Kapitel 5 - Vom Pech verfolgt
Vom Pech verfolgt:
"Was für eine Erniedrigung!"
Dreimal die linke Hand, danach zweimal die rechte. Das Manöver wird mit einem rechten Fußtritt abgeschlossen.
Abermals geistern mir die letzten Szenen durch den Kopf.
Der unbekannte, schnelle Schwimmer, der eine neue Bestzeit erreicht.
Die Tafel mit der Bestenliste, wo mein Name vom ersten Platz verdrängt wird und stattdessen der von Damian erscheint.
Meine Wut nimmt zu, ich balle die Hände zu Fäusten und starre diesen altmodischen muffigen Boxsack vor mir an.
Ich bin völlig außer Atem, nicht weil ich etwa erschöpft bin, sondern weil ich mich noch immer nicht abreagiert habe.
Der Boxsack verschwimmt vor meinen Augen und nimmt den Körperbau von Damian an. Sein Gesicht verzerrt sich zu einer hämischen Grimasse, die mich schier zur Weißglut treibt. Als er schließlich zu einem Lachen ansetzen will, reißt meine komplette Beherrschung entzwei. Wie eine wilde Furie schreie ich auf und beginne abermals das lädierte Lederding zu bearbeiten, dieses Mal jedoch noch heftiger.
Mit einem leisen Klirren reißt die Metallkette, welche den Sack an der Decke hält. Widerstandslos fällt dieser unelegant zu Boden und Damians Gestalt erlischt.
Plötzlich fühle ich mich erschöpft, mutlos und zutiefst gedemütigt.
Fassungslos schaue ich auf meine wunden Hände. Erst jetzt dringt der pochende Schmerz zu mir durch.
"Damian", zische ich und reibe mir müde die Stirn. Es ist mir egal, wer oder was du bist, aber gehe zurück zu dem Loch aus dem du gekrochen kamst und verschwinde von hier. Das hier ist mein Revier, nicht deins!
"Chy?"
"Hm?", mache ich nur und fahre fort mit essen - zumindest das, was ich momentan darunter verstehe: alles zu Brei verarbeiten und auf dem Teller hin und herschieben, bis die ursprünglichen Zutaten unkenntlich werden.
"Das sieht wiederlich aus!", empört sich Carrie und rümpft angewidert ihre kleine, zierliche Nase.
"Hm...", gebe ich weiterhin mutlos von mir.
Abwesend schaue ich auf meinen Brei, halte die Gabel vor meinem Gesicht und sehe zu, wie die Breireste sich vom glatten Metall lösen und wieder zurück zum anderen Breirest im Teller finden.
Ich brauche nicht aufschauen, um zu wissen, dass meine Freundin mich gerade intensiv anstarrt und überlegt, wie sie das Gespräch anfangen soll.
Ich seufze.
"Spuck's schon aus", sage ich schließlich in die unangenehme Stille hinein.
Zweifel blitzt kurzzeitig in ihren Augen auf, ehe sie sich dazu entschließt, das Problem an der Wurzel zu packen. "Ich habe vom Vorfall mit dem Commander gehört."
Es entsteht eine bedeutsame Pause, in der ich sie durchdringend anschaue, bis ich mich wieder meinem neuen Hobby zuwende.
Carrie weiß, dass ich mir meine Stellung, überall die Beste zu sein, hart erarbeitet habe und unglaublich bissig reagieren kann, wenn mir jemand diesen Platz streitig machen möchte. Niemand legt sich mit mir an, weil jeder irgendwann den Kürzeren ziehen würde, daher hatte ich bisher auch nie etwas zu befürchten.
Viele halten Abstand von mir und versuchen notwendige Konversationen auf das geringste zu beschränken. Ich bin keine einfache Person. Ich bin nicht so lieb und sympathisch wie Carrie oder so witzig und charmant wie Sven. Nein, ich bin dickköpfig, leicht reizbar, hartnäckig, ehrgeizig, zielstrebig und teilweise auch ziemlich skrupellos. Ich sage das, was ich denke und hasse abgrundtief Lügner sowie Scheinheiligkeit und Arschkriecher. Ich bin jemand, der sich nicht zwangsläufig gut in die Gesellschaft integrieren kann. Deswegen bin ich auch froh auf meine Freunde gestoßen zu sein, die mich trotz meiner vielen Macken so hinnehmen, wie ich bin und immer zu mir halten.
