Kapitel 6 - Wer ist der Kerl?

Ducken, Schlag abfangen und dann den Gegner überwältigen. Mit den richtigen Handgriffen und einem guten Timing keine schwere Übung. Ich habe sie unzählige Male zu Hause in der Computersimulation geübt, daher bin ich momentan leicht unterfordert.

Ich unterdrücke ein Gähnen, hingegen Sven allmählich nach Luft ringt.

„Du reißt das Bein zu hoch.", sage ich und lasse meinem Übungspartner eine kleine Pause.

„Aber-..."

Ich mache eine wegwerfende Handbewegung und ersticke somit augenblicklich Svens Proteste. „Es ist nur ein Ablenkungsmanöver, daher brauchst du nicht so hart zuschlagen. Gebrochener Kiefer oder nicht, nach ein paar Minuten ist er wieder ganz. Die Regenerationszeiten der Formatics sind nur ein Bruchteil der unseren."

Ich trete auf ihn zu.

„Such dir ein anderes Ziel."

Mein Blick schweift über seinen Körper. „Brust oder Bauch reichen völlig aus." Dann deute ich einen Schlag an.

„Nicht zu fest, Kraft ist ein lebensnotwendiges Gut, dass du klug einsetzen musst."

Ich schwinge das Bein hoch und schubse ihn mit der Fußspitze ein wenig weg.

„Aber er muss stark genug sein, um Distanz zu schaffen und dann..." Meine Hand schnellt zu seinem Arm, blitzschnell wirbele ich herum, werfe ihn über mich und nagele ich ihn schließlich auf dem Boden fest.

„O.K., schon gut. Ich hab's kapiert!", gibt Sven sich geschlagen und rollt sich herum, als ich von ihm runtergehe.

„Ich will dir nur helfen, dass ist alles"

„Du hast gut reden. Du kannst es ja auch. Man könnte meinen du hast die Übung erfunden und nicht unser Trainingsleiter."

Ich seufze.

Sven hasst es, wenn ich ihm Ratschläge gebe. Und ich kann es ihm nicht verübeln, immerhin bin ich kein Stück besser. Jeder, der meint, es besser zu wissen, braucht nicht damit bei mir ankommen. Niemand muss mich belehren, denn im Gegensatz zu den anderen, sorge ich dafür, dass es keiner kann. Ich trainiere und lerne intensiver und länger als jeder aus meiner Trainingseinheit. Auch Sven nicht. Und das nagt an ihm. Er hasst es, wenn er mir in körperlichen Dingen unterlegen ist. Meistens findet er sich damit ab, aber an Tagen wie diesen frustriert es ihn sehr. Und durch meine provozierende Ader beim Mittagessen habe ich diese Stimmung geradezu heraufbeschworen. Also entschließe ich mich dazu das Thema auf sich beruhen zu lassen.

„Komm, lass uns weitermachen.", murmele ich versöhnlich und halte ihm meine Hand hin, damit er aufstehen kann.

Wir sagen nichts und verrichten stillschweigend unsere Übung, bis Sven auf die dumme Idee kommt, ein Gespräch in Gang bringen zu wollen über Damian VanSerra. „Wusstest du, dass er bereits mit 21 Commander geworden ist?"

Ich knirsche mit den Zähnen und bringe zischend eine Verneinung hervor.

„Der Typ ist unglaublich! Er hat es geschafft, eine ganze Gruppe von Waisenkindern in einer völlig zerstörten und mit Formatics überfüllten Stadt zu beschützen. Für eine ganze Woche und das alleine ohne Kontakt zur Kommandozentrale. Er hat einfach darauf vertraut, dass seine Leute ihn mittels GPS-Sender im Anzug orten und dann die Kinder mit ihm holen kommen."

Ich will das nicht hören. Ich will nichts über diesen aufgeblasenen Typen und seinen beknackten Pokalleistungen wissen. Ich will nicht einmal, dass er im gleichen Gebäude atmet wie ich. Ich will, dass er verschwindet. Soll er doch an eine andere Sycious-Zentrale verlegt werden, mir egal, Hauptsache ich muss ihn nicht mehr sehen.

Warum kann Sven nicht mein Vorgesetzter sein? Oder Carrie? Carrie ist eine hervorragende Sycious. Sie wäre eine der wenigen Personen, denen ich mich unterordnen würde. Das Problem ist nur, wenn es hart auf hart käme, dann wäre sie mir auch unterlegen. Und das ist wohl auch der entscheidende Unterschied zu Damian. Er hätte wahrscheinlich kein Problem damit, mich kampfunfähig zu machen und ich verwette alle meine nichtelektronischen Körperteile, dass er durchaus dazu in der Lage ist, mich ohne großen Kraftaufwand zu überwältigen. Und diese Tatsache macht mich schier wahnsinnig. Ist der Kerl überhaupt noch ein Mensch?

„Aha", gebe ich gewohnt trocken auf Svens Aussage von mir und hoffe, er merkt, dass es mich rasend macht, über meinen zukünftigen Vorgesetzten zu sprechen. Ich meine, was ist denn bitte so toll an ihm?

„Wenn er so ein fleischgewordener Superheld ist, was hat er denn ausgerechnet hier verloren?!"

Ich werde ein wenig laut. Mein gereizter, sarkastischer Unterton ist nicht zu überhören und dennoch scheint es mein Gegenüber nicht zu bemerken. Er zuckt lediglich mit den Schultern. „Wer weiß... Einige behaupten, er würde bald den General ablösen, andere wiederum sagen, er bräuchte einfach einen Tapetenwechsel und die andere Zentrale wäre ihm zu langweilig geworden."

Ich schnaube.

Sicher doch. Für 10.000 im Monat wäre ich auch dazu bereit gewesen, meine „Tapeten zu wechseln".

Einige Handgriffe später liegt Sven abermals am Boden. Dieses Mal ergreift er aus Frustration jedoch nicht mehr meine Hand und steht wutschnaubend von alleine auf.

Ich überlege, was ich sagen könnte, damit er weniger wütend ist. Gerade, als ich etwas gefunden habe, wofür ich ein Kompliment aussprechen könnte, ertönt ein lautes Pfeifsignal und alle stellen augenblicklich ihre Übungen ein.

Ich richte, wie alle anderen auch, meine Aufmerksamkeit nun auf unseren Trainer, welcher augenscheinlich einige Unterlagen in der Hand hält. Um was es sich dabei genau handelt, kann ich allerdings nur erahnen.

"Wie Sie sicher bereits wissen", beginnt er mit kräftiger Stimme. "werden alle fünf Jahre die Festspiele in Arkronia abgehalten. Dieses Mal ist es so, dass die Regierung Ihnen die Möglichkeit gibt, sich ebenfalls für die Teilnahme an den Festspielen zu beweisen."

Sofort wird aufgeregt miteinander getuschelt. Und ich kann es sogar nachvollziehen.

Vor etlichen Jahren gab es einen Mann namens Bryan O'Samuels, welcher die Wüsten der zurückgebliebenen Teile Asiens durchquerte, Überlebende aufsammelte und sich schließlich in den Ruinen einer längst vergangenen Stadt mit ihnen niederließ. Dies war die Geburtsstunde von Arkronia. Zu Ehren diesen Mannes werden alle fünf Jahre diese Spiele abgehalten in Form von sportlichen Disziplinen. Sie sind eine Art Sinnbild dessen, dass wir dank diesem Mann nun ein Leben führen, in dem es nicht mehr um das tägliche Überleben geht. Normalerweise dürfen nur speziell geschulte Leute aus der ersten Klasse daran teilnehmen. Dass wir daran teilnehmen dürfen, kommt praktisch einer Ehre gleich.

"Meinen die das etwa ernst?", höre ich eine Stimme dicht neben meinem Ohr.

Völlig in Gedanken versunken, habe ich Sven neben mir gar nicht mehr wahrgenommen und realisiere daher etwas verzögert, dass die Frage von ihm kam.

"Warum zweifelst du daran?", frage ich stattdessen mit ernsthaftem Interesse zurück. Doch noch bevor er allerdings antworten kann, ertönt erneut das Signal und abermals sind alle wieder ruhig.

Wie dressierte Hunde, denke ich zynisch und blicke wieder den Trainer an.

