Kapitel 28 - Jack Frost
Liebster Findus - oder sollte ich sagen Jack?
Manchmal machst du mir Angst, ist dir das bewusst? Ich danke dir, dass du mich immer wieder rettest. Wie oft hast du mich mittlerweile gerettet? Hochgerechnet bestimmt fünf Mal. Oder? Das eine Mal war ich aus dem Fenster gerettet worden und dann das gestern und unbewusst sicherlich noch weitere Male. Wie machst du das? Spürst du, wenn die Menschen in Gefahr sind? Verrate mir doch bitte deinen Geheimtrick, das würde ich nämlich auch gerne können. Und wie funktioniert das jetzt wirklich mit den Briefen? Wie gelangen sie zu dir - durch den Wind oder die Schneeflocken?
Eigentlich kann ich mich ganz gut selber beschützen, aber das gestern... das gestern war mir neu. Hast du eine Ahnung, was Bente mit mir gemacht haben muss? Und wurde er festgenommen? Ich war gestern noch lange Zeit so benommen, dass ich nichts mehr mitbekommen habe. Jack Frost... ja, jetzt macht es auch Sinn, dass du die Hüter des Lichts so gerne magst. Ich hatte mir es so erklärt, dass es neben dem Kriterium, dass es ein guter Film ist, du ihn persönlich auch magst, weil es einen Weihnachtsmann gibt und dein Kumpel doch der Weihnachtsmann ist. Ich komme immer noch nicht darauf klar, dass du mit dem Weihnachtsmann befreundet bist. Ich meine, das ist doch voll cool. Raste nur ich dabei aus? Kann sein. Du bist vermutlich längst daran gewöhnt. Stellst du mich deinem Kumpel mal vor? Denn es kann gut sein, dass ich früher einen Crush auf ihn hatte.
So, wie geht es dir? Magst du reden?
Grüße von einer momentan Psychischgestörten.
Kopfschüttelnd lese ich ihren Brief bis zum Ende. Sie ist nicht psychisch gestört, meines Erachtens nach. Gestern war ich zufällig - vor allem zufällig - in der Nähe. Eigentlich wollte ich mich ihr gestern sowieso vorstellen, indem ich sie zum tanzen auffordere, doch dann kam mir dieser Prinz dazwischen. Also ließ ich die beiden, bis mir mulmig zumute wurde. Ich hatte gespürt, dass etwas passiert sein müsse. Mein Bauch hatte da dieses komische Gefühl. Kennt ihr das? Mit diesem mulmigen Gefühl bin ich ihnen dann gefolgt und dieser Entschluss war vollkommen richtig. Die kleine Schneerose hatte sich mit aller Kraft gegen ihn gewährt, bis sie auf einmal schlapp gemacht hat. Diesen Typen hat es nicht mal interessiert. Er hat weiter gemacht, sie ausgezogen, geküsst. Ich habe gar nicht lange nachgedacht, nach einem Stück Holz oder ähnlichem gesucht, um ihm eine überzubrettern. Es hatte seine Wirkung erzielt, sodass er zu Boden ging. Danach habe ich sie in die Scheune gebracht, wo er jedoch hinterher gekommen war. Wir hatten uns noch ein bisschen geprügelt, bis er aufgab. Ich band ihn an eine Säule aus Holz und setzte mich zu Gerda. Sie sah verängstigt aus. Und ich verstand, dass sie am liebsten nur ganz schnell weg wollte. Vorsichtig, nachdem ich mich vergewissert hatte, dass es halbwegs okay für sie war, beugte ich mich zu ihr vor und küsste ihre Stirn, ihre sanfte Haut. Mit einem zweiten Kuss erzielte es das von mir erwünschte Einsetzen. Allmählich erwachte sie aus ihrer Starre, ein Glück. Gerade wollte ich gehen, als sie mich nach meinem Namen gefragt hatte. Diesmal hatte ich ehrlich geantwortet, wobei Findus keine direkte Lüge war. Es entsprach nur nicht ganz der Wahrheit, denn Findus steckte in meinem Namen mit drin, jedoch kennt den fast niemand, außer sie. Und vielleicht noch meine Eltern und meine Schwestern. Okay, theoretisch kennen viele den Zweitnamen, die mich kennen, dennoch.