Ich knirsche mit den Zähnen.
Bisher war ich immer unangefochten die Nummer eins. Meine Leistungen hoben sich stetig stark von denen der anderen Auszubildenden ab. Aber jetzt? Jetzt liege ich da, wie ein hilfloses Weibsbild auf diesem dämlichen roten Samtteppich. Vor mir die Treppe zum Thron, auf dem ich bis vor kurzem noch gesessen habe, und muss mitansehen, wie Damian es sich nun gemächlich auf meinem Platz gemütlich macht, sich meine Krone aufsetzt.
Meine Faust fährt donnernd auf den unschuldigen Essenstisch nieder, sodass kurzzeitig Geschirr und Besteck in der Luft verharren, ehe sie klirrend auf der Oberfläche wieder aufkommen.
Carrie fährt erschrocken zusammen und wirft mir einen bitterbösen Blick zu, den ich gar nicht weiter kommentiere.
Jeden anderen hätte ich schon längst in die Mangel genommen und ihn spüren lassen, was es heißt, sich mit mir anzulegen. Bei jedem!
Aber bei Damian ist das nunmal leider eine andere Sachlage. Er ist bald mein neuer Vorgesetzter und auch wenn es mich extrem reitzt, ihm eine zu verpassen, so kann ich es trotzdem nicht tun, weil das sonst das Ende meiner Karriere hier bedeuten würde.
Der Typ ist unweigerlich meine letzte Chance mich hier zu beweisen.
Alles, was ich will, was ich je wollte, ist eine Sycious zu sein.
"In der heutigen Gesellschaft gibt es nur "fressen" oder "gefressen werden". Wenn du nicht besser als die anderen bist, gehst du unter und wirst den Stärkeren zum Fraß vorgeworfen" Das waren Vaters Worte und er hat recht. Nicht mehr lange und Damian wird das Gesprächsthema schlechthin sein und ich nur noch Schnee von gestern.
Verdammt! Diese verzwickte Situation bringt mich echt an meine Grenzen.
"Chy..."
"Lass gut sein, Carrie. Es ist nunmal so und fertig. Niemand kann daran etwas ändern." ...nicht einmal ich, füge ich in Gedanken hinten an.
Sie atmet geräuschvoll aus, belässt es aber erstmal dabei.
Wenn ich nicht darüber reden will, dann tue ich es auch nicht und das weiß sie. Früher oder später wird sie mich nochmal darauf ansprechen, aber im Moment ist die Sache ersteinmal gegessen.
Apropos gegessen: Ich sollte langsam diese Pampe vor mir wegkippen gehen.
Ein Stuhl rechts von mir wird zurückgezogen und kurz darauf sitzt Sven neben mir.
Gemächlich beugt er sich über den Tisch und beginnt mit verschwörerischer Stimme: "Ihr werdet nicht glauben, wen ich gerade gesehen habe!"
Interessiert lehnt sich Carrie ebenfall vor, während ich nur verächtlich schnaube, weil ich ahne, was jetzt kommt. "Lass mich raten, du hast endlich deinen Verstand gefunden?"
Mein Tonfall ist spöttischer, als ich es beabsichtigt habe. Dennoch stehe ich trotz der Was-ist-denn-mit-dir-los?-Blicke ohne eine Entschuldigung auf und bringe mein Essen weg.
Kurz bevor ich den Entsorgungsschacht erreiche, höre ich das schrille, aufgeregte Kreischen meiner Freundin.
Langsamer und bedächtiger, als es nötig wäre, schütte ich meinen Brei weg und steuere wieder den Tisch an, wo Sven und Carrie sitzen. Freudig klatscht sie in die Hände.
