Kapitel 13 - Jack Frost

Klar, liebe ich sie. Was dachtet ihr denn? Sie ist meine beste Freundin und für mich wie eine kleine Schwester. Okay, okay, das passt nicht ganz. Wer schläft schon mit seiner kleinen Schwester?
Über beide Wangen lächelnd setzen wir uns auf die Bänke. Eine Kellnerin kommt und möchte unsere Bestellung aufnehmen, als sie erkennt, wer da vor ihr sitzt: ihre Stammkunden. Sie lächelt wissend und verschwindet wieder. Wir nehmen selbstredend das, was wir immer nehmen. Kakao mit Schuss. Es gibt keinen Menschen, der in der Schneewelt keine heiße Schokolade schlürft. Zumindest keinen normalen und mir bekannten Menschen.
„Du bist der Wahnsinn, Jacky."
„Wieso das?", frage ich. Ich sehe ihr mit schief gelegtem Kopf dabei zu, wie sie es sich auf der Bank mir gegenüber bequem macht.
Zur Antwort zuckt sie mit den Schultern. „Ich weiß nicht. Du warst vorher schon verblüffend außergewöhnlich gewesen, aber jetzt, wo du mit dieser Magie in den Augen über deinen Sohn sprichst... Das wird den Frauen um dich herum bald echt zu viel. Du bist ja fast anbetungswürdig. Siehst du nicht die Frauen, die dir hinterher gaffen? Du bist der tollste Vater, das weiß jede einzelne von denen und wenn nicht, dann leben sie wirklich hinterm Mond."
Ich lache ausgelassen und sie stimmt in mein Lachen mit ein. Ja, klar. Na gut, ja, vielleicht hat sie recht mit ihrer Aussage, aber ich kann es trotzdem nicht glauben. Früher war ich ein beliebter Junggeselle, ja und ja, vielleicht lag das anfangs an meiner damaligen Schüchternheit, was mich süß gemacht hat oder sowas in der Art. Keine Ahnung, um ehrlich zu sein, was die Frauen an mir finden. Die fanden mich ja sogar in Snes frühen Jahren zum Anbeten, obwohl ich voller Babykotze war. Frauen sind fragwürdige Geschöpfe, sagen wir es mal so, aber sie können auch ziemlich heiß sein. „Kennst du meinen Sohn eigentlich? Ich meine, du hast ihn nur gesehen, als er noch ganz klein war."
„Natürlich kenne ich deinen Sohn. Machst du Witze? Ich bin seine Kindergärtnerin", eröffnet sie mir.
Als wäre ich verschlafen reibe ich mir ungläubig über die Augen. „Ohne Scherz jetzt?", hake ich vorsichtig nach.
„Das ist kein Scherz. Was meinst du, warum wir uns immer bei seinem Kindergarten über den Weg laufen? Zufall oder wie? Meinst du, ich starke dich? Das würde mir im Leben nicht in den Sinn kommen, du Scherzkeks-Prinz."
„Scherzkeks-Prinz?", wiederhole ich lachend. „Wie kommt man denn auf sowas?"
„Wie man auf sowas kommt? Ganz einfach: Du bist ein adliger Scherzkeks. Und ich habe insgeheim noch viel bessere Spitznamen. Auch für dich", zwinkernd sieht sie zu mir.
„Ach ja? Dann lass mal hören."
„Nö. Ich verrate dir bestimmt nicht, wie ich dich heimlich hinter deinem Rücken nenne. Ich sage dir nur eins, den einen Elfen, der Luis heißt, haben wir auf den Spitznamen Lügenluis getauft. Also nimm dich besser in acht und frage nicht nach, welche Spitznamen dich erwarten würden. Am Ende kommen dir noch die Tränen."
„Mir kommen doch nicht die Tränen." Männer weinen schließlich nicht, füge ich in Gedanken noch hinzu.
„Aha, ist klar. Und was war das dann, als wir klein waren?"
„Das ist was anderes."
