Kapitel 15


Die Glocke schrillte durch den Lärm der rufenden Männer, die verzweifelt auf zerberstenden Planken nach Halt suchten. Einige schmissen sich an die Reling, andere versuchten die Boote loszubinden, im Chaos einen Ausweg zu finden, das Leck auszumachen, und John ... John stand einfach nur wie versteinert da, gefangen in seiner Erinnerung.

Helles Licht stahl sich von hinten heran, zu hell für eine Laterne. Waren sie schon da? War es das Hafenlicht? Nein der Hafen lag in der anderen Richtung. Es wurde unnatürlich heiß und da wussten sie es, noch bevor die ersten Schreie ertönten, noch bevor das Knistern so laut wurde, dass Rotbart aus dem Schlaf aufsprang.

Feuer.

Mit einem Blick lief James zu den Booten, half beim Losbinden und Einteilen, während John zu den Kajüten lief um seine restlichen Mitmatrosen zu holen. Die Hitze wurde in den Schlafräumen durch stickigen Rauch ersetzt, sodass er hustend einen Weg durch den Nebel suchen musste. Schreie, Rufe von Oben, von allen Seiten keuchende Männer und Freunde. Es kostete John alle Kraft sie aus ihren Matten zu werfen und an Deck zu lotsen. Die ersten Bretter stürzten über seinem Kopf zusammen, versperrten den Weg zu der Mannschaft. Auf einmal waren das weitere Hände, alle halfen zusammen, schleppten Kameraden durch Hitze und Rauch an Deck, sie ließen keinen zurück. John konnte niemanden zurücklassen, es war seine Familie. Als er mit den letzten beiden die Treppen hochschlurfte, war das Schiff ein lodernder Haufen Holz und Segel, das wie ein Feuerschwert durch den Wind trieb.

John! "Eine dumpfe Stimme schrie ihm durch den heißen Sog entgegen, dann spürte er stützende Arme, und blickte in das so vertraute Gesicht seines besten Freundes. Voller Ruß und Schweiß schrie er ihn an, doch durch den Lärm kam nur ein leises Fiepen zu ihm herüber. James schleppte ihn mit zu den Booten, bis John es erkannte. Das Fiepen war kein Tinnitus, es war Rotbart. Sein treuer Gefährte, den er am Morgen an einen Mast gebunden hatte - warum musste das Tier so hibbelig sein, verdammt! John entriss sich den starken Armen des Älteren und bahnte sich einen Weg durch Nebel und Glut. Die Hitze brannte in seinen Augen, sodass er kaum sehen konnte, wo er hinlief. Das Holz unter seinen Füßen brach, die Glocke schrillte und da war es, das klägliche Jaulen und rufen nach ihm. Mit einem Satz landete er vor seinem Hund, zerriss die Halb lodernde Leine und gab ihm einen Klapps, dass er über das Loch sprang, dass sich hinter ihm auftat. "Lauf! Lauf schon! "Johns Hände brannten, als er ansetzte um Rotbart hinterher zu springen. Schmerzvoll hustend landete er auf den bröckelnden Planken und da sah er, kaum erkennbar durch den Rauch, James mit seinem Hund auf dem Arm. Er setzte zu einem weitere Sprung an, da traf ihn etwas mit voller Wucht. Er wusste nicht wo und wie oder was geschah, doch plötzlich wurde es brennend heiß und kalt, das Wasser sprudelte über ihn und dann wurde es dunkel.

Doch die Glocke läutete immer noch.

Entsetzt riss John die Augen auf. Da verlor er den Halt unter den Füßen und stürzte in die Tiefe.

Sherlock. Sherlock war das einzige woran er dachte, als er fiel. Es war ein endloser Fall bis das Meer in endlich verschluckte. Kalt strömte es über John herein und zog an ihm von allen Seiten. Da spürte er Arme um ihn herum, erleichtert entspannte er sich - für den Bruchteil einer Sekunde. Denn es waren nicht Sherlocks Arme. Panik stieg in ihn hoch. Auf einmal schlangen sich violette Tentakeln um seine Beine! Vor Schreck stieß er die letzte Atemluft aus, die ihm noch geblieben war, was ein verheerender Fehler war, denn was es auch immer war, zog ihn in die Tiefe. "Sherlock!"