Gerade, als ich überlege wieder kehrt zu machen und mich der dämlichen Situation zu entziehen, ergreift sie meine Hand und zieht mich zu sich hinunter.
"Weißt du, wer sich hier an diese Trainingsstation hat verlegen lassen?"
Ich runzele die Stirn und obwohl ich es nicht will, reagiere ich abermals sarkastisch: "Der Weihnachtsmann?"
Keiner lacht, aber das war auch nicht meine Absicht.
Carrie rollt mit den Augen, ehe sie mich erneut völlig begeistert anstrahlt und mir genau das erzählt, was ich befürchtet habe: "Nein, Damian VanSerra!"
Aha... Ist ja der Wahnsinn... Unbeeindruckt schaue ich die beiden an, welche kurzerhand irritiert dreinblicken, als ihnen klar wird, dass ich keinerlei Ahnung habe, wer der Typ eigentlich ist.
So, wie es aussieht, haben sie nicht die geringste Information darüber, dass der Kerl nur hier ist, um den Babysitter-Posten für mich zu übernehmen. Wenn ich ihnen aber das erzähle, würden sie sich synchron mit dem Zeigefinger an ihre Stirn tippen und mir sagen, dass bei mir irgendwelche Schrauben locker sind. Aus diesem Grund lasse ich sie vorerst noch in Unwissenheit, bis sie es selbst herausfinden und mich dann wahrscheinlich mit zahlreichen Fragen löchern werden.
"Du weiß nicht, wer das ist?", spricht Sven den Gedanken von Carrie aus.
Ich schüttele den Kopf. "Nö, und es interessiert mich auch nicht die Bohne, also..." Ich richte meinen Zeigefinger auf die beiden. "verschont mich mit eurer Märchenstunde."
Die Tür zum Essenssaal wird aufgeschoben und augenblicklich sinkt die Geräuschkulisse.
Ich reibe mir frustriert die Nasenwurzel. Das Pech scheint mich heute regelrecht zu verfolgen.
Die Haarkatastrophe betritt zusammen mit dem General und meinem ehemaligen Commander den Raum. Sein schwarzer bodenlanger Mantel mit hochstehendem Kragen umschmeichelt seine athletische Figur, sodass er unweigerlich das Ziel der weiblichen Begierde in diesem Raum wird.
Scheinbar jedes Mädchen vergisst augenblicklich ihren Teller mit Essen, der vor ihr geduldig steht, und zieht Damian gedanklich regelrecht mit den Augen aus.
Ich hebe eine Augenbraue, als ich Carries Gesichtsausdruck sehe.
Fehlt nur noch, dass sie anfängt zu sabbern.
Herrgott, bin ich denn die einzige nicht Hormongesteuerte in diesem Saal?!
Ich verpasse meiner Freundin einen Ellenbogenhieb, welcher sie augenblicklich aus ihrer Trance von heißen Tagträumen reißt und den Mund endlich schließen lässt.
"Reiß dich zusammen!", ermahne ich sie, was sie mit einem gleichgültigen Schulterzucken quittiert.
"Du musst zugeben, er ist verdammt heiß!"
Ich rolle genervt mit den Augen, während sie sich mit der Hand Luft zufächert. "O man, war das schon immer so warm hier drin?"
"Sag mal, bist du eigentlich blind? Der Typ hat nur die Hälfte seiner Haare auf dem Kopf!"
Auf meine Bemerkung hin, mustert sie ihn erneut.
"Ich weiß nicht, was du hast. Es steht ihm doch."
Und ohne es zu wollen, macht etwas in mir klick.
Als ich mir nochmals seines Anblickes bewusst werde, kann ich plötzlich die Anziehung, die von ihm ausgeht, spüren. Ich verstehe jetzt, warum das weibliche Geschlecht schmachtend zum Erliegen kommt. Aus irgendeinem Grund sehe ich ihn mit einem Mal aus einem ganz anderen Blickwinkel.
Ich massiere meine Schläfen und schließe die Augen. Dieser Tag ist der reinste Albtraum!
