Kapitel 2 - Ich hasse Blechbüchsen

Es ist still. Totenstill. Für meinen Geschmack eindeutig zu ruhig.

Zögernd öffne ich die Augen und blicke einer Glasscheibe entgegen. Sofort leuchtet ein Hologramm eines Gesichtes einer gutaussehenden Frau auf und lächelt mich an. „Ah, wie schön! Sie sind also wach Agent C.C.01.“

Offensichtlich, erwidere ich gereizt in meinen Gedanken. Ich hasse dieses Gesicht. In den letzten drei Monaten war ich viel zu oft in dieser Krankenkapsel.

Ich richte mich etwas auf, während mein Blick über mein Körper wandert. Wie zu erwarten war, stecken unzählige Nadeln an etlichen Stellen meines Fleisches, wohingegen Schläuche zu den Stellen führen, die nicht mehr ganz so lebendig sind. Ja, ich weiß. Kein schöner Anblick, wenn man bedenkt, dass man zur Hälfte selbst eine Metallbüchse ist, aber das ist nun einmal das Opfer, das man als Sycious aufbringen muss. Dabei bleiben Verletzungen nicht aus, insbesondere die nicht, die dazu führen, dass gewisse Körperteile ausgetauscht werden. Äußerlich ist kein Unterschied zu erkennen, aber wenn ich jeden Abend meine verdammten Gliedmaßen an die Steckdose anschließen muss, dann ist das auf die Dauer doch seeeehr unangenehm. Der absolute Knüller aber ist, wenn ich morgens in den Spiegel schaue und genau weiß, dass, durch die Reibung am Kopfkissen und die zusätzliche Spannung meiner Körperteile, dann meine Haare in alle Richtungen abstehen. Ja, hahaha, sehr witzig.

Mit zittrigen Händen greife ich nach meinem Verband an meinem Fußknöchel und ziehe ihn ab. Mit einem frustrierten Stöhnen lasse ich mich zurückfallen, als ich sehe, dass ich nun für die weiteren Abende ein weiteres Gliedmaß an den Strom anschließen muss.

„Wie fühlen Sie sich, Agent C.C.01?“, holt mich die elektronische Frauenstimme aus meinen Gedanken. Wütend funkele ich das Computergesicht an. Wie ich das hasse! Ständig dieser „Sie brauchen sich keine Sorgen machen, unsere Welt ist vollkommen in Ordnung“-Ton.

Argh! Ich gebe keine Antwort und schlucke stattdessen meine giftige Bemerkung, die mir schon auf der Zunge lag, hinunter. Es hat ja eh keinen Zweck.

„Sie möchten bestimmt ihre Werte sehen.“, sagt der Computer mit einem freundlichen Lächeln und verschwindet. Daraufhin öffnet sich ein Fenster, wo verschiedene Symbole angezeigt werden, sodass ich jetzt auswählen kann, was genau ich mir ansehen will. Mein Finger steuert bereits auf das Symbol für die elektronischen Gliedmaßen zu, als ich sie schließlich doch sinken lasse. „Nein, ich will mir dieses Mal keine Werte ansehen.“ Zumal ich weiß, dass der Doc so oder so jeden Moment zu mir kommt und alles erklären wird.

„Wie Sie wünschen. Kann ich sonst etwas für Sie tun?“ Ihr Gesicht taucht wieder vor mir auf.

Ich gehe schnell einige Sachen im Kopf durch, komme aber zu dem Entschluss, dass es nichts gibt, was sie für mich tun könnte. Mein Fußgelenk kann sie mir nicht zurückholen, egal, wie oft ich sie darum bitte. Wobei… ich würde es wohl kaum als Bitte formulieren. Ich halte nicht viel von Computerprogrammen und dementsprechend verhalte ich mich auch ihnen gegenüber, genauso, wie diese grauenhaften Blechbüchsen, die versuchen einen auf Mensch zu machen.

Ich will schon ablehnen, als mir ein Gedanke kommt: „Hm… wie wäre es, wenn du dich selbst zerstören würdest?“, frage ich unschuldig. Ein Lächeln breitet sich auf meinen Lippen aus. Tut mir leid, aber diesen Scherz konnte ich mir einfach nicht verkneifen.

„Bedaure, aber Sie sind leider nicht dazu berechtigt, mir solch einen Befehl zu erteilen.“, erwidert sie höflich und freundlich und schaut mich weiterhin lächelnd an.

Ich kriege fast das Kotzen. Genau das ist es, was ich so an diesem ganzen Technikscheiß hasse, der angeblich „Menschen“ darstellen soll. Es wäre egal, was ich zu ihr sagen würde. Ich könnte sie beleidigen, ich könnte den Hologrammsensor direkt hinter ihr mit meiner Faust zerschmettern, damit ich ihre Visage nicht mehr ertragen muss, aber spätestens wenn er repariert ist, hätte ich sie wieder am Hals. Und es würde sie nichts verändern. Sie wäre trotz allem noch genauso höflich und freundlich zu mir wie zuvor. Ätzend!

Wenn sie nicht das Gesicht einer Frau hätte, sondern eines Hundes oder was auch immer, dann könnte ich mich vielleicht darüber lustig machen, aber ich würde mich nicht über diese programmierte Freundlichkeit aufregen, denn, wenn sie wirklich etwas fühlen KÖNNTE, dann wäre sie genauso gemein zu mir, wie ich es zu ihr bin. Aber so ist es nun mal nicht.

