Kapitel 37

Erschöpft will ich mich in meinem Zimmer unter der Bettdecke verkriechen. Unter der kuschelig warmen Bettdecke, versteht sich. Holla hat das Wasser für den zweiten Teil des Reinigungsrituals viel zu kalt gemacht. Ich bin keine Frau mit Winterfähigkeiten so wie sie früher und das heißt, dass ich im Gegensatz zu ihr ungerne in so kaltem Wasser baden, dass sich an der Wasseroberfäche bereits kleine Eiskristalle bilden. Es mag sein, dass das unglaublich schön aussah, doch das heißt nicht, dass ich diese Kälte, die schlimmer noch als klirrende Eiseskälte war, genoßen hatte. Am liebsten würde ich jetzt sofort in mein Bett vor den Fernseher legen und dabei seelenruhig einschlafen, doch vorher möchte ich mich zumindest von Freunden und Familie verabschieden. Gähnend umarme ich Calix. „Gute Nacht, Cal. Wir sehen uns morgen."
„Äh Gerda..." Was ist denn? Habe ich einen ekligen Popel in der Nase oder was? Ich befühle meine Nase, kann jedoch nichts spüren. Nicht mal ein einziges Haar, was mich killern könnte, denn vor drei Tagen war ich beim Rundum-Waxing. Das heißt Beine, Po, Arme, einfach alles. Das schlimmste an der Sache: es war eine Eiswaxing-Technik, die Frau Holle ausgerechnet an mir testen musste, bevor sie in Produktion gehen würde. So könne ich mit meinen gewaxten Beinen Werbung für sie machen. Meine Augenbrauen wurden für diesen Tag in Form gebracht und was weiß ich nicht noch alles. Ich glaube, mein Mundbereich wurde auch gewaxt oder irgendwas anderes, keine Ahnung mehr. Diese Höllenqualen wollte ich besser vergessen.
„Du willst doch nicht etwa deinen einzigen Junggesellenabschied verpassen, oder?", wirft Mads zu meiner Überraschung ein. Waaaasss? Ein Junggesellenabschied? Für mich? Wow. Davon wusste ich ja gar nichts. Wie? Wer? Und was???
„Bitte?", verdattert sehe ich sie an, was ziemlich bescheuert aussehen muss, wie ein übergroßes Fragezeichen über meinem Kopf schwebt.
„Also ich meine, wenn du nicht willst... Deine vierte Trauzeugin hier", Cal - meine zweite Trauzeugin - schiebt Mille nach vorne „hat das alles hier geplant und wir wollen doch nicht, dass ihre Mühen umsonst waren, oder?"
„Aber...? Mille, du hast einen Junggesellenabschied für mich geplant, wirklich?"
„Ja, aber nicht allein", lächelnd sieht sie in die Runde und mir wird gerade klar, dass das ihr erstes echtes Lächeln gewesen sein muss. „Und jetzt lasst uns die Party rocken. Kommst du mit, mor?"
„Nein, lasst das mal besser, aber macht nicht zu lange, Mädels." Ihre Aussage wäre nur noch zu toppen, wenn sie jetzt im Versuch einer Drohung den Zeigefinger auf mich oder ihre Tochter richten würde. Thala zieht jedoch meine Aufmerksamkeit auf sich, als sie an meinem Kleid zupft. Zur Info; das weiße Kleid, das ich eben erst hatte ausziehen müssen. „Was gibt es denn, meine kleine Maus?"
„Dürfen wir mit?"
„Ja klar, dürft ihr mit", doch Mille schüttelt wirr den Kopf, sodass ihr ihre Perücke beinahe vom Kopf fliegt. Richtig gehört, die Eishexe trägt in der Öffentlichkeit eine Perücke von weißen, langen Wallehaaren, obwohl sie unter der Perücke eine stachelige Kurzhaarfrisur hat. Anscheinend alles Teil des Marketings oder so ein Quatsch. Warum sollten die Mädels nicht mitdürfen?
„Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee wäre...", meint Mads. Wieso denn nicht? Kann mich mal bitte jemand aufklären? Mille raunt mir die Antwort zu: „Ich habe Stripper engagiert. Sie sollte in zehn Minuten da sein. Und Alkohol wird es auch geben. Ein normaler Junggesellenabschied eben."
„Oh...", das muss ich erstmal kurz verdauen. „Ja, also das ist ja echt super von dir, aber ich brauche doch eigentlich keine Stripper. Ich möchte eh nur etwas von Jack..." Was genau ich von Jack möchte, werde ich an dieser Stelle nicht weiter ausführen. Drücken wir es einmal so: keine jugendfreien Sachen. Ihr wisst schon, was ich meine.
„Gerda", mit einem missbilligenden Blick bedenkt mich meine beste Freundin. „Mille hat sich so viel Mühe für dich gegeben, damit es der beste Junggesellenabschied wird, den ein Mensch sich nur erträumen kann. Sie halt alle möglichen Zeitschriften durchforstet, sich im Internet dumm und dämlich gesucht, bis ihr vom Tippen die Finger abfielen und ganz viele Filme geschaut. Nur für dich..."
„Okay, okay, können die Stripper dann nicht aber ein Momentchen später kommen?", verhandel ich mit den niedlichsten Hundeblicken - meinem und dem von Thala. Die kleine Maus hat Gott sei Dank nicht das gesamte Gespräch mitbekommen, aber genug Gesprächsfetzen, um zu wissen, dass wir jetzt ihren besten Polarfuchsblick brauchen. Mille schließt ihre Augen und ballt ihre Hände zu Fäusten. Meine Bald-Schwiegermutter legt ihre Hand auf Milles Schulter und flüstert ihr etwas zu, was ich aus der Entfernung leider nicht verstehen kann. Jedenfalls bekomme ich mit, wie Anna darüber lachen muss, denn sie steht näher an den beiden als ich. Und natürlich sehen alle zu mir. Mille hält zwei Finger in die Luft, den Zeigefinger und den Mittelfinger. Peace? Hä?? „Zwei Stunden." Oh ich verstehe, die Finger stehen für zwei Stunden. Wie zwei Stunden, hä? Ich verstehe doch nicht mehr. Was meint sie mit zwei Stunden? „Die Kiddies haben noch zwei Stunden, in denen sie aufbleiben können, bis der Junggesellenabschied wieder nach Plan verläuft."
„Yes", bringt Sari ihre Freude zum Ausdruck. Wenn man es denn Freude nennen kann, denn ihr Gesichtsausdruck sagt etwas anderes. „Jippie!", freuen sich Lennja und Thala und kuscheln sich an Milles Bein. Bei den zweien kann man die Freude wenigstens als wahr anerkennen. Manchmal frage ich mich echt, wie aus der lieben Sarijana diese hochnäsige, zickige Prinzessin werden konnte. Früher nannte sie mich mal ihr Vorbild, heute ist es wahrscheinlich den Erzählungen nach die Tussenprinzessin Liora. Ich meine, ich möchte mich nicht beschweren. Soll Sari doch gegönnt sein. Ich bin nicht sauer, dass ich nicht mehr ihr Vorbild bin, aber was ich schade finde, ist, dass sie sich selber zum Schlechten verändert. Wir alle können nur hoffen, dass sich das nach der Pubertät legt. Aus Zeitschriften weiß ich, dass sich das bei Liora beispielsweise nicht gelegt hat, aber ich hoffe weiterhin für mein Patenkind.
