Kapitel 33

Ein wohliges Gefühl erfasst mich, als das heiße Wasser auf mich herab prasselt. In Gedanken summe ich ein Lied, während ich mich einseife. Ich spüle meine Haare aus, genieße noch einen Moment das Wasser, dann steige ich aus der Wanne. Als ich an den magischen Moment zwischen Jack und mir eben zurückdenke, krabbelt es überall in und an mir. Es gab in jenem Moment nur uns beide, nur ihn und mich. Nicht Kay und nicht meine Freundinnen, nicht meine Familie. Nur uns. Wir haben uns angesehen und es war mir, als wären wir auf einem anderen Planet. Einem Planeten, auf dem es nur Schnee gibt und wir zueinander finden, um uns zu wärmen. Aber wahrscheinlich ist dieser Gedanke vollkommen verrückt, denn vermutlich braucht er nicht einmal meine Wärme. Er ist sowas wie ein Wintergott. Wärme braucht er sicherlich nicht. Oder...? Vielleicht braucht er gerade deswegen Wärme. Wärme kann schließlich auch durch Worte übertragen werden.
Ich föhne mir die Haare, als ich mich auf einmal ganz komisch fühle. Das Kribbeln und Krabbeln wegen Jack ist verpufft, stattdessen machen sich erneute Schmerzen in mir breit. Ich krampfe, meine Hand mache ich zur Faust. Ich werde nicht vor Schmerzen aufschreien. Ich... AH, SCHEIßE... Wie...? Was zur Hölle? Okay, tschuldigung, nicht Hölle. Eine Hölle gibt es nicht. Aber was ist das zum Himmel? Sterbe ich? Mit wackligen Beinen wackle ich zur Toilette. Ich setze mich auf den Klodeckel. Bei meinem Schwächeanfall muss mir der Föhn wohl aus den Händen gerutscht sein. Ich stütze mich auf dem Klo ab und versuche meine Knochen zu bewegen. Öffne die Hand und balle sie zur Faust. Alles tut weh. Für einen Moment wird mir schwarz vor Augen. Jemand klopft in dem Moment an die Tür. „Gerda? Gerda! Alles gut bei dir?"
„Jaa", versuche ich meine Unsicherheit zu überspielen. Es ist Anna. Wenn sie erfährt, was gerade passiert ist, darf ich bestimmt nicht mehr das Date in die tat umsetzen.
„Wirklich? Rede mit mir, Liebes."
„Mir geht's echt gut, Tante Anna", krächze ich. „Ich habe mich nur über die Zahnbürste aufgeregt und sie auf den Boden geworfen." Okay, schlechteste Lüge überhaupt, aber egal. Da Anna mich nicht kennt, belässt sie es dabei. „Bist du denn aufgeregt?"
Sie weiß also auch davon. Hm. Wie lange weiß sie schon davon? Und wer weiß noch über das Date Bescheid? „Nein."
„Du bist eine grauenvolle Lügnerin", kommentiert sie von der anderen Seite der Tür her. Ich kann es fast vor mir sehen, wie sie die Arme vor der Brust verschränkt und mich mahnend ansieht.
„Ja, ich bin viel zu aufgeregt", sage ich hibbelig, weil mich das Gespräch dann doch sehr aufwirbelt. Jaha, ich freue mich wirklich auf dieses Date. Ich meine, mein uns schießt bei diesem Gedanken jedes Mal noch höher in die Höhe.
„Dann mach dich fertig und hab viel Spaß. Ich gehe erstmal nach Hause. Brauchst du noch etwas?"
Ich strecke den Kopf zur Tür hinaus. Dabei habe ich sie wohl etwas erschrocken. Tja, Leute zu erschrecken liegt mir einfach im Blut. Wissend grinse ich sie an. „Einen Abschiedskuss." Sie umarmt mich lächelnd und küsst meine Stirn. Als sie sagt „Lass dich lieber von deinem Freund küssen", streicht sie mir noch mit den Augenbrauen zuckend über den Arm. „Meld dich morgen bei mir, okay?"
„Mach ich. Bis morgen, Tantchen."