Plötzlich zupft jemand hippelig an meinem Ärmel - natürlich ist es Carrie - und quietscht aufgeregt, dass er in unsere Richtung guckt. Wer mit "er" gemeint ist, wird mir spätestens dann klar, als ich den Blick meiner Freundin verfolge.
Augenblicklich werde ich von dem stürmischen Grau seiner Augen gefangen genommen.
Das hat mich ungewollt getroffen und ich muss einige Male blinzeln, ehe ich mich wieder gefasst habe und meinen vernichtendsten Blick, den ich drauf habe, aufsetze.
Wären wir zwei stromgeladene Spulen, dann würden helle Blitze aggressiv zwischen uns funken.
Seine nachdenkliche, intensive Miene wechselt plötzlich zu belustigt, als sein linker Mundwinkel sich leicht hebt.
Ich balle die Hände zu Fäusten, presse die Kiefer aufeinander und wünsche ihm gedanklich jegliche Krankheiten der vergangenen Jahrhunderte auf dem Hals, die mir bekannt sind.
Unser Blickkontakt bricht ab, als der General eine Hand auf seine rechte Schulter legt und irgendetwas zu ihm sagt, das seine Aufmerksamkeit erregt. Danach setzt er sich wieder in Bewegung und verlässt den Raum mit den anderen Vorgesetzten, ohne die träumerischen Seufzer der Mädchen zu beachten.
Dieser Typ!, denke ich zerknirscht und spüre, wie ich wieder unter Anspannung gerate.
Ich atme ein paar mal tief ein und aus, um mich zu entspannen. Erst jetzt bemerke ich die gerunzelten Stirnpatien meiner Freunde.
"So viel zum Thema nicht kennen, hm?", erwidert Sven skeptisch.
"Es gibt einen Unterschied zwischen schon einmal gesehen und kennen.", antworte ich sachlich und unberührt, stehe auf und gehe Richtung Ausgang.
Eine große, starke, raue Hand legt sich um mein Handgelenk und lässt mich stehenbleiben.
Mein Blick fällt auf ein mir allzu bekanntes Gesicht: Daniel.
"Hey, Cross! War das gerade eine telepatische Unterhaltung zwischen VanSerra und dir?"
Weiß denn eigentlich wirklich jeder seinen verkackten Namen?!
"Sag mir, Schnecke, hast du ihn gerade in dein Bett eingeladen? Oder er dich eher in seines?"
Eigentlich müsste ich es ihm nachsehen, weil Daniel von Natur aus pervers und sexistisch veranlagt ist.
Eigentlich kümmert mich sein schwanzgesteuertes Geschwafel auch nicht und eigentlich ignoriere ich solche Bemerkungen von ihm einfach.
Aber da ich bereits ziemlich geladen bin und mich aus irgendeinem Grund diese Aussage stört, lasse ich meine Faust in seine Richtung fliegen.
Dummerweise kann er mich mittlerweile ziemlich gut einschätzen, wie ich auf solche Anspielungen reagieren könnte, sodass er bereits damit gerechnet hat und rechtzeitig zurückweicht.
Seine Kumpanen brechen in schallendes Gelächter aus.
"Selbst wenn", zische ich angepisst und richte mich bedrohlich vor ihm auf. "würde es euch Flachzangen nichts angehen!"
Daniel pfeift mir gespielt anerkennend zu und sein Blick wird dunkel. "Ich liebe es, wenn du so kratzbürstig bist."
Er lehnt sich vor.
Sein penetrantes Aftershave dringt mir in die Nase. Ich finde diesen Geruch einfach nur abartig.
"Sag mal, zerkratzt du einem eigentlich den Rücken, wenn du kommst?"
Ich würde mich am liebsten übergeben.
Blitzschnell packe ich seinen Kragen, ziehe ihn nah zu mir heran und presse zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor: "Ich zerkratz dir gleich was ganz anderes, wenn ich nochmehr dummes Gelaber von dir hören muss!"
Das bringt ihn zum Lachen, woraufhin ich ihn angewidert loslasse, mich umdrehe und diesen verfluchten, pechbringenden Saal verlasse.
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