Plötzlich lockerten sich die Griffe. John nahm sich keine Zeit zum Nachdenken, sondern verstärkte seine Tritte, bis ihm ein Schlag gegen den Kopf traf, doch er musste sich befreien, an die Oberfläche, Luft, Atmen, ...


Seine Leute bearbeiteten das Schiff an den richtigen Stellen, es lief alles nach Plan. Der kleine Schlag auf den Kopf würde den Menschen nicht schaden, aber ihnen ihr Kurzzeitgedächtnis und somit auch die Erinnerung daran, wer sie gerettet hatte, löschen. In einiger Entfernung sah er wie Greg die bewusstlosen Männer ans Ufer schiffte, wo die beiden Frauen sie verarzten würden. Da alles so gut lief, erlaubte sich Mycroft einen Blick in Sherlocks Richtung, doch er erschrak zu tiefst.

Ohne nachzudenken eilte er seinem Bruder zu Hilfe, der mit einem Tentakelwesen kämpfte. Hätte er für einen Moment nachgedacht, wäre ihm aufgefallen, dass Eurus ganz in der Nähe nur darauf gewartet hatte.


Mit einem Auge bei John versuchte Sherlock seinen Gegner abzuschütteln, doch das flinke Wesen schlang mit seinen vielen Beinen um sich und ließ ihn nicht aus. Aus dem Augenwinkel sah er die Ringe an der Wasseroberfläche - John hatte sie erreicht. Nun wand sich der Meermann mit voller Aufmerksamkeit seinem Angreifer zu. Sofort traf er in die Funken sprühenden Augen, die den gleichen Schimmer hatten wie die seiner Schwester. Sherlock ging es langsam auf, da traf ihn ein Schlag mit voller Wucht ins Gesicht. Kurz verlor er das Bewusstsein und da schlangen sich auch schon lange saugende Arme um seinen Brustkorb, die ihm die Knochen zerdrückten. Nach Sauerstoff japsend krallte sich Sherlock mit den freien Hände die nächste Tentakel und versank seine Nägel schmerzhaft darin. Der Angreifer zuckte für einen Moment zurück, den Sherlock nutze, um sich zu befreien, auszuholen, doch sein Schlag wurde abgefangen. Gehässig grinsend funkelte ihn der Andere an, als der nächste Arm nach vorne schnellte. Der Meermann konnte gerade noch ausweichen, da zog es grob an seinem Arm, warf ihn herum und ein weitere Schlag traf ihn. Schwindelig hielt er sich den pochenden Kopf, doch er hatte kein Zeit für eine Pause, schon schnürte es ihm wieder die Lunge zu. Noch bevor der Angreifer eine weitere Chance bekam seine vielen Arme zu nutzen, schlug der Lockenkopf ihm mit aller Wucht die große Flosse gegen den Rücken. Taumelnd fiel der Fremde zurück.

Sherlock sah sich nach John um. Ein Fehler. Eurus Liebhaber schwang sich flink an ihm vorbei auf den schwimmenden Menschen in mitten des ganzen Tumults zu. Gerade noch erwischte Sherlock eine Tentakel und zog den Rest des Wesens zu sich hinunter, um zu einem gehörigen Kinnhaken auszuholen. Doch es kam ihm zuvor, umschlang seine Hand und stürzte sich auf ihn. Hände drückten sich um seinen Hals, seine Brust wurde immer enger und langsam begannen Sterne vor seinen Augen zu tanzen. Ein erstickter Laut schaffte es über seine Lippen, als alles zu einem verschwommenen schwarz-violett wurde - "John ..."