„Hab dich lieb und halt den Jungen gut fest. Ich mag ihn. Wir planen insgeheim schon eure Hochzeit." Am liebsten würde ich ihr ein Kissen hinterher werfen, stattdessen muss eine leere Duschgelpackung reichen. Lachend hebt sie diese auf und nimmt sie winkend mit.
Meine Haare sind in der Zeit so gut wie getrocknet, daher überlege ich mir eine Frisur. Ein paar Haare flechte ich zu einer hübschen Frisur, den Rest lasse ich über meine Brust fallen. Das war jetzt nicht meine logischste Idee, eine Frisur vor dem Anziehen zu machen, aber das passt schon. Ich putze mir die Zähne, spucke die Zahnpasta aus und lächel mich im Spiegel an. Akzeptabel. Im Schlafzimmer krame ich ein paar Sekunden im Schrank um und entscheide mich für ein schwarz-weißes Pünktchenkleid mit Herzchenluftballons. Dieses Kleid ist mein absolutes Lieblingskleid. Im Normalfall trage ich Latzhosen, weil das irgendwie der Witz zwischen Kay und mir war, ich früher auch kaum Geld für teuere Kleider hatte und daher Kays alte Sachen bekommen habe. Aber wenn ich ein Kleid trage, dann auf Bällen oder eben dieses bestimmte Kleid, was mich an meine Mutter erinnert. Im Spiegel überprüfe ich nochmal meine Frisur, dann klopft es mal wieder an der Tür. „Kann ich reinkommen?", fragt Jack.
„Ja." Mit einem strahlenden Lächeln schiebt er einen Tablettwagen ins Zimmer. „Schonmal Abendessen am Bett gehabt?"
Eigentlich ja, weil die Dienstboten das immer übernehmen, mir mein Essen zu bringen, ehe ich es in den Speisesaal schaffe, aber ich könnte auch lügen... „Tatsächlich schon, ja. Tut mir leid. Aber ein Date ist mir neu."
„Hattest du noch nie ein Date?"
Ich schüttel den Kopf und er erwidert: „Dann liegen die Erwartungen wohl ziemlich hoch. Na, hoffentlich übertreffe ich deine Erwartungen." Meine Beine fangen wieder an zu wackeln. Und es liegt nicht daran, dass meine Beine wie Wackelpudding in seiner Nähe sind, sondern eher an dem im Bettliegen oder so. Jack lässt den Wagen los und stützt mich bis zum Bett. „Wie oft werde ich dich noch retten müssen?"
„Anscheinend oft."
„Damit habe ich kein Problem. Sollen wir das Date trotzdem lieber verschieben?"
„Nein, auf gar keinen Fall." Jetzt habe ich mich extra rausgeputzt, obwohl ich mir sicher bin, dass es immer noch hübschere Mädchen gibt, als eine wie mich, die eben erst aus dem Komaschlaf erwacht ist. Er setzt sich neben mich und streicht eine meiner Haarsträhnen zur Seite. „Bist du bereit, aus den Socken gehauen zu werden?"
„Ich denke", lache ich. Er steht auf und schwenkt seinen Stab, der wie aus dem Nichts erschienen ist, wodurch ein Tisch ganz aus Eis neben meinem Bett erscheint. Mir fallen die Augen aus dem Kopf. Wie cool. Das kann doch nur das beste Date aller Zeiten werden. Magie - ich meine, wer möchte kein magisches Date haben? Und dann ist es auch noch mein erstes Date. Jack holt die Sachen vom Tablettwagen, den ich erst jetzt genauer in Augenschein nehme. Der Duft des Essens fliegt mir um die Nase, sodass ich sofort weiß, dass es sich um Pariserbøf handeln muss. Mein Lieblingsessen. „Mein Lieblingsessen", spreche ich meine Gedanken aus. Überrascht sieht er mich an. „Das hast du nur durch den Geruch erraten können? Mann, bist du gut."
„Ist es wirklich Pariserbøf?", freue ich mich über diesen Erfolg, mein Lieblingsessen erraten zu haben. „Rieche ich da Wienerbrød?" Ich strecke meine Nase in die Höhe, um besser schnuppern zu können. „Oder Croissants? Nein, das ist ein Kaffeekranz, richtig?"
