Kapitel 16
Stunden später ist das Schreien, das obendrein noch dazu gekommen ist, verstummt, was Kristoff jedoch nicht daran hindert, vollkommen zu verzweifeln. Brietté, Dschinni, Elbereth und alle, denen es möglich war und die ich angerufen habe, sind gekommen. Die Trolle waren da und obwohl ich nicht alle kontaktiert habe, waren elf von dreizehn Feen anwesend. Die dreizehnte Fee... nun ja... Wie soll ich es sagen? War mal wieder nicht eingeladen, da sie aus gutem Grund hinter Gittern sitzt und die zwölfte Fee... Hoffen wir einfach, dass sie nicht wie die dreizehnte Fee reagiert. Dschinni ist zwar vor allem eins: durchtrieben, aber er hat mindestens ein genauso gutes Herz wie all die anderen, die erschienen sind, um Kristoff beizustehen oder noch besser sein Kind zu heilen.
Lange Rede, kaum einen Sinn: Lennja schläft und ist auf dem besten Weg der Genesung. Ihr Fieber ist gesunken, sie hat endlich Nahrung zu sich genommen, das Blut ist soweit versiegt. Ihr Herzschlag läuft wieder normal. Den Trollen - und allen Anwesenden - zu Folge ist das Baby an Hib, sprich an einer Haemophilus influenzae b-Infektion, erkrankt. Das kann im schlimmsten Fall zum Tode führen. Warum bin ich dabei nun fast entspannt? Ganz einfach. Lennja wurde heute gegen jegliche Krankheiten geimpft und mit einem kleinen Stupser Magie geheilt. Dem König wurde jedoch deutlich klar gemacht, dass das nie wieder passieren darf und sofern noch ein weiteres Kind auf dem Weg ist, sollte es schleunigst die Impfung bekommen. Mein Onkel fühlt sich deshalb so schlecht, weil er die Impfungen abgelehnt. Bei den dreien zuvor führte das zu keinen Problemen, da konnte er nicht ahnen, dass es bei Lennja anders sein würde. Ab heute wird er vermutlich jeder Impfung zustimmen. Oh backe... Wenn Anna erst davon erfährt, dann ist nicht nur mein Onkel tot. Mindestens ich und Kay werden es ebenfalls sein und wenn nicht, dann wird es unsere Adoptivmutter Elsa sicherlich mit Vergnügen übernehmen, denn ihr haben wir noch immer nichts davon erzählt.
Sogar die Schneehexe hat ihre Hilfe angeboten, nachdem ich sie aus reiner Verzweiflung angerufen habe. Sie hat wohl extra um die ganze Welt herum telefoniert. Für wen sie das getan hat, - ob für mich oder Kay oder gar die Prinzessin - weiß ich nicht, aber vielleicht werde ich es noch erfahren. Erstmal bin ich erleichtert, dass Lennja noch halbwegs glimpflich überlebt hat. Das ist momentan das allerwichtigste.
Kay deutet mit einem Nicken auf unseren Onkel. Dieser ist immer noch völlig am Verzweifeln, steht am nahen Abgrund. Endlich übernimmt mein Bruder das Wort. Er klatscht in die Hände, um die Aufmerksamkeit aller zu erregen. „Leute, wir danken für euer zahlreiches Kommen sowie für eure Hilfe, aber wir müssen euch nun bitten zu gehen", kündigt er in einem lauten Tonfall an, der definitiv von jedem die Aufmerksamkeit auf ihn zieht. Als Dankeschön wollten wir jeden einzelnen Helden - alle, die mein Patenkind retten wollten, haben sich diesen Titel rechtlich verdient - zu der Geburtstagsfeier von Thala einladen, doch sie hat das selbst übernommen, indem sie an jeden eine selbstgebastelte Einladung verteilt hatte. Die Helden waren so begeistert von dieser - ich zitiere - entzückenden, unglaublich süßen, kreativen Einladung, dass alle versprachen zu erscheinen. Und zugegeben habe ich die meisten Beschreibungen für die Karte aus meinem eigenen Mund kommen hören. Auf meiner Karte war eine - wer hätte es gedacht - Piratenprinzessin in Form eines Strichmännchens mit Haaren sowie einem Kleidchen und einem Piratenhut.
