42. Give up
꧁Taehyung꧂
Meine Brust schmerzt, doch wiegt die Sorge um den Jüngeren in meinen Armen mehr. Als die Eltern die Treppe nach oben erklommen haben, vermutlich auf dem Weg in Jungkooks Zimmer, löst dieser sich von mir. Kaum berühren seine Füße jedoch den Boden, da weichen bereits die Beine unter ihm. Schwach sackt er auf die Knie.
„Jung—" Er lässt mich nicht ausreden. Seine Tränen unterlaufenen Augen bringen mich zum Innehalten.
„D-du gehst", haucht er fassungslos, die Arme um seinen Torso schlingend.
Ich bleibe stumm, unfähig ihm zu antworten. Die Worte meines Vaters machen für mich einfach keinen Sinn. Es tut weh.
„Du kannst nicht gehen." Sein leerer Blick sticht förmlich durch mich hindurch. „Du kannst mich nicht alleine lassen", als würde er den Verstand verlieren.
„N-nein. Das geht nicht", rauft er sich die Haare.
Ich knie mich zu ihm, lege behutsam die Decke um seine Schultern. Er zittert.
„Tu mir das nicht an." Endlich blickt er auf und das, was ich in seinem Ausdruck erkenne, trifft mich, einem Schlag gleich.
„Jungs?"
Erschrocken fahre ich herum und erkenne bereits wie Yejin die oberste Stufe betritt. Blitzartig greife ich nach meiner Hose, die letzte Nacht unter die Couch geraten ist, und schlüpfe anschließend in diese. Jungkook kniet noch immer nackt und nur von der Decke umhüllt auf dem kalten Parkett. Tränen tropfen von der Nase auf das Holz.
„Wo seid... Oh."
Der Anblick scheint sie zu verwirren. Als sie das Wohnzimmer betritt, trifft sie auf mich, der sich schützend, oberkörperfrei und mit blass bunten Flecken auf der Haut vor einem kauernden Jungkook befindet.
„Was ist passiert?" Sie klingt erschrocken.
„Was läuft hier denn? Was habt ihr beiden getrieben?" Die Stimme meines Vaters lässt mich zusammenzucken. Einen Schritt zurückgehend, um Jungkook meine Hand auf die Schulter zu legen, weiche ich von den beiden Erwachsenen ab, die sich wie eine Mauer vor uns aufgetan haben. Ihre Blicke sind erschlagend. Jungkooks Nähe spendet mir Kraft.
Ihre Blicke wandern auf uns. Ich spüre sie förmlich auf meiner nackten Haut kratzen. Noch nie in meinem Leben wollte ich so sehr flüchten, wie in diesem Moment. Mein Herz rast.
„Was zur Hölle denkt ihr beiden euch?"
Ich schlucke und treffe anschließend die funkelnden Augen des Mannes. Er schaut zornig aus. Seine Arme sind vor seiner Brust verschränkt. Abweisend. Kalt. Er hat sich nach all den Jahren kein Stück verändert.
„Jungkook?", erklingt die Stimme der Mutter, die sich um ihr Kind sorgt.
„Wir haben—" Ich möchte versuche zu erklären, doch der Jüngere kommt mir zuvor.
„Wir haben miteinander geschlafen, Tae liebt mich."
Jungkooks Worte fühlen sich an wie Schüsse. Jedes einzelne ist ein Treffer direkt ins Schwarze. Getroffen bleibe ich dem Jäger liegen. Wir haben verloren. Ich habe verloren.
„Was?" Der Mann klingt fassungslos.
„Warum?" Yejin fasst sich vor den Mund.
„Seid ihr von allen guten Geistern verlassen? Was geht in euren jugendlichen Köpfen bitte vor!?"
Ich blicke zu Boden, zu scheu ihnen in die entsetzten Gesichter zu sehen. So sollte es nicht ablaufen. Die Realität ist schneller als wir gewesen. Sie hat uns nicht nur eingeholt, sondern auch überrannt. Wie konnte ich nur so blind sein?
„Um Himmels Willen."
Die sonst so sanfte und ruhige Frau, deren Herz am rechten Fleck sitzt, nimmt übermannt am Essenstisch Platz, nun beide Hände vor den Mund haltend. In ihren Augen fackelt die Fassungslosigkeit, was selbst beginnt an mir zu nagen. Ich möchte kaum darüber nachdenken, wie es Jungkook ergehen muss. Dieser hat sich derweil erhoben und schreitet auf seine bestürzte Mutter zu. Leise fleht er sie an, sich zu beruhigen.
„Mama, bitte...", spricht er mit brechender Stimme. Er hält die Decke fest um seinen Körper, mit einer Hand, die andere langt nach der älteren Frau.
„Wie konntest du nur, Jungkook? Nach allem... Nach allem, was ich für uns getan habe." Tränen fließen.