„Ähm, deine erste Überlegung war richtig. Du hast mir gesagt, du magst alles, aber Anna hat mir erzählt, dass du Wienerbrød als süßes Essen und Pariserbøf als herzhaftes Essen sehr gerne isst."
„Hast du das selbst gemacht?" Um sicherzugehen, sauge ich noch einmal den süßlichen Duft ein.
„Natürlich. Aber jetzt muss ich dir die Augen verbinden, damit du dich wenigstens ein bisschen überraschen kannst und nicht vorher alles mit der Nase erschnupperst", nach einem Nicken meinerseits, legt er ein Tuch über meine Augen. Danach kann ich nur noch hören, wie er etwas von Ort zu Ort räumt, sowie mein Herzklopfen, bis er mir die Augenbinde wieder abnimmt.
In meinem Zimmer, auf meinem Bett, auf dem Boden sind überall Rosenblätter verteilt - zu bemerken, es sind Schneerosen mit normalen roten Rosen vermischt. Schneeweißchen und Rosenrot - es ist wunderschön und ich bin beinahe zu Tränen gerührt. Okay, okay, nicht nur beinahe. Ich bin sowas von zu Tränen gerührt. Unauffällig will ich mir die Tränen aus den Augen reiben, aber er kommt mir zuvor, indem er sieht, wie ich anfange zu weinen und er etwas nervös an seinen Fingern spielt.
„Ich... Gefällt es dir nicht?" Der Jack Frost, der in den Briefen so selbstsicher und geheimnisvoll rüberkam, ist verschwunden und ich frage mich, ob das meine Schuld ist.
„Doch, du glaubst gar nicht, wie sehr es mir gefällt. Ich bin sprachlos. Nur die Rosenblätter erinnern mich an meine Familie. Mein Märchen oder das Märchen meiner Eltern..."
„Oh..."
„Aber das ist kein Problem. Ich bin dir dankbar für diese magische Erinnerung." Erst jetzt entdecke ich eine Eisskulptur in der Ecke meines Zimmers, die da vorher eindeutig nicht stand. Die Skulptur ist ein Abbild meines Lieblingsserienscharakters Titus und darüber muss ich schmunzeln. „Warst du das auch?"
„Ja", meint er, als er sich auf die Bettkante setzt. Er streckt seine Hand nach meinem Gesicht aus und fängt eine meiner Freudentränen auf, zu guter Letzt streift er meine Haarsträhne zur Seite. Diese eine unbändige Haarsträhne, die immer aus der Reihe fällt. Genau wie ich. In meinem Bauch kribbelt es ganz leicht, ich werde rot und schaue zur Seite. Dabei fällt mir diese widerspenstige Strähne wieder ins Gesicht und ich puste sie weg.
„Wollen wir essen? Ich muss nämlich dringend beurteilen, ob du bei meinem quasi Lieblingsessen alles richtig gemacht hast", eindringlich mustere ich ihn. Hat er das wirklich alles selber gemacht? Die Eisskulptur, okay ja, die muss er gemacht haben. Es könnte theoretisch auch Mille gewesen sein, aber da vermute ich nun wirklich, dass sie von ihm erschaffen wurde. Das Essen? Hm, ich weiß es nicht. Bei den Rosen habe ich auch keinen Plan.
„Darf ich etwas anmerken?"
„Ja bitte, gerne." Innerlich freue ich mich. Jetzt lüftet er das Geheimnis von selbst.
„Ich wollte deine Lieblingsspeise nicht beleidigen, darum habe ich die Köchin im Hause und deine Tante um Hilfe gefragt, doch im Großen und Ganzen habe ich selbst gekocht." Aha!! Wusste ich es doch! Okay, er hat es selbst gemacht. Dass er nach Hilfe gefragt hat, ist schon irgendwie süß, weil er mir schließlich eine Freude machen und mich nicht vergiften wollte.
„So richtig mit Kochschürze?"
„Jepp."