Ich hatte mich ihr offenbart und war dann abgehauen, aber nicht ohne die Securitys an den Eingängen auf den Überfall auf die Prinzessin von Arendelle aufmerksam zu machen. Nicht, dass der Schwachmatt zu schnell zu sich kommen würde. Sofern das geschehe wär, hätte ich es gespürt, wäre ihr erneut zur Hilfe geeilt. Doch ich glaube, dass sie sich im Normalfall ziemlich gut selbst verteidigen kann. Genau wie sie es in dem Brief erwähnt hatte. Ja, vielleicht komme ich gruselig rüber, dass ich so viel über sie weiß, aber irgendwas macht sie mit mir. Keine Ahnung, was. Ich möchte sie kennenlernen. Und ich möchte sie erneut küssen, selbst wenn es nur auf die Stirn ist. Irgendwas muss mir Fjella in den Kakao gekippt haben, dass ich nur an diese eine Person denke. Wie kann das sein? Im Grunde kenne ich sie kaum und doch habe ich das Gefühl, sie in und auswendig zu kennen. Das ist verrückt. Wirklich verrückt, aber was soll ich machen? In ihrer nähe schlägt mein Herz höher, mein Körper vibriert. Im Bett liege ich da und denke an sie. Ich kann gar nicht anders, sie geht mir ja nicht mehr aus dem Kopf. Ihre blonden Haare mit den witzigen Frisuren, die blauen Augen. Vor allem die blauen Augen. Diese Augen, die mich ständig an den Schnee erinnern. Dann ihr zierlicher Körper, der gar nicht so zierlich ist, wenn man genau hinguckt. Sie hat sogar ein paar Muckis. Erst fand ich das irritierend für eine Frau, aber bei ihr verknüpfe ich das mit ihrer Vergangenheit. Dann dieses Zahnspangen-Lächeln. Ja, sie trägt eine Zahnspange und ja, ich steh drauf. Außerdem ihre Brille, die ihr wirklich gut steht, die sie jedoch nur zum Fernsehen aufhat. Ihre Art, wie sie die Welt sieht, obwohl sie ihre Familie verloren hat. Diese Frau muss wirklich viel gelitten und trotz all dem soviel Kraft in sich haben. Hätte ich heute meine Mutter verloren, ich könnte nicht sagen, ob ich genauso stark gewesen wäre. Nein, ich wäre es nicht. Sie kann mit Leichtigkeit über ihre Familie reden, um sich friedlich an sie zu erinnern und ich verliere kein Wort über meine Schwester. Ich schaffe es nicht mal, ihren Namen auszusprechen. Mille. Ja, jetzt. Jetzt kann ich ihren Namen sagen. Es hat ja nur an die fünf Jahre gedauert, bis ich ihren Namen benutze. Mille, ja, ich vermisse sie und ja, ich bin sauer auf sie, aber ich würde ihr alles verzeihen. Ich kann gar nicht anders. Ich habe sie vermisst und ich tue es noch immer. Sie ist meine große Schwester, die ich im Stillen immerzu lieben werde. Wir haben uns einst geschworen, für immer Geschwister zu bleiben, uns nie zu hassen. Ich halte mich an mein Versprechen. Ob sie sich auch an ihres hält? Oder hat sie mich längst vergessen? Selbst wenn ich könnte, würde ich Mille nie vergessen. Wie kam ich jetzt gleich nochmal von Gerda auf Mille? Die beiden sind sich kein bisschen ähnlich. Jede von ihnen geht mit ihrem Schmerz anders um. Gerda trainiert, um stärker zu sein, redet offen über ihren Verlust, wohingegen Mille vor Jahren abhaute, um ihren Schmerz hinter sich zu lassen. Genau genommen sind es beide starke Frauen. Mille verlor ihre Tochter und den Mann, den sie aus voller Inbrunst geliebt hatte, den Vater ihres Kindes. Sie hätte im Gegensatz zu Gerda noch Familie gehabt - mich, mama und pappa. Und Sne, doch von ihm wusste sie nicht einmal etwas. Sie hätte es gewusst, wäre sie nicht in aller Frühe vor ihren Problemen davon gelaufen.
