Kapitel 1 - Nennt mich Chy

Mein Name ist Chy. Eigentlich lautet mein vollständiger Name Cheyenne Cross, aber da bei vielen dann im Kopf ein Bild von einem in kurzen Lederfetzen bekleideten, aufdringlich geschminkten, mit Drogen vollgestopften Mädchen entsteht und augenblicklich die Alarmanlagen mit der Durchsage „Schlampe!“ klingeln, habe ich mich zu Chy umbenannt. Ich glaube, dass meine Mutter den Namen mochte, sonst hätte sie ihn mir ja auch nicht gegeben, und wenn ich ehrlich bin, mag ich ihn auch, aber er ist einfach zu negativ behaftet. 

Meine Mutter habe ich nie kennengelernt. Vater sagt immer, dass sie uns schon früh verlassen hat, als ich noch sehr jung war. Ich bin ihr aber auch nicht böse. Heutzutage wird Familie kaum noch großgeschrieben. Nicht so wie damals, dem Früher. Aber es hat sich viel verändert. 

Wir leben im Jahr 2857. Die Erde mit ihren 5 Kontinenten existiert nicht mehr. Wir Menschen haben zu spät auf die Erderwärmung reagiert, sodass das Eis an den Polen sich nicht mehr halten konnte und komplett schmolz. Der Meeresspiegel stieg an, eine Katastrophe suchte die nächste heim. Übrig blieben nur vereinzelte hohe Landebenen, die nun wie winzige Punkte aus dem Meer ragen und den Wellen so lange trotzen, bis auch sie mit der Zeit abgetragen werden und in den blauen Weiten verschwinden. 

Die Menschen, die bis heute überlebten, haben sich zusammengeschlossen und auf einen kleinen Teil Land, was früher einmal zu Asien gehörte, einen Zufluchtsort errichtet. Mit der Zeit wurde der Ort von immer mehr Leuten aufgesucht. Jetzt bildet Arkronia die letzte und einzige Metropole auf der gesamten Welt. Leben ist hartnäckig und Menschen wollen leben, egal, wie hart der Weg zu einer friedvollen Zukunft auch sein mag. Wir Menschen entwickelten uns weiter und schafften es, trotz der vielen Rückschläge, Techniken zu entwickeln, die die Solarenergie voll zu ihren Gunsten ausnutzen können. 

Aber schon bald legten sich dunkle Schatten über Arkronia. Die Menschen neigen zum Egoismus, wenn keine Regierung sie in die Schranken weist. Dementsprechend wuchs die Kriminalitätsrate auch enorm. Erst nach mehreren Todesfällen ergriffen vereinzelte Leute die Initiative und entwarfen ein System, was an das Kastenprinzips des damaligen Hinduismus erinnert. Sie teilten die Menschen in vier Gruppen ein: den Kyrols, Patrars, Owks und den Slags. 

Ein Kyrol gehört zur so genannten Platinklasse. Hierzu zählen nur wichtige Leute wie Politiker, Staatsoberhäupter und reiche, einflussreiche Menschen. Sie sind der Kopf des Ganzen und ziehen auch an den meisten Fäden in der Stadt. 

Patrars sind angehende und ausgebildete Wächter wie Polizisten, Agenten, Soldaten. Sie gehören zur Goldklasse. Die Aufgabe eines Patrars ist einfach der Schutz der Bevölkerung. Einige wenige haben die Ehre aus ihrem öffentlichen Dienst als Guardian für einen Kyrol abgerufen zu werden. Der Traum eines jeden Patrar ist es, einmal ein Guardian zu werden, da diese ein abgesichertes Leben führen. Festes Gehalt, bezahlte Unterkunft inklusive Verpflegung, aber auch medizinische Absicherung. Der einzige Haken an der Sache ist allerdings, dass es einem Guardian nicht gestattet ist, eine Familie zu gründen, da an oberster Stelle immer der Kyrol stehen sollte und eine Familie wäre da nur hinderlich. 

