Kapitel 1
Nachdem wir durch die weite Welt auf der Suche nach unserer Familie gewandert sind, ist mir die Idee gekommen, den Fluss, mit dem ich zu ihm gelangt bin, zu suchen, un damit zurückzukehren. Erst nach zehn Tagen Marsch hatten wir ihn gefunden. Zuerst gingen wir in die falsche Richtung, doch dann kehrten wir um und trafen auf die nun verwitwete Krähen und den Prinzen, der mich damals an Kay erinnert hatte. Die Frau des Prinzen schenkte uns gute Gaben und gab uns einen Esel sowie ein Pony für die Weiterreise. Mit mehr konnte sie leider nicht dienen. Dankend gingen wir weiter unseres Wegs. Kay, mein bester Freund, der für mich all die Jahre wie ein Bruder war, ritt auf dem Pony, ich auf dem Esel. Ich gab ihm belustigt den Namen „Mickey" und Kay Vinter nannte sein Pony „Pupsi", weil es zuvor gefurzt hatte. Dadurch mussten wir beide lachen. Wir lachten den ganzen Weg, bis wir den Blumengarten erreichten und ich verstummte. Verwundert sah mich mein Bruder an. „Was ist los? Ist dir nicht gut?
„Das ist sie", meinte ich nur, als würde das alles erklären.
„Wer ist sie? Sollte ich sie kennen?", fragte er.
Ich mochte es, wenn er sich um mich sorgte. „Sie ist die Blumenfrau aus meinen Erzählungen. Ich glaube, ihr Name war Trine."
„Die, die dich festhalten wollte?"
Ich nickte bloß. Zu mehr bin ich in dem Moment nicht fähig gewesen. Trine war lieb. Sie hatte mich mit Essen versorgt, hatte mir Spielsachen genäht und mir Kränze mit ihren Blumen angefertigt. Das war auch alles gut, bis sie mir alle Rosen genommen hatte und ich somit nicht mehr wusste, warum ich von zu Hause abgehauen war. Kay und ich waren Nachbarn, bis er verschwand. Uns verbanden die Rosen, die zwischen unseren Häusern wuchs. Da ich naives Kind es ihr erzählt hatte, hatte sie, um mich für immer bei sich zu behalten, die Rosen aus ihrem Garten verband. Mir wird schlecht. „Alles gut, Gerda?"
„Können wir bitte schnell weiter?"
Doch Kay wäre nicht Kay, wenn er nicht vom Pony klettern und den Garten auf eigene Faust erkunden würde. Natürlich half er mir zwar noch von meinem Reitgesell, aber als ich den vertrauten Boden berührte, wurde mir wieder schlecht. Er zog mich hinter sich her, läuft durch die Gärten. Nirgendwo war die alte Frau zu sehen. Ich richtete meinen Blick geradeaus. Ich werde mir nichts davon ansehen, dann wird mir auch nicht mehr übel. Mein Bruder öffnete die Tür zur Wohnung. Ängstlich schließe ich die Augen. Was ist, wenn sie meinen wieder gefundenen Bruder verflucht? Also öffnete ich doch die Augen, denn ich werde nicht riskieren, dass das alles hier umsonst war. Direkt danach schlug ich die Hände vor meinem Mund zusammen. Die ältere Frau lag regungslos auf dem Boden. Er rutschte auf den Knien zu ihr. Am liebsten wollte ich ihn aufhalten, doch wenn er sich was in den Kopf gesetzt hatte, konnte man ihn davon nicht abhalten. Und wenn sie uns nur reingelegt hatte...?
Mein Bruder legte ihr zwei Finger an den Hals. Nach kurzer Zeit schüttelte er den Kopf und zog mich weg von ihr. Die Angst klung von mir ab. Es tat mir leid um die Frau, aber ich war irgendwie erleichtert, dass uns keinerlei passieren konnte, dass von ihr keine Gefahr mehr ausging. Erleichtert sprang ich durch den entzückenden Blumengarten mit Kay an meiner Hand. Wir rannten von der einen zur anderen Seite. Wir sprangen und lachten. Legten uns nebeneinander auf den Boden, um in dem Himmel die Wolken zu sehen. „Da, siehst du die Wolke? Sie sieht aus wie das Gesicht von Opa Herbert."
Ich legte den Kopf schief. Mit viel Fantasie sah diese Wolke wirklich wie unser Opa aus. Ich zog meinen Freund zurück auf die Beine. Mit dem Gedanken an unseren Opa rupften wir einige Pflanzen, die wir in unseren Taschen verstauten. Hand in Hand durchquerten wir den Garten, kletterten durch das Tor und liegen mit neuem Mut den Fluss entlang. Ich wusste nicht, wieviel Weg wir noch vor uns hatten, aber es war uns egal. Die Hauptsache war, wir kamen überhaupt jemals an und diese Hoffnung gab ich nicht auf. Wir kämen zurück und würden uns in die Arme unserer Eltern stürzen. Dann würden wir Opa unsere Blumen aus dem Garten geben. „Eigentlich hat Opa uns ja Mal beigebracht, wir sollen die Blumen nicht pflücken."