„Ist dir eine intakte Familie etwa nichts wert? Ich dachte, damit würde es dir endlich besser gehen." Hektik beginnt er den Kopf zu schütteln. Er kann sein Weinen nicht zurückhalten. Vor seiner Mutter geht er auf die Knie, nimmt ihre Hand und fleht um Vergebung. Mein Herz bricht.
„I-ich... Es tut mir leid. Wir—"
„Wir haben uns ineinander verliebt. Es ist einfach passiert." Kaum verlassen diese Worte meine Kehle, so schlägt ein boshafter Blick meines Vaters bereits auf mich ein. In den vergangenen Momenten war er einfach zu still. Es recht sich.
„Bist du eigentlich noch ganz sauber, Taehyung!? Hörst du dir eigentlich beim Sprechen überhaupt zu?" Seine donnernde Worte, die einem anrollenden Gewitter gleichen, treffen mich hart. Doch mein angestauter Zorn, den er seit Ewigkeiten bereits heraufbeschwört, jedoch stets von mir zuvor zurückgehalten wurde, stellt sich ihm mutig entgegen.
„Ich werde anscheinend schon wie du", halte ich ihm den Spiegel vor, es leid mich vor ihm zu verstecken.
„Soweit wollte ich es zwar nie kommen lassen, aber was einem im Blut liegt, lässt sich nicht leugnen. Egal, wie sehr man dagegen auch ankämpfen mag."
Er schnaubt, sein Ansehen verdreckt.
„Du spielst mit Gefühlen, einzig nach deinem Befinden. Du denkst vielleicht, du tust es um den Willen dieser bedauernswerten Familie, aber versuchst du doch nur deiner Eitelkeit den verdammten Hof zu machen!"
Ich werde laut, so wie er.
„Ich tue, junger Mann, was nötig ist, seit dem Tod deiner Mutter, um dich vor der schiefen Bahn zu bewahren, dir eine würdige Zukunft zu ermöglichen! Aber alles, was du tust, ist einen Keil zwischen alles und jeden zu treiben. Wenn du nicht verängstigt davon rennst, schaufelst du ein Grab, das für alle in deiner Nähe ausreicht!" Er holt zum nächsten verbalen Schlag aus und setzt einen tiefgehenden Treffer. Die Tränen in meinen Augen brennen höllisch.
„Du bist wie ein eiserner König... Bestimmst über alle anderen hinweg, ohne darauf zu achten, ob sie leiden oder noch um einen geliebten Menschen trauern!" Mein Blick ist auf den stumm weinend Jungkook gerichtet, dessen Kopf auf dem Schoß seiner Mutter ruht. Sanft streichelt sie sein Haar. Stumm.
„Denkst du, du warst der einzige, der sie damals vermisst hat?" Ich wusste und weiß, wie sehr er unter Mamas Tod litt. Das Gegenteil würde ich nie wagen zu behaupten. Dieser Schmerz machte ich allerdings noch kälter als zuvor.
„Was hat es damit zu tun, dass ihr beiden diese Familie zerreißt, mit eurem Handeln? Wir waren auf dem Weg eine glückliche Familie zu werden."
Höhnisch lache ich auf.
„Habt ihr darauf geachtet, was wir davon halten, als ihr euch ineinander verliebt habt? Mich habt ihr aus einem glücklichen und ach so erfolgreichen Leben gerissen, Jungkook habt ihr in eine Situation gedrängt, die ihm zu Beginn noch mehr geschadet hat, als er ohne hin schon war." Flehend blicke ich ihn an, dass er mich unterstützt. Reglos klammert er sich weiter an seiner Mutter, den Rücken mir zugewandt.
„Wenigstens hatte euer Handeln eine gute Sache. Die Schläger, die es seit Jahren auf Jungkook abgesehen haben, werden ihre gerechte Strafe erhalten." Mein Ausdruck wird bei dem Gedanken sanft.
„Währenddessen haben wir erkannt, dass wir mehr füreinander empfinden. Wir waren gegenseitig für uns da. Er war für mich da, etwas, was du nie wolltest. Mit einer erfolgreichen Zukunft hilft man keinem trauernden Kind." Im Zentrum unserer Aufmerksamkeit liegt nun der schweigende Jungkook. Es ist zu erkennen, dass er trotz der Decke leicht zittert.
„Jungkook, Schatz, stimmt das?" Yejins Stimme klingt sanft und liebevoll. Zärtlich streicht sie ihrem Sohn über den zerzausten Zopf.
Schweigen.
Mein Herz nimmt an Geschwindigkeit auf, als die Reaktion des Jüngsten ausbleibt. Zehrende Sekunden verwandeln sich in eine hand-voll Minuten.
„Jungkoo—"
Er schaut endlich auf. Rot und glasig sind seine Augen vor lauter weinen. Erschöpft schüttelt er den Kopf.
Ich gebe auf.
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