Kapitel 15

Tut mir leid, Gerda, ich möchte einfach nicht mit dir streiten", mein Bruder hindert mich am Weitergehen.
„Dann sei nicht so!"
„Wie soll ich nicht sein? Was mache ich falsch? Du sprichst ja kaum noch mit mir", spricht er in diesem Ton mit mir, den ich in genau solchen Momenten nicht ausstehen kann. Als er mit mir zuletzt derart gesprochen hat, haben wir unser Zuhause niedergebrannt vorgefunden. In jenem Augenblick tat mir seine liebevolle Stimme mehr als gut.
„Dann denk doch mal nach, warum!", schreie ich ihn grimmig an.
Allmählich reißt mir der Geduldsfaden, darum drehe ich mich wieder um und stolziere schnellen Schrittes voran in Richtung des Schllosstores. Das Tor öffne ich genauso stürmisch, wie all die anderen Türen vorher. Da ich gerade noch so in Gedanken an meine Wut war, bin ich ziemlich überrascht, als vor mir meine Patenkinder stehen. Thala, Øystein und Sarijana sehen mit betretenden Gesichtern in die Runde und um die Situation aufzulockern, nehme ich einen nach dem anderen in den Arm. Der Streit ist vergessen, sobald Kay die Kinder, die ebenso seine Patenkinder sind, entdeckt. Liebevoll nimmt er sie auch in den Arm. „Wo ist denn euer pappa?"
Während sich die kleine Thala an mein Bein klammert und ich sie für kurz oder lang in meinen Arm nehme und sie fest an mich drücke, führt uns Øystein durch die Räumlichkeiten des Schlosses zu meinem Onkel. Wir durchqueren die meterlangen Flure mit den Ritterrüstungen und den Porzellanköpfen oder was es auch sein mag, um letzten Endes in dem Zimmer von Baby Lennja zu landen. Kristoff steht vor ihrem Bettchen in rosa, mit einem kleinen goldenen Krönchen und natürlich ist es wie ein Himmelbett aufgebaut. Das Zimmer sieht genauso aus. Rosa mit kleinen Krönchen sowie weißen und rosanen Kissen und Kuscheltieren. Alles perfekt für die kleine Prinzessin. In der Turmspitze wartet eben so ein Zimmer auf mich, nur rosa und mit Blumen statt mit Kronen. Theoretisch bräuchte ich also gar nicht in dem Schloss der Schneekönigin hausen, was genau genommen nur ein Abbild von dem Eisschloss meiner Adoptivmutter ist. Nein, eigentlich ist es eine direkte Kopie. Sehr kreativ von der Schneehexe, ich weiß. Aber das ist in diesem Moment unwichtig. „Kris, was ist passiert?"
Erst bei meinen Worten wird er auf uns aufmerksam und direkt sich zu uns um. Ihm stehen die Tränen in den Augen. So habe ich ihn noch nie erlebt. Natürlich hat er bereits des öfteren vor Freude geweint, wie zum Beispiel als seine Töchter geboren sind, - bei der Geburt seines Sohnes war ich noch nicht anwesend - aber noch nie so. Aus Trauer. Und vermutlich Wut. Mit seiner Hand winkt er mich zu sich ans Krankenbett. Stillschweigend gebe ich meine süße Maus an Kay weiter und stelle mich neben Onkel Kris. Beruhigend lege ich meine Hand auf seine Schulter. Aus Filmen weiß ich, dass das zumindest beruhigen wirken soll. Er muss isch wenigstens so weit fangen, um mir zu sagen, was los ist, sonst kann ich nicht helfen. „Helf mir, Gerda", fleht er und es zerbricht mir das Herz. Er ist so aufgewühlt, so durcheinander.
„Wie kann ich dir helfen? Was hat Lennja?", flüstere ich, um die erschreckend gruselige Stille nicht zu stören. Ängstlich und auf alles gefasst, werfe ich einen kurzen Blick zu dem Neugeborenen. Puh, sie lebt. Wenigstens etwas. Lebendig ist zumindest ein winziger Anfang.
Prinzessin Lennja ist unnormal rot im Gesicht, das fällt mir sofort auf, obwohl es. Nur ein schnelle Blick zu ihr war. Da Kris immer noch nichts sagt, nehme ich sie aus ihrem Bettchen raus in meine Arme. Ich stütze ihr kleines Köpfchen und wiege sie ein bisschen hin und her, damit sie einschläft. Sobald sich ihre Äuglein schließen, befühle ich ihre Stirn. Heiß. Ihre Stirn ist sehr heiß. „Ich weiß. Wir haben schon gemessen. Ihre Temperatur hat die vierzig Grad überschritten und wir sollten ins Krankenhaus, aber wir kommen da nicht raus. Außerdem sind alle Praxen dicht. Ich kann niemanden erreichen und ich weiß nicht, was ich tun soll... Ich hatte solch eine Situation noch nie... Die anderen drei waren nie so krank... Ich weiß nicht...", er rauft sich die Haare und entdeckt nun die Anwesenheit seiner anderen Kinder. Sofort verstummt er. Anna und Kris versuchen stets, die Probleme vor ihren Kindern zu verstecken und ihnen lieber klar zu machen, dass alles in Butter sei, was natürlich meist nicht stimmt. Vor allem in dieser Situation nicht. Das Baby lege ich erstmal zurück ins Bett, um mir besser einen Plan zu überlegen, der auf die Schnelle funktioniert.