Ich nehme die Feder zur Hand, tunke sie in die Tinte und fange an zu schreiben, eine Antwort für meine Schneerose. „Liebste Schneerose, du kannst mich nennen, wie du willst. Wintergott war mein absoluter Favorit. ;) du darfst mich Jack nennen oder Jackie oder Findus. Es ist mir egal, wie du mich nennst. Es tut mir leid, dass ich dir gestern nicht mehr auf deinen Brief geantwortet hatte. Mir geht es gut. Heute bin ich erstmal wieder mit Snefnug zuhause. Bei Holla gibt es bisher keine Annahme zur Sorge. Die Ärzte bewachen sie rund um die Uhr, was ihr nicht sonderlich gefällt, aber das ist Morosko ziemlich egal. Und mir auch. Ich hoffe, dass sie bald wieder auf die Beine kommt. Eigentlich brauche ich nicht darüber reden. Mir geht es wirklich gut und das meine ich ernst, denn mein Stolz ist doch eh verdorben. Nein, ehrlich, alles gut. Holla und ich wollen uns nochmal zusammensetzen. Du hast mir echt geholfen und darum danke ich dir. Mir brauchst du nicht danken. Ich rette dich gerne immer wieder. So bekomme ich dich zumindest zu Gesicht, aber der Herzstillstand, den ich erleide, wenn ich merke, dass dir was passiert, ist nicht ganz so toll, aber damit kann ich leben. Nur bitte, bitte klettere nicht mehr aus deinem Fenster oder vertraue den falschen Leuten. Ich gehöre nicht zu falschen Menschen, hoffe ich. Mir solltest du vertrauen können. Gerne würde ich mich mit dir treffen. Wann ich Zeit habe? Puh, da muss ich einmal in den Kalender schauen. Oha ne, da ist alles voll. Ich bin ein ausgesprochen begehrter Man, muss ich sagen. Willst du einen Termin für nächstes Jahr buchen? Oder doch besser in zwei Jahren?", die letzten vier, fünf Sätze streiche ich direkt raus, nur um sie dann doch wieder hinzuschreiben. „Das war ein Spaß. Ich habe fast immer Zeit, aber am besten würde mir vormittags passen. Vormittags ist Sne im Kindergarten. Vielleicht übermorgen? Bis bald, dein Schneegott. P.S.: Manchmal klappt es mit dem Schnee, andererseits bringt der Wind die Post."
Als ich die Trampelschritte von Sne höre, schreibe ich den Brief eilig zu Ende, falte ihn, um ihn per Flugpost zu ihr zu senden. Fertig. Gott sei Dank, denn im nächsten Moment steht an der Tür. „Pappa! Pappa"!" Schnell räume ich ihre Briefe zusammen und verschließe sie mit den Utensilien zum Schreiben in einer Kiste, die ich unter mein Bett schiebe. „Was war das?", argwöhnisch kneift er seine neugierigen Kinderaugen zu.
„Nichts, Großer", ich strubbel ihm grinsend durch seine Haare. Sein strahlendstes Lächeln erscheint, was mich jedesmal an seinen Vater erinnert. Ja, ich kenne seinen Vater so gut, dass ich sagen kann, ob sich deren Lachen ähnelt. Und ja, das tut es definitiv. Er hat die Grübchen von seinem Vater. Cem. Ob Mille wollte, dass Snefnug mit dem Nachnamen wie unser Vater heißt? Oder der Mädchenname unserer Mutter? Eigentlich heißen die Frauen in unserer Familie mit Nachnamen Holle, sprich Mille Holle und Holla Holle, doch nach der Heirat mit meinem Vater hatte sich meine Mutter für seinen Nachnamen entschieden, wovon jedoch niemand weiß. Daher spricht man weiterhin von Frau Holle. Mein Vater und ich heißen Frost, so wie Snefnug ebenfalls. Womöglich hätte ich ihn genauso gut Snefnug DeVil nennen können, doch damit hätte der Kleine ebenso wenig anfangen können. Jepp, Sne gehört theoretisch zu der DeVil Familie, die in 101 Dalmatiner als böse dargestellt wurden. Ich finde, es ist Ansichtssache. Die Schwester von Cem ist psychisch krank, sein Bruder Carlos ist dafür wirklich ein netter, anständiger Kerl. Wenn man noch tiefer in Snes Wurzeln graben würde, würde man erkennen, dass er nebenbei ebenso ein Dearly ist, denn Cem war das Ergebnis einer Affäre zwischen dem Dalmatinerzüchter Roger Dearly sowie dem damals bekannten Model Caitlyn DeVil. Die ganze DeVil-Familie ist ohnehin eine Sache für sich. Die sind alle ziemlich krank in der Birne und die Dearlys sind da nicht ganz unschuldig. Ich habe von Jules erfahren, dass im letzten Jahr etwa zur selben Zeit ein Nachfahre von Dearly, der zuvor überhaupt nicht wusste, dass die Dearlys ebenfalls Scheiße gebaut hatten. Er hieß Jay, glaube ich. Soweit ich weiß kommt er aus der Märchenwelt, vielleicht frage ich Gerda bei einem Treffen, ob sie ihn kennt.