„Wirklich? Ich hoffe davon hast du ein Bild gemacht", ich muss kichern. Gespielt grimmig sieht er mich an. „Nein, habe ich nicht, aber ich kann stolz behaupten, dass du was verpasst hast. Ich muss unglaublich sexy in der Schürze ausgesehen haben. Die Köchin fährt nun voll auf mich ab." Ich pruste, kann mir ein Lachen nur schwer verkneifen, doch sobald er auch anfängt zu lachen, lösen sich bei mir alle Dämme und wir lachen um die Wette. In dem Versuch, mich wieder zu beruhigen, sage ich etwas, was ich im Nachhinein bestimmt bereue würde: „Koch das nächste Mal doch einfach für mich in der Schürze, wenn ich wach bin."
„Nur in Schürze?" Waaaaassss...? Habe ich mich gerade verhört? Versuch mit dem Lachen aufzuhören gescheitert. „Okay. Essen?"
„Essen", bestätige ich nach Luft schnappend.
„Im Bett?", fragt er. Essen im Bett? Klingt verlockend. Und ich muss mich dafür nur hinsetzen und mich nicht noch etwa auf einen Stuhl quälen. Ich nicke und richte mich mit seiner Hilfe auf. Jack setzt sich auf einen Stuhl mir gegenüber und greift nach dem Besteck. Erst jetzt fällt mir der Tisch neben meinem Tisch auf, auf dem sich bereits das Essen befindet. Und natürlich das Besteck sowie Teller. Die Rosendeko geht auf dem Tisch weiter, genau wie die Kerzen, die mein Zimmer beleuchten. Auf dem Teller ist eine Serviette in Form eines Herzens geformt. Ein kleines Lächeln stiehlt sich auf meine Lippen. Jack sieht mir lange in die Augen, sodass mein Herz unaufhörlich pocht. Dann richtet er seinen Blick an irgendeine Stelle in meinem Raum. „Was ist los?"
„Nichts... Ich weiß auch nicht. Ich fühle mich schlecht."
„Warum?" Um ihm zu zeigen, dass er sich nicht schlecht fühlen muss, nehme ich das Besteck in die Hand und schneide ein Stück von meinem heiß und innig geliebten Pariserbøf ab. Es ist eigentlich einfach: ein französisches Weißbrot unter einem deftigen Steak mit Gemüse dazu und auch einem rohen Eigelb.
„Weil das alles meine Schuld ist. Ich habe den Schneesturm ausgelöst. Ich habe dich in Gefahr gebracht. Ich... es ist meine Schuld. Dass du jetzt zeit mit mir verbringen musst..."
Ich unterbreche seinen Redeschwall fast sofort. „Hör auf. Ich verbringe gerne Zeit mit dir, würde ich es nämlich nicht wollen, hätte ich nicht zugesagt."
„Aber...", will er einwerfen.
„Nichts aber. Mir geht es gut. Mehr als gut. Und obwohl du mich vielleicht dieses eine Mal in Gefahr gebracht haben magst, was ich zwar nicht verstehe, weil das war definitiv und absolut meine eigene Doofheit, hast du mich auch jedes Mal gerettet. Hätten wir uns nicht kennengelernt, wäre all das glaube ich nicht so glimpflich für mich ausgefallen. Was ist mit dem Neffen von Hans? Er hätte sonst was mit mir gemacht, wärst du nicht da gewesen."
„Und was ist mit deinem Patenkind?"
„Was soll mit Lennja sein? Ihr geht es gut. Es sollte so passieren, wie es passiert ist. Wär der Schneesturm nicht, wäre bestimmt vieles anders gewesen, aber Lennja wäre anderweitig erkrankt. Also. DU BIST NICHT SCHULD."
„Meinst du?", hinterfragt er sich selbst immernoch. Ich brumme zustimmend und nehme einen Bissen. „Mh-mh", schnurre ich, weil es verdummt lecker schmeckt. Nach dem Bissen muss ich jedoch meine Aufmerksamkeit zurück auf den Mann vor mir lenken.
„Ja, meine ich", sage ich schmatzend. Peinlich berührt halte ich mir die Hand vor den Mund. Daraufhin grinst er und nimmt auch eine Gabel in die Hand, um seine Kreation zu probieren. Er nickt beim ersten Bissen, so als müsse er noch überlegen, ob es ihm auch schmeckt. Zum Runterspülen nimmt der Wintergott mir gegenüber einen Schluck Akvavit. „Mh, ich wollte dir nun endlich mein Geheimnis verraten. Oder wie man es eben nennen mag... der Grund für die Auslösung des Schneesturms..."