Kay nickt mir zu, ich nicke ihm zu. Ich weiß ungefähr, worauf er hinaus will. Obwohl wir uns gerade nicht mehr sehr gut verstehen, ist er dennoch mein Bruder, auf den immer Verlass ist. Na gut, meistens. Ich schicke Flocke hinter ihm her, sodass er tierische Unterstützung hat, wenn er auf unsere Patenkinder aufpasst. Thala streckt jedoch ihre Arme nach mir aus und mir ist bewusst, was sie vorhat, doch ich nur schüttel den Kopf und schicke sie hinter ihren großen Geschwistern her, die verstanden haben, dass sie mit Kay mitgehen sollen. Sie geht hinter Øystein und Sarijana hinterher, aber ich bemerke, wie sie sich versteckt und durch den Türspalt linst. Kay muss ihr Fehlen bemerkt haben, denn auf einmal steht er hinter ihr, packt sie und dreht sich mit ihr, was sie erfreut aufquietschen lässt. „Komm mit, Thala."
„Aber Lennja..."
Durch den winzigen Spalt sehe ich, dass sich Kay vor unser Patenkind kniet und ihre Hände nimmt. „Du vertraust doch Gerda und deinem pappa, oder? Bald wird es deiner Schwester wieder gutgehen."
Sie nickt vorsichtig und er nimmt sie auf den Arm, nachdem er mir nochmal zugewunken hat. Als sie außer Hörreichweite sind, beuge ich mich erneut über den Rand des Bettes. „Was hast du ihr gegeben?", frage ich leise.
„Nichts. Ich wollte ihr Brei geben, aber sie hat ihn wieder von sich gegeben."
„Okay, hm. Und du hast schon alle Ärzte angerufen? Weiß Anna Bescheid? W ist sie überhaupt?", dabei tigere ich im Zimmer auf und ab.
„Ja und nein. Alle möglichen Ärzte habe ich versucht zu erreichen. Es ist wie verhext und ich weiß einfach nicht mehr weiter. Nein, Anna weiß nicht Bescheid. Sie ist auf dem Weg zu den Südlichen Inseln. Sie muss in etwa heute Morgen in aller Frühe aufgebrochen sein. Als ich aufgestanden bin und die Kiddies geweckt habe, war sie weg. Das einzige, was sie hinterlassen hat, ist ein Brief, indem sie schreibt, dass sie sich nun auf dem Weg dorthin befindet. Ich weiß nicht, ob es ihr gutgeht und wo sie gerade steckt, ob sie bereits da ist oder..."
„Kristoff, alles ist gut. Wir bekommen das hin. Irgendwie." Hoffe ich. „Du musst Anna aber früher oder später hiervon erzählen. Jetzt ist erstmal die Gesundheit dieses Schatzes wichtiger", sage ich. Das Baby gluckst und ich kraule ihren Bauch.
„Was machen wir jetzt?", wieder rauft sich mein Onkel die Haare.
Am liebsten würde ich sagen, dass ich es selbst nicht weiß. Denn es stimmt, ich weiß es nicht. Ich habe ausnahmsweise keine Ahnung. Eine Erkältung mit Fieber habe ich bei den anderen drei auch irgendwann mal mitgemacht, aber da war Anna da und ein Arzt war ebenfalls nicht weit. Jetzt haben wir keine Anna, genauso wenig einen Arzt. Ich kratze mir überlegend am Kopf. Was könnten wir tun? Okay, Onkel Kristoff möchte Anna nicht kontaktieren. Daran kann ich nichts ändern, darum müssen wir uns was anderes überlegen. Selbst wenn wir Anna anrufen würden, würde es nicht viel bringen. Wahrscheinlich ist sie längst über alle Berge. Wegen mir... Mir wird schlecht bei dem Gedanken. Noch schlechter, als ich in den Augen meines Onkels die pure Angst lese.
Zur besseren Konzentration massiere ich meine Schläfen. „Hat sie noch was anderes außer Fieber?"
„Sie hat Blut gespuckt."