Mille klatscht in die Hände und ich sehe ihr ihre Begeisterung an. Genau, welche Begeisterung? Ja, das war vielleicht nicht eine meiner nettesten Taten, wo sie sich anscheinend ja wirklich so viel Mühe für mich gegeben hat. Aber was soll ich machen? Ich bin einfach nicht so die Partykanone. Und jepp, ich bin mir genauso dessen bewusst, dass Mille und ich uns bis vor kurzem nicht mal richtig ausstehen konnte, weil sie schließlich meinen Bruder entführt hatte und das meine ich im wörtlichen sowie im metapherlichen Sinne. Hallo, sie hat ihn erst bildlich in ihr Eishexenhäuschen geschleppt und dann hat sie im nicht bildlichen Sinne sein Herz herausgerissen. Okay, jetzt habe ich mich selbst verwirrt. Bildlich, metapherlich, wörtlich. Bitte was? Lassen wir das besser. „Was wollen wir machen?", will die Schneekönigin ein wenig genervt wissen.
„Pantomime spielen", schlägt Tante Anna vor und ich hätte wissen müssen, dass diese Idee von ihr kommen würde. Sie liebt das Spiel und zusammen mit ihrer Schwester in einem Team ist sie unschlagbar. „Wir teilen uns in zwei Teams auf." Thala kommt wie auf Kommando zu mir, obwohl ich sie gar nicht gerufen habe. Ich streiche ihr über ihren Kopf. Anscheinend sind wir zwei schonmal ein Team. Wer will noch mit mir, der Braut, in einem Team spielen? Pantomime ist nicht unbedingt meine Stärke, aber auch keine meiner Schwächen. Lennja löst sich aus den Armen ihrer Mutter und klammert sich an mein Bein, während Thala meine Hand hält. Natürlich finde ich die zwei superirresüß, da ich mich aber daran gewöhnt habe, spreche ich es nicht immer an. Das wollte ich anbei nochmal gesagt haben. Da steht mit einem Zwusch plötzlich Snefnug vor mir und gerät ins Wanken. „Sne, was machst du denn hier?" Selbstverständlich wird Sarijana hellhörig, denn schließlich sollte Sne doch bei ihrem Schatzi Ilias sein und mit ihm gemeinsam zocken. Beinahe unauffällig, denn an meinen normalerweise wachen Augen kommt sie nicht vorbei, tippelt sie näher zu uns, um mitzubekommen, was Sne zu sagen hat.
„Dürfen wir mitspielen?"
„Ja, warum nicht?" Die paar Regeln, die ich heute gebrochen habe... da kommt es doch auf die ein oder andere noch folgende nicht drauf an. Außerdem haben die beiden Jungs dann auch mal etwas anderes zutun, als zu zocken. Allmählich wird die Weihnachtswelt nämlich immer moderner und technisch begabter. Fast jeder hier hat mittlerweile dank Jules und seinen fleißigen Wichteln einen eigenen Fernseher und ohnehin würde Ju für sein Patenkind und seinen Adoptivneffen alles besorgen. Sei es eine niegelnagelneue Konsole, das meist gekaufte Ballerspiel und so weiter und so fort... „Warum seid ihr denn nicht mit pappa mit?" Ich kann's mir schon fast denken... Väterchen Frost ist noch strenger als seine Frau, besonders wenn es um Traditionen geht. Wie auch bei dem Reinigungsritual der Braut dürfen nur verheiratete Männer den Bräutigam zu jenem Ritual begleiten. Frau Holle war wirklich gut zu mir, dass sie den Mädels genehmigt hat mitzukommen. „Wir durften nicht."
„Oh und wo ist Ilias?", meint Sari ganz unauffällig und mit den Augen klimpernd. Schmunzelnd wiege ich den Kopf. „Was?", sie stemmt die Arme in die Hüften. „Nichts, nichts."
„Der ist kurz auf die Toilette, um na ja sein Geschäft zu verrichten." Ich vermute schon, dass das perfekte Prinzesschen alias Sarijana den Mund verzieht, doch anscheinend hat sie das nicht einmal mitbekommen. Glück für Ilias, dass er niemanden aus seiner Fangemeinde verloren hat. Ja, Fangemeinde. Was das ganze Eifersuchtszeug von Sari vielleicht ein bisschen verständlich macht. Um Ilias steht immer mindestens eine Handvoll Frauen und er genießt es nicht unbedingt, aber er scheint den Mädels ebenso wenig abgeneigt.