Gespannt lege ich das Besteck zur Seite, kaue aber weiter auf dem Steak herum, das ich mir gerade eben erst in den Mund geschoben habe. „Der wäre...?"
„Ich war ja auf der Suche..."
„Das sagtest du bereits. Du warst ebenfalls auf der Suche nach jemanden, als du mich das erste Mal getroffen hast und ich geschlafwandelt bin."
„Oh stimmt. Ja, ich habe nach meiner Schwester gesucht. Mille", eröffnet er mir und in dem Moment fallen mir die Augen aus dem kopf. Ganz im ernst. Mille??? Die Mille, die meinen Bruder fickt? Sorry für die Ausdrucksweise, aber das musste jetzt einfach raus. Schneekönigin Mille? Ach du heilige... ihr könnt euch denken, was ich meine. Mille, Mille, Mille...?
„Du und sie...? Ihr seid verwandt? Aber, aber wie?" Ich versuche weiterhin das Chaos in meinem Kopf zu sortieren, Puzzleteile aneinander zu reihen, aber es nützt nichts. Ich... Hä? Ich verstehe die Welt gerade nicht mehr. Wie können er und Mille verwandt sein? Er ist so gut zu mir und Mille ist so... so Mille eben. Was soll ich davon halten? Was soll ich sagen? Andererseits kenne ich Jack auch nicht richtig, aber mein Herz sagt mir irgendwie, dass ich ihn kenne, dass ich ihm vertrauen kann. Aber was ist, wenn die beiden einen Plan verfolgen, um auch noch mich und meinen Bruder zu vernichten? Na schön, ja, jetzt geht meine Fantasie mit mir durch. Aber es wäre doch möglich, oder? Ich meine, machen das nicht alle guten Mörder? Sich mit den Opfern gut stellen, um sie dann hinterrücks zu ermorden?
„Ich sehe schon, wie dein Gehirn arbeitet. Als würde eine Rauchwolke über dir schweben." Puff und alle gruseligen Gedanken sind beim Klang seiner Stimme verpufft. Ich versuche darüber zu lachen, kann es beim besten Willen aber einfach nicht. „Sagen wir so... okay, nein. Wo fange ich am besten an? Am Anfang. Ich fang ganz von vorn an. Mille und ich... Na gut, nicht direkt von vorn. Wir haben uns super verstanden. Wir, das waren Mille, Fjella, Jules und ich, sind kaum bei unseren eigenen Eltern aufgewachsen. Milles und meine Eltern arbeiteten teilweise für die Eltern der anderen beiden und so wurden wir dauerhaft bei Imm Häkelchen abgegeben. Sie war für uns das, was einer Mutter am nächsten kam. Sie hat uns behütet, aufgezogen und zu dem gemacht, was wir heute sind. Sie war auch die einzige, die von den Erwachsenen wusste, dass Mille sich heimlich mit Cem DeVil traf und letzten Endes auch schwanger von ihm wurde. Immy war die gesamte Schwangerschaft über für meine Schwester da. Und dann eines Nacht gebar Mille ihre Tochter Snegurotschka, doch nach einigen Augenblicken starb das Kind. Dass Mille jedoch schwanger mit zwei Kindern war und Immy das zweite Kind, das überlebt hatte, durch Magie mitten in der Nacht herausholte, wusste meine Schwester nicht und am nächsten Morgen war sie weg. Voller sorge brachen wir alle auf, um sie zu finden. Ich suchte noch Jahre später nach ihr, musste aber auch den Verpflichtungen als Vater nachkommen, denn ich hatte ihr zweites Kind, meinen Snefnug, adoptiert. Ja, Snefnug war das Kind, was ich im Brief genannt hatte und ich hatte beschrieben, dass ich es für meine besten, verstorbenen Freunde getan hatte. Es war nicht mal richtig eine Lüge, die ich dir aufgetischt hatte. Mille war nicht nur meine Schwester, sie war meine Freundin und Cem war es auch. Und aus diesem Grund bin ich hier gelandet, habe den Schneesturm ausgelöst. Ich hatte gehofft, sie hier zu finden, denn ich hatte von der Schneekönigin gehört."
