiet von ihnen gewesen, sie kannte jedes Wesen und deren Aufenthaltsorte in und um Mycrofts Reich. Die Art des Fremden war verrufen wegen heuchlerischem Verhalten und grundlosem Morden. Sie wurde von ihrem älteren Bruder vor ihnen gewarnt seit sie denken kann. Sie sind so etwas wie Menschen unter Wasser, meinte Mycroft.
"Mein Name ist -" begann der Mann. "Moriarty!" rief Eurus dazwischen. Peinlich berührt sah sie auf den Boden. "Steht auf deiner kette." erklärt sie ihm. Er lächelte fies, doch zog eine Braue nach oben um seine Achtung zu zeigen. Er trat näher an sie heran. "Und du bist Eurus." flüsterte er neben ihrem Ohr. "Steht auf der Liste der Herrscherfamilie." fügte er hinzu und lächelte verführerisch.
Sie standen sich direkt gegenüber, ihre Nasenspitzen berührten sich fast. Dann drehte sich Moriarty zur Seite und streckte seine Hand nach Eurus aus. "Komm, ich möchte dir etwas zeigen." Sie legte ihre Hand in seine.
Mycroft sprang auf, als er Sherlock sah. "Wo warst du schon wieder?" fiel er ihn an. Sherlock zuckte mit den Schulter. "Bin wohl eingeschlafen."
Mycroft rollte nur mit den Augen und sparte sich eine Diskussion. Sherlock nahm das als Zeichen gehen zu können. Er drehte sich um und war schon halb durch das Tor geschwommen, da fiel Mycroft die rote Färbung auf Sherlocks Rücken auf.
"Sherlock."
"Was?" maulte er.
"Du weißt, es ist verboten an die Oberfläche zu schwimmen?" Mycroft musterte ihn streng.
"Nein, das muss ich wohl vergessen haben, obwohl du es jeden Tag beim Aufstehen predigst!" gab Sherlock zurück.
"Sherlock." wiederholte Mycroft.
Sherlock sah ihn missmutig an.
"Unsere Eltern, ..." begann Mycroft, doch er kam nicht weiter. "Ich weiß, Mycroft." sagte Sherlock nach kurzem Schweigen. Er wollte noch etwas sagen, verkniff es sich aber, denn er sah den traurigen Schleier auf Mycrofts Gesicht. Er drehte sich um und verschwand aus dem Saal. Mycroft hielt ihn nicht auf.
Mycroft brauchte einen Moment um sich zu fassen. Verzweifelt ließ er sich in den übergroßen Thron fallen. Was war nur mit seiner Familie los? Er rieb sich die Stirn.
Natürlich war ihm Sherlocks Sonnenbrand aufgefallen. Er musste stundenlang über Wasser gewesen sein. Was konnte er denn noch tun, außer es zu verbieten und ihn überwachen zu lassen?
Mycroft wurde aus seinen Gedanken gerissen, die Regierungsgeschäfte warteten.
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Die Perspektivenwechsel gefallen mir, es wird so bunt gemischt weitergehen ;D
(Ich glaube ich werde das Bild am Anfang als Markierung für das wichtigste Ereignis des Kapitels nehmen ^^, schreibt gerne was ihr denk in die Kommentare)
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