Grinsend stemmt sie die Arme in die Seite. verdammt, jetzt hat sie mich da, wo sie mich haben will. „Klar ist das was anderes. Für dich, nicht für mich. Ich erinner mich für meinen Teil noch sehr gut daran. Du hast nicht bloß geflennt, sondern geweint, nach deiner Mutter geschrien und als ich dann vor dir stand, hast du dir fast in die Hosen gemacht."
„Gar nicht wahr", wimmel ich beschämt ab. Musste sie sich ausgerechnet daran erinnern? Gut möglich, dass ich mir damals bei ihrem Anblick fast - aber wirklich nur fast! - in die Hosen gemacht habe, aber das lag ehrlich nur daran, dass sie dermaßen komisch aussah und ich nicht auf ein Mädchen in meinem Alter gefasst war. Wirklich. Ganz ehrlich.
„Das redest du dir bestimmt schon seit Jahren ein."
„Hähähä", erwidere ich eingeschnappt. „Übrigens: Wusstest du, dass Sne die gleiche Serie wie wir früher guckt?"
„He, nicht ablenken."
„Ich doch nicht."
„Ja, wusste ich. Er ist der einzige, der das kennt. Die anderen stehen mehr auf Sachen wie PawPatrol."
„Oh du meine Güte, bin ich froh, dass er nicht darauf steht. Weißt du dann auch, was sein Lieblingscharakter ist?"
„Ich bin seine Kindergärtnerin, natürlich weiß ich das. Er findet Hicks toll. Was denn sonst? Und ich weiß auch, dass er einen sprechenden Ohnezahn hat", gibt sie mit ihrem Wissen an. Vertieft in unser Gespräch unterbricht uns die Kellnerin mit dampfenden Tassen, die sie vor uns drapiert. Mit einem Lächeln zieht sie wieder ab. Heute ist anscheinend so viel los, dass ihr wohl keine Zeit für ein Gespräch mit uns bleibt.
„Ja, mit dem kuschelt er jeden Abend und er hat sogar ein eigenes Bettchen in Snes Zimmer. Da legt Snefnug ihn jeden Abend rein und deckt ihn zu."
„Beim nächsten Bring-dein-Spielzeug-mit-Tag sollte er den unbedingt mitnehmen."
„Darum kümmere ich mich. Was war früher eigentlich dein Lieblingscharakter? Sorry, ich gucke die Serie mit ihm und benehme mich zwischendurch wohl etwas kindisch", fast schon beschämt fasse ich mir durch meine Haare. Sie ist meine beste Freundin. Bestimmt braucht es mir gar nicht unangenehm sein. ich habe ein Sohn und wir haben die Serie früher gemeinsam geschaut. Da ist die Frage meinerseits nicht ganz so schlimm, wie ich denke. Oder? Ich hoffe es. Nicht, dass ich sie damit vertreibe.
„Astrid, wer denn sonst? Ich weiß, das ist ziemlich langweilig, weil sie ist schließlich die Lieblingsfigur vieler Mädchen, aber Raffi war immer an...", sie bringt eine kleine, unheimliche Pause ein. „...deine Schwester vergeben. Sie war Raffnuss und du Taffnuss." Ja, meine Schwester... Das waren noch Zeiten. Schöne Zeiten, an die ich gerne zurück denke und doch habe ich viele Andenken an meine Schwester in eine Kiste gesperrt. Sie war verschwunden und mich erinnerte alles viel zu sehr an sie. Also habe ich das einzige getan, was mir in den Sinn kam. nein, selbstverständlich wollte ich die Sachen von ihr nicht wegschmeißen, wobei ich zugegeben kurz mit dem Gedanken gespielt hatte, aber umgesetzt hatte ich es nicht. Blooß die Erinnerungen in einer Kiste verschlossen, sodass ich irgendwann nochmal nachsehen und mich erinnern könnte.
„Daran erinner ich mich noch, ja. Aber du und Ju wart dafür doch Heidrun und Dagur."
