Kapitel 10

"Hast du mir gerade gesagt, dass ich entweder gleich sterben werde oder schwanger bin?"

John hat seine Sprache wieder gefunden nachdem er die Fassung verloren hatte.

Sherlock wich kopfschüttelnd zurück. "Nein. Ich könnte dich niemals töten" sagte er leise. "Und du bist ein Mensch, ich weiß nicht, ob du überhaupt über genug Energie verfügst." Versuchte Sherlock ihn zu beruhigen. "Außerdem muss es von beiden Seiten kommen."

Halb fragend sah er John an.

Das beruhigte John nicht im Geringsten. Sein Puls erhöhte sich. Er musste an den Strom denken der ihn durchflossen hatte, als Sherlock ihn berührt hatte. Es war angenehm gewesen, wie eine Welle die all seine inneren Wunden weggespült hatte. John sah in die wunderbaren Kristalle in Sherlocks Augen. Es war unmöglich das zu verstehen.

John kippte leicht nach vorne, um sich mit den Händen am Stein abstützte. Er kniff die Augen zusammen um sich zu konzentrieren.

Das war zu viel für ihn. Erst Meermenschen, was absurd genug war, aber dann mussten sie auch noch zaubern können! Fehlten nur noch Flügel und telepathische Fähigkeiten! Was sollte er sich unter dieser Energie vorstellen? War er energetisch? Gab es das überhaupt? 

Als er die Augen öffnete sah er Sherlocks Gesicht unter ihm im Wasser. Seine Locken wehten durch die seichten Wellen. Er war so wunderschön.

Langsam tauchte der Meermann auf, bis er kurz unter Johns Nase verharrte.

"John?" fragte Sherlock vorsichtig. "Brauchst du Zeit zum Nachdenken?"

"Keine Zeit der Welt könnte dafür ausreichen." murmelte John. Doch er hatte sich schon längst entschieden. Bevor Sherlock wieder untertauchen konnte legte er ihm seine Hand an den Hals und beugte sich zu ihm hinunter.

Sanft berührten sich ihre Lippen.

Johns ganzer Körper begannt zu kribbeln, als der warme Strom ihn durchfloss. Energie, oder was auch immer es war - es war ihm egal. Es pumpte durch seine Adern wie Adrenalin. Er spürte Sherlocks Hände in seinen Haaren, die ihn leicht nach unten drückte. John gab sich dem Kuss hin und ließ sich ins Wasser ziehen. Kühle Wellen umschlugen sein Gesicht, während Sherlock seinen ganzen Körper unter Wasser zog.

John fuhr über die scharfen Wangenknochen, spürte die vielen kleinen Schuppen unter seinen Fingern, bis er lachen musste. Sie waren so kitzelig und wunderschön. Er grinste in Sherlocks Gesicht, der ihm half aufzutauchen, nur um Luft zu holen und ihn wieder zu küssen. John vergrub seine Hände wohlig in Sherlocks Locken.


"Du hast eine Schwester, die geheime Rachepläne gegen deine Familie schmiedet und eine Bruder der Menschen über alles hasst?" fragte John ungläubig lachend. Er strich sanft durch Sherlocks Haar.

"Hm-m" machte Sherlock breit grinsend, während er sich weiter nach oben schob, um seinen Kopf auf Johns Schulter zu legen.

John saß im Sand, an die helle Felswand gelehnt, während Sherlock ruhig atmend in seinen Armen lag, die Flosse halb im Sand, halb im Wasser.

"Wie halten eure Eltern das aus?" lachte John weiter. Da legte sich ein Schleier über Sherlock. John musste seine Traurigkeit spüren. Nach einer kurzen Pause fragte er ihn ernst: "Warum kann dein Bruder Menschen nicht leiden?" Sherlock vergrub sein Gesicht in diesem tollen weißen Stoff auf Johns Brust.

Nie sprachen sie darüber. Und jetzt wollte er es auch nicht.

Sherlock spürte den salzigen Wind von damals in seinem Rücken.