"Das Auswahlverfahren dauert über eine Woche. Sie werden in verschiedenen Disziplinen getestet. Da Sie sich jetzt warmgemacht haben, beginnen wir auch gleich mit dem ersten Test."

Er blättert in seinen Unterlagen, während angespanntes Schweigen herrscht. "Die Aufgabe lautet, in einem Zweikampf Ihren Teampartner zu überwältigen und für mindestens zehn Sekunden kampfunfähig zu machen."

Stille. Jeder lässt das ersteinmal sacken.

Mein Blick huscht zu Sven, der augenblicklich bleich geworden ist und nun merklich der Schweiß ausbricht. Ich weiß genau, was er denkt, daher hebe ich entschlossen die Hand, wodurch ich nun kurzzeitig der Mittelpunkt der Aufmerksamkeit bin, als mein Trainer meine Meldung annimmt. "Ja, Agent?"

Ich räuspere mich leise. "Dürfte ich Sie bitten mir einen anderen Teampartner zuzuweisen?"

Er runzelt verwirrt die Stirn. "Weshalb sollte das Ihrer Meinung nach Sinn machen?"

Ich trete einige Schritte vor. "Sehen Sie, die meisten haben wie ich zur Übung einen Freund als Teamkollegen gewählt, da diese bereits aufeinander eingestimmt sind. Wäre es daher nicht fair, die Paare einmal komplett zu mischen, damit jeder die gleiche Chance hat? Ich kenne bereits die Stärken und Schwächen meines Partners und anderen wird es genauso gehen."

Zustimmendes Gemurmel wird laut. Sven ist nicht der einzige, der im Nachteil wäre.

Der Trainer pfeift wieder, verärgert über die neue Unruhe, mustert mich dann einige Augenblicke lang nachdenklich, ehe er dann mit einem Nicken einwilligt.

"Nun gut. Stellen Sie sich Ihrem jetzigen Partner gegenüber in einer Reihe auf."

Gesagt, getan. In wenigen Sekunden entstehen zwei Reihen. Der Trainer tritt zu uns und deutet dann auf die Reihe, in der Sven sich befindet.

"Diese Reihe wechselt nun um einen Platz. Gehen Sie nun einen Schritt nach rechts, bis Sie Ihrem neuen Teampartner gegenüberstehen."

Sven und ich wechseln noch kurz einen Blick, ehe er lautlos mit dem Mund "Danke!" formt und ich ihm im Weggehen aufmunternd zunicke.

Sein neuer Partner ist Tyler. Seine Kampftechnik ist gut, aber ihm fehlt es an Spontanität. Er hält sich strikt an einem Muster. Sven hingegen ist flexibel, wenn auch nicht so ausdauernd. Das Kräfteverhältnis ist somit ausgeglichen und damit fair. Es dürfte ein spannender Kampf werden.

"Wie lange habe ich auf diesen Moment gewartet?"

Ich erstarre, als die Worte dieser Stimme zu mir durchdringen und eine erschütternde Erkenntnis sich breit macht. Als ich schließlich den Blick auf ein mir vertrautes Gesicht lenke, kann ich mich gerade noch so zusammenreißen nicht genervt aufzustöhnen. Ausgerechnet Daniel muss mein Teampartner sein.

Ich knirsche verärgert mit den Zähnen.

Von der Kraft her ist mir Daniel doch etwas überlegen und auch wenn er nicht so wendig und schnell ist wie ich, macht er das durch eine gute Ausdauer und eine gerissene Verteidigung wieder wett.

Sein Grinsen wird breiter und hämischer, je länger wir uns so anstarren.

Warum ausgerechnet er?, denke ich und fasse mir an die Stirn.

Seufzend lasse ich die Schultern hängen und konzentriere mich auf einen Punkt hinter Daniel, um seinen Blick nicht erwidern zu müssen.

"Nachdem jeder nun einen neuen Teampartner hat, beginnen wir mit den einzelnen Kämpfen. Erlaubt sind jedwede Art von Kampftechniken, die Sie im Laufe Ihres Trainings gelernt haben. Nicht erlaubt sind körperlich aufputschende Mittel zur Leistungssteigerung oder zusätzliche Kampfmittel wie Messer, Schwerter oder ähnlichem." Sein Blick schweift durch die erwartungsvolle Menge. "Gut, wenn es keine weiteren Fragen gibt, dann beginnen wir alphabetisch von oben. Agent D.A."

Ich schlucke.

Daniel Argon. Mein Kampfpartner. Verflucht!

"Hier!", meldet sich Daniel zu Wort und tritt hervor.

"Wer ist Ihr Partner?"

"Ich", ertönt meine Stimme und trete ebenfalls vor.

Erstauntes Raunen der anderen.

Mit einem stillen Nicken weist er uns an in die Mitte der Halle zu gehen und uns dort in Stellung zu bringen.

Erdrückende Stille breitet sich aus, als wir an den anderen vorbeigehen, welche schweigend zur Seite treten.

Schnell gehe ich im Kopf einige Möglichkeiten durch, wie ich den Kampf beginnen könnte. Letztendlich bleibt mir nur die Wahl auf Schnelligkeit zu setzen, da ich auf Dauer irgendwann den Kürzeren ziehen würde, worauf Daniel wahrscheinlich abzielt. Mit anderen Worten: Ich muss ihn gleich im ersten Augenblick überraschen und überwältigen.

Nachdem Daniel und ich unsere Position beziehen, ändert sich die Atmosphäre im Raum. Die Anspannung wird überdeutlich, praktisch greifbar und die Aufmerksamkeit der anderen macht es nicht gerade einfacher.

"Bereit?", dröhnt die Stimme des Trainers. Eigentlich ist diese Lautstärke nicht nötig, da alle ruhig sind, aber das ist wohl die Macht der Gewohnheit. Niemand sagt etwas, ein einvernehmliches Schweigen.

Das erlösende Pfeifen erklingt und läutet den Beginn des Kampfes ein. Fast zeitgleich reagiere ich und sprinte mit ungeheurer Geschwindigkeit auf ihn zu. In diesem Moment bin ich so mit Adrenalin vollgepumpt, dass ich die anderen um mich herum völlig ausblende und mich voll und ganz auf Daniel konzentriere.

Ich bin schnell... Sehr schnell! Dagegen wirken die Bewegungen der anderen extrem langsam, fast wie in Zeitlupe, während ich wie eine Gaskranke über das Kampffeld laufe.

Kurz bevor ich ihn erreiche, nimmt Daniel einen überrascht schockierten Gesichtsausdruck an und reißt die Augen auf. Danach trifft mein Fuß mit ungeminderter Geschwindigkeit auf seiner Brust auf und schleudert ihn einige Meter fort.

Erschöpft sacke ich zu Boden und bemerke verzögert, dass die Energie der Akkus meiner Electronic Limbs in den Beinen aufgebraucht ist und ich mich deshalb nicht bewegen kann.

Einige Sekunden passiert nichts, jeder blickt lediglich ungläubig drein, bis einige Freunde Daniels zu ihm rennen, welcher immernoch bewegungslos am Boden liegt.

Dann bricht das Chaos aus, doch unter allen aufgebrachten Stimmen höre ich nur eine zu mir durchdringen - die meines Trainers: "Agent C.C.01! Sie kommen auf der Stelle zu mir in mein Büro!"


Das verkrampfte Gesicht und der auf- und abtigernde Gang meines Generals verheißen nichts Gutes. Zudem ist es mir äußerst unangenehm, vor meinen Vorgesetzten untenrum nur in Unterwäsche bekleidet zu sitzen, weil meine Electronic Limbs aufgeladen werden müssen, da ich sonst keinen Schritt gehen könnte.

"Sir", versuche ich es noch einmal. Dieses Mal mit einem flehenden Unterton.

Ich will nicht rausgeschmissen werden. Noch nicht. Ich hatte doch noch nicht einmal eine wirkliche Chance mich zu beweisen.

"Ich schwöre Ihnen, dass war keine Absicht!"

Der General stoppt in seinem Rundengang, fixiert mich wütend mit seinen Augen und bringt mich somit unmissverständlich zum Schweigen. Weitere Erklärungsversuche spare ich mir daher und schlucke sie einfach runter.

"Ich verstehe Sie nicht, Agent. Sie scheinen den Ärger ja praktisch zu lieben."

Ich atme hörbar aus.