„Spielen wir?", zieht er mich in die Realität zurück. Manchmal bin ich ein Tagträumer. Gut, dass ich ihn habe. Was öde ich nur ohne ihn machen? Dauerhaft Tagträumen.
Was wollen wir spielen? Ach ja, ich hatte Sne gestern etwas versprochen. Unser selbst ausgedachtes Spiel. Sehnsüchtig sehe ich raus aus dem Fenster, wo der Wind gerade tobt und meinen Brief zu Gerda weht. Hoffe ich zumindest, ansonsten müssten wir wohl ein ernstes Wörtchen reden. Ich kann nur hoffen, dass mein Vater nichts davon mitbekommt, sonst fängt der noch die ganzen Briefe ab. Zutrauen würde ich es ihm. „Ich hab's versprochen und..."
„-was man verspricht, hält man auch", beendet er altklug meine Worte. Jupp, genau. Wir setzen uns unten an die Stelle am Tisch, die nicht voll mit Schulsachen ist. Bald ist es nämlich soweit, der Wechsel in die Grundschule steht kurz bevor. Am ersten Dezember werden bei uns die Schüler eingeschult. Es sind also nur noch wenige Monate und mit jedem Tag, jedem Monat wird meine Aufregung. Bald ist es soweit. Was soll ich nur mit der ganzen Freizeit machen? Und dann erst, wenn er in die fünfte Klasse irgendwann kommt, um danach zu studieren? Oh Gott... es geht wirklich schnell. Bald schon habe ich hier einen pubertierenden Teenie sitzen. Nicht mehr lange... „Pappa, die Regeln sind dir bekannt, oder?" und schon wieder: Tagträumer. „Aber klar doch." Während die Milch für eine heiße Schokolade auf dem Herd erhitzt, baue ich den gebastelten Spielplan auf. Es ist eine simple Gestaltung: Eine dünne Holzplatte mit vier Farben und Kreisen, auf die man mit den Figuren springen kann. Die Figuren hat mein pappa aus der Märchenwelt geholt. Die echte Menschenwelt traut er sich nicht zu. Ursprünglich wollten wir die Drachen aus unserer Serie, doch er hält das für Außerirdische, weshalb er irgendwelche andren Figuren besorgt hat. Irgendwann werde ich nochmal neue kaufen, aber andererseits ist es eine witzige Erinnerung. Die Fragenkarten lege ich auf einen Stapel auf den dafür vorgesehenen Fleck, den ich auf dem Spielplan eingezeichnet habe. Den Rest des Aufbaus überlasse ich meinem Sohn, währenddessen hole ich den Kakao vom Herd und schütte ihn in zwei Becher. Die stelle ich vor uns ab. Mit dem Abstellen der Tassen, beginnt Sne mit dem Würfeln. Er hat eine fünf. An seinen Fingern zählt er ab, wieviel er nun gehen darf. Es ist immer wieder süß, wenn er mit der Hilfe seiner Finger versucht zu zählen. „Sechs."
Ich schüttele den Kopf. „Fünf." Mit der Hand will er sich gegen die Stirn schlagen, davon halte ich ihn aber ab, indem ich sein Handgelenk umschließe. Das hat er sich toll von meinem Kumpel abgeguckt. Vielen Dank, Ju. Was machst du nur mit meinem Sohn? Solange er ihm keine Beleidigungen beibringt... Für Jules ist es jedes Mal schwer, sich in der Nähe seines Patenkindes zusammenzureißen, was Beleidigungen angeht.
Snefnug setzt seine Figur fünf Schritte weiter, dann sieht er mich abwartend an. Ich nehme eine Karte vom Stapel und lese laut vor: „Wie heißt die Insel, auf der die Wikinger leben?" Ihr müsst wissen, dass der Großteil der Fragen sich auf die Filmreihe Drachenzähmen leicht gemacht bezieht.
„Berk!", kommt es ohne lange zu überleben von ihm. Gleich darauf nimmt er schlürfend einen Schluck von seinem Kakao. „Habe ich schon gesagt, dass es richtig ist?", ermahne ich ihn mit einem missbilligenden, zum Teil belustigten Blick.