Plötzlich ließ der Druck nach. Verwirrt blinzelnd hustete Sherlock, Sauerstoff einsaugend. Da sah er das Wesen hinter sich, rangelnd mit seinem Bruder. Sofort eilte er Mycroft zur Hilfe. Mit einem Hieb auf den Hinterkopf brachte er den Angreifer von Mycroft weg, doch nicht lange, denn sofort warf er sich mordlustig auf die Brüder zusammen. "Es war unser Reich!" stieß er fauchend aus. Die kalten weißen Hände bohrten sich ungeheuer stark in die Haut der Meermänner, die schmerzverzerrt aufschrien, und ebenfalls zum Angriff ausholten, der von den vielen Tentakeln abgehalten wurde. Bei so vielen Armen waren sie selbst zu zweit in der Unterzahl. In Sekundenbruchteilen planten die Brüder ihre Schläge, doch sie wussten bei den Gemenge selbst nicht wo es am sinnvollsten wäre, denn all die Wundpunkte schienen diesem Ungetüm kaum etwas anzuhaben. Verzweifelt landete Mycroft einen weiteren Schlag auf die Wirbelsäule, doch das Tier lachte nur provoziert und schlang seine Finger fester um die Arme Sherlocks. "Und ihr nennt euch die Herrscher!"

Plötzlich ertönte ein Knall und sie alle drei fuhren auseinander. Mycroft schrie auf und hielt sich die blutende Schulter. Genauso verwirrt wie die anderen suchte er nach der Ursache, doch Sherlock hielt sofort nach John Ausschau, als er das Boot von Greg erkannte, was zwischen all den Schiffstrümmern schwamm. Als er ihn einige Meter davon entfernt entdeckte, das fremde Wesen jedoch noch damit beschäftigt war die Ursache des Knalls ausfindig zu machen, eilte er ihm so schnell er konnte zu Hilfe. Stützend griff der junge Meermann nach Johns Beinen.

Auf einmal spürte er eine Anwesenheit, die so fremd war und doch wusste er das sie da war. Im nächsten Moment schnappte etwas nach seiner Flosse, hielt ihn fest, zog ihn wieder nach unten. Gehässiges Lachen. Sherlock gefroren die Knochen. Eurus.

Es passierte zu schnell. Ungewollt hatte Sherlock John mit unter Wasser gezogen, ließ ihn sofort wieder los, doch da war Eurus schon bei ihm und Sherlock schrie sie an, schlug aus, verfehlte seine triumphierend kreischende Schwester. Da war Mycroft hinter ihr, zog sie unter heftigem Protest und lauten Rufen von dem Menschen weg. "Moriarty!"

Erst hatte Sherlock nicht verstanden, doch als er sah, wie es unter ihm violett schimmerte, wusste er, es war ein Name - sein Name. Sein Verstand handelte schneller als die Vernunft und so schnappte Sherlock in der einen Sekunde Johns Hosenbund, zog den schweren silbernen Gegenstand heraus, in der nächsten hielt er die Pistole perfekt in der Hand und zielte. Er war sich zu 98% Sicher dass sein Freund es getan hatte. Nur aus Sicherheit. Nur aus Gewohnheit. "Bitte lass sie geladen sein." flehte er trotzdem, bevor er die Augen zukniff und abdrückte.

Ein Knall, dumpf und doch scharf, genauso wie der gerade zuvor. Gleichzeitig wurde Sherlock zurückgeworfen, spürte etwas hartes am Hinterkopf, einen Tritt im Rücken, und sah gerade noch ein wütendes Blitzen in Moriartys Augen, weniger Meter von ihm entfernt, bevor das rote Leuchten darin erlosch.

Schwer atmend mit zittrigen Händen sah er durch die wirren Locken um seinen Kopf herum auf das Wesen, das leblos immer tiefer sank. Ein Schrei durchgellte die Stille, eine weiße Flosse schwamm an ihm vorbei, dem Fallenden hinterher und ihm fiel der nun noch schwerere Gegenstand aus den eiskalten Fingern.