Warum hören sie mir nicht zu, was ich zu sagen habe?

Ganz einfach, ertönt es in meinem Kopf. Sie sind es leid, sich meine angeblichen Erklärungen immer anzuhören.

"Ihre Aufgabe war es, Ihren Partner kampfunfähig zu machen, aber nicht bewusstlos zu schlagen!", donnert nun die Stimme meines Trainers durch den Raum. Stumm lasse ich seine Standpauke über mich ergehen, während ich meinen eigenen Gedanken nachhänge.

Die Erkenntnis, die Berufung als Sycious aufgeben zu müssen, schnürt mir die Kehle zu. Aufkommende Tränen verdränge ich nur mit Mühe. Ich darf nicht weinen. Cheyenne Cross weint nie und schon gar nicht vor ihren Vorgesetzten. Das ist so sicher wie das Auf- und Untergehen der Sonne.

Ich senke den Blick, reibe mir die Nasenwurzel und versuche mit Atemübungen meine Emotionen im Zaun zu halten, welche mich zu übermannen drohen.

Plötzlich wird die Tür aufgerissen und der Redeschwall erstirbt.

Ich erstarre.

Nicht noch einer, denke ich frustriert. Ich will nicht, dass noch einer mich in dieser erniedrigenden Situation sieht.

Bis vor Kurzem war ich noch froh, dass VanSerra nicht ebenfalls anwesend ist, obwohl er auch hier sein sollte. Aber diese Hoffnung, hat sich gerade in Luft aufgelöst.

Als ich jedoch den Kopf hebe, steht weder VanSerra noch Daniel vor uns, sondern meine Ärztin Dr. Taylor.

Verwirrt blinzele ich sie an und mit mir wahrscheinlich auch der General und mein Trainer.

"Bevor Sie eine Entscheidung fällen", beginnt sie sachlich und deutet mit einem Kopfnicken auf mich. "Sollten Sie sich noch anhören, was ich zu sagen habe."

Der Trainer schnaubt spöttisch. Ich weiß genau, was er denkt. Eine Ärztin hat sich nicht einzumischen.

"Ich glaub kaum, dass Sie dazu in der Lage sind, sich ein Urteil zu erlauben, Miss."

Sie kneift verärgert die Augen zusammen. "Das sehe ich anders.", engegnet sie ungerührt, schiebt ein Tablet unter die Nasen der beiden Männer und erklärt in aller Ruhe, warum dieser heftige Angriff nicht meine Schuld war. "Sehen Sie das?" Ihr Stift tippt auf eine Stelle am Display, die ich nicht sehen kann. Der General zieht die Augenbrauen zusammen. "Das ist der neueste Prototyp der Electronic Limbs, den ich gerade erst in ihrem Fußgelenk eingesetzt habe. Aus Gründen, die ich mir nicht erklären kann, hatte das Gerät eine Überfunktion, weshalb sie diese ungeheure Geschwindigkeit erreichen konnte. Sie hätte in keinem Fall mehr rechtzeitig bremsen können, daher war die Wucht des Tritts auch zehnfach so stark wie gewöhnlich."

Sie sperrt den Bildschirm und verstaut das Tablet und den Stift wieder in den Taschen ihres Kittels.

"Aus diesem Grund, sind auch die Akkus ihrer anderen, älteren Prototypen regelrecht leergesaugt worden. Sie sind auf solche Geschwindigkeiten nicht ausgelegt."

Ein nachdenklicher Ausdruck legt sich auf die Gesichter der Männer, während zeitgleich die Hoffnung, doch noch zu bleiben, in mir neu entflammt.

Dr. Taylor und ich sehen uns stumm an. Mit meinem Blick versuche ich auszudrücken, wie dankbar ich ihr gerade bin.

Nach einigen Minuten des Schweigens ergreift schließlich der General wieder das Wort. "Gut, vielen Dank Dr. für diese Informationen."

Mit einem Händeschütteln verabschieden sie sich voneinander.

Als die Ärztin zur Tür hinaus ist, wendet er sich mir zu. "Ich entlasse Sie vorerst, Agent. Sie sind den restlichen Tag vom Training freigestellt und vorerst Ihres Dienstes enthoben."

Mir klappt die Kinnlade herunter.

"Aber-", will ich gleich darauf protestieren, als der Blick des Generals einen wütenden Ausdruck annimmt, verstumme ich allerdings schnell wieder. Erst nachdenken, dann reden!, tadele ich mich und besinne mich wieder darauf, nicht versehentlich wieder die Autoritäten zu untergraben.

"Sie sind noch nicht aus der Sache raus, Agent. Die weitere Vorgehensweise diskutieren wir dann mit Ihrem neuen Commander, sobald dieser Zeit hat. Bis dahin werden Sie keinen Kurs besuchen."

Und da brodelt sie wieder in mir, diese unbändige Wut, die sich ihren Weg versucht durch meine mentalen Mauern zu bahnen. Ich ermahne mich zur inneren Ruhe, kann jedoch nicht verhindern, dass ich die Hände zu Fäusten balle.

Sie werden mit VanSerra reden. Und der wird mich nach Hause schicken. Er ist bereits Commander. Wenn er mich nicht mehr an den Hacken hat, hätte er eine Sorge weniger. Dann würde ihm ein neuer Agent zugeteilt werden. Einer, der weniger anstrengend als ich. Einer, den er mag.


"Sir, der Erkundungstrupp aus Bezirk 8 ist zurück."

Ich schaue auf und begegne meinem Spiegelbild in dem verdunkelten Glas vom Helm irgendeines Agents, der mir gerade Bericht erstattet.

Diese Uniformen... Wie soll man sich da bei jemanden persönlich bedanken, wenn man keine Ahnung hat, wer vor einem steht, weil alle in dieser Ausrüstung gleich aussehen?

Ich unterdrücke ein Seufzen. "Vielen Dank, Agent..." Ich verstumme, blicke meinen Gegenüber auffordernd an.

Dieser deutet mein Schweigen anscheinend falsch, nimmt eine gerade Haltung an und verschwindet mit den Worten "Zu Ihren Diensten" wieder genauso schnell, wie er gekommen ist.

Verwirrt blicke ich ihm hinterher. Da erklingt ein raues, kehliges Lachen neben mir.

"Was ist denn mit Ihnen los, Damien? Sie gucken ja wie bestellt und nicht abgeholt."

Ich räuspere mich, als ich zu Commander D.K.023 schaue, welche mich amüsiert mustert. Sie ist eine gute Lehrerin. Vielleicht etwas autoritär aber dennoch freundlich. Vorausgesetzt, man versteht sich mit ihr.

"Nun ja", mein Blick geht wieder zu dieser Masse aus Agents, die für mich alle gleich aussehen. "Eigentlich hatte ich auf eine andere Reaktion gehofft ebengerade.", gestehe ich und kann nun auch die Wagen des Erkundungstrupps in der Ferne ausmachen.

"Sie sind eben gut erzogen."

Erzogen. Wie das klingt.

"Ich nenne es "Verlust der Individualität"" Zu spät bemerke ich, dass ich ohne es zu wollen, einfach meine Gedanken ausgesprochen und mich damit weit aus dem Fenster gelehnt habe.

Mein Blick geht wieder zum Commander, doch wider Erwarten, lacht diese erneut laut los, klopft mir auf die Schulter und sagt: "Sie haben Humor, VanSerra." Darauf erwidere ich nichts, denn plötzlich kommt die Frage in mir auf, ob sie das auch zu jemanden wie Cheyenne gesagt hätte. Wahrscheinlich nicht.

"Commander D.V.03?"

Ich drehe mich um und stehe abermals einem Agent gegenüber, der genau das Gleiche trägt wie alle anderen auch.

"Ja, was gibt es?"

"Eine Nachricht für Sie vom General. Würden Sie bitte in die Kommandozentrale kommen?"

Mein Blick schwenkt zweifelnd zum Erkundungstrupp, der jeden Moment die Station erreicht. Schließlich stimme ich zu. Wenn es vom General kommt, muss es wichtig sein. Außerdem habe ich so eine ungute Vorahnung, die ich allerdings erst einmal verdrängen will.

In der Kommandozentrale angekommen, wird mir auch gleich ein Tablet gereicht, wo die Nachricht des Generals bereits abrufbereit geöffnet wurde. Ich klicke auf die Videodatei und das Gesicht meines Vorgesetzten erscheint.