„Oh ja, stimmt. Die habe ich voll vergessen", mit der flachen Hand schlägt sie sich gegen die Stirn und wir grinsen beide um die Wette. Kindheitserinnerungen sind doch immer wieder schön.
„Wieso bist du jetzt eigentlich Kindergärtnerin? Beziehungsweise wann hat sich das ergeben?"
„Gute Frage. Na ja, du weißt ja, was ich eigentlich gerne geworden wäre, Weihnachtsfrau. Aber das geht ja leider nicht. Weihnachtsfrau wird nur die auserkorene Frau vom Weihnachtsmann. Ich bin dabei nur die unbedeutende Schwester gewesen."
Mitfühlend berühre ich sie am Arm. Seit wir klein waren, wollte sie die Weihnachtsmannfrau werden. Sie wollte auf dem Schlitten den Kindern eine Freude machen. Die Rentiere pflegen, mit den Elfen und den Wichteln Geschenke verpacken und die Freude und die Magie sehen und spüren. Sie wollte ganz viele Kekse essen, um den dicken Bauch eines Weihnachtsmannes zu bekommen. Das war ihr Plan und Jules hätte es ihr ansich gerne ermöglicht, aber ihr Vater nicht. Für den alten Weihnachtsmann war jedoch klar, wer sein Nachfolger wird. Jules. Tja und Jules wurde der Weihnachtsmann und sie war seine einfache Gehilfin, die alles tat, um gesehen zu werden. Sie half beim verpacken, fütterte die Familie und Helfer durch, ließ den Glanz der Weihnachten erstrahlen, doch es brachte nichts. Sie war nicht nur die Zweitgeborene, sondern auch zu allem Übel ein Mädchen. Dabei wusste ich gar nicht, dass sie bereits mit all ihren Bemühungen aufgehört hatte und zu einer Erzieherin geworden ist. „Du bist nicht unbedeutend, das weißt du."
„Ja, weiß ich. Danke, Jacky. Es ist nur so, ich... wollte das nicht mehr. Das hat mir nicht mehr gut getan. ich werde Jules zwar weiterhin helfen, aber ich möchte für mich selbst eine Pause. Ich liebe das alles viel zu sehr. Meine Arbeit, die Wichtel... Also habe ich mir gedacht, werde ich halt Erzieherin, da bin ich wenigstens noch bei den Kindern."
„Das finde ich schön", diesmal bin ich es, der ihre Hand umschließt. Schwach lächelt sie mich an. Sie hat wie früher einen Schnurrbart von der heißen Schokolade. Mit meinem Finger wische ich ihn weg. Wir sehen uns lange tief in die Augen. Ihre braunen Augen erinnern mich an den duften Kakao vor uns. Jetzt müsste es passieren. ich bin mir sicher, dass es jetzt passieren sollte. Das ineinander verlieben. Aber nichts. Es bleibt aus. Dennoch beugt sie sich vor und ich weiß genau, was sie vorhat und beuge mich ebenfalls vor. Unsere Lippen berühren sich. Es fühlt sich gut an. Gut, nicht mehr. Solange habe ich niemanden mehr geküsst. Ihre Zunge bannt sich ihren Weg in meinen Mund. Je beende ich den Kuss und hole stattdessen Geld aus meiner Tasche. Ich lege es auf dem Tisch ab, wodurch sie sofort versteht. Wir verlassen eilig das Restaurant und mit einem Plopp! befinden wir uns in ihrem Zimmer. Stürmisch legt sie ihre Lippen wieder auf meine, während sie sich die Hose auszieht und darauf folgt ihre Unterwäsche. Ich helfe ihr, das Oberteil abzustreifen. Fast gierig reiße ich mir die Hose vom Leib und stürze mich auf sie. Wir fallen zu Boden, doch das stört uns nicht. Wir küssen und lecken, lecken und küssen. Mit einer Hand wühle ich in meinen Sachen auf der Suche nach einem Kondom. Als ich jedoch nicht fündig werde, höre ich abrupt auf. Warum habe ich kein Kondom mit? Nein, nicht weil ich davon ausgegangen bin, dass sie was da hat, sondern um zu verhindern, dass das passiert. Ich wollte das nicht mehr. Nein. Ich wollte das klären. Kein Sex. Verfluchte Scheiße! Ich richte mich auf und Fjella guckt mich verdattert an.
