Kapitel 33 - Hunter
Durch diese unschuldigen Augen, die mich trotz des klaren Blaus, an ein Reh erinnern, sieht er zu mir hoch. Dabei ergattere ich obendrein einen Blick auf seine langen Wimpern. Mein Blick fällt auf seine Lippen und mein Herz pumpt schon das ganze Blut in mein Glied bei dem Gedanken an unseren stürmischen Kuss. Ich muss mich zusammenreißen. Ich glaube nämlich, dass nicht mehr zwischen uns passiert ist, nicht nur an unserem Besuch liegt, sonder ebenso an ihm, weil er Angst hat. Seicht wie eine Feder, die auf den Boden fällt, berührt mich Jay am Arm. Eine Gänsehaut überzieht meinen Körper und am liebsten hätte ich ihn erneut gegen eine Wand gedrückt und dort weiter gemacht, wo wir Momente zuvor aufgehört hatten. Oh Mann... „Willst du darüber reden?"
„Ich kenne Robin besser als mir lieb ist", antworte ich deshalb schroff.
„Du möchtest nicht darüber reden, okay, das verstehe ich. Dann sag das das nächste Mal einfach, ist doch nichts schlimmes dabei. Ich kenne ihn, möchte aber nicht genauer darauf eingehen. Und alles ist gut. Du bist zu nichts gezwungen. Wenn Du jedoch mit mir - irgendwann mal - darüber reden möchtest, das Bedürfnis dazu hast, dann sprich mich an. Ich bin für dich da. So wie du für mich und Pongo."
Ich umfasse sein Kinn und küsse seine Wange. „Danke für dein Verständnis. Eine Sache kann ich dir aber sagen: Hood hat eine Frau - Marian - und zwei ältere Söhne, doch um keinen davon kümmert sich das Schwein."
Nachdem wir uns noch kurz und doch lang in die Augen gesehen haben, gehen wir gemeinsam zurück an den Esstisch. Dort bewirft Tascha den Weihnachtsmann lachend mit ihrem Essen, doch als sie uns bemerken, verstummen sie. Sie wirft ihm einen Blick zu, woraufhin er sich bei mir entschuldigt. Jedoch winke ich ab, bevor er zu Ende sprechen kann. „Kein Ding, das war meine Schuld. Robin Hood ist - tut mir leid, dir deine Kindheit nehmen zu müssen - ein mieses Arschloch. Seine Frau hat er betrogen, seine Kinder gehen ihn ein Scheißdreck an."
„Darf ich fragen, woher du das weißt?" Mist. Die Frage musste wohl kommen. Warum ist die Welt so neugierig?
„Ich weiß es einfach", murre ich, schiebe dann aber noch ein: „Nein, ich bin mit einem seiner Söhne befreundet." hinterher.
„Wie heißt er? Es tut mir sooo leid, aber ich bin ein riesiger Fan von Robin und wenn er eine Enttäuschung ist, möchte ich wenigstens wissen, ob seine Söhne artig sind", legt er sich eine Ausrede dafür zurück, dass er mega neugierig ist.
Leider bin ich nicht sonderlich kreativ. Wie heißen seine Söhne? Nick und Hunter. Klar, das weiß ich, aber ich brauche andere Namen. Zumindest einen anderen Namen. Ach Scheiß drauf, mein Name soll nur nicht bekannt sein. „Nick", beantworte ich darum seine Frage auf diese Weise. Im Nachhinein fallen mir natürlich noch andere Namen ein, die ich hätte nehmen können. Paul zum Beispiel. Oder ich hätte gesagt, er hätte Töchter. Aber womöglich weiß Jules eh, wer ich bin. Oder? Kann dich sein, schließlich ist er der Weihnachtsmann, Santa Claus und so weiter und so fort. Es gibt mehrere Namen für ihn. Warum gibt es eigentlich keine Weihnachtsfrau? Also ich meine nicht bloß die Frau vom Weihnachtsmann, sondern eine richtige Weihnachtsfrau. Und wieso kommen mit jetzt diese Gedanken, wenn ich eigentlich gerade ganz woanders war?