Zwei Arme schlangen sich um Sherlock, zogen ihn an die Oberfläche. Der Meermann fühlte sich neben der Spur. Ihm tat alles weh, das Adrenalin rauschte trotzdem noch wie Drogen durch seine Adern, während er langsam wahrnahm, was geschehen war. Mycroft schob ihn weiter durch die Wellen, bis sie Greg erreicht hatten, der gerade John ins kleine Holzboot half. Triefnass griff dieser nach den Händen seines Meermenschen. Sanft drückte er sie, abwartend, wie Sherlock das alles verdauen würde.

Greg, ebenfalls mit so einer Waffe in der Hand, deutete um sie herum. "Es sind noch nicht alle gerettet, aber deine Leute haben sich bereit erklärt sie bis ans Ufer zu bringen." Dankend sah er Mycroft an. Dieser wand sich an seinen Bruder. "Bring ihn an einen sicheren Ort, ich kläre das mit Eurus. Nachdem ich Greg weg gebracht habe." fügte er so neutral wie möglich hinzu. Nickend schlang John die Arme um Sherlock Hals und legte sich auf seinen Rücken, damit der Lockenkopf ihn zur Grotte ziehen konnte.


"Mein Liebster? Mein König? M..." Eurus Stimme zitterte. Der Schreck breitete sich immer weiter in ihr aus, fräste ein tiefes schwarzes Loch in sie hinein, bis schließlich das letzte Glimmen in den tiefen braunen Augen Moriartys verschwand. Ein Schrei entfuhr ihr, so laut, dass sie ihre eigenen Schmerzen nicht mehr hören konnte. Alle funkelnde Farbe entwich den von ihr so geliebten, nun grau und eiskalten Edelsteinen in  Moriartys Augenhöhlen.

Eine Träne nach der anderen brannte in ihren Augen. Die Welt kreiste um sie herum, alles dröhnte auf sie ein, schrie sie an, rief nach ihr, stieß sie weg ... Eurus hielt sich die Hände gegen den Kopf und sank neben ihren Geliebten ganz auf den harten Meeresboden. "Moriarty, hilf mir, mein Liebster, rette mich, lass mich nicht alleine ..." Wimmernd krümmte sich Eurus unter den Schmerzen, unter dem Verlust, unter dem fehlen seiner Energie. Es war als hätte man sie in zwei Teile gerissen und gezwungen weiter zu leben. "Rette mich." nicht mehr als ein Wispern kam über ihre rissigen Lippen. 

Langsam stahl sich ein monotones Schrillen durch die wilden Locken in ihren Kopf. Es wurde immer lauter, bis es nach und nach die Gedanken an den Rest der Welt absterben ließ.

Nun war nur noch sie da, nur sie und Moriarty und wage Erinnerungen, die dennoch versuchten zu ihr zu dringen, sie zu überzeugen. 

Etwas fiel von dem Felsen hinter ihr auf ihren Rücken. Vorsichtig hob Eurus den leeren Kopf. Da war ein Ding, klein und silbern schimmernd. Sie blinzelte in Erinnerungen wühlend, die nicht vorhanden waren.

Doch, da, da war sie.

Sie wand sich an Moriarty. Behutsam berührte sie die starken kalten Arme von ihm. Von ihrem. Er war ihres. Und ihre Brüder hatten ihn ihr genommen. Weggenommen. Mit allem. Und dieses Ding hatte seine wundervollen Augen zerstört. Eurus wog den Gegenstand in den Händen.

Ja, die Glut in seinen Augen war fort, aber sie war nicht erloschen. Nein, sie lebte in ihr weiter. Eurus richtete sich auf. Sie spürte wie die Hitze begann das klaffende Loch in ihr zu füllen, sie brennen ließ. Jede Ader, jedes Gefäß begann neu zu entstehen, aus einer Berührung und einem Gedanken. Ein Grinsen, so erfüllt und wutentbrannt wie sie es noch nie gespürt hatte, legte sich auf ihre Wangen. "Ich werde es zu Ende bringen. Für dich. Für uns." hauchte sie bestimmt auf Moriartys toten Körper, bevor sie sich mit stürmischen Blick vom Meeresgrund abstieß.