„Hey, ist gut. Ich bin dir der Quasi-Lüge nicht ansatzweise böse. Du hast dich mir anvertraut in den Briefen und das ja... wie soll ich sagen. Aber da heißt nicht, dass ich mich schon an den Gedanken gewöhnt habe, dass du und sie verwandt seid..."
Jack lacht. ER lacht. Jetzt, wo er sich mir anvertraut hat. Und es ist zu meiner Überraschung so ein ehrliches Lachen, das ich nicht anders kann, als mit einzusteigen. So lachen wir beide und es löst wieder dieses Kribbeln in mir aus. Ist er es, den ich mir gewünscht habe? Fühlt es sich genau so an? War es das Gleiche bei meinen Eltern? Dasselbe Gefühl, als sie sich kennenlernten? Denn wenn nicht, dann möchte ich doch nicht die gleiche Liebe wie bei meinen Eltern, denn dieses Kribbeln in meiner Magengegend reicht mir vollkommen.
„Lass mich raten; daran wirst du dich nie gewöhnen, oder?"
„Stimmt genau", gebe ich lachend zu.
„Du hast ein schönes Lachen." Verlegen schneide ich mir ein Stück vom Steak ab. Er folgt meinem Beispiel. Ich lasse meinen Blick durch mein Zimmer schweifen, das nun ganz anders aussieht. Mein Blick bleibt an der Titus-Kuschelpuppe, die hinter meinem Kopfkissen versteckt hervor lugt, hängen. Mads hat sie mir zu meinem Geburtstag geschenkt. In einer Nachttischschublade liegt auch noch eine kleine Puppe, der man die Haare flechten kann, die jedoch so wertvoll ist, dass ich sie lieber in der Schublade lasse. Sie war ein Geschenk meiner Mutter, damit ich lernen würde, mir eigene Frisuren zu flechten. Meine Mutter hatte sie selbst genäht und als ich mich auf den Weg gemacht hatte, Kay zu suchen, habe ich sie als eine Art Schutzengel mitgenommen. „Hast du noch Kuscheltiere im Bett? Sei ehrlich." Ich bin dummerweise so ein Mensch, der erst alles rauslässt, bevor er darüber nachdenken kann, ob es nicht doch peinlich wäre und genau wie sonst auch kann ich die Frage leider nicht mehr zurück in meinen Mund stopfen und sie mit einer Wand darin festhalten.
„Nein, nicht im Bett, aber in einem Karton. Wir wären dann aber wieder bei diesem Thema. Ich habe nämlich einen Schneeleoparden, weil meine Schwester sich so sehr einen gewünscht hatte und meine Eltern wohl dachten, ich würde mir auch einen wünschen. Und da sie uns kein echtes, lebendes Haustier anschaffen wollten, bekamen wir jeder ein Kuscheltier. Mille war das beliebtere Kind und sie bekam einen richtig großen Kuschelschneeleoparden, den sie Lillemor taufte. Meiner war um einiges kleiner, doch er bekam den Namen Snorre."
„Der Schnelle", stelle ich die Bedeutung des Namens Snorre fest.
„Exakt. Snorre der Schnelle."
„Und Lillemor heißt auch ihr echter Leopard, wusstest du das?" Lillemor, dieses zickige Vieh. Oh ups, das habe ich nicht gesagt. Kann Jack meine Gedanken lesen? Hoffentlich nicht.
„Ja, das ist mir bekannt."
„Hast du schon mit ihr gesprochen?", möchte ich wissen, denn obwohl die zwei nicht wie Geschwister auf mich wirken, ist er doch aus genau diesem Grund erst hierher gekommen.
„Nein... ja doch, habe ich, aber es ist nicht so gelaufen, wie ich es gerne hätte. Sie glaubt, dass ich eine Fälschung ihres Bruders bin und sie lässt mich nur hier verweilen, wenn ich sie nicht auf ihren Bruder, also mich anspreche."
„Warte was? Und dann sprichst du wegen mir nicht mit ihr darüber?"