Nach und nach machen sich die Ersten wirklich auf den Weg. In Richtung von Kay strecke ich die Daumen hoch in die Luft, da steht auf einmal eine Blondine in einem blauen Kleid. Oh. Cinderella. Hups. Habe ich sie eben ernsthaft als Blondine betitelt? Hoppala. Das hat jetzt keiner gehört, ja? Ich habe nichts gesagt. „Königin Cinderella, danke, dass sie gekommen sind", ich reiche ihr freundlich lächelnd die Hand.
„Gerda, dann bist du das liebe Kind, das mich angerufen hat."
„Na ja, ob sie lieb ist, mag ich nicht zu beurteilen", gibt mein werter Herr Bruder seinen Senf dazu. Ich werfe ihm einen gespielt bösen Blick zu.
„Oh doch, ich bin mir da sicher. Und du bist?"
Mein Bruder reicht der Königin die Hand und stellt sich höflich vor, als wäre er ein Prinz. Er bringt es sogar zustande, ihr einen Kuss auf den Handrücken zu drücken. „Wenn ich mich vorstellen darf, ich bin Kay. Der große Bruder dieses ach so bezaubernden Mädchens."
„Hach, Geschwisterliebe. Hör mal, Kay, genieß die Zeit mit deiner Schwester, solange du noch kannst. Das hier sollte uns vor Augen führen, dass ein so kostbares Leben schnell vorbei sein kann."
Zu meiner überraschenden Verwunderung legt er den Arm um mich, wuschelt absichtlich durch meine Haare. Er kommentiert neckend die Worte der Königin: „Stimmt, sie werden so schnell erwachsen. Könnt Ihr es glauben, dass dieser Engel kaum mehr Kontakt mit mir haben möchte?"
Ich will keinen Kontakt mehr mit ihm? Ach, so ist das. Klar. Ich bin diejenige. Schuldig im Sinne der Anklage. Hahaha, ich lache mich schlapp. Ist das sein ernst? Ist das allen ernstes sein verdammter ernst? Zu der Übertreibung des Jahrhunderts spielt er auch noch dieses ich-habe-deine-Nase-Spiel mit mir. Am liebsten würde ich ihm eine reinhauen, aber erstens ist er mein bis-über-beide-Ohren-verknallter Bruder und zweitens steht eine Königin direkt neben mir. Ich tue auf den lieblichen Engel, den anscheinend alle von mir erwarten.
„Nein, kann ich nicht. Würden Sie mich und Ihre Schwester einmal unter vier Augen reden lassen? Oder nein, besser: Gerda-Engel, kommst du die Tage bitte bei mir vorbei oder melde dich telefonisch bei mir, ja?"
„Äh ja, ich werde Euch anrufen, wenn Ihr das wünscht", sage ich ein bisschen verwirrt zu.
„Gut, bis bald, kleiner Friedensengel."
Noch verwirrter als vorher wechseln mein Bruder und ich komisch-verwirrte Blicke. „Was war das?", flüstere ich, damit sie es nicht hört, denn noch unterhält sie sich mit unserem Onkel.
„Keinen blassen Schimmer. Hast du sie mit deinem Charme um den Finger gewickelt? Wie stellst du das an?"
„Keine Ahnung", murmel ich zurück. Merkwürdig. Echt eigenartig, diese Königin. Ich habe gehört, dass sie seltsam sein, aber derart komisch hatte ich die Gerüchte nicht für möglich gehalten.
Als das Schloss einem, abgesehen von uns, beinahe leer vorkommt, schnappe ich mir Thala, um sie ins Bett zu bringen. Kristoff, der sich allmählich gesammelt hat, bringt Øystein in sein immer. Derweil beschäftigt sich Kay mit unserer kleinen-großen Perfektionistin. Zufrieden widme ich mich Thala, deren Augen immer öfter zufallen. Mit einem Lächeln lege ich sie in ihr Bett. Obwohl ich die Hoffnung hatte, dass sie sofort einschlafen würde, reißt sie ihre Äuglein erneut auf und will unser übliches Ritual durchführen. „Ich habe dich lieb."
„Ich dich auch. Heute begrenzen wir uns darauf, einverstanden?"
Sie nickt bloß und im nächsten Moment ist es eingenickt. Auf leisen Sohlen tapse ich in das nächste Zimmer, wo Øystein auf mich wartet. Ich werfe ihm einen Flugkuss zu, lasse mich von ihm mit seinem Dinosaurierplüschtier abwerfen, um es dann zu ihm zurückzuwerfen. Zum Schluss gebe ich meinem anderen Patenkind einen Gute-Nacht-Kuss. „Gerda?"