"Was glaubst du hält Mycroft von einer Krabbe auf dem Kopf?" Ertönte Eurus Stimme neben ihm. Sherlock kicherte und nahm angewidert das arme Tier in die Hand, das seine kleine Schwester ihm reichte. "Mach du das, dich sieht er nicht kommen." wehrte er ab. Die kleine Eurus schlich sich an ihren ältesten Bruder heran, sodass er es nicht merkte. Mycroft konnte es immer sagen wenn Sherlock in der Nähe war oder etwas im Schilde führte, aber Eures war zu flink. Seit 4 Jahren versuchte er es schon, aber sie war einfach zu gut. Bei Sherlock hatte er schon 5 Jahre Übung gehabt bevor Eurus überhaupt da war. Und selbst dann hatte er sich mehr darauf konzentriert seinen Bruder zu beobachten, vielleicht genau aus dem Grund, dass er es bei ihr nicht konnte.

Mycroft hatte sich mit seinen 15 Jahren schon total erwachsen gefühlt, was die beiden kleinen Geschwister sehr amüsiert hatte. Und so war der Krebs auch in Mycrofts Haaren gelandet. Wild herum fuchtelnd hatte er ihre Eltern beim Unterrichten unterbrochen, begleiten vom Kreischen und Lachen der Jüngeren.

Ihre Mutter stemmte die Hände in die Hüften und musterte ihre Kinder erzieherisch. Sherlock sah zu seinem Vater, der versuchte nicht auch loszulachen. Das brachte Sherlock noch mehr zum Lachen woraufhin sich ihre Mutter zu ihrem Partner drehte. Der versuchte nicht einmal mal zu schmunzeln, was ihm jedoch nicht gelang. Gleich darauf erntete er ein ironisches "Du bist wieder mal sehr hilfreich in der Erziehung unserer Kinder!" Von ihr. Sie wussten alle, dass sie es lieb meinte, weshalb ihr Vater nun wirklich lachen musste, genau dann als Mycroft mit komplett verstrubbelter Frisur auftauchte. Jetzt lachte auch ihre Mutter mit, während sie Mycroft Haare glatt strich. 

Es war eine so fröhliche Erinnerung, wenn nicht ...

"Es ist etwas passiert." Sagte Sherlock mit belegter Stimme. John wartete geduldig, ob er noch etwas sagte. "Mit meinen Eltern." Ergänzte Sherlock.

"Sieh mal da Schatz" ihr Vater deutete mit besorgtem Blick in Richtung Hafen. Ein kleines Boot schwamm ein Stück entfernt auf dem Wasser. Sherlock sah genauer hin. Es war leer. Eurus bewegte sich schon neugierig in die Richtung der Menschen. Sie hatten sie einmal beobachten dürfen um zu sehen wie diese Wesen aussahen und dass sie sich ihnen auf keinen Fall näherten, weil bis jetzt nichts Gutes dabei rausgekommen ist. "Kinder schwimmt nach Hause und nehmt auf dem Weg jeden mit den ihr seht." Orderte ihre Mutter an. Dann tauchte sie unter und schwamm in Richtung Hafen. "Tut was eure Mutter sagt" mahnte ihr Vater. Als die drei sich nicht rührten warf er Wellen mit den Händen in ihre Richtung und lächelte alle an. "Na los, wir kommen gleich nach"  

Das war das Letzte, was seine Eltern zu ihm gesagt hatten.

Sherlock hätte erkennen müssen, dass es ein falsches Lächeln gewesen war. Doch er war noch ein Kind gewesen. Mycroft nicht.

Mycroft forderte sie zum Heimgehen auf und die beiden Jüngeren folgten brav. Auf haben Weg stoppte er abrupt. "Ihr schwimmt nach Hause, ich sehe nach unseren Eltern. Sie brauchen mich vielleicht." Eurus sah ihn skeptisch an.

Mycroft passte immer auf bei allem was ihm unterrichtet wurde, aber aktiv etwas zu tun war definitiv nicht seine Stärke. Er würde heute noch vor einer Krabbe auf seinem Kopf erschrecken.

Mycroft seufzte. "Ich will nur sehen, ob es ihnen gut geht." Natürlich wollte Eurus mit, aber Mycroft schlug sie mit dem Argument bei Sherlock bleiben zu müssen und die anderen Lebewesen in Sicherheit zu bringen. Eurus hatte keine Lust weiter zu diskutieren und Sherlock war froh nicht zum Hafen schwimmen zu müssen. Er war unglaublich neugierig, aber das war ihm zu ungeheuer, besonders nach all den Grusel-Geschichten, die Eurus ihm immer erzählte.

"Wir kommen gleich nach." tönte es dumpf in Sherlocks Kopf. 

