Kapitel 7 - Jack Frost

Ahhhh wie mir das gegen den Strich geht. Warum meint mich jeder belehren zu müssen? Warum? Meine Mutter, mein Vater. Und jetzt auch noch meinen Kumpel, den sie mit ins Boot gezogen haben.Wieso tun sie mir das an? Ich weiß am besten, was gut für mich ist. Ich habe keine Zeit, eine Frau kennenzulernen. Sowieso habe ich daran kein Interesse. Wofür brauche ich eine Frau? Ich kann für mich selbst kochen, Wäsche waschen bekomme ich meistens mit links hin. Ab und zu kocht meine Mutter für mich oder steckt meine Wäsche in die Waschmaschine, ohne dass ich es will. Das ist mein voller Ernst. Wenn ich kurz weg bin, nutzt sie das aus und klaubt Sachen vom Boden auf, um sie zu waschen. Ja, ich lebe noch bei meinen Eltern und ja, ich bin genervt von ihnen und ja, mir geht schon länger der Gedanke durch den Kopf auszuziehen. Aber bisher habe ich es noch nie in die Tat umgesetzt. Vielleicht wegen dieser einen Person.
„Snefnug!", freue ich mich über den kleinen Jungen, der mir just in dem Moment in die Arme springt.
„Pappa!", freut sich dieser. Ja, ich bin Vater und ja, er ist mein Sohn. Doch wenn er wüsste... Er würde mich mit Sicherheit hassen und ich könnte es ihm nicht mal verübeln.
Seit ich ihn habe, hat sich vieles in meinem Leben verändert. Zum Beispiel keine Frauen für ein kurzes One-Night-Stand oder insgesamt Frauen um mich herum oder den kindischen Jack Frost. All das gehört der Vergangenheit an, seit ich diesen kleinen Jungen habe. Fünf Jahre alt ist er mittlerweile. Wie schnell die Zeit vergeht. Für mich persönlich ist fünf eine besondere Zahl. Warum? Das hättet ihr wohl gerne, was?
Ich drücke den Rabauken an mich, knuddel ihn ausgiebig. Jedes Mal, wenn ich ihn ansehe, erinnert er mich an eine ganz besondere Frau - seine Mutter. Mit dem Racker in meinen Armen gehe ich in die Essstube, wo meine Eltern auf uns warten. Meine Mutter begrüße ich mit einem Kuss auf die Wange. „Hallo, mamma. Pappa." Meinem Vater - meinem pappa- klopfe ich auf die Schulter zur Begrüßung. „Wie war euer Tag?"
„Wunderbar. Wie immer mit diesem Goldstück von einem Enkel an meiner Seite", prahlt sie natürlich wieder mit meinem Sohn.
Dafür sagt pappa hingegen etwas vollkommen anders: „Grauenvoll. Die Rentiere sind wieder ausgebüchst und ich musste Jules helfen, sie einzufangen. Sorry, das zu sagen, aber manchmal ist dein Freund ein tollpatschiger Nichtsnutz."
„Sprich nicht so über Ju, pappa. Erst hat er seinen Vater verloren, dann seine Mutter und jetzt ist sein Großvater auch noch unauffindbar. Du kannst nicht von ihm erwarten, dass er der geborene Weihnachtsmann ist, wenn er sich innerlich total zerfressen und leer fühlt", bringe ich ihn wütend zum Schweigen. Eines Tages wird mein Kumpel der beste Weihnachtsmann, da bin ich mir sicher. Ohne Jules hätte ich den Verlust einer mir sehr nahestehenden Person nie verkraftet. Er war für mich da, obwohl er selbst trauerte. Er ist einfühlsam und nimmt für seine Freunde sowie auch seine Freunde und die Kinder alles in Kauf. Und hätte sein Großvater nicht an ihn geglaubt, säße Jules nicht da oben.
„Ich werde ihm mal zeigen, wie man das früher gemacht hat. Sein Vater und ich, wir haben uns einen hinter die Binde gekippt und es war gegessen."
Snefnug meldet sich zu Wort: „Was bedeutet das?"
Bevor ich etwas zu ihm sagen kann, greift meine Mutter nach seiner Hand. „Nichts, Schatz, alles gut. Farfar" Farfar bedeutet Opa väterlicherseits. „muss sich dringend ausruhen."
„Stimmt, das muss er. Und sich mal gehörig den Kopf ausspülen", brumme ich.
„Ich gehe", schnauzt er und wirft seine Serviette auf den Tisch, als er seinen Stuhl zurück schiebt und aufstehen will. „Geh doch", kommt es von mir. Grimmig kneife ich die Augen zusammen. Snefnug nimmt meine Hand. Ich sehe zu ihm und versuche mich an einem Lächeln. In seiner Nähe schaffe ich es sogar, nicht auszuticken und meinem Vater an die Gurgel zu springen. Für diesen Racker würde ich alles tun. Mein Leben aufgeben für ihn - ein Klacks. Alles riskieren für ihn - auf jeden. Ihn für immer und ewig beschützen - definitiv. Niemals wird er der guten Seite den Rücken kehren, dafür werde ich sorgen.
„Du bleibst", setzt sich meine Mutter durch. Hach, wie ich meine Mutter manchmal liebe. Sie ist der Hammer. Bei meinem Vater findet sie immer den richtigen Knopf, den sie drücken muss, um ihn zur Ruhe zu bekommen.
„Aber..."
„Du bleibst", beharrt sie.