„Hm?" Ich bleibe im Türrahmen stehen. Nur noch in mein Bett...
„Ich habe dich sehr lieb. Und danke." Diese Worte habe ich schon eine ganze Zeit nicht mehr aus ihrem Mund gehört. Dabei muss ich zugeben, dass sie mir viel bedeuten. Die Worte, aber noch mehr bedeuten mir die Kids was.
„Wofür?"
„Für alles." Zum Abschied lächel ich ihr zu und auch sie kriegt noch ein Luftküsschen. Danach lasse ich mich müde im Wohnzimmer auf die Sofagarnitur fallen. Unter mir auf dem Boden hat es sich mein Onkel mit meinem Bruder bequem gemacht. Das Praktische an diesem Wohnzimmer ist, dass es nicht nur näher an den Kinderzimmern liegt, sondern auch, dass es extra für die Kinder errichtet wurde, sodass der Boden aus Matratzen besteht. Quasi wie in einem Traum. Man rennt über kuschelig weiche Matratzen, auf denen man schlafen kann. Es ist kein Geheimnis, wofür das Zimmer erbaut wurde: für Kindergeburtstage plus Übernachtung. Der Fernseher hängt an der Decke und man kann es sich richtig gemütlich machen. Das ist eines meiner Lieblingszimmer, denn da es ebenso für Øystein gedacht ist, ist es nicht allzu pink, nein ganz im Gegenteil. Es ist kunterbunt. Müde drehe ich mich auf dem Sofa. Kris reicht mir eine Decke, die er aus dem Deckengeheimversteck hat. Ja, das gibt es. Natürlich gibt es sowas. In einer Welt von Matratzen braucht es auch Decken, um besonders zu sein. „Dankeee", sage ich daher.
„Onkel Kris, es ist nicht deine Schuld", meint Kay.
„Ich weiß. Aber irgendwie ist es das schon. Dabei fällt mir ein, rettet ihr mich vor meiner Frau?", scherzt er, obwohl ich glaube, dass es nicht witzig gemeint ist.
„Nein", entscheide ich.
Ich sehe die erschrockenen Augen meines Onkels in der Dunkelheit, also lache ich. Meine Erklärung lautet: „Wir werden dich nicht retten, morbror" - das bedeutet übersetzt, Bruder meiner Mutter - „weil wir das nicht brauchen. Anna wird dich nicht umbringen, dafür liebt sie dich zu sehr."
„An ihrer Stelle hätte ich es getan."
„Stimmt", fällt mir mein Bruder in den Rücken.
„Stimmt nicht! Mach dir keine Sorgen. Anna liebt dich und das ist das wichtigste. Lennja geht es gut, es ist nichts passiert und bevor du was sagst - sag es nicht. Hätte, hätte, Fahrradkette. Es ist nichts passiert. Sorg einfach dafür, dass das nie, niemals wieder passiert."
„Danke ihr zwei. Ihr wart heute großartig, als ich den Kopf verloren hab."
„Gern geschehen."
Unser Gespräch wird je beendet, als die Tür knarzt und ein Lichtpfahl zu uns rein scheint. Ich blinzel und erkenne drei Köpfe. Dann mache ich einen vierten Kopf aus. Habe ich Halluzinationen? Damit Kris Seine Kind bemerkt, räuspere ich mich. Die Jungs drehen ihre Köpfe in die Richtung. „Was ist los, ihr drei?"
Das älteste Kind übernimmt das Wort: „Wir wollen heute nicht alleine schlafen." Verständlich, deswegen klopfe ich auf die freien Plätze neben mir, nachdem ich es mir doch auf lieber auf dem Boden bequem gemacht habe. Die Kinder schlurfen mit ihren Kissen, Decken und Plüschtieren in den Raum und schließen die Tür. Bei dem vierten Kopf hatte ich schon eine Puppe von Thala vermutet, doch Øystein drückt mir seine jüngste Schwester in die Arme. Lennja gluckst im Schlaf. Dass sie bis vor einigen Stunden noch krank war, sieht man ihr kaum mehr an. Thalas Hand greift nach meiner, während die winzige Hand ihrer Schwester meinen Finger umschließt. „Gute Nacht", flüstert mir Kay ins Ohr, somit weiß ich, dass er neben Thala liegen muss.