Das Ufer war nur noch wenige Minuten entfernt, doch die Rufe der stürzenden Männer, der Krach der Holzbalken und die schlagenden Wellen hallten noch immer nach. Mycroft half Greg das kleine Holzboot schneller an Land zu bringen, obwohl er sich etwas mehr Zeit ließ, als nötig war. Von hier hinten konnte er ungestört den Menschen beobachten, ohne das er es merkte, obwohl es mitten am Tag war. Um nicht gesehen zu werden, schlugen sie den Weg in die große Bucht ein, die die Menschen mieden, da sie von unberechenbar liegenden Felsbrocken gesäumt war. Bei einem der großen Steine angekommen, zog der Meermann am Boot, um es zum Stehen zu bringen. Greg drehte sich verwundert um. Als er verstand, ließ er die Ruder sinken. 

"Meine Leute brauchen ihren Herrscher."

Greg nickte zustimmend, doch konnte eine Spur Enttäuschung nicht verbergen. Aufrichtig hielt er Mycroft die Hand hin, der diese erst seltsam ansah, dann aber langsam den Arm in Gregs Richtung hob. Da durchzuckte ihn ein brennender Schmerz. Automatisch wanderte sein Blick zu der Wunde an seiner Schulter. Das kalte Wasser hatte den Schmerz betäubt, doch in der Sonne brannte das dunkle Loch wie Feuer. "Oh mein Gott, war ich das ... ?" Entsetzt betrachtete Greg Mycrofts blutende Schulter. Schuldgeplagt stolperte er durch die Nussschale, die fast umgekippt wäre, um sich über den Rand zu lehnen, der nun beachtlich tief im Wasser hing. "Es tut mir so leid, lass mich dir helfen." 

Doch bevor Greg schützend seine Hände auf die Wunde legen konnte, ertönte ein explosionsartiger Knall. Im nächsten Moment krümmte sich der Mann und fiel zurück ins Boot. Entsetzt sah Mycroft auf seinen vor Schmerzen stöhnenden Menschen. Dann gellte ein Schrei über die Wellen, Mycroft drehte sich um und erschrak zutiefst.

"Es ist alles deine Schuld!" kreischte Eurus aus einiger Entfernung, schmiss etwas silbern glänzendes von sich und zückte ein Messer. Nach wenigen Sekunden hatte sie ihren nicht gewappneten Bruder erreicht und stürzte sich wutentbrannt auf ihn. Blitzschnell reagierte Mycroft, stieß das schwankende Boot Richtung Ufer und brachte sich aus Eurus' Angriffslinie, sodass das Messer nur haarscharf an ihm vorbei in die Wellen stach. Eurus ließ ihm keine Zeit vor ihrem nächsten Angriff. Diesmal schaffte sie es seine Wange einzuschneiden. Triumphierend lachte sie auf, doch es war nicht die Lache von Mycs kleiner Schwester. Nein, sie war gehässig und boshaft, genauso wie ihre Augen, die vor Hass nur so sprühten. Mycrofts Herz zerbrach in tausend kleine Stücke, als er sie so sah, ihren nächsten Hieb abwehrend. Fest umschlang er ihre Handgelenke, hinderte sie an einem weiteren Messerhieb. Doch ehe er sich versah, traf ihn ihre Flosse mit einer Wucht in den Bauch, die ihn nach hinten stieß. Wasser brodelte über ihm zusammen und da war Eurus, drückte ihm mit einer Hand die Kehle zu, mit der anderen holte sie aus. Das Messer blitzte, der Ältere drehte sich, schwang das Meermädchen mit sich. Ihr Arm wurde durch die Bewegung gedreht, sie wurden herumgeschleudert und fanden sich schließlich mit den Nasenspitzen gegeneinander vor. Mycrofts einer Arm umschlang den Rücken seiner Schwester, hielt eine ihrer Hände fest. Ihre andere Hand befand sich nun zwischen den beiden Geschwistern, vor ihrem Bauch, das Messer fest darin haltend. Für eine Sekunde sahen sie sich nur an. Dann lockerte sich Eurus griff um die Schneide. Langsam glitt ihre Hand herab, während ihr Blick nach unten wanderte. Mycroft sog scharf Wasser ein, als er das Messer sah, wie es an der gleichen Stelle blieb, obwohl sie es losgelassen hatte. In ihrem Bauch.