„Das ist so cool. Ich meine nicht das mit meinem früheren Lieblingshelden, aber das alles. Als Weihnachtsmann war ich schon Mal dort, doch ich bin nie lang genug geblieben, um jeden kennenzulernen, um das gesamte Land zu sehen."
„Das wäre gar nicht möglich. Weißt du wieviele Märchen es gibt? Viele, das kann ich dir sagen. Plus die vielen Autoren, die ebenso in unserer Welt leben oder eben ein und ausgehen. Die ganzen Tiere, die Menschen... Fast jede bekannte Märchenfigur hat ihre eigene Familie gegründet, da gibt es reichlich...", beschreibt Jay das quasi Problem.
„Stimmt, guter Punkt, dennoch würde ich gerne Mal länger bei euch bleiben. Apropos. Wie seid ihr hierher gekommen? Wenn ich im Unterricht richtig aufgepasst habe, kann von außen niemand reinkommen, außer der Weihnachtsmann... Halt, warte... Wurdet ihr von meinem Opa geschickt? Lebt er noch? Kennt ihr ihn?"
In der Stille lassen wir den Kopf hängen. „Ju, wir wissen es nicht. Wir haben keine blasse Schneeflocke, wie wir hierher gelangt sind. Wir wissen es nicht", sage ich missmutig.
„Keine blasse Schneeflocke? Was heißt das?"
Ich sehe nur, wie Jay versucht sich ein Lächeln zu verkneifen. Okay, na schön, ich gebe es auf. Keiner benutzt meine erfundene winterliche Aussage. Schade eigentlich. „Egal. Wir wissen nicht, wie wir hier herkamen."
„Seltsam. Völlig unmöglich. Zuhause werde ich Mal prüfen, woran das liegt. Von Aliens wurdet ihr nicht geschickt, oder?"
„Nein", meint das kleine Reh verdattert.
„Nein? Gut. Mir kommt da eine Idee. Esst bitte auf und dann möchte ich euch etwas zeigen. Einen Nachtisch haben wir ja nicht eingeplant, daher kommt meine Idee wie gelegen", wissend grinst Tascha zu seinen Worten.
Verwundert mache ich mich an meinen Döner, um zu erfahren, was er vorhat. Jay sitzt still auf seinem Stuhl und räuspert sich. Alle Augenpaare sind somit auf ihn gerichtet. Unwohl rutscht er nun auf dem Stuhl herum. Was hat er denn? „Ich muss euch was sagen... Ich bin keine Frau. Und vor allem nicht seine Frau. Wir sind nicht verheiratet. Ich bin ein Junge. Wir haben uns nur als Ehepaar ausgegeben, um nicht auf dem Fegefeuer verbrannt zu werden... oder so..."
Schweigende Stille. Oh Mann, was für ein chaotisches Wirrwarr von Worten. Einzig und allein höre ich meine Atmung. „Um ehrlich zu sein habe ich mir das bereits gedacht. Hallo? Der Weihnachtsmann weiß alles. Aber keine Sorge, ich weiß, dass ihr gute Gründe hattet mich zu belügen. Ihr bekommt weiterhin Geschenke und ich verzeihe euch, so wie ihr mir."
„Also bin ich gerade das einzige Mädchen im Haus?"
Mit einem zerknautschten Gesichtsausdruck nickt Jay. „Tut mir leid."
„Schon gut. Besser du sagt es früh genug, als den Rest unserer Freundschaft über zu lügen."
„Freundschaft?"
„Ja, was denkst du denn, was wir sind?", erwidert Tascha.
Jules steht auf und fängt an unsere Teller zu stapeln. „Können wir los?", fragt er hibbelig. Allmählich frage ich mich echt, was er mit uns vorhat.
Jay hilft das Geschirr in die Spüle zu räumen. Danach machen wir uns zum Aufbruch bereit. Jules hilft Natascha dabei, sich die Jacke anzuziehen, während ich Jay helfe. Zum Schluss, als die anderen beiden jeweils Mütze und Schal anhaben, ziehen wir uns unsere Mäntel an. In warmen Klamotten gehen wir also vor die Tür. Mit einem Fingerschnipsen von Jules' Seite erscheint wie aus dem Nichts ein roter Schlitten mit goldenen Kurven vor uns. Um dem Schlitten die Krone aufzusetzen hat er an den Seiten noch schöne, lieblich gestaltete Schnörkeleien. Vorne drauf steht der Name des derzeitigen Weihnachtsmannes in geschwungener Schrift. Jules. „Wenn ein neuer Weihnachtsmann erwählt wird, steht wie auf magische Weise sein Name auf der Vorderseite des Schlittens", erklärt er leichthin.