Owks sind die breite Masse der Bevölkerung und werden meistens auch Silvers genannt, da die diese zur Silberklasse gehören. Sie sind für die Aufrechterhaltung der Wirtschaft zuständig. Silvers werden geboren, gehen zur Schule, erlernen einen Beruf, führen ihn bis zum 50. Lebensjahr aus und sind die restliche Zeit ihres Lebens im Ruhestand. Sie führen ein normales ruhiges, aber auch unwissendes und teilweise langweiliges Leben. Die meisten Owks wissen fast nichts über die Kyrols und Patrars. Das hat einen einfach Grund: Je weniger sie wissen, desto friedlicher, sorgloser und glücklicher leben sie. 

Ähnlich ist es bei den Slags. Sie sind Hausfrauen und Hausmänner und helfen den Owks bei der Bewältigung des gewöhnlichen Alltags. Slags führen ebenfalls ein abgesichertes Leben, wenn sie fest in einem Haushalt angestellt sind. Nach einer gewissen Zeit gehören sie praktisch schon fast automatisch zur Familie dazu. 

Seitdem dieses System eingeführt wurde, normalisierte sich wieder alles. Die Kriminalitätsrate sank schlagartig, da jeder weiß, wo jetzt sein Platz ist, und fügt sich dem System meist widerstandslos. Ich habe keine Ahnung, was mit Menschen passiert, die sich dagegen auflehnen, aber wahrscheinlich ist es auch besser, das nicht zu wissen. Um den Frieden und die Ordnung Arkronias zu sichern, ist den Kyrols oft jedes Mittel recht. Möglich, dass sie verstoßen und aus Arkronia verbannt werden. 

Mein Leben ist alles andere als langweilig oder eintönig, denn ich bin eine Sycious. Eine Art Agentin mit Wächterfunktion. Alle meine Aufträge sind geheim und gelangen niemals außerhalb der Sycious-Organisation. Unser oberstes Gebot? Der Schutz der Menschen innerhalb der Stadt, aber auch die Rettung von Menschen, die außerhalb Arkronia sind und alleine da draußen nicht überleben könnten. 

Vor einigen Jahren brach durch die apokalyptischen Verhältnisse außerhalb der Stadt eine Seuche aus, die jedes Lebewesen zu blutrünstigen Räubern macht. Sie veränderte die Gene so intelligent, dass ein befallener Mensch mithilfe dieser Krankheit in der Lage ist, fast jede erdenkliche Gestalt anzunehmen. Bei einem frisch Infizierten ist es so gut wie unmöglich, ihn von einem Nichtinfizierten unterscheiden zu können. Diejenigen, die schon länger davon betroffen sind, erkennt man an ihren Augen. Sie besitzen nämlich weder Pupille noch Iris, da sie nicht auf das Sehen angewiesen sind. Die Infizierten – wir nennen sie Formatics – besitzen ausgezeichnete andere Sinnesorgane. Ihr Tastsinn ist so gut ausgeprägt, dass sie eine herannahende Person oder Beute aus über zwei Kilometern Entfernung durch die Erdvibration, die jeder durch Schritte auslöst, spüren können. Ihr Geruchssinn nimmt selbst die noch so kleinste Schweißperle wahr und ihr Gehör kann sogar die Orientierungsschallwellen einer Fledermaus deutlich hören. Sie sind extrem gefährlich und aus diesem Grund gibt es uns. 

Wir lokalisieren die Gefahr und schalten sie dann aus. Dieses Prinzip hat bislang immer gut funktioniert und die Sicherheit der Menschen gewährleistet. Ich lebe praktisch für diese Aufgabe. Ich möchte die Leute beschützen, die es brauchen, denn mein Ziel ist es, auch noch nach meinem Ableben in Erinnerung zu bleiben und als Vorbild angesehen zu werden. Und für dieses Ziel tue ich alles, was in meiner Macht steht, um es zu erreichen. Dies ist meine Geschichte.