„Dann teleportier dich mal nach Hause und hol ihn, sobald er fertig ist hierher. Ihr seid herzlichst eingeladen, noch zwei lustige Stunden mit uns zu verbringen. Unter einer Bedingung, eure Spielekonsole bleibt zuhause und her seid lieb zu den Mädchen", mache ich meinem Stiefsohn klar, dass er sich benehmen soll. Ich weiß, dass er ein lieber Kerl ist, das heißt aber nicht, dass er nicht genauso gut auch frech werden kann.
„Also Ilias wird zu einem Mädchen ganz sicher lieb sein..."
„...und ein Mädchen wird ihm sicherlich auch die ganze Zeit zu Füßen liegen....", ergänzt Thala und schlägt bei Snefnug siegessicher ein, als plötzlich besagter Junge direkt neben besagtem Mädchen auftaucht. Wie aus dem Nichts. Holla die Waldfee. Daran werde ich mich wohl nimmer gewöhnen. Besagter Junge starrt Sne grimmig an und zieht im die Löffel lang. Tante Mille springt hastig ein. „Jungs, lasst es sein", drohend hebt sie ihren Finger und im nächsten Augenblick schießt ein Eispfeil, wenn auch ein kleiner, dennoch spitz genug, um jemanden zu erdolchen, daraus hervor. Manchmal nimmt die Schneehexe ihre Rolle viel zu ernst. Das sind Jungs. Die müssen sich streiten und ja, sie müssen auch ursprünglich geheime Dinge ausplaudern. Schonmal gut finde ich, dass Ilias anscheinend ebenfalls in mein Patenkind verliebt ist. Aber das weiß irgendwie jeder in diesem Raum. Außer die beiden natürlich.
Später um diese Zeit hatten wir eine Menge Zeit mit Pantomime spielen verbracht, obwohl die Teameinteilung nicht gerade einfach war. Fast jeder wollte an diesem Tag vor meinem besonderen Tag mit mir zusammen spielen, besonders die Kids, da jedoch Calix zum Beispiel ebenfalls in mein Team wollte, mussten wir Kompromisse eingehen. Sarijana wurde von ihrer Schwester in das andere Team geschickt und sobald sie eingeschnappt die Arme vor der Brust verschränkte, entschied sich Ilias ebenso für ihr Team. Außerdem habe ich noch etwas sehr Interessantes erfahren, was vor meiner Verlobung mit meinem Wintergott passiert ist. Er hat, bevor er in einem Rosenbeet vor mir auf die Knie gegangen ist und gemeinsam mit Snefnug - ja, sein Sohn hatte tatkräftig mitgeholfen - um meine Hand angehalten hat, wohl bei Mille angefragt, ob sie etwas dagegen hätte, wenn ich Snes Mutter werden würde. Und zu meiner Überraschung hatte sie ihr okay gegeben. Das heißt ja, dass sie mich doch irgendwie auf ihre eigene skurrile Art und Weise mögen muss. Ich meine, wer gibt einer Frau die einmalige Erlaubnis ihr Kind quasi sozusagen zu adoptieren? Ja okay, sie war nie Snes Mutter, wobei ich der Geschichte immer noch nicht ganz folgen kann. Wie kann man nicht mitbekommen, dass einem noch ein zweites Kind entnommen wurde?! Also ja, das klingt allein komisch, wenn ich es nur versuche anzudeuten. Angeblich soll Mille ja nach dem ihre Tochter direkt nach der Geburt gestorben ist, eingeschlafen sein. Frau Häkelchen hat dann in der Nacht das zweite Kind, sprich Snefnug, aus ihr herausgeholt. Wie dem auch sei. Ich checke es nicht. Erstens muss Mille das doch mitbekommen haben oder sie muss so in Trance gewesen sein, dass sie es nicht mitbekommen hat oder zweitens, stand sie unter Narkose oder drittens wollte sie das Kind nicht und darum wurde diese Lügengeschichte aufgetischt. Egal, wie auch immer, was zählt ist, dass ich ihr wichtig bin. Sonst hätte sie ja auch keinen Finger gekrümmt, um einen Junggesellenabschied zu feiern und verdammt, sie hatte gleich mehrere gekrümmt, nein gar verbogen.