„ich kann das nicht mehr", brumme ich. Ja, zu Anfang wollte ich aus diesem Grund ein Treffen mit ihr und ja, ich wäre auf dem besten Weg gewesen, sie ins Bett zu kriegen, aber jetzt... Jetzt ekel ich mich nur noch selber an. Sie ist wie eine Schwester für mich und mit seiner Schwester hat man kein Sex. Es ist aber nicht nur das. Ich habe keinerlei Gefühle für sie. Das hatte ich auch noch nie. Wie könnte ich ihr erneut Hoffnungen machen?
Ich wende mich von ihr ab und suche meine Sachen zusammen. Genauso schnell wie ich sie mir ausgezogen habe, ziehe ich sie mir auch wieder an. Die restlichen Sachen werfe ich ihr zu. „Zieh dich an", bestimme ich emotionslos. Immer wieder fasse ich mir an die Stirn und schüttel über mich den Kopf.
Fjella sitzt immer noch nur in ihrem BH auf dem Boden. Ich helfe ihr auf und ziehe ihr dabei ein Oberteil an. „Fjella, es..."
„Nein, alles gut, das war einfach nur zu schnell."
„Nein, das war es nicht. Hör zu, Fjella." An ihrem Arm ziehe ich sie auf ihr Bett, wo ich neben ihr Platz nehme. „Das geht nicht. Ich, ich wollte eigentlich mit dir reden. Damals... Das war ein Riesenfehler. Ich hätte niemals mit dir schlafen dürfen..."
„Ein Riesenfehler?!", kreischt sie. „Vielen Dank auch! Hau ab, Jack!!"
Mist, so sollte das nicht laufen. Ich bin ein Volltrottel. Vollhonk. „Du bist sauer, das verstehe ich... Eigentlich wollte ich sagen, dass es mir leidtun, aber du kennst mich ja - ich hab's nicht so mit Gesprächen. Ich... Okay. Also, nein, es war kein Riesenfehler. Also doch irgendwie schon. Ich meine, es war toll. Du hattest deinen Spaß und ich auch, aber ich kann das nicht mehr. Ich liebe dich wie eine Schwester. Ich habe keine tiefer gehenden Gefühle für dich, auch wenn ich es gerne hätte, aber ich kann es nicht erzwingen. Früher dachte ich, das zwischen uns könnte etwas werden, dass ich Gefühle für dich habe, aber jetzt weiß ich es besser. Du bist wie eine Schwester für mich, deswegen diese Gefühle."
„Aber du weißt doch gar nicht, was es heißt, sich zu verlieben", schluchzt sie. Scheiße.
„Bitte glaube mir, es tut mir so leid. Wirklich. Wahrscheinlich glaubst du mir das nach all den Jahren nicht, aber es tut mir echt leid. Jedes Mal, wenn wir es miteinander getrieben haben, war ich betrunkene und... danach habe ich mich geschämt. Konnte mich wochenlang nicht mehr im Spiegel ansehen. Jack Frost, du Ekel, hast es wieder getan. Du hast wieder deine Schwester gevögelt., habe ich mir gesagt. Es war widerlich, ja, abscheulich, mich selbst anzusehen und zu wissen, was ich getan habe. Wegen mir hattest du all die Jahre Liebeskummer und ich fühle mich mies. Nach unzähligen Frauen bin ich immer und immer wieder mit dir ins Bett. Ein Scheusal bin ich. Ich weiß nicht, womit ich dieses Glück von einem Sohn verdient habe oder einer Freundin, die mir andauernd verzeiht. Das habe ich noch nie verstanden, aber ich glaube spätestens jetzt wird diese Glückssträhne futsch sein. Du solltest nur wissen, dass es mir ehrlich leidtut, Fjella. Alles."

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