"Guten Tag, Commander. Es tut mir leid, wenn ich Sie mit dieser Nachricht von Ihrer Arbeit abhalte, allerdings halte ich es für wichtig, Sie in die Beratung mit einzubeziehen, da es um Ihren untergestellten Agent C.C.01 geht. Wir erwarten Sie heute Abend in der Versammlung."

Und damit endet die Nachricht.

Einige Sekunden lang starre ich auf den schwarzen Bildschirm, während ein Gedanke durch meinen Kopf rast: Was hast du nun schon wieder angestellt?


Mit quietschenden Reifen komme ich vor dem Eingang der Sycious-Zentrale zum Stehen. Ich habe mich, nachdem ich die Nachricht angehört habe, gleich auf den Weg gemacht. Das Angebot von meinen Rekruten dorthin gefahren zu werden, habe ich abgelehnt und stattdessen mich auf meinem Solarbike gesetzt.

Ich steige ab, nehme den Helm vom Kopf und gehe hinein.

Ich gebe kurz Bescheid, dass ich angekommen bin, damit der General weiß, dass es nicht mehr lange dauert. Als ich schließlich zum Haupteingang trete und die dicken Stahltüren öffnen lasse, muss ich unweigerlich einen Schritt zurücktreten, als eine kleine, zierliche Gestalt in mich hineinläuft. Diese erschrickt bei unserem Zusammenstoß so sehr, dass ich sie an den Schultern fasse, damit sie nicht das Gleichgewicht verliert.

Verwirrt blickt sie auf, sodass ich in meerblaue Augen schaue.

"C-commander!", ruft sie mit geweiteten Augen aus, während sie wie vom Blitz getroffen einen Satz nach hinten macht, um Abstand zwischen uns zu bringen. Ich lasse sie los.

Angestrengt mustere ich ihr Gesicht, bis mir klar wird, woher ich sie kenne. "Carrie, richtig?", frage ich und setze ein leichtes Lächeln auf.

"Äh...ja..." Ihre Antwort ist stockend, fast so als müsste sie sich versichern, dass ich auch wirklich mit ihr spreche. Dann: "Sie wissen, wer ich bin?" Ihre Verwirrung wechselt schlagartig zu Erstaunen über.

Ich nicke. "Ich habe Sie neulich in der Mensa gesehen, zusammen mit Ms. Cross.", fällt mir ein, woraufhin sie verlegen den Blick senkt und sich eine zarte Röte auf ihren Wangen abzeichnet.

Faszinierend, wie unterschiedlich Frauen reagieren können.

Kurz darauf frage ich mich, ob ich Cheyenne auch dazu bringen könnte. Höchstwahrscheinlich jedoch nicht mit so einer unverfänglichen Aussage.

"Verstehe", erwidert sie nun leise und etwas einsilbig, was bei ihr einen etwas befangenen Eindruck macht.

"Carrie?"

"Ja?" Jetzt blickt sie doch wieder auf - mit Augen, so groß wie die eines Rehs.

"Darf ich Sie danach fragen, wo Sie gerade gewesen sind?"

Meine Frage ist ruhig, aber dennoch bestimmt.

Ich schaue ihr auffordernd in die Augen, versuche in ihrem Blick die Antwort auf meine Frage zu finden. Es dauert nicht lange, bis sie begriffen hat, auf was genau ich anspiele.

Ihre Augen weiten sich noch ein bisschen mehr und abermals wird ihr Blick ruhelos, scheint überall hinzusehen, nur nicht zu mir. Sie ist verunsichert. Man merkt ihr eindeutig an, dass sie innerlich mit sich ringt und überlegt, was sie mir erzählen soll. Schließlich räuspert sie sich. "Ich habe gerade mein Training beendet."

Ich verziehe meinen linken Mundwinkel.

Nicht schlecht. Sie ist clever, aber das wird ihr nicht helfen. Nicht bei mir. Denn auch wenn sie mir mit dieser Aussage keine Lüge auftischt, hat sie dennoch nicht meine Frage beantwortet und das weiß sie - genauso wie ich. Daher entscheide ich mich für Plan B. Kein Um-den-heißen-Brei-herumreden. Ich gehe über in die Offensive.

"Ja", gebe ich schmunzelnd zu und blicke sie amüsiert an. "Das weiß ich."

Mein Blick wird wieder ernst. "Aber meine Frage galt nicht ihrem Training, Agent."

Sie schluckt und beginnt auf ihre Unterlippe zu kauen. Dann ergreift sie die Flucht.

"Ich muss los, sonst komme ich zu spät zum Abendlehrgang. Entschuldigen Sie mich bitte."

Und mit diesen Worten rauscht sie im Laufschritt an mir vorbei.

Ich blicke ihr kurz über die Schulter nach, ehe ich mich dann ebenfalls auf den Weg mache.

Sie hat sich Mühe gegeben, keine Frage. Aber ihr schneller Abgang und der um Verzeihung bittende Blick hat sie dennoch verraten. Ich brauche es gar nicht laut ausgesprochen hören, sie hat mir bereits ungewollt und indirekt die Antwort vermittelt.

In der Tat, sie war beim Training, aber danach war sie bei ihrer Freundin - Cheyenne Cross.


Ich erreiche den vereinbarten Treffpunkt und trete in den Raum. Es sind bereits alle versammelt und warten nur noch auf mich.

"Verzeihen Sie bitte die Verspätung"

Der General winkt ab. "Bei drei Minuten geht nicht die Welt unter, VanSerra."

Mein Blick schweift durch die Runde und bleibt an zwei mir unbekannten Personen hängen. Einer Frau Mitte dreißig, allem Anschein nach eine Ärztin, und einem Mann, Mitte vierzig, rechts von ihr. Es dauert nicht lange, dann tritt der General an meine Seite, um mich aufzuklären. Zuerst die Frau. "Wenn ich vorstellen darf: Dr. Taylor. Sie ist die behandelnde Ärztin von Agent C.C.01. Und dieser Mann hier" Er deutet auf den großen, stattlich gebauten Mann neben ihr. "Ist Mr. Cross. Ihr Vater."

Unmöglich!, denke ich ungläubig und rufe mir Cheyennes Gesicht vor Augen. Sie ist blass, ihr Haar blond und glatt und ihre Augen himmelblau. Ihr Vater dagegen ist das absolute Gegenteil. Braungebrannte Haut, dunkle Augen, schwarzes, lockiges Haar. Zu glauben, dass diese beiden Personen blutsverwandt sein sollen, fällt mir äußerst schwer. Und während ich noch diese Erkenntnis verdauen muss, ergreift er die Initiative.

"Es freut mich sehr, Mr. VanSerra!"

Ich ergreife seine ausgestreckte, große Hand und löse mich so aus meiner Schockstarre. Mit "Die Freude ist ganz meinerseits" erwidere ich seine Floskel und beobachte ihn ganz genau.

Er ist höflich, aber mehr auch nicht. Trotz seines aufgesetzten Lächelns, kann ich das Desinteresse deutlich in seinen Augen sehen. Für ihn scheint das hier verschwendete Zeit zu sein und das macht mich wütend. Immerhin geht es hier um seine Tochter. Liegt ihm etwa gar nichts an ihrem Werdegang?

"Ich habe mir sagen lassen, Ihr Ruf eilt Ihnen voraus. Und wenn man den Berichten glauben schenken darf, dann entspricht dies wohl durchaus der Wahrheit. Man hört nur Gutes von Ihnen."

"Ich schätze so viel Lob ist meiner nicht würdig.", antworte ich ernst und unbeeindruckt und hoffe damit das Gespräch zu beenden. Ich führe keinen Small-Talk mit Leuten, die nur vorgeben, welchen führen zu wollen.

Der General neben mir beginnt zu lachen. "Sie sind wirklich sehr bescheiden, VanSerra."

"Allerdings", gibt Mr. Cross zu und sein Lächeln wird kalt. "Da könnte sich Agent C.C.01 durchaus eine Scheibe von abschneiden"

Ich presse die Lippen aufeinander.

So spricht kein Vater.

Niemand außer uns beiden bemerkt die frostige Atmosphäre, als endlich beschlossen wird, das Gespräch über die Verfahrensweise mit Cheyenne aufzunehmen.