„Träumt süß", sage ich in die alles umschließende Finsternis um uns herum hinein.
„Nacht", stimmen die anderen ein.
Kurz darauf ertönt der erste Schnacher, neben mir wird darüber jedoch noch gekichert. Keine Minute später beruhigt sich die Atmung von der zweitjüngsten in der Familie. Nummer drei schläft. Langsam fallen auch mir die Augen zu und ich hoffe, den Jungen von gestern Nacht aus meinen Träumen erneut zu treffen. Diese sonderbaren weißen Haare und die unglaublich blauen Augen, die mich definitiv an Eis im Winter erinnert haben. Dazu die merkwürdigen Klamotten. Wie ein Prinz war er gekleidet. Ein Prinz! Das ist es! Daran hat er mich erinnert. An einen Prinzen. Unmöglich. Warum sollte ich von einem Prinzen träumen?
💙
Noch in meinem Traum mit dem gutaussehenden jungen Mann werde ich leider sehr plötzlich durch die Geräusche einer Kaffeemaschine wach. Schläfrig tapse ich in die Küche, bis mir auffällt, dass ich gar nicht zu Hause bin und es somit gar nicht möglich ist, die Wundermaschine, die mir jeden Morgen einen Kaffee kocht, gehört zu haben. Ich reibe mir über meine Augen. Erstmal sollte ich mich daran erinnern, wo ich bin. Oh ach ja, ich bin seit gestern im Schloss meiner Tante, da mein neustes Patenkind krank geworden ist. Ich schlurfe mehr oder weniger versucht leise die Wendeltreppe nach unten, um in die Küche zu gelangen. Dabei gehe ich an Gemälden vorbei. Mir begegnen auf den Gemälden die früheren Königsfamilien, die hier gelebt hatten oder ihre Wurzeln hatten.
Vor meinem ersten Kaffee bin ich nicht sonderlich aufnahmefähig, dennoch höre ich leichte Schritte hinter mir. Aus diesem Grund drehe ich mich um. Wie angewurzelt bleibt mein Polarfuchs auf der Stufe stehen. Wusst ich's doch. Ich kraule Flocke den Knopf und sie schnurrt wie eine Katze. Gemeinsam schlendern wir weiter durch das Gebäude. Die Gemälde werden zu Zeichnungen von den Kiddies. Die Küche ist nah. Auf dem letzten Stück zur Küche steht eine Kommode, auf der Leckerlis für Flocke warten. Nachdem sie ein Kunststück vollführt hat, werfe ich ihr eins zu. Sie fängt es gekonnt auf, während ich in die Küche gehe. Dort hole ich mir meine Lieblingstasse aus dem Schrank. Auf der Tasse ist Olaf - war ja klar. Ich habe sie selbst gebastelt, als ich noch ziemlich neu hier war. Echt überraschend, dass sich die Zeichnung dermaßen lange hält.
„Guten Morgen."
Erschrocken kreische ich auf, sodass mir meine Tasse aus der Hand fällt, doch Flocke schafft es irgendwie, sie vor dem Aufprall auf dem Boden aufzufangen. Meine Glückstasse ist gerettet. Wenigstens etwas, denn mein Herz ist es nebenbei gesagt nicht. Tante Anna hat mir den Rücken zugedreht. Sie steht an der Kaffeemaschine, um darauf zu warten, dass ihr Kaffee fertig wird. Also entweder habe ich ganz miese Halluzinationen oder ich sehe die Zukunft voraus, weil im Grunde ist es schier unmöglich, die Wundermaschine oben in den Kinderzimmern wahrzunehmen. „Godmorgen", sage ich, sobald ich mich von dem Schreck erholt habe.
Da sie sich nur zu mir umdreht und nichts weiter sagt, nehme ich sie mit einem eher gezwungenen Lächeln in den Arm. Ich habe meine Tante ja lieb, aber die Situation gerade kommt mir sehr suspekt vor. Weiß sie etwas? Muss ich es ihr beichten? Oh guter Gott im Himmel, bitte tu mir das nicht an. „Wo warst du? Ich habe dich gestern vermisst", lüge ich teilweise. Innerlich könnte ich mich selber ohrfeigen. Ich sollte mich unauffällig verhalten. Es ist Kris' Aufgabe, mit seiner Ehefrau zu sprechen. Nicht meine. Ehrlich gesagt sehe ich es gerade schon vor mir: Ich werde den Vorfall von gestern beichten müssen, sofern Kris nicht bald antanzt.