Alle Gedanken rasten durch seinen Kopf, und doch war er so leer wie noch nie. Abwesend blinzelte Eurus in seine Augen. Das rote Strahlen wurde zu einem matten Glimmen, bis ein kleiner Funken mattes blau hindurch schimmerte.

Sehnsüchtig kamen drei letzte Worte über ihre Lippen gehaucht. "Ich liebe ihn."

Dann waren ihre Augen grau, so grau wie die Felsen um sie herum. Eurus Hand wurde schlaff und leblos in Mycrofts Griff, doch er lockerte ihn nicht um einen Millimeter. Nicht seine Eurus. Nicht seine kleine Schwester. Was war nur geschehen? Was hatte er nur getan? Langsam löste sich ihr Körper von Mycroft und sank tiefer, immer tiefer, Stück für Stück. Mycroft sah ihr versteinert zu, bis ihr Gewicht an seinem Arm zog. Dann, endlich, ließ er sie los.

"Verzeih mir." 

Dumpf kam ihr zarter Körper auf dem Meeresgrund auf. Eine Sandwolke bildete sich um sie herum, während die langen dunklen Locken ein letztes Mal im Wasser spielten.

Eine Ewigkeit sah der große Bruder auf das blasse Meermädchen unter ihm. Da kämpfte sich schließlich ein anderer Gedanke durch seinen Kopf: Greg.

Mycroft schien plötzlich aufzuwachen. Mit einem letzten Blick löste er sich von Eurus und schwamm an die Oberfläche. Sofort entdeckte er die Nussschale, nicht weit entfernt vorm Ufer auf dem Wasser treibend. So schnell er konnte eilte er zu Greg, der sich zu seiner Erleichterung noch darin befand. Doch sein Zustand macht ihm mehr als nur Sorgen. Übelkeit bahnte sich in ihm hoch, als der Mensch ihn bemerkte. "Bring mich ... an Land." brachte er gepresst hervor. Der Meermann war zu überfordert als das er widersprochen hätte. Sein Kopf war so leer, und die Waffe ihm so fremd - wie sollte er ihn verarzten können? Denk nach Mycroft! Doch das funktionierte nicht, als Greg einen weiteren Schmerzenslaut von sich gab. Vor Mycrofts Augen drehte sich die Welt, bei all dem Blut, welches das Hemd seines Menschen tränkte. 

Als er nicht weiter schwimmen konnte, lehnte er sich zu Greg ins Boot, nahm seine Hände von der Stelle, wo sie den Blutfluss stoppen sollten. "Myc... nein, ah!" 

Mit zusammengekniffener Miene riss Mycroft eine labbrige Pflanze aus seinen roten Locken heraus, die wie vergammelter Tank aussah, sich aber als eine alte Blume mit gelben Blütenblättern herausstellte. Er zerrieb sie in der Hand und legte sie behutsam auf die Wunde. Einen Teil riss er ab und reichte sie dem Mann. "Iss." Bevor Greg sich weigern konnte, stopfte er ihm die nasse Pflanze in den Mund. "Nicht schlucken." 