„Ja, ich bin halt sehr gerne hier bei dir. Und selbst wenn, würde es nichts ändern. Sie glaubt es ja eh nicht."
„Wir, du müssen mit ihr sprechen. Auf der Stelle. Jetzt, wo ich wach bin, kann sie dich nicht rauswerfen."
„Doch, sie ist die Königin", stellt er geistesgegenwärtig in den Raum und er hat recht. Sie ist die Königin, aber das heißt nicht, dass sie das Recht dazu hat, meinen besuch vor die Tür zu setzen. So.
„Und? Dann gehen wir einfach zu meiner Tante, die nimmt uns bestimmt mit Freuden auf."
„Ich spreche noch mit ihr, keine Sorge, aber solange möchte ich erstmal die Zeit mit dir genießen", er zwinkert mir zu. Ich werde rot und drehe mich weg, damit er es nicht sieht. An Komplimente bin ich nicht gewöhnt. „Aber jetzt möchte ich erstmal wissen, wie du mich retten konntest", lenke ich schleunigst vom Thema ab.
„Eigentlich hätte ich jetzt noch gerne gehört, welche Kuscheltiere du so alle hast, aber meinetwegen. Ich habe auch Sommerverwandschaft und nachdem ich dich aus dem Wasser gezogen habe, habe ich mich auf den Weg zu meinem Onkel gemacht. Mein Sommeronkel ist ein ekliges Schwein, aber er war der einzige, der mir in den Sinn kam, um dich zu retten."
Ich wollte eigentlich ganz ungläubig fragen, warum er sich das für mich angetan hat, wo er seinen Onkel überhaupt nicht zu mögen scheint, doch das verkneife ich mir lieber. Erneutes Rotwerden aus dem Weg gehen und so. Ich spüle die letzten Bissen vom Pariserbøf runter. Gierig landet mein Blick auf der köstlichsten Nachspeise der Welt. Dem Wienerbrød. Uhhh. Mir läuft das Wasser mal wieder im Mund zusammen. Diese Köstlichkeit. Diese verdammt nochmal anbetungswürdige Köstlichkeit. Ich lecke mir die Lippen, als mir auffällt, dass ich mit meinen schmachtenden Blicken fürs Essen nicht alleine bin. In Gedanken  könnte ich mir eine hauen. Wie kann man nur so blöde sein? Vor dem Jungen, den man mag, so wirklich mag, dem Essen verliebte Blicke zuwerfen. Oh mein Gott, ich bin ein dermaßen hoffnungsloser Fall, man glaubt es kaum. Der süßliche Plunder-Blätterteig umwabert mich wie eine Blase. Jack kann sich das Schmunzeln nur schwer verkneifen. „Nur zu. Du brauchst nicht warten."
Mit diesen Worte stürze ich mich quasi auf die Süßware. Genau aus dem Grund kann ich gar keine Prinzessin sein. Wenn es mein Leibgericht gibt, bin ich ein Monster ohne jede Art der Tischmanieren.
„Schmeckt es?", fragt mich der Wintergott. Zur Antwort nicke ich. „Oh ja, aber sowas von. Wie hast du das bloß hinbekommen? Ich kann nicht mal kochen."
„Wie du kannst nicht kochen? Was ist mit Nudeln?" Genüsslich gönne ich mir einen weiteren Happen. Hallo-oh, ich lag ein paar Tage nur seelenlos im Bett, da freut man sich über jegliches Essen und selbstredend besonders über das Lieblingsessen. Leicht beschämt, wo er sic doch so viel mühe für mich gegeben hat, schüttel ich den Kopf. „Nudeln? Nein, kein Plan, wie man die macht. Ich hatte leider keine Oma, die mir gezeigt hat, wie man backt, geschweige denn kocht."