Ich atme hörbar aus. „Lass mich wenigstens aus dieser Kapsel.“

„Bedaure, aber das darf ich nicht.“

Ich kneife die Augen zusammen. „Und wieso nicht?“, zische ich, sichtlich verärgert. Ihr Gesicht verschwindet erneut und eine Batterieanzeige taucht vor mir auf. „Ihre Electronic Limbs sind noch nicht vollständig aufgeladen.“ Während sie das sagt blinkt die Zahl vierundachtzig auf.

Ich fasse mir an die Stirn.

Mein Gott! Scheiß auf die Electronic Limbs! Ich hasse es, in diesem Glaskäfig liegen zu müssen!

„Na und? Dann lade ich sie eben zu Hause vollständig auf!“ Was ich nicht machen werde, aber was der PC nicht weiß, das macht ihn nicht heiß, oder?

„Bedaure, aber ich habe konkrete Anweisungen.“

Ich knirsche mit den Zähnen. „Hör auf mit diesem ‚Ich bedaure!’“, äffe ich sie gereizt nach. Mein Geduldsfaden reißt allmählich. „Du kannst nichts bedauern, ok? Du bist nichts weiter als ein lausiges Programm, dass dazu geschaffen wurde, mir auf die Nerven zu gehen! Du kannst nichts fühlen, also hör auf so etwas zu sagen!“

Sie lächelt mich weiterhin an.  „Bedaure, aber-…“

Ich lasse sie nicht aussprechen. Weiter als „aber“ kommt sie nicht, denn augenblicklich jage ich mit einem Wutschrei meine Faust durch ihr Gesicht, den Projektionssensor und meinen beschissenen Glaskäfig. Kurz darauf ertönt der Alarm.

Ohne einen Laut oder die Miene zu verziehen, entfernt Doctor Taylor die Glassplitter aus meinem Arm und meiner Hand. Zwischendurch schweift ab und zu ihr Blick zu mir. Ich sage nichts, sondern lasse alles widerstandslos über mich ergehen. Das bin ich ihr schuldig. Tadelnd schüttelt sie den Kopf, als sie alle scharfen Scherben entfernt hat.

„Das ist jetzt schon das fünfte Mal, dass ich diese Kapsel reparieren lassen muss.“, sagt sie irgendwann, aber weniger wütend, sondern mehr erschöpft.

„Es tut mir leid“, sage ich automatisch, was den Doc dazu veranlasst, die Hände in die Hüften zu stemmen.

„Entschuldigen Sie sich nicht für etwas, was Ihnen nicht leid tut!“

Ich verkneife mir mein „Entschuldigung“, was ich bereits erwidern wollte und gucke stattdessen weg. Ihr Blick ist mir unangenehm.

„Chy“, beginnt sie nach einer langen Pause irgendwann. „Ich verstehe ja deinen Hass auf sie, wirklich, aber du lebst in dieser Welt nun einmal mit ihnen. Sie sind ein unweigerlicher Teil deines Lebens und damit musst du dich irgendwann abfinden.“

Ich presse die Lippen aufeinander. Nichts versteht sie. Absolut nichts!

Ich greife nach einem dieser vielen Wundermittel der Technik und Medizin auf dem Tisch neben mir und umschließe damit meinen rechten Arm. Zielstrebig gebe ich einen Code auf das Wahlmenü ein, woraufhin ein Piepen ertönt und meinem Arm ganz heiß wird. So schnell wie die Wärme kam, so schnell vergeht sie auch wieder und als eine Lampe grün aufleuchtet, entferne ich die Armhalterung und betrachte das Ergebnis. Keine Schnittwunden zu sehen. Gut.

Doctor Taylor massiert sich die Nasenwurzel, nachdem sie zuvor ihre Brille nach oben geschoben hat. Sie gibt es auf, mit mir über dieses Thema zu reden. Stattdessen seufzt sie und holt aus der Innentasche ihres Kittels einige Unterlagen für mich heraus.

„Hier“, sagt sie. „Damit du weißt, wie du mit deinem neuen Electronic Limb umzugehen hast.“

Ich runzele die Stirn. „Ich habe schon unzählige Hefte auf meinem Homecenter.“

Sie schmunzelt. „Ja, aber dieser hier, den wir bei dir verbaut haben, ist eine Weiterentwicklung des alten Typs.“

„Wurde der schon sorgfältig getestet?“, frage ich misstrauisch und nehme die Unterlagen, in Form winziger Micro-Chips, entgegen.

Als sie nickt, stehe ich erleichtert auf. Fühlt sich wie immer an: Unverändert echt. Aber das Wissen, dass es doch nicht ein originaler Teil von mir ist, ändert es trotzdem auf unerklärliche Weise. Es fühlt sich nicht so an, aber du weißt, dass es nicht dein eigen Fleisch und Blut ist. Merkwürdiges Durcheinander.

Ich ziehe mich wieder an. In der Kranken- bzw. Genesungskapsel liegt man nämlich nackt ohne den kleinsten Fussel. Das hängt damit zusammen, dass der Körper dann besser untersucht werden kann, da Lichtstrahlen den Körper abtasten. Kleidung hätte ein verfälschtes Abbild zur Folge.

Ich bedanke mich bei dem Doc für die Behandlung, auch wenn sie mein Fußgelenk nicht retten konnte, und verlasse die Station. Mein nächstes Ziel ist das Haupttrainingslager der Sycious.

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