Als die ganzen Männer mich dann aus meinen Grübeleien nach dem Gespräch mit Mille rissen, wurde mir sehr schnell bewusst, dass alle Kidies nun besser schlafen gehen sollten... Auch Mille wurde das mit großen Augen bewusst, die sie zuerst einmal von den gut gebauten Männer Körpern lösen musste... Eilig lief sie vor die Männer, wackelte extra nochmal mit ihrem Arsch vor deren Gesichtern herum, dann torkelte sie in den Saal und scheuchte die kleinen Partygäste nach Hause, beziehungsweise in die Betten. Anna, die leicht angetrunken war, lief kichernd zwischen ihren Kindern umher. Am Ende mussten wir alle über die Situation lachen, bis wir kurz bevor die Stripshow losging, feststellten, dass Sarijana neugierig durch die Tür lukte. Ilias hatte sie jedoch erwischt, ihr die Augen zugehalten und sie mitgeschleift. Wer weiß, was zwischen den beiden noch vorgefallen ist... Außer dass er ja scheinbar eifersüchtig auf ihren gaffenden Blick gegenüber den Stripern gewesen sein müsste.
„Gerda, Gerda...", aufgewühlt trabt meine beste Freundin Cal auf mich zu. Ich lege meine Hände auf ihre Schultern, um sie ein Stück weit zu beruhigen. „Calix, Calix... Was ist denn los?"
„Ich...", fängt sie an, doch unterbricht sich sofort selber.
„Ja...?"
„Ach nichts, es hat sich..."
„Erledigt?", helfe ich ihr auf die Sprünge. Meine Güte, alle meine Freunde haben glaube ich zu viel getrunken. Aber bei Calix hat es auch noch einen anderen Grund. Zumindest habe ich das im Gefühl. Als beste Freundin von Calix kann ich das sagen.
„Genau."
„Vergiss es, Cal. Für mich hat es sich nicht erledigt", wie ein zickiges Mädchen, sprich wie die Eishexe alias meiner Schwägerin, stemme ich die Arme in die Hüften.
„Okay okay... Ich... Ich weiß auch nicht, was mich da getrieben hat...", beginnt sie endlich mit der Sprache rauszurücken.
Plötzlich platzt Tascha dazwischen: „Ich hatte Sex mit einem der Striper!!". Zwusch. Wow. Ach du. Wow. Ich reiße die Arme vor den Mund. Das habe ich nicht kommen sehen. Und nein, das heißt nicht, dass ich spießig bin. Vielleicht bin ich es, aber das tut hier nicht zur Sache. Tascha hat einen Freund - Jules. Der Weihnachtsmann mag ein Arsch sein, aber er liebt Tascha über alles. Doch natürlich ist mir nicht entgangen, dass es in letzter Zeit komisch zwischen den beiden war. Oder ist mir das etwa doch entgangen? Oh Mist, ich hatte so viel zu tun wegen der Hochzeit. Kann man sich schwer vorstellen, ich weiß, wo meine schon morgige Schwiegermutter für die Planung anstelle mir hin und her gelaufen ist.
Calix hält ihren zitternden Finger auf die Freundin vom Weihnachtsmann gerichtet. „Du auch?"
