Kapitel 28 - Hunter

Am Morgen reißt mich ein spitzer Schrei aus dem Schlaf. Ich reiße den Kopf hoch. Mein Schädel brummt. Unter blinzelndem Augenbewegungen drehe ich mich zur Seite, wo mich der Anblick auf einen verschlafenen drein blickenden Jay erwartet. Knuffig. Habe ich das gerade echt gesagt? Durch ihn verweichliche ich. Das kann so nicht weitergehen. Irgendwie fühle ich mich in seiner Nähe sogar wohl, aber das ist ein Ding der Unmöglichkeit. Ich kenne ihn doch kaum, obwohl ich zugegeben das Gefühl nicht loswerde, ihn aus einem früheren Leben zu kennen. Oder mich an ihn zu erinnern. Wie ist sowas möglich? Geht sowas? Oder sind wir uns im Märchenwald schon mal begegnet, bloß erinnern wir uns beide nicht mehr daran? Wobei es ebenso sein könnte, dass er etwas weiß, es mir jedoch verheimlicht. Doch das glaube ich eher weniger. Von allen Möglichkeiten, die mir durch den Kopf gegangen sind, ist das die absurdeste von allen absurden Ideen. Jay lügt nicht, das liegt nicht in seiner Natur.
„Guten Morgen!", begrüße ich ihn. Heute bin ich viel zu guter Stimmung. Eben ist mir die Idee gekommen. Zwar nicht der Einfall, wie wir hier wegkommen, aber immerhin habe ich einen winzigen Plan, der uns das mit der Familie von Jay und der De Vils erklärt, möglicherweise erklärt.
„Guten Morgen. Alles gut bei dir? Warte mal, was machst du in meinem Bett?"
„Du hattest gestern Nacht einen Alptraum. Ich dachte, ich helfe dir, ihn zu überstehen. Nichts zu danken."
Verwirrt schüttelt er den Kopf. „Ich habe mich doch gar nicht bedankt. Du hättest das nicht machen müssen. Trotzdem, danke."
„Gern geschehen. Willst du mir von deinem Alptraum erzählen?"
„Nein, das möchte ich nicht", wieder schüttelt er den Kopf.
„Das verstehe ich. Auch du kannst aber gerne zu mir kommen, wenn du über etwas reden möchtest", gebe ich verständnisvoll von mir. Ich verstehe das wirklich. Vor allem vor Jungs will man nicht seinen Mann stehen und von seinen Gefühlen, Gedanken und Träumen sprechen. Außer wenn es ein Sextraum ist. Ein richtig heißer Sextraum.
„Danke."
„Du musst dich nicht bedanken."
„Möchte ich aber."
„Kann ich dich was fragen?", drehe ich heute mal den Spieß um. „Warum hast du dich gestern so schnell breitschlagen lassen? Und wieso war unser Streit eher ziemlich kurz? Weil ich meine, ich finde es nicht schlimm, wundert mich nur."
„Ich, na ja... Als mein Vater starb, habe ich einiges gelernt. Dazu gehörte auch, dass man immer verzeihen sollte. Irgendwann könnte es zu spät sein. Ich konnte meinem Vater nicht sagen, dass ich ihn lieb habe. Kurz bevor er starb... Kurz bevor er starb, da hatten wir einen Streit. Ich kann mich nicht mehr genau daran erinnern, war schließlich noch ziemlich jung, aber ich glaube, ich war sauer auf ihn, weil er mich mal wieder vernachlässigt hatte. Wir wollten gemeinsam auf ein Fußballspiel, doch er hatte nur Zeit für seine Arbeit...", ihm läuft eine Träne übers schöne Gesicht. Okay, ich muss unbedingt aufhören, so zu denken. Wir müssen den Weg zurück nach Hause finden. Das ist viel wichtiger, als sein schönes Gesicht.
„Hey, alles gut, nicht weinen. Du hättest es mir nicht erzählen müssen, das weißt du, oder?"
„Ich weiß."
Das Reh - wie komme ich nur darauf? - krabbelt vom Bett und tapst aus dem Zimmer. Oh, ich sehe, wohin das führt. Ratzfatz laufe ich ihm hinterher und halte ihn auf, indem ich meine Hände auf seine Taille lege. Mit seinem Kopf, anders ist er schließlich gerade verhindert, dreht er sich zu mir. In seinem Blick liegt die große Verwirrung. Verständlich - irgendwie  zumindest. „Was ist mit dir, Hunter? Ist dein Fieber zurück?"
