Kapitel 11
Hatte dieser Mensch nichts Besseres zu tun, als ihn anzustarren? Seit Stunden saß er da und trank dieses komische dunkle Zeug, während er nach und nach die Box mit bunten Ringen leerte.
Mycroft schlug genervt mit der Flosse gegen das harte Glas.
Der Mensch zog verwundert die Augenbrauen zusammen, rührte sich aber nicht. Missmutig rümpfte Mycroft die Nase.
Es war der Horror gewesen, als er die Netzte gespürt hatte. Wie sie seinen Körper umschlungen hatten. Von allen Seiten waren Menschen gelaufen gekommen, sie waren überall gewesen. Er hatte gewusst, dass es sein Ende war.
Doch anstatt ihn umzubringen hatten sie ihn in diesen Glaskasten gesteckt.
Er war keine 4m³ groß, sodass er sich kaum bewegen konnte. Das Wasser verlor auch langsam an Sauerstoff. Mycroft saß in der Ecke, die am weitesten von der Tür und dem Menschen entfernt war. Er hatte weniger Angst von den Menschen umgebracht zu werden als in diesem Wasserkasten zu ersticken. Was so gesehen dasselbe wäre.
Diese Ungewissheit, was passieren würde, war am Schlimmsten. Die erste Panikattacke hatte sich gelegt, als sie ihn in diesen dunklen Raum getragen hatten. Die eckigen Löcher in den Wänden waren verhangen, sowie die Tür. Es war nur eine kleine rechteckige Tür am linken Ende des viereckigen Raums. Auch sein Glasbecken war eckig. Alles war eckig.
Mycroft spürte seinen Puls. Seine Angst vor dem was passieren würde kam und legte sich schubweise. Einerseits war nichts passiert, außer dass er in diesem Bottich gefangen war. Andererseits war die Ungewissheit, was noch geschehen würde unerträglich.
Er wollte unter keinen Umständen mit den Menschen kommunizieren. Es hasste sie zu sehr dafür. Kein einziger Tag war vergangen, an dem er vergessen hätte können, was sie seinen Eltern angetan hatten. Er hasste nicht den Menschen der auf diesen Ringen herumkaute, er hasste keinen Einzelnen, doch er hasste die Menschheit an sich. Sie handelten ohne zu überlegen, taten etwas ohne auf andere zu achten und zerstörten die Natur. Ein Zusammenleben von Meeresvolk und Menschen wäre unmöglich.
Wenn er es sich nochmal überlegte, hasste er diesen Menschen vielleicht doch. Er saß da und trank dieses Gesöff, während er ihn beobachtete. Er wirkte sogar gelassen, so wie er mit dem Rücken an der Wand lehnte. Die tiefen Ringe unter seinen Augen wiesen deutlich auf Schlafmangel hin und sowie sie leicht bräunlich gefärbt waren auch Leberschwäche. Was wahrscheinlich an dem Zeug lag, dass er seit Stunden zu sich nahm. Kurze graue Haare schauten zwischen dunklen Braunen hervor. Sie waren genauso braun wie die Augen. Es war seltsam in so matte Augen zu sehen.
Mycroft schmerzte es, als er an die leuchtenden Augen seiner Geschwister dachte. Er hatte sie in einer Zelle allein gelassen. Wenn das das letzte Mal gewesen war, dass er sie gesehen hatte ...
Der Mensch stöhnte und stand auf, streckte sich und setzte sich wieder hin.
"Gleich so aktiv?" rutsche es Mycroft heraus.
Noch verwunderter als sowieso schon blickte der Mensch durch die Glasscheibe. Er legte den Kopf schief und vergaß weiter zu kauen. "Hast du gerade etwas gesagt?" fragte er mit vollem Mund.
Was sollte Mycroft jetzt tun? Er starrte den Menschen an, ohne sich zu rühren. Doch er hielt es nicht aus. Mit leichtem Schwung stieß er sich bis an die Oberfläche, wo der Kasten einen Spalt Luft zuließ. "Immerhin, die Hör-und Sehnerven scheinen bei euch Menschen zu funktionieren. Das sind schonmal zwei von sechs Sinnen." bemerkte er herablassend.
Jetzt stand dem Menschen der Mund offen. "Du kannst mich verstehen?"
Mycroft rollte mit den Augen und sank wieder auf den Grund der Kiste.