„Stimmt, das habe ich vergessen", warf ich ein. Sein Gedankengang war berechtigt. Einst hatte er uns erklärt, dass er sich mehr über die Blumen im Garten freute, anstatt die in den Vasen.
„Er wird sich trotzdem freuen."
„Falsch, er wird sich über uns freuen."
Kay überlegte, dann nickte er. „Und dann werden wir vermutlich zusammen ein Gesellschaftsspiel spielen und am Abend liest er uns aus dem großen Märchenbuch eine Geschichte vor."
Doch es sollte nicht so kommen, wie wir es uns erhofften...
💙
Wir erreichten die Tore von Arendelle. Wir hatten es geschafft! Wir hatten es wirklich geschafft! Freudestrahlend fielen wir uns in die Arme. „Zuhause", brummt er in mein Haar.
Unser Gang nahm endlich wieder an Fahrt auf. Die ganze Zeit waren wir nur noch getrottet, haben gehofft anzukommen und siehe da - wir hatten es geschafft. Wir rasten an dem altbekannten Leuchtturm vorbei, nahmen eine Abkürzung durch die Lindgrenstraße, liefen vorbei am Merdøgaard Museum und der magischen Trinity Church, bis wir über den Weg am Fjord entlang zu unserem Zuhause fanden. Von weitem haben wir früher stets das besonders schöne Schloss gesehen. Kay hat sich dann Geschichten ausgedacht, wie zum Beispiel ein Dienstbote, der gestresst durch die Gassen eilt, nur um sich vor der Königin zu verbeugen. Unsere Königin ist hübsch. Und gütig. Ganz besonders gütig. Königin Iduna war immer auf jeder Feier. Sie war für ihre Familie und ihr Volk da, genauso wie König Agnarr. Ich habe ihre beiden Töchter - Anna und Elsa - um ihren Reichtum beneidet. Den Prinzessinnen fehlte es an nichts. Völlig aus der Puste kam ich vor unseren zwei Häusern zum Stehen oder das, was davon übrig geblieben war. Ich sank auf die Knie. Das konnte nicht sein. Unser Haus - weg. Unsere Familie - wer weiß wo. Lebend oder tot? Ich hatte keinen blassen Schimmer. Alles war hinfällig. Alles futsch. Ich sah zu meinem besten Freund, der sich auf dem Boden zusammen gekauert hatte. „Du hättest mich nicht suchen dürfen, Gerda."
„Doch! Doch, das hätte ich. Ich liebe dich, Kay", gestand ich mit Tränen in den Augen. Er gibt sich selber auf. Er darf sich nicht selbst aufgeben! Wenn ich ihn verliere, wen habe ich dann noch?
„Du liebst mich?"
Erst jetzt, wo er es ansprach, wurde ich mir meiner Worte bewusst. „Ich... Ja... Du bist mein Bruder."
„Ich bin aber gar nicht dein Bruder. Du hast deinen Bruder verloren..."
Ich erstarre in meiner Bewegung. Was? Macht er Witze? Habe ich mich verhört? Was war das? „Hä?"
Er schlug sich gegen die Stirn. „Mist, ich kann meine Klappe nicht halten. Hä? Was? Nichts."
„Was hast du gesagt? Sag die Wahrheit!" Er setzte einen unschuldigen Blick auf, klimperte mit den Wimpern. Was hatte das zu bedeuten?
„Oh Mann", stöhnte er ergeben auf. „Deine mor hat mir das erzählt. Für den Fall, dass ihr etwas passiert und sie es dir nicht sagen kann. Du hättest einen echten großen Bruder haben können, aber er ist vor deiner Geburt gestorben. Wegen Hunger oder so, haben sie gesagt. Sorry."
„Schon gut", nuschelte ich, obwohl nichts gut ist. Ich vermisse diesen Jemand nicht. Wie sollte ich auch? Kennengelernt habe ich ihn nie. Aber was ich weiß, ist, dass ich meinen besten Freund Kay Vinter wie einen Bruder liebe. Ich hoffte nur, Gott im Himmel sowie mein verstorbener Bruder könnten es mir verzeihen.
Kay stand auf, aber anstatt mich wie üblich auch hochzuziehen, klopfte er sich die Hose ab und ging ohne ein weiteres Wort davon. Ich lief ihm hinterher. „Kay! Kaaaayyyy! KAY! Warte doch Mal!!!"
An seinem Ärmel hielt ich ihn fest. „Was hast du vor?"
Er zuckt mit den Achseln. „Vielleicht gehe ich mich begraben."
Energisch zog er an seinem Ärmel. Auf seinem Gesicht ein flehender Ausdruck. Als er ihn zu fassen bekam, rauschte er an mir vorbei, doch ich ließ nicht locker. „Nein, das wirst du nicht."
„Das habe ich zu bestimmen!", schrie er mich zusammen.