Seine Hand will bereits nach meiner Stirn greifen, aber ich wehre sie ab. Wieder schwimmt in seinem Blick Verwirrung mit. Daher erläutere ich meine Gründe: „Mir geht's gut. Wir haben heute etwas vor und zwar: Bitte einmal Trommelwirbel... Okay, dann nicht... Erst frühstücken wir, dann gibt es eine Überraschung, für die wir diese Bruchbude verlassen werden. Ja, ich denke, so kann man das nennen."
„Hast du da nicht was vergessen? Mein Hund darf nicht mehr nach draußen."
„Dein Hund... äh, ja, was das angeht...", will ich ihm das Problem mit seinem Dalmatiner erklären. Er reißt die Augen weit auf, dass ich Angst bekomme, er könne sie wegen meiner Wenigkeit noch verlieren, sprich sie fallen ihm beinahe aus dem Kopf. Heilige Mutter Maria, ich habe Pongo doch nicht umgebracht, nur abgegeben, damit wir Dinge erledigen können, ohne um ihn bangen zu müssen.
„Was heißt das, Hunter? Was hast du mit meinem Hund gemacht? Sag's mir! Was? Was hast du getan? WO ist mein Hund? Wo ist Pongo?", brüllt er mich so laut an, dass ich obendrein auch noch fürchte, er bekommt bald keine Luft mehr. Andererseits kann ich dann wenigstens einmal ausreden.
„Pongo geht's gut, beruhige dich", beschwichtige ich ihn.
„WO. IST. MEIN. HUND?! HUNTER!!!!!!", betont er jedes Wort einzeln. Erstaunlich. Wahrlich erstaunlich, wie er da noch Luft bekommt.
Krass, der kann ja echt austicken. Hätte ich ihm nicht zugetraut. „Dein Hund ist in Sicherheit. Ich habe ihn zu einer Freundin gebracht." Das stimmt sogar. Gestern habe ich Tascha in einer Bar getroffen und wir haben nett geplaudert. Im Laufe des Abends haben wir uns ebenfalls über „unsere" Partner unterhalten. Sie hat mir von dem Weihnachtsmann erzählt und ich hatte erst befürchtet, ich müsste mir irgendwas über Jay aus dem Ärmel ziehen, doch dem war nicht so. Irgendwie wusste ich durch diese wenige Zeit miteinander ziemlich viel über ihn. Als würde ich ihn bereits kennen. Ich weiß, dass er seit dem Tod seines Vaters scheinbar Angst im Dunkeln, beziehungsweise Angst vor dem Alleinsein hat. Freunde von ihm sind zugleich meine Freunde und obwohl ich mich nicht daran erinnern kann, mit ihm darüber gesprochen zu haben, weiß ich, dass er als kleiner Junge immer Go Wild! Mission Wildnis geguckt hat, genau wie ich. Er liebt Eichhörnchen und erinnert mich an ein kleines , verletzliches, manchmal ebenso verängstigtes Reh. Außerdem schaut er Liebesfilme und früher Barbiefilme zusammen mit seinen Schwestern. Ich kenne aus mir unerfindlichen Gründen sogar die Namen seiner Schwester - Trude, Walda und Hilde. Der Hund bedeutet ihm alles, weil er in den dunkelsten Zeiten für ihn da war. Und Jay liebt Weihnachten. Das weiß ich alles und das mit Weihnachten habe ich noch nicht mal daran gemerkt, weil er so für unsere Welt mit den Augen geschwärmt hat oder so, sondern weil ich es irgendwie weiß. Kenne ich ihn? Aber woher?
Jedenfalls hat Tascha mir berichtet, wie sie hierher kam. Sie hatte seine Schwester für eine Nacht bei sich aufgenommen und im Gegenzug hat diese sie dazu eingeladen, mit ihrer Familie Weihnachten zu feiern. Der Weihnachtsmann hat also seine Schwester bei Tascha abgeholt und Tascha auf das Flehen seiner Schwester gleich mitgenommen. Seitdem ist sie hier und auch wenn sie es vor ihm aus Protest nicht zugibt, liebt sie diese Welt. Und vielleicht auch Jules, wobei sie das nicht ausdrücklich zugegeben hat.

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