Überrascht lachte der Mensch auf. "Das gibt's ja nicht." meinte er und hielt sich die Hände an den Kopf. Jetzt stand er auf und ging aufgebracht hin und her. "Was bist du? Gibt es mehr von dir?"
Mycroft drückte sich noch einmal an die Oberfläche, um in der Luft sprechen zu können. "Einem Menschen beantworte ich keine Fragen. Ihr habt kein Recht dazu. Ihr habt meinesgleichen getötet, warum sollte ich mit dir reden?" sagte er schnippisch.
"Wir wissen nicht einmal, dass es Euresgleichen gibt!" empörte sich der Mensch. "Zumindest bis jetzt nicht."
Mycroft stieß aus Protest die restliche sauerstoffarme Luft ins Wasser aus, sodass er von Luftblasen umgeben war. Sofort begannen seine Kiemen wie wild zu arbeiten um den CO²-Gehalt auszugleichen, was in dieser Brühe kaum möglich war.
Da klopfte jemand hinter ihm. Es kam von einem der eckigen Löcher in der Wand. Der Mensch umkreiste den Glaskasten und hob den Vorhang an, hinter dem er das Klopfen vermutete.
"Greg, lass mich rein! Ich muss mit dir reden!" hörte Mycroft eine hellere Stimme eindringlich flüstern.
"Nicht jetzt John, ich muss es bewachen." entgegnete der erste Mensch mit einer Handbewegung zu Mycroft.
"Genau darum geht es ja!" erwiderte der Zweite. "Bitte Greg, lass mich rein."
Neugierig drehte sich Mycroft zu den beiden Männern um. Der Ältere hatte die Glasscheibe, die vor dem eckigen Loch war, geöffnet und half nun dem anderen Mann in den Raum zu klettern. Der andere - John - war jünger, hatte blondes kurzes Haar und war ein Stück kleiner als der erste - Greg.
Durch das Loch fiel dämmriges Morgenlicht herein. Seit Stunden war sein Reich auf sich alleine gestellt. Sie mussten sich nur an das Protokoll halten. Doch er hatte das dumpfe Gefühl, dass ein Chaos ausbrechen würde, wenn seine Wachen ihn nicht finden konnten. Panik stieg wieder in ihm auf, er musste zurück, sofort.
Dieser verdammte Kasten hatte keinen Makel, keine Kratzer oder Unreinheiten bei der Zusammenfügung. Er hatte keine Chance ihn zu zerbrechen. Und ohne seine Schwertfischklinge konnte er das Glas auch nicht schneiden. Er ging noch einmal alles im Detail ab. Mit genug Kraft würde er es schaffen den Deckel aufzustoßen, oder zumindest ein Stück zu Seite zu schieben ... Aber wie sollte er sich an Land fortbewegen ohne gesehen zu werden? Es war aussichtslos.
Der kleinere Mensch stand jetzt direkt neben seinem Glaskasten. Leicht gerötetes Gesicht, tiefe schnelle Atmung, leicht gekrümmte Haltung - er war gerade eine weite Strecke gerannt, hatte jedoch immer wieder Pause machen müssen. Dieser Raum war also zu allen Seiten bewacht, und lag im Keller, den grün gefärbten Hosenbeinen des Menschen nach zu urteilen.
Aus irgendeinen Grund fühlte sich seine Gegenwart familiär an.
"Du musst ihn freilassen." sagte der Mensch bestimmt, an diesen Greg gewandt.
"Was?!"
"Greg, hör mir zu, ich habe es dir nicht erzählt, aber in der Höhle, da habe ich sie gesehen."
Greg sah ihn immer noch verständnislos an. John seufzte, um Luft zu holen. "Die Augen."
"Du hast sie gesehen und mir nichts gesagt?" Empörung breitete sich auf dem Gesicht des Älteren aus. "Und was hat das damit zu tun?" Wechselte er abrupt das Thema und deutete auf Mycroft. Greg hielt kurz inne, als würde er hören, was er gerade gesagt hatte. "Du willst mir jetzt nicht ernsthaft sagen, dass das in der Höhle, dass diese Augen ...?"
John sah ihn bedrückt an. "Verstehst du jetzt, warum ich es nicht erzählen konnte?" Greg taumelte eine Schritt zurück, sodass er sich auf der Stuhllehne abstützen konnte. "Sie sind weder bösartig noch gefährlich für uns." versuchte John den Mann zu beruhigen. "Solange wir sie in Ruhe lassen." fügte er dringlich hinzu. "Er ist ihr Anführer. Was denkst du passiert, wenn sie herausfinden, dass wir ihn ins Labor gebracht haben um ihn zu untersuchen, was in dem Fall sezieren bedeutet?"