„Ich, was? Sag nicht, du hast meinen Fehler gleich gemacht?" Jetzt sehe ich von einer Freundin zur anderen. Auch Tascha ist zu einer Freundin geworden. Und diese Information kurz vor meiner Hochzeit, kurz bevor ich vor dem Altar mit dieser einen
„Nein, also doch... Also nein. Oh Mann. Ich weiß auch nicht. Irgendwie bin ich mit dem einen Typen in der Besenkammer gelandet und wir haben uns geküsst, aber ich schwöre, bevor wir Sex hatten..."
„Halt. Das will ich gar nicht wissen. Ich meine, ich würde gerne wissen, warum ihr das getan habt. Wieso betrügt ihr eure Freunde? Was habe ich verpasst?" Also mir soll es ja im Grunde egal sein. Die beiden sind meine Freundinnen und morgen ist mein großer Tag... Aber ich kläre doch lieber heute diese missliche Lage, als dass sie morgen im großen Drama untergeht. Irgendwie hat meine Familie das Drama drauf. Wenn Weihnachten gefeiert wird, reagieren alle übertrieben, auch wenn es nur um die liebe gehen sollte. Stattdessen wird man mit Geschenken überhäuft, was somit nicht mehr lange etwas Besonderes ist. Und an der Hochzeit kommt es zur Beziehungschaotik zwischen den Trauzeugen. Na fantastisch.
„Lian und ich... Ich glaube momentan nicht mehr daran, dass es noch ewig hält. Kein märchenhaftes Oh-mein-Gott-und-bis-der-Tod-sie-scheidet."
„Wie bei mir und Ju. Ich glaube, er betrügt mich", wirft Natascha ein, wahrscheinlich um davon abzulenken, dass sie meinte, dass sie wirklich Sex mit einem Striper hatte. Ohne ein falsches Bild von ihr geben zu wollen. Sie ist toll, aber möglicherweise ein bisschen eigenartig, was jedoch an Jules liegen könnte. „Und obendrein habe ich erfahren, dass ich besser keine Kinder mit ihm haben möchte."
Ah ja, komplett anderes Thema, aber Hut ab, dass sie darüber bereits nachdenkt. „Warum nicht?"
„Weil sofern ich ein Mädchen bekommen sollte, muss es sterben. Ein Mädchen als Erstgeborene darf es nicht geben und den Regeln nach muss es umgebracht werden..." Wie bitte was? Das zerrüttelt das Bild eines gutmütigen Weihnachtsmannes für mich total. Wie? Ich meine, wie kann man sowas verlangen? Das würde Jules doch nicht machen, oder? Andererseits ist es Jules, der zwar auf Rebell macht, aber eigentlich den Regeln gehorcht. Oha. Er würde seine Erstgeborene umbringen. Oder umbringen lassen? Okay, das hätte man mir nicht vor meinem morgigen Tag erzählen dürfen. Ist das bei der Winterfamilie das gleiche Prinzip? Oder sind es dort die Söhne? „Stopp Mal kurz, um das festzuhalten. Du, Cal, hast mit einem Striper geknutscht, um deinen Lian eifersüchtig zu machen. Und du, Tascha, hattest quasi kalte Füße vor einer gemeinsamen Zukunft mit deinem Santa Clause und bist deswegen mit einem Striper in die Kiste gestiegen, korrekt?" Die beiden sehen sich an und dann mich. Tatsächlich habe ich das ziemlich perfekt zusammen gefasst. Finde ich. Tascha und Calix müssen lachen, bis sich auf einmal Jules räuspert. „Du hast was?"
Aus Taschas Gesicht weicht alle Farbe und wäre sie nicht zu konzertiert darauf, würde sie noch vermutlich böse ansehen, sodass ich mich in Grund und Boden schämen musste. Dabei kann ich nichts dafür, dass meine Freundinnen das getan haben, ich kann sie schließlich nur unterstützen und dass Santa dann hinter uns stehen würde, konnte ich ebenfalls nicht wissen. „Jules, es ist nicht so wie du denkst... Jules, bitte..."