An dieser Stelle würde eine Schale Popcorn perfekt passen. Sne und ich verfolgen das Gespräch mit den Augen, lassen dabei kein einziges Detail aus. Wir sehen, wie sich Mammas Blick verdunkelt, ihn auf seinem Stuhl visiert, bis er den Schwanz einzieht und erniedrigt sitzen bleibt. Mein Sohn schaut mich siegessicher an. Gut möglich, dass wir Wetten abgeschlossen haben und jepp, er hat die Wette gewonnen. Ein wenig enttäuscht bin ich dann doch von meinem Vater. Jetzt darf mein Sohn ganze fünf Minuten länger aufbleiben. Fünf Minuten länger war sein Wetteinsatz. „Ich wette, dass farfar wieder gegen farmor verliert", hatte er gesagt. Daraufhin hatte ich dagegen gewettet und gefragt, um was wir wetten. „Wenn ich gewinne, darf ich... darf ich...", überlegte er. Dazu zählte er mit seinen Fingern. „Fünf Minuten länger auf dem Sofa sitzen." Ich hatte nach einer langwierigen Diskussion, in der ich natürlich nicht bloß so getan hatte, nachgegeben. Als Vater bin ich echt fies, ich weiß und das wird mir vermutlich alsbald zum Verhängnis. Spätestens dann, wenn er rechnen und Uhren lesen gelernt hat. Aber bis jetzt bin ich zufrieden. So hat er sich glückliche fünf Minuten mehr erkauft und ist happy und ich bin es auch.
Als sich die Spannung zwischen meinen Eltern beruhigt hat, spreche ich den eigentlichen Knackpunkt an. „Also, was ich noch sagen wollte. Ju und ich hatten heute eine Fährte."
„Inwiefern?", ab da interessiert sich mein Vater brennend für das Thema Jules.
„Insofern, dass ein Elf ihm gemunkelt hat, er habe seinen Großvater gesehen."
„Sag bitte nicht, ihr habt auf diesen Elf gehört."
„Wir sind ihm gefolgt", erzähle ich weiter und bestätige seine Sorge mit einem Nicken.
„Nein", stöhnt er genervt. Er lässt seinen Kopf auf die Tischplatte fallen. Arbeit erledigt. Vater genervt. Ich mache einen super Job als Vater-Nervensäge, findet ihr nicht? Man nennt mich auch die klugescheißerische Nervensäge. Okay, der Spruch war übelst dumm.
„Doch."
„Jedes kleine Baby weiß, man sollte Elfen nicht trauen. Jules macht einen grauenvollen Job."
„Hör auf damit, Liebling!!"
„Ich mache doch gar nichts. Das ist die reine Wahrheit. Du solltest sauer auf deinen Sohn sein. Ihr seid Trottel. Große, miserable Trottel. Elfen sind Lügner. Verräter."
„Nein, sind sie nicht. Bitte, Schatz, denk an deinen Enkel." Mit ihren Augen deutet mamma auf Sne. Das hat sie früh bemerkt. Um ihn abzulenken, schaufelt sie ihm immer mehr auf den Teller, doch er behält selbstredend nur die Diskussion im Blick.
„Ausnahmsweise hast du recht, pappa. Es war dumm, auf ihn zu hören, aber wir haben es getan. Und weißt du wen wir aufgefunden haben?"
„Wen?"
„Deinen beknackten Neffen. Sunny. Oder war es Jannis? Ich kann die zwei nicht auseinander halten, aber das ist egal, denn ich finde das ist einfach nur nicht richtig, um es mal angemessen auszudrücken. Du hast uns beigebracht, dass man über den Verlust oder den Tod keine Späße macht, weil das für die Person noch schlimmer ist, aber deine Familie ist da wohl anderer Meinung. An deiner Stelle würde ich das klären."
„Wie soll ich das klären? Wenn du unbedingt willst, dann bitte, geh doch. Ich freue mich schon, meine ersehnte Ruhe zu haben."
Wütend stopfe ich mir eine Gabel Essen in den Mund, dann nehme ich meinen Sohn an die Hand und stehe auf. Diesmal mache ich diesen idiotischen Abgang mit der Serviette. Ich werfe sie auf den Tisch und gehe mit dem bekleckerten Snefnug aus der Stube raus. Im Türrahmen drehe ich mich noch einmal um. „God natt!"
Der flehende Blick meiner Mutter lässt mich meine Entscheidung beinahe bereuen, aber die miese Laune meines Vaters daneben treiben mich nach oben. Wir gehen die Treppe hoch. Im Badezimmer wasche ich Sne die Hände. Dann lasse ich ihn sich die Zähne putzen, während ich mich wasche und mir frische Klamotten überziehe. Als ich fertig bin, putze ich nochmal nach, um ihn im Anschluss beim umziehen zu helfen. Mit seinem Schneeflocken Schlafanzug, welchen wir als Familie jeder einen hat, tapst er auf nackten Füßen in sein Zimmer. Dort setzt er sich auf sein Bett, sein Schnuffeltuch namens Wolfi - obwohl es ein Kaninchen ist - im Arm. Leider konnte ich ihm das Schnuffeltuch noch nicht aufgeben und langsam glaube ich auch eher, dass ich es in der Hinsicht aufgebe. Ich bin allein schon froh, dass er vor einem Jahr seinen Schnuller hergeben hat. Das war eine Qual. Von mir aus kann er das alte Plüschtier behalten. Es ist von seiner Mutter und er liebt es, das will ich ihm nicht auch noch nehmen, aber meine Mutter ist da anderer Meinung. Sie versucht, sofern ich on Tour bin, ihm das Ding mit allen Mitteln zu entreißen. Irgendwann muss ich darüber noch ein Gespräch mit ihr führen, damit sie ihn lässt.
An seinem Finger nuckelnd legt Sne sich auf den Bauch. Ich fange mit unserem Gute-Nacht-Ritual an. Meine Finger tippeln dafür wie Regen auf seinem Rücken, bis er schläfrig wird und ich ihm einen Kuss auf den Hinterkopf gebe.

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