Woher wusste der Mensch das? Siedend heiß lief es Mycroft über den Rücken. Alle Fragen lösten sich auf einmal. Das was John ausstrahlte ... er kannte es. Er kannte es nur zu gut. Es war Sherlocks Energie.
Nach einiger Zeit sagte Greg aufstöhnend: "Bin ich hier Chef, oder nicht?" John atmete erleichtert aus. "Aber wie bekommen wir ihn ungesehen wieder ins Wasser - und was erzählen wir den Behörden? Meine Kreativität dazu hält sich in Grenzen!"
Mycrofts Gedanken rasten durcheinander. Zurück ins Wasser? Sie würden ihn freilassen? Nicht töten?
Der junge Mann schmunzelte. "Ich kenne da jemanden, der uns helfen kann."
"Schwester Mary, ich fühle mich nicht gut, es muss etwas Schlimmes sein!"
Mary seufzte und setzte sich zu ihrem Patienten ans Bett. "Herr Anderson, mit ihnen ist Alles in Ordnung. Sie haben sich lediglich eine starke Erkältung eingefangen."
Verständnislos sah der Mann sie an. Mary lächelte freundlich und klopfte ihn aufmunternd auf die Bettdecke.
Da öffnete sich die Tür des Krankenzimmers. "Mary, kann ich dich kurz sprechen?" Hörte Sie John Watson rufen.
"Komme schon." Rief sie zurück und stand von Herr Andersons Bett auf. "Ich verlange nach einer Professionellen Behandlung !" Empörte der sich. Mary grinste nur verkniffen. "Ich verlange eine andere Krankenschwester!" Schallte es hinter ihr, als sie die Tür zuzog. Erleichtert atmete sie auf. "Anstrengender Patient..." stöhnte sie mit dem Kopf auf die Tür zeigend hinter der Herr Anderson wetterte. Da bemerkte sie wie außer Atem John war. Er hielt sich mit hochrotem Kopf an der Wand fest und rang nach Luft. "Was ist denn mit dir passiert? Komm setz dich." John nickte dankbar, als sie ihn zu einer Sitzbank führte.
"Warte hier, ich hole was zu trinken." Sagte sie schon am Aufstehen. Da hielt er sie am Arm fest. "Keine Zeit." Brachte er hervor. "Du musst mir jetzt einfach vertrauen." Er schnaufte tief ein. "Geh zu Greg, er wird dir alles erklären."
Mary wusste nicht was sie davon halten sollte, aber es schien sehr wichtig zu sein. Also stellte sie keine weitere Fragen. "Du rührst dich nicht vom Fleck!" Ermahnte sie John, dann lief sie den Gang entlang, hielt am Vorbeigehen eine Schwester auf, die ihren Dienst mit übernehmen müsste, knotete die weiße Schürze zusammen sodass es wie ein Strandoutfit aussah und nahm die Schwesternhaube ab um in einer Besuchergruppe ungesehen das Haus zu verlassen.
Der Tag wurde immer verrückter. Erst haben sich duzend Menschen selbst eingeschrieben wegen Halluzinationen und geistiger Verwirrung und jetzt das.
Mary schüttelte irritiert den Kopf. Die Bahn schien heute auch auszufallen, also lief sie eben den ganzen Weg. Die Straßen waren ungewöhnlich leer. Um die Mittagszeit liefen immer die Rentner durch die Gassen und meckerten die laut spielenden Kinder an.
Nach einigen Minuten bog sie in die Hauptstraße ein, in deren Mitte die Station stand. Mary stutzte. Sie lief direkt in eine Menschenmasse hinein. Verwirrt bahnte sich sich einen Weg durch die wild durcheinander redenden Leute, bis sie keine Chance mehr hatte weiter zu kommen.
Um das Polizeirevier sammelte sich die halbe Stadt.
Mary wand sich an eine aufgebrachte Passantin. "Was ist hier denn los?" Die Frau rief etwas von Monstern und Gefahr, bis ihr ein jüngerer Mann das Wort Abschnitt. "Mutter, regt dich ab, es ist sicher nur ein Scherz und alle übertreiben es."