„Wow."
„Du sagst es", meint Tascha.
„Viel besser als ein Auto aus eurer Welt oder jeglichen anderen Welten", behauptet der Weihnachtsmann.
„Stimmt gar nicht. Ju hätte viel lieber ein Auto - Porscho oder so. Überspielt es gerade, um zu zeigen, dass er was besseres hat", flüstert sie mir ins Ohr. Ich grinse breit.
„Was denn?", kommt es von Ju. Er wirkt leicht angepisst. Trotzdem lässt er sich nicht beirren, sodass er auf seinen Schlitten zugeht. Erst jetzt sehe ich die Rentiere. Der Weihnachtsmann geht an jedem einzelnen vorbei, streichelt es, sagt seinen Namen - da wären selbstverständlich alle Neune Dasher, Dancer, Prancer, Vixen, Comet, Cupid, Dunder, Blixem und zu guter Letzt Rudolph, den man auf keinen Fall vergessen sollte - und holt eine Kleinigkeit zum Naschen aus seiner Manteltasche, die er ihnen hin hält. Rudolph hat wie in so ziemlich jedem Film eine leuchtend rote Nase. Wow. Jetzt muss ich auch so staunen wie Jay eben. Das ist der Hammer! Kindheitsträume, die in Erfüllung gehen. Ich kann's kaum fassen. Ju winkt uns zu sich, damit wir die Rentiere der Reihe nach streicheln können. Mit offenem Mund, was bestimmt nicht besonders sexy aussieht, mir jedoch gerade ziemlich wumpe ist, gehe ich auf Rudi zu. Mit meiner behandschuhten Hand berühre ich seine Stirn - oder heißt das hier anders? Seine rote Nase springt mir ins Gesicht und er versucht mich mit der rosanen Zunge abzuschlecken. Nochmal wow. Was anderes weiß ich nicht zu sagen. Kann ich gar nicht. Unaufhörlich streichel ich seinen Kopf. Kurz stupse ich seine Nase an. Nach Momenten, die mit Rudi viel zu schnell vergangen sind, tippt mich Jay - ich weiß genau, dass er es ist, weil mein Körper bei seinen Berührungen, obwohl es noch so kleine sind, anfängt zu kribbeln - an.
Fast schon schweren Herzens löse ich mich von dem Rentier und steige auf den Schlitten. Beim Aufsteigen überkommt mich ein Gefühl des Glücks, der Freude. Etwas, was ich lange nicht mehr gespürt hatte, deswegen würde ich schließlich zu gerne hier bleiben, aber auch wenn mich der Gedanke schmerzt, dass Jay im Gegensatz zu mir nach Hause möchte, werde ich ihm helfen, seinen Weg zurück zu finden. Dann bleibe ich halt alleine hier. Vielleicht nimmt mich Immy bei sich auf oder Jules und Tascha, wenn sie denn endlich zusammenkommen, wobei es natürlich völlig ihnen überlassen ist, dennoch kann man die Spannung zwischen den zweien nicht leugnen. Just in dem Moment, als hätte Ju meine Gedanken gehört und wolle diese bestätigen, legt er einen Arm um Tascha und sieht sie verliebt an, doch sie bemerkt den Blick nicht. Seit wann bin ich so? Ich sehe Romantik im Normalfall nicht mal dann, wenn sie direkt vor mir abläuft. Bestimmt liegt das an Jay, der zu viel romantisches Zeugs mit seinen drei Schwestern geschaut hat. Wie hat er das überhaupt überlebt mit drei schwesterlichen Biestern?