Ich falle ungehalten nach vorne auf den heißen Boden. Feiner, trockener Staub wirbelt mir in die Lungen und lässt mich husten. Ich hab keine Zeit, lange liegen zu bleiben und rappele mich sofort wieder auf. Schnell gewinne ich meine Orientierung zurück und springe hoch. Unter meinen Füßen fegt erneut der Echsenschwanz entlang. Als ich wieder auf dem Boden lande, befinde ich mich direkt vor dem Maul des Formatics. Ungewollt atme ich seinen Mundgeruch ein und muss mich krampfhaft dazu durchringen, nicht gleich zu erbrechen. Die Zunge schnellt vor, zeitgleich zücke ich meine Peitsche und zerteile die Zunge mit kraftvollen  Schwüngen in große, widerlich riechende Fleischklumpen. 

Die Bestie schreit grauenvoll und ein ganzer Schwall von Säure schwappt mir entgegen. Ich springe hoch, aber Säure trifft dennoch mein linkes Bein. Mein Anzug ist recht resistent, aber irgendwann wird auch dieser Stoff durchgefressen sein und meine Haut erreichen. Mir bleiben ungefähr zwei Minuten. Bis dahin muss ich es getötet haben. 

Ich drehe mich in der Luft und lande dann sicher auf dem Kopf der Echse. Noch immer schüttelt der Formatic sich vor Schmerzen. Ich habe meine größte Mühe damit, nicht wieder hinunterzufallen. Ich zücke meine Razorwaffe. Eine „Sonnenlicht lokalisiert“-Ansage bestätigt, dass die Waffe jetzt mithilfe der Solarenergie auflädt. Ich richte die Waffe auf den Kopf und will gerade den Abzug betätigen, als das Tier sich unerwartet aufbäumt und mich mit dem schuppigen Schwanz abermals davonschleudert. Meine Waffe gleitet mir aus den Händen und kurz darauf knalle ich hart mit dem Rücken auf den staubigen Wüstenboden.  

Einige Sekunden schnappe ich nach Luft und beginne wieder zu husten, weil der feine Staub wieder in meine Lungen dringt. Ich spüre, wie mein Körper immer schwächer wird. Die Hitze laugt mich aus und verhindert, dass ich klar denken kann. Ein stechender Schmerz durchzieht mit einem Mal mein linkes Bein und als ich an mir hinunterschaue, ist mir auch sofort klar warum: Die Säure hat sich schon jetzt durch den Stoff meines Anzugs ihren Weg gebahnt und greift nun meine Haut an. Ich kann ein schmerzerfülltes Schreien nicht unterdrücken.  

Der bis vor kurzem abgelenkte und durch den Schmerz betäubte Formatic wird dadurch wieder wach und richtet augenblicklich seinen leeren Blick auf mich. Im nächsten Moment sprintet das Monster auch schon auf mich zu. Panik erfasst mich. Ich brauche meine Waffe. Ich drehe mich in alle Richtungen und suche verzweifelt nach meiner Pistole, bis ich sie neben einem großen Felsen liegen sehe. Sofort sprinte ich los. Die riesige Echse nimmt meine Bewegungen wahr, schlägt eine andere Richtung ein, um mir den Weg abzuschneiden. Sie öffnet ihr großes Maul, um nach mir zu schnappen. Ich weiche aus, indem ich über sie hinwegspringe, verliere jedoch an Höhe, als mein schmerzendes Bein nachgibt. Mit dieser Flugbahn lande ich direkt in ihrem Mund. Blitzschnell zücke meinen zweiten Dolch und feuere ihn in ihre Richtung. Fast wie in Zeitlupe sehe ich, wie sich der Dolch dreht und sich in das Zahnfleisch der Bestie bohrt. Die Echse dreht den Kopf weg, noch bevor sie mich erwischen kann und ich komme dann unsanft neben meiner Waffe auf. Ich verkneife mir ein Stöhnen und ergreife schnell meine Laserwaffe. 

Der Formatic hat sich mittlerweile wieder gefangen und setzt zum Sprung an. Ich drehe mich zu ihm um und betätige den Abzug. Ein heller Strahl schießt augenblicklich aus dem Lauf und dringt durch den Gaumen der Bestie zum Gehirn vor, wo es dann gegrillt wird. Sofort erschlafft der Körper, aber die Echse befindet sich schon mitten in der Luft. Ich kann nur noch meine Hände vor's Gesicht ziehen, als der massige Körper auf mich zufliegt. Anschließend verliere ich das Bewusstsein.

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