„Es ist nicht so wie du denkst? Ach bitte, Tasch. Aus dem Alter sind wir längst raus."
Seid ihr das? Bist du das? Ups sorry. „Sind wir das wirklich, Ju?"
„Ich dachte es und weißt du, was ich auch dachte, dass du Alles für mich bist. ALLES. Verdammt sei der Wichtel! Ich wollte dich heiraten. Heiraten, Tasch. Heiraten."
„Du wolltest was?", höre ich sie leise fragen. So aufgebracht hat wohl noch keiner den jungen Santa erlebt.
„Dich heiraten. Ohne Scheiß. Mit allem drum und dran. Nur du und ich. Ich und du. Vielleicht mit einem eigenen Wintertierchen, das durch unsere Wohnung flitzt und mit dem du schmusen kannst, wenn du Mal keinen Bock auf mich hast. Aber das hat sich wohl erledigt."
„Nein, hat es nicht.
Jules. Ich liebe dich."
„Das haben wir ja eben gesehen", am liebsten wäre ich auf ihn zu und hätte ihm eine geschallert, aber in dem Punkt hatte meine Freundin diese Standpauke absolut verdient. Ausnahmsweise und das überrascht mich selbst hatte sie es vermasselt und nicht wie sonst er.
„Ich liebe dich und ich bereue meinen Fehler. Denkst du echt, ich bin stolz darauf? Bin ich wie ein schwanzgesteuertes Schwein zu dir hin und habe gesagt, ich habe Finn flachgelegt? Nein. Weil ich dich liebe und ich weiß es war so dumm von mir und ich weiß nicht, was ich noch sagen soll, weil ich weiß, du würdest mir nicht verzeihen... Und ich könnte es verstehen. Aber ich dachte, du betrügst mich. Ich weiß auch nicht, was da mit mir durch gegangen ist. Bitte, Jules."
„Willst du mich denn heiraten?", möchte Ju wissen. Also diese Frage erübrigt sich wohl. Natürlich will Natascha, aber sie ist sich ebenso darüber bewusst, was sie so eben verbockt hat.
„Ja", und sie antwortet ohne einen Hauch einer Lüge. Pure Ehrlichkeit.
„Dann halte nach dem Trauzeugen des Prinzen Ausschau oder dem der das glückliche Paar traut. Ich stehe entweder am Altar oder auf der Tanzfläche und um vorweg zu nehmen, ich werde fantastisch aussehen. Wie immer. Sag's dem Bräutigam nicht, aber ich werde hammermäßiger als er aussehen und selbst seine Braut wird mir hinterher gaffen."
„Wer's glaubt, wird seelig", spricht mein Verlobter es aus. Ich habe gewusst, dass er bis eben hinter Jules im Türrahmen gestanden und von da aus die Szenerie beobachtet hatte, doch ich konnte nicht daran denken, ohne dass es mich an den morgigen Tag erinnert hätte. Wäre sonst wieder Mal vor Aufregung geplatzt. Er grinst mich über den Kopf seines besten Freundes hinweg an. Die Grübchen, die er irgendwie an seinen Sohn weitergegeben haben muss, blitzen hervor. Sein weißes Haar ist verschwitzt - und klebt da etwa Blut an seinem Shirt?! Was ist bei seinem Ritual denn bitte passiert? Er musste aber nicht durch Blut schwimmen, oder? Mit seinen Lippen sagt er „Erkläre ich dir später." und deutet zu Jules. Oh stimmt, sein wachsamer bester Freund, der heute extra kein Alkohol getrunken hat. Vielleicht weil er befürchtete, dass dasselbe wie bei Tascha und Cal passieren würde oder er wollte aber für seinen Heiratsantrag-Auftritt gefasst sein. Calix nimmt mich von hinten in den Arm und murmelt „Ich kümmere mich dann Mal um Lian..."
„Viel Glück."
„Ha, ja danke. Also auf einen Antrag hoffe ich nicht mehr."

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