„Echt jetzt?" und wie als hätten wir vom Teufel gesprochen, hustet die Kleine und Kris und ich sehen aus, als wären wir in einem Blutbad geschwommen. Scheiße. Nicht gut... Überhaupt nicht gut. Was sollen wir nur tun? Ich werfe einen Blick zu Kris. Okay, ich muss ruhig bleiben. Für Kristoff. Einer sollte wegen den Kopf nicht verlieren. Tief durchatmen. Gott ist bei uns. Er lässt uns nicht im Stich. Er lässt dieses süße Wunderkind nicht sterben. Das würde er nicht tun. Sie ist doch noch so klein... Nicht ausflippen, habe ich mir gesagt! Alles wird gut... Wieder hustet sie und es klingt so, als würde es ihr, neben dem Blut, Schmerzen bescheren. Ich hasse es, wenn Kinder leiden. Insgesamt hasse ich es, wenn Menschen leiden. Da höre ich ein Schluchzen. Thala. Sie steht weinend an der Tür. Nein... nein... nein... Diesmal massiere ich meine Schläfen brutaler mit meinen Daumen. „Was sollen wir machen, Gerda? Ich..."
„Raus!"
„Was? Das..."
„Das ist deine Tochter und du hast mich um Hilfe gebeten. Wir kriegen das hin, aber du gehst jetzt erstmal mit Thala zu den anderen. Ich sage dir Bescheid, wenn ich einen Plan habe."
„Ich..."
„Kristoff, nimm Thala mit."
Niedergeschlagen lässt er den Kopf hängen. Er fühlt sich mies, hab's kapiert. Ich muss mir was einfallen lassen, hab's auch kapiert. Ich... Ich kann nicht mehr... Okay... Atmen. Alles wird gut, alles wird gut. Gott ist bei uns. Die Trolle! Wieso bin ich da nicht gleich draufgekommen?! „Warte, Kris, hast du die Trolle erreichen können?"
„Die Trolle?", mit der flachen Hand klatscht er sich gegen die Stirn. „Die Trolle! Meine Familie, unsere Familie! Du bist ein Genie, Gerda." Er drückt mich fest an seine Brust, doch ich stoße ihn von mir.
„Loben können wir, wenn sie das überstanden hat. Sollte ich noch was wissen?"
„Zwischenzeitlich war sie eiskalt und dann wieder ganz heiß und rot im Gesicht. Der Ausgang in der Windel sieht auch ganz komisch aus und..."
Mit Thala an der Hand höre ich ihn durch den Flur rauschen. Während ich meine Hand auf dem Bauch des Babys liegen lasse, greife ich nach dem Handy in meiner Tasche. Ich wähle eine Nummer und es tutet. Dann nimmt sie ab - Königin Tiana. „Hallo, wer ist denn da?"
„Tiana, ich bin's." Ja, das klingt nicht sehr professionell, vor allem nicht, weil ich sie duze, aber sie hat mir höchstpersönlich das Du angeboten. „Hier ist Gerda."
„Gerda, wer?", höre ich die Königin am Apparat fragend. Zum Glück hat sie noch nicht aufgegeben.
„Gerda Vinter, die beste Freundin von der Freundin ihres Sohnes. Madelens Freundin. Wir haben uns auf einem Grillabend im Sommer kennengelernt. Können Sie sich erinnern? Na egal, ich benötige dringend Ihre Hilfe, bitte."
„Gerda! Ich erinnere mich. Was kann ich für dich tun, Liebes? Ist etwas passiert? Steckst du in Gefahr?" Ich hoffe, dass sie ihre letzte Frage nicht deswegen stellt, weil ich keine richtige Prinzessin bin.
„Nicht ich, sondern mein Patenkind. Prinzessin Lennja von Arendella. Königin Annas und König Kristoffs Kind. Bei uns wütet ein Schneesturm und das Neugeborene ist krank. Sie hustet Blut, hat Fieber und was weiß der Kuckuck nicht alles. Wir brauchen Hilfe... Es ist kein Arzt erreichbar. Bitte, bitte helfen Sie uns, Tiana. Bitte", fange ich beinahe an zu weinen. Ich will mein viertes Patenkind nicht an eine Krankheit verlieren. Bitte nicht...
„Okay, ähm, ich werde versuchen meinen Arzt zu euch zu schicken. Ich kann aber nichts versprechen. Mach dir keine Sorgen, Liebes. Versuch es mal mit etwas Wasser oder Tee und schenke dem Baby ganz viel Aufmerksamkeit und pack es nicht zu warm ein, das bringt nicht viel. Anna kriegt das bestimmt hin."