„Ich? Ich war bei den Südlichen Inseln. Und du? Warst du nicht mit Madelen verabredet?"
Mir wird heiß und kalt. Was soll ich sagen? Wenn ich sage, dass Mad früh weg ist, wird sie mir nicht glauben. Und wenn ich einfach sage, dass ich gestern Abend hergekommen bin? Aber da ist immer noch dieses winzige kleine Problem... Ich weiß nicht, wieviel sie weiß. Keine Ahnung, ob sie uns bereits alle oben auf dem Boden gefunden hat. Das ist zwar nicht das merkwürdigste, eher fragwürdig ist mein Bruder, der sich schon länger nicht mehr hat blicken lassen. Was weiß sie also? Was kann ich sagen oder was muss ich früher oder später zugeben?
„Äh jepp, das war ich, aber du kennst Mad. Party, Party. Sie ist zum Frühstücks-Plauderkaffee gekommen und danach ab zu ihrem Freund, um mit ihm zu feiern."
„Weißt du auch, warum sie gefeiert haben?", kommt es auf einmal von meiner Mutter. Oh super, Elsa ist auch da. Okay, schön, sie wissen es. Oder waren beide auf dem Weg zu den Südlichen Inseln? Hätte meine Mutter mir das dann nicht gesagt? Mir wird wieder heiß und kalt. Denk nach, Gerda. Ich werde einfach auf unwissend tun. Oder?
„Mama! Was machst du denn hier?" Wir umarmen uns, sie küsst grinsend meine Stirn.
„Ich habe Anna zu den Südlichen Inseln begleitet. Möchtest du gar nicht wissen, was dort los ist?"
„Doch, doch, die Frage wollte ich als nächstes stellen. Also? Konntet ihr helfen? War es eine Falle? Erzählt es mir, biiiitttteee", brenne ich auf Antworten.
„Wir sind nicht durchgekommen. Leider. Wir werden mit Hilfe der Feen und ihrer Magie sowie Hubschraubern versuchen die Leute zu versorgen. Außerdem werden wir heute nochmal schauen, ob wir es nicht anders hinbekommen. Dabei haben wir noch einen sehr heißen Hinweis bekommen."
„Was für einen Hinweis?"
Annas Blick schwenkt zur Tür. Ich drehe mich um. Mein Onkel steht unbeholfen grinsend im Türrahmen. „Schatz, du bist wieder da?" Unsicher sieht er zu mir. In seinen Augen lese ich die Frage. Ich schüttel unbemerkt den Kopf. Er nickt teils dankbar in meine Richtung.
„Ja. Ich glaube, wir haben dringend etwas zu bereden, Liebling." Daraufhin schluckt er, nickt jedoch ergeben.
„Heirat! Wusstet ihr schon, was gestern passiert ist? Angeblich steht uns bald eine Verlobung bevor", wechselt mama zum richtigen Zeitpunkt das Thema. Wer heiratet denn? Kenn ich die Person? Wahrscheinlich, sonst hätte Elsa es nicht gesagt. Anna guckt sie verständnislos an, aber meine Mutter zuckt nur mit den Achseln, weshalb meine Tante meinen Onkel aus der Küche schleift. Ich nutze die Chance, um mir meinen wohl verdienten Kaffee zu kochen. Während meine Tasse sich mit dem Gesöff füllt, behalte ich die Szene im Flur zwischen Kris und Anna im Auge, selbst wenn ich sie nur schlecht hören kann. Elsa kneift die Augen fest zusammen und sieht in meine Richtung. Ohoh. Ich ahne, was hier vorgeht. Die Schwestern spielen guter Bulle, böser Bulle. Dem gefährlich gruseligen Unterton aus dem Flur kommend nach zu urteilen, ist Anna der böse Cop. Ich sehe auf den Boden.
„Gerda, interessiert dich überhaupt nicht, wer sich so eben verlobt hat?" Oh Mist. Jetzt will sie mir Honig um den Mund schmieren, um gleich darauf mit dem Hammer auf mich einzuschlagen. Natürlich nicht wörtlich, bloß verbal. Hoffe ich zumindest. Trotzdessen spiele ich das Spielchen mit. „Wer ist es denn?"
„Deine Stiefschwester. Hat Mad es dir noch gar nicht erzählt?"
„Was? Das ist ein Scherz" - um mich zu überlisten - „oder?"