Greg erwiderte das mit einen "Was jetzt?"-Blick, doch bei der nächsten Schmerzenswelle konnte er sich nicht darauf konzentrieren mit Mycroft zu streiten. "Zieh die Energie daraus ..." begann Mycroft, da fiel ihm auf, das ein Mensch nicht wissen konnte wie das ging. Also legte er kurzentschlossen selbst seine Hände auf die blutgetränkte Blume, an Gregs Seite. Sofort drohte ihn eine Welle an Emotionen und Adrenalin zu durchströmen, aber er versuchte sich auf etwas anderes zu konzentrieren: Die Arnika unter seinen Fingern.

Mit all seiner Kraft ließ er seine Energie durch sie hindurch strömen, ihr energetisches Muster kopieren, und es in sich aufnehmen. Seine Hände, pochend vor fremden Energien, suchten ihren Weg unter Gregs Shirt, bis sie schließlich seine viel zu kühle Haut berührten.

Mycroft versuchte sich darauf zu konzentrieren, die gespeicherten Muster auf den Menschen zu übertragen, auch wenn Gregs Energien dringend nach Einlass baten indem sie an all seinen Barrieren und Gittern hämmerten. Als seine eigenen ebenfalls zu rebellieren begannen, brachte der Meermann nicht mehr genügend Kraft auf, und ließ los.

Wie ein Wirbelsturm brach die Welle an Gefühlen durch ihn hindurch, schoss von Zelle zu Zelle, Ader zu Ader und als Greg erstsaunt nach Luft schnappte, wusste er dass sie auch ihn erreicht hatte. Fast alle Pflanzenenergie war nun in Greg und endlich spürte Mycroft den ersten Heilungsprozess. Doch gleichzeitig war da ein Schreien, ein Zerren, ein Sterben. 

Auf einmal rollte etwas Warmes seine Wange hinunter. Er weinte. Das erste Mal seit so langem ließ er alles zu, alles los. "Hey .. Ich dachte ... ich bin .. der mit Schmerzen." scherzte Greg, auch wenn er kaum sprechen konnte. Da wurde seine Miene ernst. "Du solltest ... gehen."

Empört sah ihn Mycroft an. Er würde nicht gehen, nicht jetzt. Er konnte ihn nicht verlieren, Nicht ihn auch noch, nicht ihn. Sehnsüchtig fiel Gregs Blick auf den Sand. Wiederwillig half Mycroft ihm aus dem Boot. Als der Mann stöhnend am Boden lag, versuchte Mycroft ihn noch einmal zu scannen, noch einmal versuchen zu heilen. Doch Greg war schneller. Er packte die geschuppte Hand, bevor sie ihn berühren konnte. "Nicht..." 

Verwirrt starrte Mycroft zurück. "Du ... bringst dich um." erklärte Greg brüchig. 

Erst jetzt realisierte Mycroft sein zitternden Hände, das Blut auf seinen Armen und den eisernen Geschmack in seinem Mund. Doch das Gefühl von diesem neuen zweiten Leben in ihm blendete dies aus. "Ich lasse dich nicht sterben." beschloss der Meermann bestimmt. Doch Greg ließ ihn nicht. "Es macht ... keinen Sinn ... wenn wir ... beide sterben."

Wie konnte er so etwas annehmen, Mycroft war außer sich.

"Geh ... jetzt." wiederholte Greg.

"Geh schon." Aber Mycroft rührte sich nicht.

"Geh!" schrie Greg mit aller Kraft und endlich bewegte sich der Meermensch. "Wie kannst du das von mir verlangen?" Wollte er sagen, fragte er sich selbst, doch dann überrollte ihn alles. Erinnerungen, Emotionen, Ängste, und er drehte sich um, rollte ins Wasser und schwamm, soweit er konnte. Er schwamm fort, fort von allem, und die Tränen brannten in seinen Augen, sowie das Licht in ihm, das langsam zu erlöschen drohte.


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Kapitel 15 Ende

Das große Finale ... Ich hoffe ihr seid nicht geschockt? 

Lasst gerne Feedback und Kommentare da ;)

 

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