„Wir sind doch eine Familie... Du kannst mich nicht im Stich lassen...", schluchzte mein zehnjähriges Ich. Seine grünen Augen, die ich so gerne mochte, blieben an mir hängen. Im nächsten Moment schloss er mich in seine Arme. Ich fühlte mich geborgen, kuschelte mich noch enger an ihn. „Womöglich sollten wir erstmal nachfragen, ob unsere Familie wirklich nicht überlebt hat. Was passiert ist. Bestimmt kann uns jemand...", jäh wurde ich unterbrochen.
„Hej! Was macht ihr zwei denn ganz alleine hier draußen? Kann ich euch helfen?", fragte uns eine Frau mit offenen weißen Haaren. Irgendwoher kam sie mir bekannt vor. Ihre Stimme, ihr Aussehen... Ihr Aussehen war dem der Königin ähnlich! War sie unsere Königin?
„Wir... äh... suchen nur... etwas...", reimte sich mein Bruder zusammen. Mir raunte er zu: „Ich liebe dich auch, kleine Schwester."
Empört stemmte ich die Hände in die Hüften. „Ich bin größer als du!", stellte ich klar.
„Und ich bin älter", kommentierte er mit ausgestreckter Zunge.
Die Frau, die ich für einen Augenblick ganz vergessen hatte, lachte.
„Also", war sie trotzdessen erpicht darauf, eine Antwort zu bekommen.
Mit traurigen Blick auf unser Haus erklärte ich: „W-wir sind W-W-", brachte ich bloß schniefend hervor.
„Wir, ich wurde entführt und Gerda hat mich gerettet. Als wir eben ankamen, fanden wir das Haus unserer Eltern so vor", mit seiner behandschuhten Hand deutete er auf unser Haus. Mir entkam ein weiteres Schluchzen. Die Frau mit der netten Stimme und der sonderbaren Haarfarbe legte mir beruhigend einen Arm um die Schultern, während Kay mich erneut in den Arm nahm. Das verursachte in mir noch mehr Tränen. Ich hatte das Gefühl, nicht mehr mit dem Weinen aufhören zu können. Ich klammerte mich an meinen Bruder, weinte, ließ alles raus. Wieso? Wieso war das alles geschehen? Womit hatten wir das verdient? Kay war ein guter Kerl. Er stand unter der Kontrolle der Schneekönigin. Nichts konnte er dafür, rein gar nichts. Das wusste ich tief in mir drinnen.
„Ich weiß, man redet nicht mit Fremden, aber verratet ihr mir eure Namen?"
„Gerda und Kay Vinter", antwortete er für mich, denn er wusste anscheinend genau, dass ich nicht in der Lage dazu war. Dennoch sah ich ihn verwirrt an. Mein Nachname war nicht Vinter. Sein Familienname war es. Mit einem Blick brachte er mich zum Schweigen. Hatte er etwa einen Plan? Gott sei Dank, er hatte einen. Wahrscheinlich war das eine Notlüge, damit man uns nicht trennen könne, doch vielleicht muss das gar nicht sein. Vielleicht leben unsere Eltern noch.
„Kay, Gerda, schön euch kennenzulernen. Ich bin Elsa."
Sobald ich ihren Namen hörte, war alles klar wie Kloßbrühe. Daher kam sie mir so bekannt vor. Es war Königin Idunas älteste Tochter. Ich deutete einen Knicks an und stach meinem Bruder in die Seite, damit er sich verbeugte, doch er verstand nicht. „Verbeug dich, sie ist unsere Prinzessin."
Kay machte große Augen, was wiederum so lustig aussah, dass ich am liebsten darüber gelacht hätte. In einer anderen Situation vielleicht. Schnell ging er auf die Knie, um sich zu verbeugen. Die Prinzessin lachte. „Lasst das, Kinder. Schließlich bin ich nicht die Königin. Das ist doch meine Schwester Anna. Nur soll ich ehrlich sein? Ich glaube, nicht Mal vor ihr braucht ihr euch verbeugen", sie zwinkerte uns zu. Die Prinzessin von Arendelle zwinkerte uns zu. War das zu fassen??
„Anna ist die Königin? Aber... aber wie?"
Wie lange waren wir weg? Wie lange hatte ich nichts mehr über das Königshaus gelesen? Das letzte, was ich hörte, war, dass die Türen und Fenster des Palastes geschlossen wurden. Keiner wusste den genauen Grund. Manche sagten, inmitten des Adels lebe ein Monster, was sie zu verstecken versuchten, aber eigentlich sollte ich das nicht hören. Meine Eltern wollten nicht, dass ich Schlechtes über die Königsfamilie dachte.
„Wusstet ihr das denn nicht? Ich habe ihr mein Amt übertragen. Das Königin-Dasein habe ich an den Nagel gehangen. Anna war schon immer besser für diese Rolle geeignet. Allein wie sie sich um das Volk sorgt. Aber das ist etwas vollkommen anderes. Wo waren wir stehen geblieben?"
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