Es kocht noch immer gefährlich in mir, doch ich schiebe meine Wut beiseite. Ich brauche jetzt einen möglichst klaren Kopf.

Zu aller erst wird die Situation geschildert und ein Video der Kameras im Trainingsraum abgespielt. Anschließend erstattet der Trainer Bericht und zum Schluss erklärt Dr. Taylor ihre fachmännische Sichtweise mit Unterlagen der verbauten Prototypen, welche Cheyenne besitzt.

Ich nehme mir die Unterlagen vor und ziehe die Augenbrauen zusammen, während ich die Berichte durchblättere.

Normalerweise wird synthetisches Gewebe, welches im Labor gezüchtet wurde, bei starken Verletzungen eingesetzt. Ein Electronic Limb wird erst dann verwendet, wenn Knochen bzw. Gelenke irreparabel sind, also ebenfalls so schwer verletzt wurden, dass diese durch keinen natürlichen Heilungsprozess mehr zu retten sind. Und allem Anschein nach hat Cheyenne sage und schreibe 4 Electronic Limbs, wohingegen synthetisches Gewebe kaum bei ihr vorhanden ist.

Mein Blick fällt auf Dr. Taylor, die zum General guckt.

Ich kneife die Augen zusammen. Bei anderen kommt sie vielleicht damit durch, aber nicht bei mir. Electronic Limbs müssen gerade mal statistisch gesehen bei einem von 500 Patienten eingesetzt werden. Cheyennes hohe Anzahl ist hierbei extrem verdächtig. Zufall oder nicht, ich werde dieser Sache auf den Grund gehen.

"Nun gut", ertönt wieder die Stimme des Generals, welcher jeden einzelnen der Anwesenden nacheinander anschaut, ehe er weiterspricht. "Sie haben alles gehört, was es dazu zu sagen oder berichten gibt. Jetzt wird es Zeit für eine Entscheidung."

"Na das liegt doch wohl auf der Hand!"

Ich sehe zu dem Mann links von mir. Der Abteilungsleiter der Trainingseinheit.

"Sie hat hier nichts mehr verloren! Ihre Chancen hat sie ein für alle Mal verspielt!"

Es entsteht ein kurzes Schweigen, bevor eine heftige Diskussion ausbricht.

Mir bleiben im wahrsten Sinne des Wortes die Wörter im Hals stecken.

Strafe? Ja, das verstehe ich, aber Rauswurf? Daran habe ich nie gedacht, ich habe es nicht einmal in Erwägung gezogen. Aber andere sind wohl fest davon überzeugt, dass hierbei nicht die Schuld oder Unschuld mit betrachtet wird, sondern einzig und allein das Vergehen. Und davon hat sie so einige.

"RUHE!", donnert plötzlich die Stimme des Generals durch den Raum und augenblicklich sind alle still. "So kommen wir nicht weiter. Stimmen wir stattdessen ab."

Er macht eine kurze Pause, ehe er leicht widerwillig die entscheidende Frage stellt: "Wer ist der Ansicht, dass sie ihren Beruf niederlegen sollte?"

Die Anzahl der Handhebungen daraufhin erschrecken mich zutiefst und ich kann nur mit Mühe ein verächtliches Schnauben unterdrücken.

Der General notiert sich stumm die Anzahl der Befürworter, ehe er das Ergebnis verkündet.

"Fünf von Ihnen sehen diese Konsequenz als gerechtfertigt an. Wir sind ingesamt 12. Schließt man meine Wenigkeit nun aus, sind also sechs dagegen..."

"Verzeihen Sie meine Unterbrechung, General, aber ich würde mich gerne der Stimme enthalten."

Mr. Cross. Der eigene Vater, enthält sich der Abstimmung.

Ich ziehe scharf die Luft ein und auch andere blicken nicht minder verwirrt drein, als er seinen Vorschlag unterbreitet.

"Warum wollen Sie das tun?", fragt der General, nachdem er sich gefasst hat.

"Nun", beginnt Cheyennes Vater, schlägt selbstgefällig die Beine übereinander und lehnt sich in seinem Stuhl zurück. In mir entsteht gerade der kindische Wunsch, ihn samt dem Hinterncomfort hinauszuschmeißen.

Meine Hände ballen sich zu Fäusten, krampfhaft versuche ich meiner Wut Herr zu werden.

Nein, denke ich. Er ist es nicht wert.

"Sie, General, kennen Agent C.C.01 ebenfalls sehr gut. Ich bin, aufgrund meiner Beziehung zu ihr, nicht objektiv genug in meiner Entscheidung, weshalb ich es als durchaus angebracht empfinde, wenn Sie statt meiner entscheiden. Sie verstehen eindeutig besser als ich, worauf es in diesem Beruf ankommt."

Es klingt logisch. Ja, das hat sogar Sinn, was er sagt, aber wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich behaupten, er hofft darauf, dass sich der General gegen Cheyenne entscheidet, damit er nicht einmal sagen muss, dass er an ihrem Rauswurf sogar Schuld trägt.

Das ist abartig. Kein Elternteil der Welt würde sich einer so wichtigen Entscheidung enthalten, nur weil er das Gefühl hat, durch seine Bindung nicht objektiv genug zu sein. Bleibt die Frage: Warum tut er das? Was erhofft er sich davon?

Eine erdrückende, erwartungsvolle Stille breitet sich aus, die mit jeder weiteren Sekunde, die vergeht, immer schwerer auf unseren Schultern lastet.

Der General, welcher die Hände ineinander gefaltet auf den Tisch legt, schließt die Augen und beginnt nun innerlich abzuwägen, wofür er stimmen soll. Aufgrund der Tatsache, dass er so lange überlegen muss, keimt der Verdacht in mir, dass es ihm schwerfällt, über sie zu richten. Möglicherweise ist er sogar mit der letzte, der noch auf ihrer Seite stehen könnte.

Falls er sich allerdings doch gegen sie stellen sollte, dann kann nicht einmal mehr ich ihr noch helfen, egal, wie gut meine Stellung hier sein sollte. Der General ist derjenige, der im Zweifelsfall das letzte Wort hat - und das ist dann wirklich endgültig.

"Also schön"

Alle Aufmerksamkeit ist auf ihn gerichtet.

Angespannt halte ich den Atem an, während er sein Urteil verkündet. "Ich habe mich entschieden..."


"Noch einen!" Ich hebe die Hand und gebe dem Barkeeper, ich denke sein Name ist Harry, zu verstehen, dass er mir einen weiteren Drink rüberschieben soll. Wenn ich schon nicht im Dienst bin, dann MUSS das doch für irgendetwas gut sein, oder?

Harry stellt das Glas knallend auf den Tresen ab, sodass die Hälfte des Schnapses über und aus dem Gefäß schwappt. Auf den Tresen. Von wo ich ihn bestimmt nicht ablecken werde, nur weil ich ihn bestellt und dafür bezahlt habe. Aber da ich sowieso schon angepisst bin, kann ich einfach nicht an mich halten.

Wütend funkele ich ihn an und deute auf die Sauerei. "Und dafür wirst du bezahlt? Die Hälfte zu verschütten?"

Oh ja, wer denkt, ich bin schon die ganze Zeit zickig, der will mich gar nicht erst erleben, wenn ich richtig pissig bin.

Harry geht nicht darauf ein, seufzt nur und trocknet PER HAND die Gläser ab.

Eigentlich total überflüssig. Aber er scheint das gerne zu machen.

Oder er braucht eine Beschäftigung.

Oder er will mich damit provozieren, mir auf die Nerven gehen.

Ich blicke auf mein Glas.

Oder ich denke einfach zu viel nach.

Und gleich darauf ergreife ich das kleine Gläschen und kippe das brennende Zeug hinunter.

Ich blicke zu Harry. Er beobachtet mich. Schon die ganze Zeit. Als wäre ich ein kleines Kind, um das er sich sorgen muss. Ätzend sowas!

"Was ist?", blaffe ich und kneife die Augen zusammen. "Hast du was zu sagen?"

"Dein wievielter war das jetzt?" Er betrachtet mich skeptisch.

"Keine Ahnung?", säusele ich gekünstelt.

"Solltest du nicht vielleicht-..."