Bevor ich jedoch mit den Augen blinzeln kann - ich wollte gerade fragen, wie es weitergeht - ruckelt der Schlitten, die Rentiere kommen in Bewegung. Zwusch! Im nächsten Moment sind wir in der Luft. Der Schnee braust uns eisig ins Gesicht. „Haltet euch fest!", schreit Jules, damit wir ihn durch den Wind verstehen können. Ein in dem Moment für mich undefinierbares Etwas saust an uns vorbei und es öffnet sich ein Tor zu einem Sog. Um uns herum fliegen Zuckerstangen, bunt verpackte Geschenke, Dekorentiere, Dekoweihnachtsmänner, ein Killerweihnachtsmann, der Ju zusammenzucken lässt, wie ich registriere und jede Menge anderen Krimskrams. Je weiter wir in den Sog geraten, desto mehr Süßigkeiten fliegen uns um die Ohren. Als ich mich zu dem Reh umdrehe, sehe ich die strahlenden Augen und die roten Wangen. Oh mein Gott, ist das süß. Diese roten Wangen, das Lächeln, die Augen... Wie lange werde ich ihm noch widerstehen können? Nicht mehr lange, das ist klar. Mein Herz erwärmt bei diesem Anblick, obwohl ich weiß, wie übelst kitschig das klingen mag.
Bam! Zack! Und wir werden aus dem Sog rausgerissen. Die Süßigkeiten, die mit durchgekommen sind, fallen wie Regen nieder. Gemächlich sinkt der Schlitten mit den fallen Süßigkeiten und mir fallen die Augen aus dem Kopf. Wir sind nicht länger in einer Winterwelt, sondern in einer Süßigkeitenwelt, das erklärt auch, warum das Süßzeug mehr und mehr wurde. „Das ist Sugar Rush, eine unserer Welten, da wir schließlich Süßes für die Kinder brauchen. Sugar Rush versorgt uns damit, während wir ihnen helfen gesünder zu leben."
Ich sehe und rieche Schokolade, Gummibärchen, Eiscreme. Es sind so viele Eindrücke. Da sehe ich einen Eisberg - und damit meine ich kein normales Eis, sondern Milcheis, also Eis zum Essen - und dort ein Lebkuchenhaus und hier das und da das. Es ist unglaublich. Selbst die Wolken bestehen aus Zuckerwatte. In weiter Ferne entdecke ich Wackelpudding. Bevor der Schlitten auf dem Boden ankommt, springt der Weihnachtsmann ab und hilft Tascha runter. Wir, Jay und ich, gehen erst von Board sozusagen, als man ein Geräusch hört, welches uns weismacht, dass wir nun absteigen können. „Bambi ist mal wieder durchgebrannt."
„Bambi, wer?"
„Bambi, das Rehkitz aus dem Disneyfilm? Er ist von Rudolph und Dancer adoptiert, nachdem er seine Eltern verloren hat. Wahrscheinlich ist er wieder Feline hinterher. Die tummeln sich meist hier herum, also werde ich die Eltern mal nach ihrem Sohn suchen lassen. Sofern ihr ein kleines wildes Rentier entdeckt, gebt bitte Bescheid. Ansonsten kann ich euch erstmal diese Welt zeigen."
„Wie wäre es, wenn ich das übernehme, Weihnachtsmann, alter Freund? Freunde vom Weihnachtsmann, ich bin Honey Drop", stellt sich ein goldgelber Bonbon mit Armen und Beinen vor. Ein Lachen kann ich mir nun wirklich schwer verkneifen. Doch obwohl der Drop es anscheinend bemerkt, lässt er sich nicht aus dem Konzept bringen. „Habt ihr Lust auf ein Rennen? Die Mädels möchten immer ein Rennen mit den Neuankömmlingen veranstalten. Unsere Prinzessin Vanellope kann euch leider nicht willkommen heißen."
„Wo ist sie denn?", hakt Ju nach.
„Knutschen mit ihrem Freund, um Ralph eifersüchtig zu machen", lautet seine knappe Antwort. Mit einer flotten Bewegung deutet er in eine ungefähre Richtung.
„Aha."
„Wollen wir nun ein Rennen fahren?", fragt Natascha.
„JA!", willigt Jay prompt ein. „Wir machen euch fertig."
„Ha! Wohl eher andersherum."
Der Honey Drop wackelt überlegend mit seiner Hand. „Ihr bräuchtet erst einen Wagen. Ihr könnt euch einen in unserer racerbil bakeri backen. Was haltet ihr davon?"
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