"Übertreiben was?" Warf Mary ein. "Angeblich haben die Fischer ein Ungeheuer gefangen." Rief der Mann um die anderen Gespräche zu übertönen "Das Monster von Loch Ness!" Gab ein älterer Mann hinter Mary zum Besten. "Nein, eine Meerjungfrau!" Erwiderte die Frau hitzig. Ungläubig flüchtete Mary aus der Diskussion an den Rand der Masse. Durch die ganzen Leute würde sie nicht kommen und so wie es aussah wurde die Polizeistation abgeriegelt.
Kurzentschlossen bog sie in Gasse hinterm Revier ein. Nach wenigen Metern versperrte ihr ein Tor den Weg. Mary raffte den Rock und kletterte über die Eisenstangen in den kleinen Hinterhof. Ihre Strumpfhose litt unter den vielen Pflanzen und der Steinwand an der sie sich hochstemmte um in den nächsten Hof zu kommen. John musste den gleichen Weg genommen haben, denn sie erkannte Dellen in den Mülleimern, über die jemand gelaufen sein musste. Außerdem zertrampelte Blumenbeete und ein abgebrochener Ast. Sie schüttelte den Kopf, und lief mühelos über die Mauern bis zum Hinterhof des Reviers.
Hier hinten konnte sie niemand sehen und die Revierfenster waren alle geschlossen. Alle bis auf das eine Kellerfenster. Sie sprang von der Mauer und lief zum offenen Fenster. Mary klopfte an und sofort war Greg da. Überrascht sah er sie an. "Mary, was tust du hier?"
"John hat mich geschickt, kann ich reinkommen?"
Greg trat zu Seite und Mary kletterte ins Zimmer. "Worum geht es denn und was ist das für ein Aufruhr da draußen?"
Greg deutete mit den Kopf zu Seite.
"Oh mein Gott ... was ist das?"
"Ein Meermensch." Sagte Greg. "Das behauptet er zumindest." Fügte er hinzu, auf das Wesen im Glaskasten zeigend.
"Es kann sprechen?" Fragte Mary entgeistert.
"Und das nicht zu knapp." Meinte Greg missmutig. "Ich weiß jetzt von über 10 Sachen in denen Menschen rückständig sind im Gegensatz zu Ihnen."
"Unglaublich." Entfuhr es der Krankenschwester. "Wie habt ihr ihn gefunden? Gibt es mehr von Ihnen?" Fasziniert näherte sich Mary dem Glaskasten.
"Wir müssen ihn wieder freilassen." Erzählte Greg anstatt zu antworten. "Ohne dass die Leute etwas davon mitbekommen und trotzdem eine Erklärung haben."
"Und dafür braucht ihr mich." Mary grinste. "Ich bin dabei, aber vorher solltet ihr dem armen Kerl etwas Frische Luft schnappen lassen, er sieht selbst für einen Meermensch ungesund blass aus."
Sie sagte sie holte John und alles was sie bräuchten, dann verschwand Mary durch das Fenster. Und Greg war wieder allein mit diesem Wesen.
Er freute sich schon auf eine weitere Stunde in 'wie unterentwickelt Menschen waren'.
"Willst du nicht ein bisschen Dankbarkeit zeigen?" Fragte er den Meermensch.
"Ohne Luft zum Atmen dank es sich schlecht." Entgegnete er.
Greg schob den Stuhl an das Becken und steckte zwei Taschenmesser unter den Deckel, um ihn leicht anzuheben. Als der erste Luftzug einströmte, stieß sich der Meermensch an die Oberfläche direkt vor Gregs Gesicht. Für einen Augenblick konnte er von nächster Nähe in die leuchtenden blauen Kristalle hinein sehen und die Zeit stand still.
Das Wesen stieß sich wieder ab und drehte ihm den Rücken zu.
Verwundert stieg Greg vom Stuhl und schloss das kleine Fenster, um vom Lärm der vom Eingang her kam Ruhe zu haben.
"Eure Messer sind falsch geschliffen, für eine optimale -"
"Jetzt sag ich dir mal etwas." Unterbrach ihn Greg. "Wir minderbemittelten geistig zurückgebliebenen und unterentwickelten Wesen haben schiefe Häuser, verschmutzende Fahrzeuge, nehmen Giftmüll zu uns und sind komplett unfähig - und vielleicht sind wir ja zufrieden damit! Also hör auf mir zu erzählen, was wir alles nicht können, denn das senkt deine Chancen von mir freigelassen zu werden gewaltig, und eines das kann ich dir sagen, dass wir besser können. Und zwar den Mund zu halten, wenn man es besser tun sollte! Besonders wenn man in einem Glaskasten gefangen ist, aus dem man ohne Hilfe nicht herauskommt."