"Noch einen!", unterbreche ich ihn und gehe gar nicht weiter auf seine Appell ein. Es interessiert mich schlichtweg nicht. Nicht heute. Heute will ich mich für nichts interessieren. Ich will nicht einmal über irgendetwas nachdenken müssen und schon gar nicht will ich darüber nachdenken, wie sie alle in ihren schicki-micki Outfits im High-Tech-Büro sitzen, sich die Hände reiben und über mich richten. Und dann lachen sie sich einen ins Fäustchen wie die Hyänen, weil sie mich endlich los sind. Das war doch nur die Chance, auf die sie gewartet haben. Dieser eine Patzer, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat, obwohl das nicht einmal Absicht war.

Ich könnte platzen vor Wut. Ich könnte heulen, schreien, beißen, treten, schlagen, einfach alles. Aber es wird nichts daran ändern. Absolut gar nichts!

Und dann muss ich wieder an heute Morgen denken. Als ich Daniel nicht kampfunfähig, sondern k.o. getreten habe. Dann die Entscheidung des Generals, mich vorerst meines Amtes zu entheben. Dann Carrie, die mir nur beistehen wollte, aber aufgrund meines gekränkten Stolzes davongejagt habe.

"Und wenn du VanSerra siehst, dann verliere auf keinen Fall ein Wort hierüber, verstanden?!"

Sie runzelte die Stirn. "Warum?"

Ich gab keine Antwort und sie ist gegangen. Und ich habe sie nicht einmal davon abgehalten.

"Ich bin eine grauenvolle Freundin...", nuschele ich zu niemand bestimmten und kippe den nächsten Schnaps hinterher.

"Betrinkst du dich deswegen? Weil du Streit mit Carrie hast?"

Ich lache bitter auf. "Wenn es nur das wäre, Harry. Wenn es doch nur das wäre..."

Er zieht die Augenbrauen zusammen.

"Mein Name ist nicht-..."

Ich hebe die Hand und unterbreche ihn damit erneut.

"Vergiss es. Ich merk's mir eh nicht. Sei froh, dass du bei mir überhaupt einen Namen hast."

Er stöhnt frustriert, doch ich ignoriere es einfach.

"Harry!", rufe ich, als er sich tatsächlich von mir abwendet.

Er bleibt stehen und dreht sich langsam und entnervt zu mir um.

"Mein Glas ist leer!" Zur Demonstration wedele ich mit dem Ding vor meiner Nase rum.

"Soll mich nicht weiter interessieren. Meine Schicht ist zu Ende."

Und dann geht er einfach. Ohne mir nachgefüllt zu haben. Frechheit!

Ich schnaube verärgert. "Ganz toll!", ist darauf meine Antwort und lasse deprimiert meinen Kopf auf die Bar knallen.

"Was wird das, wenn es fertig ist?"

Die Stimme kenne ich!

Langsam hebe ich das Gesicht und schaue zu Sven.

Ach ja... da war ja was. "Du hast heute Schicht?", frage ich verdutzt und mustere ihn eingehend. Das ist sehr ungewohnt ihn ohne Sycious-Uniform zu sehen.

Er antwortet nicht, sondern blickt mich wütend an. "Wie lange bist du schon hier?"

Sein Blick fällt auf mein leeres Glas und den restlichen Schnaps daneben, der eigentlich IM Glas sein sollte und nicht woanders... außer vielleicht in meinem Magen. Aber mehr auch nicht.

Ich hebe entschuldigend die Hände und will gerade schwören, dass ich den Saukram drum herum nicht angerichtet habe, als Sven sich bereits vorbeugt, sodass seine Nase fast meine berührt.

Angewidert verzieht er das Gesicht und rückt wieder von mir ab.

"Du stinkst. Als hättest du in dem Zeug gebadet und es nicht getrunken."

Ich grinse einfach nur, schnappe mir die noch halbvolle Flasche mit der klaren Flüssigkeit und sage: "Danke, ich gebe mir Mühe!"

Ja, heute lege ich es wirklich darauf an, es mir mit jedem zu verscherzen. Bei Sven ist das nicht schwer. Ich weiß genau, wie ich ihn zur Weißglut treiben kann, indem ich die desinteressierte, erhabene Schnapslerche spiele, der alles scheißegal ist.

Mein Plan geht auf.

"Schluss damit!", zischt er und entreißt mir brutal die Flasche. "Wenn du morgen so den Dienst antrittst, schmeißen sie dich raus!"

Ich fange an zu kichern. Das macht der Alkohol. Eigentlich ist mir nach heulen zumute, aber stattdessen verfalle ich in einen Lachkrampf.

"Was gibt es da zu lachen?", fragt er dann etwas irritiert nach einigen Minuten.

Ich habe mich wieder einigermaßen im Griff und wische mir die letzten Lachtränen vom Gesicht.

"Gar nichts.", entgegne ich schließlich todernst, kann ihn aber nicht anschauen, als ich fortfahre: "Das ist eh schon passiert." Das letzte Wort habe ich beinahe geflüstert, doch Sven versteht trotzdem sehr schnell, auf was ich anspiele.

"Du machst Witze", haucht er schockiert woraufhin ich explodiere.

"Sehe ich etwa aus, als würde ich darüber WITZE MACHEN?!", schreie ich ungehalten und stehe so schnell auf, dass mein Stuhl nach hinten umfällt.

Es ist plötzlich ganz still, sämtliche Gespräche wurden eingestellt und mir wird die Aufmerksamkeit aller Anwesenden zuteil. Ganz klasse!

"Zahlen!", sage ich dann. Der Touchscreen an der Bar leuchtet auf und ich halte meinen Chip an den Scanner. Kurz darauf leuchtet es grün auf und bestätigt die Zahlung.

Ich ergreife meine Jacke und flüchte hinaus in die kalte Abendluft. Durch den Alkohol und das Adrenalin merke ich kaum die niedrigen Außentemperaturen, ziehe aber dennoch im Gehen meine Jacke an. Wie zu erwarten war, wird die Eingangstür erneut aufgeschoben und fällt gleich darauf wieder ins Schloss. Selbst ohne seinen Ruf nach mir, hätte ich gewusst, dass es Sven ist, der mir nachläuft.

"Chy!"

Ich antworte nicht, sondern beschleunige nur noch meinen Schritt und pralle dabei gegen Jemand anderen.

Mir ist durchaus bewusst, dass ich Schuld habe, zische aber dennoch ein "Pass doch auf!" flüchtig in die Richtung des Unbekannten und will gerade weiterlaufen, als ich grob am Arm gepackt und herumgerissen werde. Überrascht halte ich inne und registriere erst mit deutlicher Verspätung, wer eigentlich vor mir steht.

Scheiße, heute muss mir echt jeder auf den Sack gehen!

"Hab ich dich, du kleines Miststück!", zischt Daniel und das mordlustige Glitzern in seinen Augen gefällt mir gar nicht. Der hat mindestens genau so einen Wutpegel wie ich.

Ich blicke ihn provokativ an und bemerke dann gespielt fröhlich: "Hey, du kannst ja wieder stehen!"

Er verengt die Augen, baut sich vor mir auf und verstärkt den Griff um meinen Arm.

"Allerdings." Er fletscht die Zähne. "Du hast mir meine Teilnahme an den Festspielen versaut. Wegen dir musste ich auf die Intensivstation! Mein gesamter Brustkorb war im Arsch!"

Ich lache laut auf und rede wie so oft einfach drauf los, statt vorher nachzudenken.

"Nur? Und dein Kopf? Haben die da nichts festgestellt? Unterentwicklung oder so? Oh, nein, warte!" Ich klatsche mir mit der Hand an die Stirn. "Du denkst ja mit deinem Penis! Ganz vergessen! Tut mir leid, mein Fehler!"

Nachdem ich geendet habe, schließen sich augenblicklich seine Hände um meinen Hals und drücken zu.

"Na? Wie ist das? Jetzt kommen keine dummen Sprüche mehr aus deinem überheblichen Maul!"

Kurz darauf werde ich hart an die Wand hinter mir gedrückt, sodass die restliche, verbliebene Luft aus meinen Lungen entweicht.  

Meine Hände greifen zu seinen, die sich wie Schraubstöcke an meine Kehle pressen.

"Hör auf!", ruft jemand und rammt Daniel zur Seite. Es ist Sven.