Doch sie kamen nicht. Sie kamen nie mehr.

"Etwas mit Menschen." Brachte Sherlock hervor. "Und Mycroft hat es mit angesehen."

Das war der Moment in dem sich alles änderte. Der Moment in dem Mycroft durch das große Tor kam, allein. Der Moment in dem seine baryt-blauen Augen erloschen. Der Moment in dem die Geschwister ihn sahen. Der Moment in dem sie wussten was passiert war.

Sherlock spürte wie John ihn fester hielt. 

"Ich werde deiner Familie nie etwas antun, niemandem von euch allen." Murmelte er in Sherlocks Locken.

"Ich weiß." Gab Sherlock leise zurück.

Ihm kam es plötzlich so lächerlich vor, dass sie sich vor den Menschen versteckt hielten. Sherlock war nicht dabei gewesen aber es hätte auch ein Unfall sein können. 

"Menschen sind äußerst schreckhafte Wesen. Sie würden dich aus Angst töten. " schoss Mycroft stimme durch seinen Kopf. 

Sherlock schmiegte sich wieder an Johns Schulter. "Wenn Menschen Angst haben, fallen sie dann in der Regel um?" Fragte er.

Er spürte Johns Lachen unter ihm. Ein ganz neues Gefühl. So nah war er noch keinem anderen Wesen gewesen, außer seinen Eltern und Eurus. Ein schönes Gefühl. Er liebte diesen Menschen.

"Normalerweise - wenn es ein schlauer Mensch ist - läuft er weg." meinte John scherzhaft.

John hielt in seiner Streichel-Bewegung inne. "Aber Menschen handeln nicht oft nach Verstand im ersten Moment. " gestand er betroffen.

"Also bist du kein schlauer Mensch. " merkte Sherlock an. 

"Aber ein Glücklicher." gab John lächelnd zurück. Er drückte Sherlock einen Kuss auf den Kopf und begann wieder durch die dunklen Locken zu streichen. So lagen sie da, nebeneinander in der Grotte, bis der Mond die Kuppel weiß erleuchtete, und Sherlock signalisierte, dass er nach Hause musste.


Als Sherlock zum Palast schwamm, kam ihm die Ruhe seltsam vor. Es war keine einzige Wache zu sehen geschweige denn ein anderes Lebewesen. John hatte von den Schiffen erzählt und dass es heute etwas Besonderes gewesen ist, aber es war trotzdem zu ruhig. Er kannte Mycroft, in so einer Situation ließ er nichts unbewacht. 

Schon von Weitem hörte er den Tumult. Meerwesen aus allen Gruppen wirbelten durchs Wasser um den Palasteingang herum. So unordentlich hatte Sherlock das noch nie erlebt. 

Vorsichtig näherte er sich der Meute. 

Er erkannte Angst und Zorn, sowie Trauer und Schrecken in den Augen der Wesen. Er bahnte sich seinen Weg durch die vielen Leute, bis hin zu einem Kreis aus wild debattierenden Meermenschen. Einige davon kannte er, andere waren aus Mycroft Garde. Sie schwammen alle auf gleicher Höhe, trotz unterschiedlichem Rang und Alter und redeten alle durcheinander. Und in der Mitte, ... war Eurus. 

Die ersten bemerkten Sherlock und verstummten. Umständlich pirschte er sich zu Eurus in den Kreis. "Was ist hier los?" Flüsterte er in ihr Ohr. "Wo ist Mycroft?!"

Eurus lächelte schief, doch antwortete nicht. 

"Das Unvolk hat ihn entführt!" Schrie eine Stimme dazwischen. Lautes Gejohle aus der Menge folgte der Anschuldigung, gemischt mit Zustimmungen aus der anderen Richtung.

"Ich hab doch gesehen, wie er in die Schlucht gezogen wurde!" Rief der Nächste. Die, die in diesem Gebiet lebten begannen zu toben und ihre Stromstöße abzufeuern. 

Sofort brach ein Krieg zwischen den verschiedenen Gruppen und auch untereinander aus. Jeder beschuldigte den anderen und alle versuchten, Sherlock und Eurus auf ihre Seite zu ziehen. 