Der Meermensch sah ihn verwundert an. Vielleicht auch etwas bewundernd, das konnte Greg nicht genau erkennen hinter dieser arroganten Miene. Als es nichts sagte schnaubte Greg zufrieden durch die Nase und ließ sich auf den Stuhl fallen.
"John ist ein Freund von dir?" Fragte das Wesen plötzlich.
Greg nickte langsam.
"Kannst du ihn einschätzen?"
Greg schüttelte verwirrt den Kopf. "Ich kenne ihn noch nicht lange aber warum sollte ich es dir erzählen?"
"Wie kam das mit den Augen?" Fragte der Meermensch weiter.
Greg verschränkte die Arme. Er wollte mit diesem Wesen eigentlich nicht mehr sprechen. Allerdings gefiel es ihm mehr zu wissen als es.
"Ihr wart während des Schiffbruchs wohl unvorsichtig und habt euch sehen lassen." Greg triumphierte innerlich über seine Wortwahl.
"Oh Sherlock ..." seufzte der Meermensch betrübt. Der Meermensch redete ins Wasser, sodass es Greg nicht verstanden hatte. Doch anstatt nachzufragen wechselte er das Thema. "Könnt ihr auch Besitzergreifen oder so was? John wirkte so verändert vorhin."
Der Meermensch starrte ihn erst an, lächelte wie man ein unwissendes Kind anlächelt, und dann bildeten sich tiefe Sorgenfalten auf seiner Stirn.
Gerade wollte Greg nochmal nachfragen, da klopfte es von draußen an die Fensterscheibe.
Er half Mary und John ins Zimmer. "Wie sieht der Plan aus?"
Der junge Mann stand am Fenster und sah den beiden anderen hinterher.
Mycroft wusste nicht wie er sich ihm gegenüber verhalten sollte. Er war ein Mensch, doch er konnte Sherlocks Energie nicht ignorieren. Er konnte sich nicht entscheiden, ob er ihn deshalb verachten sollte oder hassen. Aber wie konnte er, denn es würde bedeuten er würde auch einen Teil von Sherlock nicht lieben.
Wenn er Sherlock dazu bringen könnte, diesen Menschen nie wieder zu sehen, könnte er ihn noch retten.
Greg fühlte sich nicht wohl dabei, John alleine bei dem Wesen zu lassen.
Mary führte ihn durch die Hinterhöfe und über Umwege in eine Seitengasse, damit sie niemand sah. Die meisten Wohnungen hier waren leer, weshalb sie den Wagen hier abgestellt hatten. Mary löste schon die Plane ab, die den Fischwagen bedeckte.
Darunter befanden sich ein Haufen Muscheln und Perlen, Klebstoff, Gummi, Folie und ... "ist das Phillip Anderson??" fragte Greg entgeistert.
"Er kann dich nicht hören - Betäubungsmittel." Bestätigte Die Krankenschwester. "Er wird nichts mitbekommen, so kann er nichts verraten und die Presse hat ihre Story - Meermensch enttarnt!" Sagte sie überschwänglich.
"Dann kann ich mir einen neuen Mitarbeitern suchen gehen." Meinte Greg mürrisch. "Noch einmal krieg ich ihn aus der Klapsmühle nicht mehr raus." Doch er stimmte dem Plan zu. Sie hatten keine Zeit zum umdisponieren.
Die Mauern um den Hof waren so hoch, dass niemand etwas mitbekommen hatte. Sie schafften es die längst verrostete Hintertür des Polizeihofs von Gestrüpp zu befreien, die seit Jahren zuwucherte, da sie nur für den Notfall gedacht war. Sie trugen Anderson in der Plane zum Fenster, wo John schon wartete.
Der Meermensch sah sie komisch an, als der schlafende Anderson vor seinem Glaskasten landete. Greg stützte die Hände in die Hüften. "Jetzt kannst du uns mal nützlich sein."