Ich falle auf die Knie sauge sofort gierig nach Luft.

"Was ist dein Scheißproblem?", stellt er ihn zu Rede.

Schwer atmend und mit schmerzverzerrtem Gesicht richtet sich Daniel wieder auf. Auch wenn es ihm besser geht, seine Wunden sind noch lange nicht verheilt. Das beweist die Tatsache, dass er sich die Seite hält.

"Was mein Problem ist?", keift er und zeigt dann auf mich. "Dieses kleine Flittchen hat dafür gesorgt, dass ich für die nächsten Wochen nicht mehr meinen Dienst antreten kann!"

Daniel ist sauer, weil er denkt, dass ich das mit Absicht getan habe.

Ich sollte es ihm erklären, ihm sagen, dass mein Electronic Limb eine Überfunktion hat, dass ich deswegen viel zu schnell war und es nicht mehr kontrollieren konnte. Aber ich kann einfach nicht. Er ist nur wütend, weil er nicht am Wettbewerb teilnehmen und den Dienst antreten kann. Aber das ist nur vorübergehend! Er hat so ein verdammtes Glück! Ich dagegen werde das nie wieder können! Das bringt mein Blut wieder zum Kochen.

"Du hast vielleicht Probleme!", sage ich, nachdem ich wieder einigermaßen normal atmen kann. "Dann sitzt du vielleicht ein paar Wochen auf deinem Arsch, damit deine Verletzung heilen kann, na und? Ich werde nie wieder als Sycious arbeiten können!"

Daraufhin ist er derjenige, der lachen muss und erst dann merke ich den fatalen Fehler, den ich begangen habe.

"Sie haben dich also rausgeschmissen, ja? Geschieht dir recht. Und jetzt besäufst du dich sinnlos in einer Bar. Das ist echt erbärmlich!"

Und dann macht es Klick! Einfach so. Als hätte jemand einen Schalter umgelegt und den Rest meiner Würde ausgeschaltet.

Mit einem Aufschrei stürme ich auf ihn los und werfe mich auf ihn. Zumindest will ich das tun, werde aber daran gehindert, als sich starke Arme um mich legen und zurückhalten.

Ich wehre mich heftig, doch es ist zwecklos. Ich komme definitiv nicht frei. Schließlich mache ich meinem Ärger mittels Worten Luft.

"Ich zeig dir gleich, was erbärmlich ist! Dazu muss ich nur deine dreckige Markenjeans runterziehen, du kleiner Wichser!", gifte ich und schicke weitere wüste Beschimpfungen hinterher.

Völlig in Ekstase bekomme ich erst nach einigen Augenblicken mit, dass mich jemand an den Schultern rüttelt. Langsam legt sich der Schleier um mein umnebeltes Gehirn und ich kann wieder klar sehen.

Schwer atmend und total erschöpft sehe ich Sven an, der nun von meinen Schultern ablässt und mein Gesicht in beide Hände nimmt und mich besorgt mustert. Erst jetzt fällt mir auf, dass nicht Sven derjenige ist, der mich von hinten festhält, da er direkt vor mir steht.

Wie vom Blitz getroffen erstarre ich.

Die Arme lassen von mir ab und an meine Seite tritt...

Am liebsten würde ich mich einfach wegteleportieren. Irgendwohin, Hauptsache weg. Am besten so weit wie möglich. Der Mond wäre ein guter Anfang.

Damien VanSerra würdigt mich keines Blickes, sondern schlendert gemächlichen Schritts auf Daniel zu, der nun ziemlich eingeschüchtert wirkt.

"Mr. Argon" Seine Stimme ist ruhig, aber da ist etwas in seinem Unterton, dass mir eine Gänsehaut bereitet und auch Daniel scheint es zu bemerken, denn er schluckt angestrengt und weicht kaum merklich vor ihm zurück. "Ich kann mir schwer vorstellen, dass Sie bereits entlassen wurden und wenn ich mich recht entsinne, ist ein vorzeitiger Abbruch der ärztlichen Behandlung ein eindeutiges Vergehen, immerhin müssen Sie für Ihren Dienst jederzeit in bester gesundheitlicher Verfassung sein."

Er macht eine kurze Pause und betrachtet Daniel mit abschätzigem Blick von oben bis unten.

"Also schlage ich vor, Sie suchen schleunigst wieder die Krankenstation auf, ansonsten schleife ich Sie höchstpersönlich dorthin."

Ich kann mir nicht helfen. Auch wenn ich es mir nur äußerst ungern eingestehe, aber der Typ hat echt eine wahnsinnig einschüchternde Ausstrahlung. Unfassbar! Sogar Daniel ist jetzt ganz klein mit Hut, auch wenn er versucht es nicht so offensichtlich zu zeigen.

"Sir", beginnt er zögernd. "Warum verteidigen Sie sie? Sie sind nicht mehr für sie verantwortlich. Ihre Zeit als Sycious ist vorbei..."

"Falsch"

Daniel stoppt unvermittelt und blickt den Commander verwirrt an. "Wie bitte?"

"Es tut mir leid, Sie enttäuschen zu müssen, aber Ihre Informationen bezüglich Agent C.C.01 sind nicht richtig. Sie ist noch immer ein Sycious-Mitglied und wird morgen wieder ihr Training aufnehmen."

Was?!

Sven und ich öffnen zeitgleich sprachlos den Mund.

Ich wurde nicht rausgeschmissen? Wie ist das möglich?

Meine Gedanken überschlagen sich und plötzlich habe ich das Gefühl, fliegen zu können, so leicht fühle ich mich jetzt. Als wäre eine tonnenschwere Last von mir abgefallen. Es ist noch nichts verloren. Ich habe eine neue Chance bekommen, entgegen aller Erwartungen. In meinem ganzen Leben war ich noch nie so glücklich gewesen. Ich bin den Tränen nah und ausnahmsweise wäre es mir sogar total egal, wer mich so sehen würde. Weil ich einfach nur unglaublich erleichtert bin.

"Mal davon ganz abgesehen", fährt VanSerra weiter fort. "Wäre es dennoch meine Pflicht, Sie in die Schranken zu weisen, wenn ich Sie bei einem Racheakt erwische. Ob ehemaliges Mitglied oder nicht, Sie haben nicht das Recht dazu, Ihren gesundheitlichen Zustand als Rechtfertigung für solch eine Tat vorzuschieben."

Daniel ballt die Hände zu Fäusten. "Das heißt, sie kommt einfach so davon?"

"Keineswegs. Ich kann Ihnen versichern, dass es eine angemessene Strafe gibt, jedoch sollten Sie wissen, dass es nicht Agent C.C.01's Absicht war, Sie derart zu verletzen. Ihre enorme Geschwindigkeit wurde durch eine Überfunktion ihres Electronic Limbs im linken Fußgelenk verursacht, weshalb sie nicht mehr rechtzeitig bremsen und ihre Kraft regulieren konnte. Demzufolge hat sie nur eine bedingte Schuld an diesem Vorfall zu tragen."

VanSerra entfernt sich nun einige Schritte. Das Gespräch ist damit für ihn beendet.

"Und das soll ich Ihnen glauben?", erwidert Daniel dann doch noch und gibt ein spöttisches Schnauben von sich.

"Ob Sie es glauben oder nicht interessiert mich ehrlich gesagt, genauso wenig wie Ihr Gejammer über Ihre Verletzungen."

Commander VanSerra tritt an Sven heran, welcher mit seiner plötzlichen Gegenwart etwas überfordert scheint.

"Wie ist Ihr Name?", fordert er sogleich und blickt ihm unverwandt in die Augen.

"Agent S.F.016, Sir."

"Gut Agent S.F.016, hiermit entbinde ich Sie für den restlichen Abend von sämtlichen Pflichten und beauftrage Sie stattdessen, Agent Argon zur Krankenstation zu geleiten."

Svens Augen werden groß. Etwas hilflos gibt er ein "Äh..." von sich. Wahrscheinlich will er gerade mit seinem Job in der Bar argumentieren, doch VanSerra gibt ihm gar nicht erst die Möglichkeit zu protestieren.

"Sie dürfen wegtreten."