Sherlock blickte nicht mehr durch. So etwas war noch nie passiert. Er brauchte eine klaren Kopf, eine neutrale Meinung. Er sah sich nach Eurus um, doch konnte sie nicht entdecken. So lange, wie Mycroft schon abwesend gewesen sein musste, hatten mittlerweile auch die anderen Gruppen merken müssen, dass die Grenzen unbewacht waren. Er vermutete Eurus bei ihrem Liebhaber. Also drängte er sich am Gemenge vorbei zu einer Gruppe Wachen, die vergeblich versuchten Ordnung zu schaffen. Endlich entdeckte er Anthea. Mycrofts oberste Wache schwamm etwas abseits und versuchte wenigstens ihre Schützlinge unter Kontrolle zu halten. 

Sherlock unterbrach sie beim Anordnungen verteilen. Sie versuchte ihrem Standard zu entsprechen und höflich und ruhig zu sprechen, doch ihre dunklen Haare hingen schon zu allen Seiten aus dem üblichen Knoten und der Stress stand ihr deutlich ins Gesicht geschrieben. "Anthea, was ist hier passiert?" fragte Sherlock brüllend, um die laute Menge zu übertönen. Sie sah verwirrt zu ihm auf. "Wir wissen es selbst nicht genau. Es gab einen Verstoß bei der Saison. Jemand hat sich unerlaubt im abgesperrten Gebiet aufgehalten. Dein Bruder wollte sich darum kümmern. Er sagte wir sollen den Rest machen. Doch er ist nicht aufgetaucht und wir konnten ihn nirgendwo finden." Sie dämpfte ihre Stimme, damit sie niemand anderes hören konnte. "Gerüchte machen schnell die Runde, Sherlock. Darum sollte keiner die Wahrheit erfahren. Die Kundschafter berichteten von Aufregung bei den Menschen. Verbot ist Verbot, aber er ist dein Bruder, das ist ein Ausnahmezustand, oder nicht?" sie zwinkerte, doch die Besorgnis überschattete ihr Gesicht. Sherlock nickte dankbar. Dann wand er sich ab und schwamm direkt in die Menge hinein. Wenn ihn jemand beobachtete, würde er den Kontakt jetzt verlieren.

Niemand durfte erfahren, dass es etwas mit den Menschen zu tun hatte. Einige treue Meermenschen würden eine Rettungs- oder Rache- Aktion starten. Es war egal, alles lief auf das Selbe hinaus. Sie würden auffliegen. 

Das wäre ein Schock für die Menschheit und eine Gefahr für alles wonach die Meervölker lebten. Es brauchte nur einen Meermensch der Rache am Tod seiner früheren Herrscher nehmen wollte und schon wäre ein Weltenkrieg entfacht. Das konnte niemand riskieren. 

Darum schlängelte sich Sherlock durch die berstenden Energien die gegeneinander eingesetzt wurden. Er hörte knapp neben seinem Ohr etwas vorbeizischen und beeilte sich aus dem dicken Wasser zu kommen, dass voller Energien angefangen hatte zu vibrieren. Es war ein unangenehmes Gefühl, das ihm Kopfschmerzen bereitete. Er musste blinzeln um den Schwindel loszuwerden, da spürte er einen stechenden Schmerz in seiner Flosse.

Endlich schaffte er es aus der Menge und ungesehen von den geifernden Meermenschen weg. Er machte einen Umweg durchs Schloss, um die Blutspur zu verwischen, die er hinterließ. Die Haimenschen würden ihn sofort verfolgen können. Er entschied sich trotzdem dafür zum Hafen zu schwimmen. Um seine Wunde würde er sich später kümmern. 

Er spähte unter einem der vielen Boote die im Wasser trieben hervor. Es waren mehr als normalerwiese. Dafür war der Hafen komplett leer. Nicht einmal bei den Fischern leuchtete noch Licht. 

"Sherlock?" hörte er eine Stimme leise rufen. "Sherlock bist du hier?" wiederholte John etwas lauter. Sherlock sah in seine Richtung, damit er ihn im schwarzen Wasser erkennen konnte.

Sein Mensch lief die kleine Steintreppe zum Wasser hinunter, bis er vor Sherlock in die Hocke ging. Sherlock wollte ihn anlächeln, doch der Schmerz und die Besorgnis zwangen ihn zu einer Grimasse. John brachte es auch zu keiner Begrüßung, er war außer Atem und sah noch besorgter aus als Sherlock selbst. Schwer sog er die kühle Nachtluft ein.

"Du glaubst nicht, was passiert ist." 


-

Kap 10 Ende


Was ist passiert, John?

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