„Nein, aber das ist doch einfach."
„Einfach? Na dann brauchst du wohl als nächstes schwerere. Jetzt bin ich dran." Ich angel mir den Würfel, schüttel ihn in meinen Händen und werfe ihn auf den Tisch. Eine Sechs, ha. Ich bewege meine Figur, welche eine metallische Katze verkörpert. Danke auch hier wieder an Snes Großvater, der Drachen für außerirdisch hält. Lustig ist daran, dass er aber ein einziges Mal mit Snefnug im Kino war, um Hotel Transsilvanien zu schauen. Den film mochte er sogar, dennoch ist er danach nie wieder ins Kino gegangen. Mein Sohn zieht eine Karte. „Wer... spio-spioniert för... die... V-v-ver... Verbannten?", dann versucht er es erneut: „Wer schpioniert für die Verbannten?" Süß.
„Puh, damit hast du mich jetzt... Mehltau müsste das gewesen sein." Er dreht die Karte um und schüttelt seinen Kopf. Hä? Wer denn dann? Heidrun? Aber die beiden haben für die Verbannten spioniert. Bei Heidrun war es nur aus einem Grund, nämlich die Rettung ihrer Eltern. Mehltau wollte seinen Spaß oder so. Ich halte ihn eher für den Spion, aber gut. „Heidrun", schiebe ich die anscheinend richtige Antwort hinterher. Wieder schüttelt er den Kopf. Nochmal: Hä?? „Heidrun ist richtig, ja, aber du hast erst falsch geantwortet."
Ergeben stehe ich auf, laufe die Treppen hoch und wieder runter, wiederhole die ganze Prozedur ein paarmal, dann mache ich zehn Liegestützen, um am Ende völlig aus der Puste auf meinem Platz zum sitzen zu kommen. Nach ein paar weiteren Fragen, die ich wie üblich verkackt habe, er jedoch mehrere richtig hatte und meinen Kakao getrunken hat, machen wir uns für den Kindergarten fertig. Snefnug zieht sich die Handschuhe über seine kleinen Hände, ich ziehe ihm die Jacke zu. „Gehen wir heute zu bedstemor?"
„Ja, machen wir. Aber erst geht's in den Kindergarten."
„Ja", sagt er so bestimmt, dass ich ihn mit schief gelegten Kopf ansehe. Auf meinen Schultern sitzend begeben wir uns zu seiner Kindertagesstätte, wo Fjella uns bereits erwarten wird. Sie hat gerade den ersten Streit mit ihrem neuen Freund und verbeißt sich deshalb derzeit sehr in ihre Arbeit. Gerne würde ich ihr helfen, doch ich habe es schon etliche Male versucht. Ändern kann ich nichts. Einzig und allein könnte ich ihm sein makelloses Gesicht verhauen, aber sie hat mich drum gebeten, es nicht zu tun. Nebenbei wäre es Jules' Aufgabe.
💙
Snefnug ist eben auf eigene Faust in die Kindertagesstätte gegangen. Der Gedanke, dass er größer wird, erfüllt mich teils mit Stolz - wie in dieser Situation - und aber auch mit Angst, weil er so schnell groß wird. Doch dann erhalte ich auf einmal eine Nachricht, die die Schneeflocken zu mir rüber tragen. Gerda ist ins Eis eingebrochen. Der Schnee überbringt mir genau genommen eine viel längere, ausführlichere Botschaft, aber ich höre nur das eine, was mir vollkommen genügt. Gerda schwebt in Gefahr. Anscheinend hat sie mit ihrer Familie gespielt, ist auf einem See mit ihnen Schlittschuh laufen gewesen und dann brach der Boden unter ihr weg.
Ich muss sie retten. Habe ich das nicht schonmal gehört, dass meine Gedanken für mich gesprochen haben? Oh Mann, aber ich muss. Ich muss sie retten. Ich kann sie nicht im Stich lassen. Ich möchte sie kennenlernen, sie verstehen lernen und ich möchte auch, dass sie noch lange zu leben hat. Irgendwie habe ich das Gefühl, es klingt egoistisch, dabei möchte ich nur nicht, dass sie stirbt, dass ihr irgendwas passiert. Und das möchte ich nicht nur, weil ich sie gerne näher kennenlernen möchte, sondern auch, weil sie es verdient hat, noch lange zu leben. Warum stehe ich dann überhaupt noch hier und warte?
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