Eindeutiger geht es nicht und mein ehemaliger Teampartner ist auch schlau genug, es nicht weiter in Frage zu stellen, sondern augenblicklich sich in Bewegung zu setzen und Daniel die Straße entlang zu folgen. Nur kurz schaut er noch einmal über die Schulter zurück zu mir, ehe er dann wieder nach vorne schaut und zu Daniel aufschließt.

Plötzlich habe ich das Gefühl direkt in der Falle zu sitzen. Wie eine Fliege, die dummerweise ins Spinnennetz geflogen ist und sich nun unmittelbar mit der Gefahr konfrontiert sieht.

"Und nun zu Ihnen" Es klingt wie eine Drohung.

Ich drehe mich um und kann endlich genügend Selbstbewusstsein zusammenkratzen, ihm entgegenzutreten. Als ich allerdings seinen Blick erwidere, schwindet jedoch alles wieder.

Der Blick von ihm gegenüber Daniel war schon ziemlich kalt, aber der hier ist definitiv eisig, verächtlich und irgendwie... enttäuscht...

"Noch nicht einmal 24 Stunden und Sie sind schon wieder dabei, sich in Schwierigkeiten zu begeben und dann kommen Sie noch auf die glorreiche Idee, sich zu betrinken!"

Und dann passiert es wieder, dieser Moment, in dem ich erst rede und dann denke. "Ich wurde meines Dienstes enthoben." Laut ausgesprochen klingt das sogar für mich selbst mehr als lächerlich, weshalb ich mich gleich eines besseren besinne und nichts weiter hintenanfüge.

Er kneift die Augen zusammen. "Und wenn Sie für fünf Jahre außer Dienst wären - nicht einmal dann ist das eine Aufforderung zum Besäufnis! Sie sind dann auf Probe! Das heißt nicht, dass Sie in Frührente geschickt werden!"

Ich blicke zerknirscht drein, weil ich dem nichts entgegenzusetzen habe.

"Also haben Sie gelogen", entgegne ich mutlos. Das ist keine Anschuldigung, lediglich eine Feststellung.

Jetzt ist es an ihm eine Augenbraue hochzuziehen und damit seiner Verwirrung Ausdruck zu verleihen. "Wann soll ich gelogen haben?"

"Sie wissen, dass ich getrunken habe, und sind daher verpflichtet das umgehend zu melden. Das bedeutet, dass ich morgen doch nicht meinen Dienst antreten werde und einen Rauswurf nicht mehr verhindern kann."

"Ja, das stimmt"

Augenblicklich falle ich wieder in dieses Loch der Hoffnungslosigkeit und das mühsam aufgebaute Kartenhäuschen des Glücks bricht wieder in sich zusammen. Was für ein Scheiß...

Ausgelaugt lasse ich die Schultern hängen und reibe mir die Nasenwurzel. Ich hätte es besser wissen müssen.

"Ich werde es aber nicht melden."

Erstaunt blicke ich auf. "Was?", frage ich überrascht. "Warum nicht?"

Höchstwahrscheinlich würden nun andere sagen: Frag nicht, nimm's einfach hin! Aber mich wurmt es, nicht zu wissen, warum der Typ seinen Kopf für mich hinhält - mal abgesehen davon, dass er seinen Job riskiert. Was für mich überhaupt nicht logisch erscheint.

"Auf der Versammlung, auf der wir über die weitere Verfahrensweise mit Ihnen, besprochen haben, gibt es Leute, die der Ansicht sind, dass aus Ihnen eine gute Sycious werden könnte - ich gehöre dazu."

Ich schlucke hart.

Er verschränkt lässig die Hände hinter dem Rücken. "Aber es gibt auch genügend Leute, die – um es einmal trivial auszudrücken - die Schnauze voll von Ihnen haben, Agent. Endgültig! Und das sind beängstigend viele!"

Ich lache kurz auf. "Ich schätze daran müssen Sie sich gewöhnen. Die wird es immer geben."

Er schüttelt den Kopf. "Nein, das glaube ich nicht. Es sind nicht Ihre Fähigkeiten, die sie bemängeln-..."

Sein Blick wird wieder drohend. "Hören Sie auf so zu gucken!"

Ich verschränke die Arme trotzig vor der Brust.

"Wie gucke ich denn?"

"Ihr Getue, als würde es Sie nicht kratzen, was andere über Sie denken!"

"Ich tue nicht nur so, es kratzt mich wirklich nicht.."

"Sollte es aber!", faucht er nun wütend und ich presse die Lippen aufeinander. "Es wäre um Einiges leichter gewesen, sie davon zu überzeugen, dass Sie hierbleiben sollen, wenn Sie sie auf Ihrer Seite hätten. Dem ist aber nicht so und wissen Sie warum?"

Mir liegt bereits eine schnippische Antwort auf der Zunge und ich setze bereits zur Antwort an, als er bedrohlich "Überlegen Sie sich gut, was Sie sagen, Agent!" knurrt. Daraufhin schließe ich wieder meinen Mund und schlucke die bissige Bemerkung hinunter.

"Ich sage es Ihnen: Sie sind ein Kind. Ein bockiges, verzogenes, vorlautes Kind, das rumschreit, sobald es keinen Lolli bekommt, wenn es danach verlangt. Und die meisten sind nicht gewillt, für Sie den Erzieher zu spielen."

Ich blähe die Nasenflügel, als die Erkenntnis seiner Aussage zu mir durchdringt und mich die schäumende Wut packt.

Ich bin vielleicht vieles, aber KEIN Kind! Was fällt ihm ein, mich so zu betiteln?

Diese beschissene Selbstgefälligkeit, mit der er mich auch noch betrachtet.

Meine Finger zucken, aber ich presse sie nur ganz dicht an die Seiten meines Körpers, bevor sie mal wieder schneller reagieren, als es mein Kopf es tun kann.

Für kurze Zeit, sagt keiner von uns beiden etwas. Nur meine viel zu schnellen Atemzüge sind zu hören, sonst nichts weiter. Schließlich schließt er die Augen und fängt leise an zu lachen, sodass ich mich leicht veräppelt fühle.

"Was? Was ist so lustig?", frage ich daher, klinge jedoch weniger wütend als beabsichtigt, da der größte Teil aus unerklärlichen Gründen verraucht ist.

VanSerra schüttelt jedoch nur den Kopf, schaut mich noch einmal kurz amüsiert an und wendet sich dann galant von mir ab.

"Gute Nacht, Agent! Ich sehe Sie dann morgen pünktlich um 5 Uhr zum Trainingsbeginn in der Halle!"

Während er das sagt, dreht er sich nicht noch einmal zu mir um, sondern lässt mich einfach dort stehen.

Und nun bin ich hier, noch immer leicht beschwipst und völlig durcheinander. Und plötzlich kommt die Frage in mir auf, ob er vielleicht doch anders ist, als ich zuerst vermutet habe. Komme allerdings trotzdem nicht drum herum zu denken, dass der Typ extrem arrogant, selbstgefällig, stolz und herrisch ist... aber irgendwie auch eindrucksvoll...

Ich fasse mir an die Stirn...

Solche Gedanken und das auch noch über VanSerra! Ich gehöre wirklich ins Bett, also setze ich mich in Bewegung, gucke auf die Uhr und... fange sofort an zu fluchen, als ich sehe, dass es bereits ein Uhr morgens ist.

Ich verziehe die Lippen zu einem dünnen Strich.

Das hat der Kerl mit Absicht gemacht! Damit ich morgen völlig verkatert und schlaftrunken dort auftauche... Na warte!

Hallo ihr Lieben! :)

Lang, lang ist es her... Aufgrund der Prüfungszeit habe ich nun wieder einigermaßen Zeit zu etwas zu kommen, zudem ich jetzt auch erstmal eine "Arbeitsauszeit" genommen habe, sodass mir auch das Wochenende wieder zur freien Verfügung steht *juhuu!* ^^

Ich hoffe, ich kann euch ein wenig mit diesem Kapitel entschädigen... Ich habe ein bisschen versucht etwas neues auszuprobieren und Damien durch seine Sichtweise ein bisschen euch näher zu bringen :) Würde mich freuen, wenn ihr mir sagen könntet, wie das so bei euch ankommt ;) Des Weiteren ist das Kapitel jetzt vergleichsweise ziemlich lang geworden, sodass also der Lesehunger etwas gestillt werden kann :D

Ich wünsche euch eine wunderschöne Woche! :*

Eure Princessa_Strigoja <3

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