„Nein, kein Scherz. Liest du keine Nachrichten, lille mus - Mäuschen? Oh hier, dein Kaffee ist fertig."
Honig. Das ist immer noch Honig. Ich nehme die Tasse entgegen und suche nach meinem Handy. Wo ist es nur? Oh Mann, ich hasse es. Immer muss ich mein Handy verlegen. Schmunzelnd zieht mama das Gerät aus meiner hinteren Hosentasche, der Pohosentasche sozusagen. Ich schalte es an, aber ihren aufmerksamen Blick werde ich dabei nicht los. Ich schaue auf. Jetzt ist es eh egal. Kristoff hat es bestimmt längst ausgesprochen, was gestern Sache war. Und wenn nicht? Dann wird mein Onkel mich hassen. Wirklich.
Tatsächlich steht in einer der vielen von gestern eingegangenen Nachrichten meiner besten Freundin schwarz auf weiß: KREISCH. Du wirst es nicht glauben. Ich bin verlobt! Meld dich bei mir. Hdl.
Was? Echt jetzt? Wahnsinn! Thambi hat ihr einen Antrag gemacht... Gestern. Oha Thambis großer Bruder Niam wird echt ausflippen und das definitiv nicht vor Freude. Aber ich flippe gleich aus vor Freude für die beiden. Die zwei sind ein so süßes Paar. Ich bin glatt neidisch. „Wow, das ist fantastisch", spreche ich die Nachricht, die ich an Mad schicke, laut aus.
„Ja und weißt du, was auch unglaublich ist, junges Fräulein? Das, was hier gestern los war. Glaubst du im Ernst, wir würden das nicht erfahren? Die vielen Feen, alle, die gestern hier waren. Anna ist die Königin und nebenbei gesagt ist sie nicht doof. Was habt ihr euch nur gedacht? Ihr hättet anrufen müssen! Anna war krank vor Sorge, genauso wie ich."
„Ihr... wisst davon?", gebe ich mulmig von mir. Mein Blick fällt auf Kristoff, der hilfesuchend zu meiner Wenigkeit sieht.
„Natürlich. Warum hast du nicht Bescheid gegeben?"
„Es tut mir leid."
„Muss es nicht. Ist nicht deine Schuld. Ein wenig enttäuscht bin ich schon von dir, aber ich habe mir zu Ohren kommen lassen, dass du wunderbar warst. Du has richtig gehandelt in den meisten Dingen, bis auf in dem Punkt, wo du mich hättest anrufen können. Nächstes Mal, ja?"
„Es wird kein nächstes Mal geben."
„Warum nicht?", sie zieht ihre Augenbrauen an.
„Weil das nicht noch einmal passieren wird, ganz einfach."
„Stimmt, da hast du recht."
„Wird Anna sich von Kris trennen?" Ich starre in meine Tasse rein und trinke einen Schluck. Iiih. Ich habe vergessen, Zimt in den Kaffee zu machen. Mama bemerkt meinen Blick und schüttet mir das fehlende Gewürz in die Tasse. „Danke."
„Nein, wird sie nicht. Und gerne, lille mus. Ich kenne dich eben zu gut. Du trinkst deinen Kaffee so süß, wie nur irgends möglich."
„Recht du doch hast, mama. Godmorgen allerseits. Äh, was ist auf dem Flur los? Ist das eine Versammlung oder so?" Kay betritt die Küche, gibt unserer Mutter einen Kuss auf die Wange und deutet in Richtung Flur. „Godmorgen, mama. Lange nicht gesehen."
Zu meiner Überraschung zieht Elsa ihm die Löffel lang. Na gut, nein, hat sie nicht, aber schön wäre es gewesen. „Ja, zu lange. Wollen wir der Familie vielleicht heute Zeit untereinander gönnen und lieber zu Mille gehen?", schlägt Elsa vor. Och Nö. Dann muss ich mich heute bei ihr bedanke, dass sie uns gestern unterstütz hat.
„Sicher, dass du willst? Die denkt bestimmt, Kay stünde vor der Tür und läuft deswegen nackig durch die Bude. Willst du dir diesen Anblick nicht ersparen?", rate ich ihr, auch um meinetwillen. Dafür sticht mir mein Bruder in die Seite. Ich mein ja nur. Es ist die Wahrheit. Die Schneekönigin hat fast nie etwas an. Jepp, ich sollte definitiv wieder bei Anna einziehen. So bi ich zugleich den Kindern näher.