„Ich bringe es dir bei." Das war nicht gut, dass er das vorgeschlagen hat. Tagträumerin Gerda am Start. Wie er die Hände um mich legt und mir zeigt, wie man die Schüssel hält. Wie wir uns mit Mehl bekriegen und am Ende Schneemännern gleichkommen. Wie er Teig von meinem Finger leckt... Das muss aufhören. Keine Tagträumereien. Wenn es passiert, passiert es. Ich sollte mir keine Hoffnungen machen, die sich eh nicht erfüllen. Um meinen Kopf auszuschalten, lasse ich hinsichtlich auf etwas anderes konzentrieren. Eine liste von Dingen, die ich nicht kann. „Ich kann genauso wenig Schule. Dafür bin ich zu doof. Ich könnte dir eine ellenlange Liste schreiben, von Dingen, von denen ich keine Ahnung habe, wofür ich ohnehin zu doof bin."
„Weißt du, warum du doof bist?" Wow, Autsch. Die Komplimente waren mir da lieber, als die Bestätigung meiner Selbstkritik. Der Satz klang jetzt auch nicht wie aus meinem Mund. Egal. „Ach Mann, das war nun nur, um dir zu zeigen, dass Komplimente nichts nützen bei dir, da du sie oft selbst nicht glaubst. Du bist nur doof, weil du glaubst, dass du doof bist. Eigentlich bist du nicht doof. Weißt du, nicht jeder muss alles können. Ich kann auch nicht alles. Ja, mag sein, ich kann kochen und backen. Dafür bin ich in anderen Dingen eine ziemliche Niete."
„Das kann ich dir gar nicht glauben, du Alleskönner."
„Soll ich dir Nachhilfe geben?", bietet er scheinheilig an. Um Gottes Willen, nein. Nachhilfe bei ihm - da könnte ich mich never ever konzentrieren!
„Nene, passt schon. Wir wollen das Date ja nicht versauen. Aber lieb von dir."
Nachdem ich ohne weitere Worte drei der fettigen Gebäcke verschlungen habe - und mich Jack Frost nur belustigt beobachtet hat, während er ein Wienerbrød angefangen hat zu essen - fühle ich mich mutig genug, aufzustehen und zu ihm zu gehen. Er macht große Augen, verfolgt meine Bewegungen. Ich sehe einen kleinen Funken Unsicherheit in seinen Augen, als ich ihm einen Kuss auf die Wange drücke. Und diese Berührung von meinen Lippen und seiner Wange fühlt sich so gut an, dass ich auf seine andere Wange ebenfalls ein Küsschen hauche. Ein französisches Bisous, da ist doch nichts dabei. Doch dann muss ich an sein umwerfendes Lächeln denken und die Grübchen. Sein Atem geht flach, sobald ich erst das Grübchen auf der einen und dann das Grübchen auf der anderen Seite küsse. Als meine Lippen auf seinen lande, ist alles vorbei. Mein Herz setzt für einen winzigen Augenblick aus, es hört gar nicht mehr auf zu kribbeln und da erwidert er den Kuss. Jetzt drohe ich wirklich vor Glücksgefühl nach hinten über zu kippen. Jack beendet den Kuss plötzlich und steht auf. Ich verstehe die Welt nicht mehr. Habe ich etwas falsch gemacht? War der Kuss zu schlecht? Er sieht wohl meine Gedanken rasen, denn er greift in meine Kniekehle und hebt mich zurück ins Bett. „Bleib lieber im Bett liegen, meine Schneerose."
„Aye, aye, mein Wintergott", hauche ich. Was wird nun passieren? Wird er mich erneut küssen? Möchte ich das - oh ja und wie. Mein Herz pocht und schlägt und hört gar nicht mehr auf. Der Geruch nach Schnee weht mir in die Nase und ehe ich's mich versehe, liegen seine Lippen auf meinen. Seine kühlen Hände legen sich um meine Taille. Teils unbeholfen lege ich meine Hände schließlich um seinen Nacken, sodass ich ihn noch näher an mich ziehen kann. Dort wo seine Lippen mich berühren, seine Hände meine Haut berühren kribbelt es magisch. Ich nehme seinen Herzschlag ebenso wahr wie meinen. Dann passiert es und ich gewähre seiner Zunge Einlass. Er schmeckt nach meinem Lieblingsessen, obwohl ich mehr davon gegessen habe als er. Und nach Zimt. Einen Hauch Zimt kann ich schmecken. Für einen Moment öffne ich die Augen, doch dann schließe ich sie lieber wieder, um diesen Kuss zu genießen.

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