Mary schlang eine dünne Folie um Andersons Beine, die sie mit Johns Hilfe einkleisterte. Währenddessen knetete Greg die Gummimasse zu einer Kopfgroßen Scheibe. Er schob den Stuhl wieder ans Becken, und stellte sich darauf. Mit beiden Händen versuchte er die Glasplatte vom Kasten zu schieben. Der Meermensch half ihm, bevor er ihn auffordern konnte. Er hatte eine ungeheure Kraft, denn der Deckel rutschte wie eingeölt über das Glas und in Johns Arme, der es auffing.
Skeptisch betrachtete der Meermann die Gummischeibe.
"Wir brauchen den Abdruck." Sagte Greg leicht genervt. Das Wesen hob die Augenbrauen, ließ sich die Maske aber übers Gesicht streifen.
Das dieser Mensch jetzt sein Gesicht trug war absolut irritierend. Es war als würde man ihn zwingen mit den Menschen zu verschmelzen. Mycroft wand sich angewidert ab. Wie konnten sie ihm das antun.
"Ich weiß, das Menschen nicht deine liebsten Zeitgenossen sind, aber du musst uns helfen, wenn du wieder nach Hause willst!" Sagte John eindringlich.
Mycroft sah, dass er besorgt war. Um sich? Um Sherlock? Um ihn? Die letzten Stunden hatten sein Menschenbild komplett durcheinander gebracht.
Zögernd half er mit Anweisungen und Korrekturen aus dem Menschen einen Meermenschen zu machen. Zumindest vom Aussehen her.
Endlich waren alle Unreinheiten beseitigt. Die Maske ging nahtlos in den Schuppenbesetzten Oberkörper über, auf dem ein schwarzes Zeichen mit T-Shirt Marker gemalt war. Mary hatte es fast identisch zu dem von Mycroft hinbekommen: Ein Halbkreis, auf den eine immer schmaler werdende Linie folgte, bis zum Bauchnabel. Die Flosse war ein Stück kürzer als die von Mycroft, aber schimmerte durch die Fischhaut, die Muscheln und Perlen genauso orange wie seine. Sie hatten dem Mensch eine neue Frisur verpasst und sogar die Haare eingefärbt.
Draußen dämmerte es schon, als sie den falschen Meermensch ins Wasserbecken hievten. Der Ältere zog sein Shirt aus und ließ sich ebenfalls in den nun viel zu engen Glaskasten gleiten. Zusammen versuchten Greg und Mycroft den Mensch über Wasser zu halten, was bei dem ganzen Gewicht der Flosse nicht möglich war. Also versuchten sie ihn an die Scheibe zu lehnen. Mycroft hatte Schwierigkeiten seine Flosse unterzubringen neben den beiden Menschen, ohne sie ernsthaft zu berühren. Er schlängelte sich auf den Grund um die Muschelflosse am Boden zu halten, während Greg oben eine gute Position suchte, dass er nicht ins Wasser fiel. "Zieh mal deinen Schwanz ein, ich komm sonst nicht zu Anderson!" Hörte er Greg dumpf an der Oberfläche. Was er danach sagte konnte er nicht verstehen.
Da spürte er wie sich der Mann an seiner Flosse festhielt.
Automatisch zuckte Mycroft zurück. Das brachte den Menschen anscheinend aus dem Gleichgewicht, denn jetzt klammerte er sich ganz an Mycroft.
Es durchfuhr ihn wie ein Blitz.
Mycroft erstarrte. Die Zeit nutzte Greg, um sich zu fangen und sich mit den Füßen auf der orange-braunen Flosse abzustützen. Er lehnte sich mit den Rücken gegen das Schwanzende und konnte so Anderson von sich wegdrücken. Mycroft spürte Gregs Gewicht auf seinen Hüften. Und in jeder der Schuppen die er berührte. Und er fand es ... angenehm. Es war angenehm, den Menschen zu spüren. Sein Vertrauen in ihn zu spüren.
Mycroft wünschte sich zu ertrinken. Hier und jetzt auf der Stelle.
Greg überlegte fieberhaft, wie er den Meermensch aus dem Kasten bekommen sollte, ohne Andersons Position verändern zu müssen. Er lag perfekt da, den Kopf über Wasser und so an die Scheibe gelehnt, dass er nicht umfallen konnte.