Wenn Sie wüssten... dass die Königin nicht da ist. Trotzdem bedanke ich mich. Sie meinte es schließlich nur gut, da sie eigene Erfahrung mit ihren Söhnen hat. Ich verabschiede mich und scrolle durch mein Adressbuch. Unterdessen versuche ich nebenbei dem Neugeborenen eine Decke zu entnehmen, damit sie nicht zu dick eingepackt ist, so wie die Königin es gesagt hat. Wen kann ich noch anrufen? Soll ich meine Mutter anrufen? Aber sie wird es definitiv sofort an Anna weitergeben und ich denke, die Aufgabe sollte Kristoff eigens übernehmen. Also schüttel ich innerlich den Kopf. Habe ich denn keine Nummern von anderen Adligen mehr? Irgendwo wird sich die ein oder andere Nummer wohl noch verstecken. Manche haben doch auf Bällen damit geprallt, dass sie neuerdings mobil sind und die Nummer jedem Idioten gegeben. Durch ein paar schnelle Recherchen finde ich kurzerhand die Telefonnumer von Dschinni heraus. Ha, na geht doch! Ich tippe auf wählen. „Dischinni hier. Womit kann ich dienen? Oh sorry, bin nicht erreichbar. Versuch es später nochmal oder sag etwas, nach folgendem Geräusch..." Es erklingt ein Geräusch, welches ich besser nicht beschreiben oder identifizieren möchte, doch anstatt aufzulegen, spreche ich auf den Anrufbeantworter. „Dschinni, Tach. Du kennst mich nicht, aber bei uns bist du bekannt wie ein bunter Hund" - bei ihm halte ich Schleimen für sinnvoll - „und deswegen rufe ich an. Ich brauche Hilfe. Prinzessin Lennja von Arendelle benötigt dringend deine Hilfe. Sie ist krank und ich dachte wegen deine Magie... Egal, du weißt, was ich meine. Bitte komm nach Arendelle, wenn du das hörst. Hier spricht übrigens Gerda Vinter."
Das sollte reichen. Ich lege auf und überlege weiter. Die Feen können bestimmt helfen. Welche gab es da nochmal? Es gibt selbstredend mehrere, aber ich meine dreizehn ganz bestimmte Feen, die jeder kennt. Idhril? Nein, also ja schon, aber sie kann mir vermutlich nicht helfen. Oder doch? Die Fee der Weisheit müsste sie sein. Sie könnte mir zumindest sagen, was mit Lennja nicht stimmt, aber ob mir das hilft, ist eine andere Sache. Wie hieß die Feenschwester der Gesundheit? Gab es eine? Brietté, wofür war sie nochmal gut? Brietté ist die Gute Fee aus Cinderella. Angeblich kann sie alles, was ihre Schwestern können. Nächste Recherche. Wieder gefunden, doch leider geht niemand ran, daher versuche ich mein Glück bei Cinderella. „Guten Tag."
„Wer spricht denn da?"
„Gerda Vinter. Ich benötige dringend Ihr Hilfe oder die Ihrer Guten Fee. Mein Patenkind Lennja von Arendelle ist ganz arg krank und ich erreiche keinen Arzt. Bitte schicken Sie Hilfe und verbreiten Sie die Nachricht bestenfalls, bitte."
„Ich versuche es, gutes Kindchen. Drück den Engel einmal lieb von mir, ja? Ich gebe mein Bestes. Viel Glück dir", damit legt sie auf. Aha. Nett.
Wen noch? Wen kann ich noch anrufen? Anna. Nein, darum kümmert sich demnächst hoffentlich mein Onkel. Bevor ich einen nächsten Versuch starte, sehe ich mir den kranken Engel an, betaste die Stirn. Ein wenig abgekühlt. Puh. Níniel wird sicherlich keine große Hilfe sein. Sie ist die neunte Fee, die für die Trauer steht. Elbereth! Sie ist meine Rettung oder besser gesagt die Rettung von meinem Patenkind. Lennja wird nicht von uns gehen, dafür werde ich sorgen. Die Kleine wird leben und später glücklich verheiratet sein. Punkt. Anders geht es nicht, Gott. Das lasse ich anders nicht zu, hörst du?
Aus meinem Schreck heraus, den Flocke verursachte, als sie sich plötzlich an meine Beine geschmiegt hat, rufe ich bei der zehnten Fee an. Hoffentlich habe ich richtig aufgepasst und sie ist die Fee der Gesundheit. Andernfalls bleibt noch Busala BIM als Möglichkeit. Sie hat durch ihre vielen Affären nicht nur ein paar mehr Kinder, sondern ist glaube ich auch allem in allem begabt auf dem Territorium von Babys. „Hallo?"
Oh Gott sei Dank. Die zehnte Fee. „Hallo, die Störung tut mir leid, aber ich könnte echt ihre Hilfe brauchen. Die Prinzessin Lennja von Arendelle spricht zwischendurch immer mal wieder Blut und ihr... Kot scheint ebenso nicht normal. Sie hat hohes Fieber und meine Frage ist, ob sie bitte kommen können? Sie würden Leben retten."

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