💙
Eine Viertelstunde später sitzen wir im Schneeschloss an dem langen Tisch. Ein brühend heißer Kaffee steht vor mir. Der Weg hierher war länger als sonst und trotz der kurzen Zeit, bin ich total durchgefroren. Brrr. Das ist echt schweinekalt da draußen. Deswegen hatten alle Praxen geschlossen. Das erklärt einiges. Wobei, nein. Es erklärt rein gar nichts. Ein Arzt muss doch auch im Notfall erreichbar sein. Was wäre, wenn...? Gar nicht auszudenken. Lennja lebt. Sie hätte sterben können, aber sie ist es nicht. Sie lebt und man konnte sie retten. Jetzt wird ihr nichts mehr passieren.
„Vielen Dank für dein Mitwirken gestern, Mille."
„Kein Kind wird dem Tod überlassen." - Ach, auf einmal? Und was war das mit meinem Bruder? - „Ich bin kein Unmensch, auch wenn das manche hier glauben." Bei diesen Worten guckt sie ausgerechnet zu mir. Ups... Aber es ist wahr! Sie kann ein Unmensch sein und manchmal kann sie ganz cool sein. Das habt ihr nicht von mir!
„Guck mich nicht so an. Ich halte dich für eine Hexe, aber nicht für einen Unmensch", witzel ich.
„GERDA!", meckert Kay und ich mache mich gefolgt von einem Lachen von der gewissen Schneehexe auf in mein Zimmer. Jetzt, wo ich einen zweiten Kaffee geschlürft habe, sollte ich mich vielleicht frisch machen. In meinem Zimmer werfe ich meine Haarmähne nach vorne, käme sie durch und flechte mir zwei neue Zöpfe. Dann durchwühle ich meinen Kleiderschrank auf der Suche nach einer Jogginghose. Sobald ich fündig werde, ziehe ich mir die alten Klamotten aus und steige in neue aus meinem Schrank. Da fühlt man sich gleich viel besser. Ich spritze mich noch einen Püster Parfüm ein. Schon besser. Heute Abend gehe ich duschen, um mich noch ein Stückchen frischer fühlen zu können.
Als ich das Zimmer verlassen will, fällt mir die Veränderung an meinem Fenster auf. Mit einem verwunderten Blick nehme ich mein Fenster genauestens unter die Lupe. An dem Fenster hat sich Frost gebildet, was zwar nicht ungewöhnlich ist, was mich aber ins Staunen bringt, ist, dass der Frost aussieht wie eine Rose. Eine Eisrose sozusagen. Kann das sein? Dann ist es also wahr: Die Natur steckt voller Wunder. Eine Rose an meinem Fenster. Was für ein Zufall. Oder doch nicht? Ich sehe mir die malerische Rose noch einmal an, da sticht mir der Text, der dadrunter steht, ins Auge. In einer schönen, geschwungenen Schrift mit Schneeflocken als I-Punkt steht dort Es tut mir wirklich leid, Gerda. geschrieben. Wer hat das geschrieben? Kay? Nein, so sieht seine Schrift nicht aus. Seine ist krakelig, selbst wenn er sich mal Mühe geben sollte. Ist es dann Milles Schrift? Nee. Oder? Ich versuche mich daran zu erinnern, wie ihre Schrift aussieht, die ich bereits des öfteren auf Verträgen gesehen habe, aber auch ihre ist es nicht. Elsas? Nein, ebenfalls nicht. Komisch. Ich zucke mit den Achseln und nehme mir diesen Tabletstift, um eine Botschaft zu verfassen. Wofür? Und vor allem: Wer bist du? Verrückt. Ja, verrückt ist es, dass ich eine Nachricht an mein Fenster schreibe, die in wenigen Minuten ohnehin verschwunden sein wird. Was ist los mit mir? Bestimmt habe ich Halluzinationen. Mal wieder. Da steht nichts an meiner Fensterscheibe.
Mama klopft an die offene Tür. „Hier bist du. Kommst du mit runter?"
Ich nicke. „Mh-hm."
In Trance gehe ich ihr hinterher. Mein Blick fällt jedoch wieder zurück auf die Scheibe, als würde sie mich locken. In dem ich den Kopf schüttel, versuche ich dagegen anzukämpfen. Das ist doch einfach verrückt. Und unmöglich.
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