Er forderte den Meermensch auf sich so weit wie es ging an die Seite zu quetschen an der Mary und John mit der Plane warteten. Dann zählten Sie ab und Greg tauchte unter um seine Flosse von unten über den Glasrand zu drücken. Nach zwei Anläufen schafften sie es endlich und der Meermensch landete mit lautem Klatschen in der Plane. Gregs Finger kribbelten. Die Schuppen hatten so unter seinen Händen gepocht dass es fast kitzelig gewesen war. Sie fühlten sich so weich an, ganz anders als das was sie bei Anderson fabriziert hatten.
Er kletterte aus dem Becken und schloss mit der Hilfe von John und Mary den Deckel, so dass man keinen Unterschied zu vorher erkannte.
"Ihr seid stärker, bringt ihn weg, ich verwische derweil die Spuren." Meinte Mary und deutete auf die Wasserpfützen am Boden. "Bis ihr wieder hier seid, ist alles sauber und Greg wieder trocken." Sie zwinkerte auffordernd mit den Augen und die Männer begannen Mycroft durch das kleine Fenster zu heben. Es ging erstaunlich gut dafür, dass sie einen riesen Fisch eineinhalb Meter hoch stemmen mussten.
John checkte alles ab, bevor sie durch den Hinterhof liefen und den Meermann in die Plane gewickelt zum Wagen trugen.
Die Straßen waren immer noch vollkommen verlassen, was einerseits gut war, andererseits bedeutete es einen extremen Tumult vor der Polizeistation, der spätestens in ein paar Stunden durchbrechen würde. Wenn nicht schon vorher der Artenforscher ankam. Sie beeilten sich und nahmen trotzdem die kleinsten Hinterwege um auf keinen Fall gesehen zu werden. Als sie am Hafen ankamen zog sich Greg die Jacke übers Gesicht. Ihn kannte hier jeder, das durfte er nicht riskieren. So sahen sie aus wie zwei gewöhnliche Fischhändler, einer davon mit Sonnenbrand oder ansteckender Krankheit, weil nur seine Augen aus der wirr um den Kopf geschlungenen Kleidung hervor lugten, aber nicht weiter auffällig.
Greg fuhr den Wagen an eine kleine Stellen, mit viel Gestrüpp. "Hier kommt nie jemand her, das dürfte sicher sein." Erklärt er. "Jetzt weiß ich auch wieso." Murmelte John mit zusammengebissenen Zähnen, als er mit den Füßen in einem Haufen Kakteen stand. Sie rollten den Wagen den Hang hinunter, bis er fast im Wasser stand. Greg öffnete die Klappe der Ablage und hob die Plane ab. Der Meermensch blinzelte und sofort leuchteten seine Augen auf, als er das Meer vor sich sah.
"Na hüpf schon runter." Forderte Greg ihn grinsend auf. Den Scherz musste er sich noch erlauben. Er erntete einen missgünstigen Blick, woraufhin er auf den Wagen hinter den Meermann kletterte und ihn von der Ablage schob. Jetzt erst erkannte er die feinen hellen Striche unter seinen Wangenknochen. Wie es wohl mit Kiemen war? Greg schüttelte den Kopf. Der Meermensch würde zurück ins Meer gehen und die ganze Sache würde vergessen werden.
Aus irgendeinem Grund machte ihn das traurig.
Das Wasser Spritze ihm bis ins Gesicht als der Meermensch hineinsprang. Lächelnd beobachtete Greg das glückliche Wesen. Er hatte das Richtige getan, das wusste er. Es war als würde er die Erleichterung spüren, die der Meermensch jetzt empfinden musste.
Plötzlich kam er wieder angeschwommen und sah Greg an.
"Ich bin dir wohl einen Gefallen schuldig." sagte er wiederwillig.
Greg fiel darauf kein Kommentar ein, er nickte einfach.
"Rufe und ich werde kommen."
Greg nickte wieder. Als sich der Meermann umdrehen wollte, fiel ihm etwas auf.
"Wie kann ich dich rufen, wenn ich nicht mal deinen Namen weiß?" Scherzte er. Der Meermann sah ihn ernsthaft an.
"Mycroft."
Tiefe braune Augen zogen sich zu schmalen Schlitzen über einem breiten Grinsen.
Darauf hatte er gewartet.
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Kapitel 11 Ende
Eure Theorien waren alle super (!!!) und ich hoffe ihr seid nicht enttäuscht, dass es nicht spektakulärer mit Wiederauferstehungen oder babylock geworden ist ;3
Aber wer weiß was noch passiert ...
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