Kapitel 27

Was wagen?", tut der Mann vor mir auf Unschuldslamm. Pah, darauf falle ich längst nicht mehr rein!
„Was wagen? Was wagen! Du weißt genau, was ich meine!!!", ich werfe wie so oft die Hände in die Luft.
„Nein, weiß ich nicht! Was meinst du? Den Kuss? Ist es das? Der Kuss war unsere Tarnung. Eigentlich sollte ich sauer auf dich sein!"
„Wieso? Wieso solltest du sauer auf mich sein?!"
„Weil du unsere Tarnung fast hast auffliegen lassen", wütend bohre ich ihm meinen Finger in die Brust. Damit er meinen Finger auch spürt, muss ich ziemlich doll drücken, so muskulös ist seine Brust. Wie unfair. Ich musste mich jahrelang durch Sport quälen und er - er ist der Sport in Person, sozusagen.
„Ich? Das war alles deine Schuld!", zetere ich.
„Meine? Nein, war es nicht!!!", brüllt er. „Es war deine!"
Erniedrigt will ich den Kopf hängen lassen, doch dann fällt mir ein, was ich werden will. Polizist. Daher recke ich mein Kinn. Ich lasse mich nicht runterziehen, von gar keinem, besonders nicht von ihm. Mit geraden Rücken stelle ich mich vor ihn und sehe ihm in die Augen. „Du bist ein riesiger Mistkerl!", dann landet meine Hand schallend in seinem Gesicht. Sein Gesicht fliegt zur Seite. Als er sich mit blitzenden Augen wieder zu mir dreht, fässt er sich an sein Kinn. „Guter Schlag, Kleiner, aber lass das besser lieber. Sicherer für dich, glaub mir. Gerade hast du Glück, dass du ein Mädchen bist und ich dich nicht schlage, sondern eher das mache, um nicht aufzufallen, falls jemand vor dem Fenster steht", meint er ruhig.
„Was machen?", hauche ich. Ich räusperte mich und will es erneut mit mehr Gewalt in der Stimme versuchen.
„Das", nun liegen seine Lippen auf meinen. ER drückt mich gegen die Wand und ich höre etwas hinter mir rascheln. Hat wohl den Vorhang vors Fenster gezogen. Bevor ich mich wehren kann, beziehungsweise muss, lassen seine Lippen vor mir ab. Als er sich kurz wegdreht, berühre ich meine Lippen. Was war das?
„Du bist meine Ehefrau, Jay, ob du's willst oder nicht, du bist mit mir verheiratet. Ich vergesse deinen Schlag und dass du dich mir widersetzt hast, wenn du das nicht nochmal tust. Wir werden jetzt essen, doch vorher bringen wir deinen Hund in den Keller."
Tickt der nicht mehr dicht? Nur, weil ich seine Schein-Ehefrau bin, heißt das nicht, dass er die Kontrolle über mich hat! Außerdem werde ich meinen Hund ganz gewiss nicht in den Keller sperren! Hat der einen totale Blaumeise? Wieviel hat er gestern gesoffen? Nun werde ich wirklich sauer. Mein Gesicht müsste längst knallrot wie das einer Tomate sein, ob das an der Wut über ihn liegt oder an dem Kuss. „DAS werden wir nicht", bestimme ich knurrend.
„Oh doch, das werden wir. Dein Hund schwebt in Gefahr, weißt du nicht mehr?"
„Ich werde meinen Hund doch nicht einsperren! Bist du komplett irre? Was geht in deinem Kopf vor? Hattest du noch nie ein Haustier? Ich liebe Pongo. Er muss ebenso mal auf Klo wie wir. Wo soll er sein Geschäft verrichten? Im Keller, wo es dann richtig schön stinkt? Nein, danke. Pongo bleibt, wo er ist."
„Gut, bitte, lass dir deinen Hund von einer kranken Irren wegnehmen. Wäre dir das lieber? Kannst du endlich aufhören, mich für den Bösen zu halten?"
„Du bist der Böse!", schreie ich, lasse alles raus, bis ich seinen verletzten Blick sehe. Ups. So war das nicht gemeint. Ich setze einen Blick auf, der ihm zeigen soll, wie verzweifelt ich bin und entschuldige mich, dabei halte ich ihn am Arm. „Tut, tut mir leid. So war das nicht gemeint... Nur..."
„Ist schon gut, Jay, lass es einfach. Du hast recht, ich bin der Böse. Was auch sonst?"
„Du musst verstehen, der Hund bedeutet mir alles. Einst gehörte er meinem Vater und Papa ist tot und... Es gab eine Phase, da hab ich mich keinem mehr anvertrauen wollen. Da war ich noch sehr klein. Pongo hat es irgendwie geschafft, mich zu überreden, meine Freunde aufzusuchen, um mit ihnen darüber zu sprechen und sie nicht auch noch zu verlieren. Er hat mich zurück ins Leben gebracht. Abends - jetzt wird es noch verrückter - brauchte ich ihn an meiner Seite. Mit Licht, ihm und einem Hörspiel konnte ich mich in den Schlaf weinen. Wer weiß, was gewesen wär, wäre er nicht gewesen. Ich glaube, ich hätte die Jahre, die Nächte nicht überstanden. Es tut mir leid, aber bei ihm verstehe ich keinen Scherz", erkläre ich mulmig. Gleich wird es passieren. Gleich wird er mich auslachen, weil ich Licht zum Einschlafen brauchte. Theoretisch bräuchte ich es manche Nacht noch heute.
Lange sieht Hunter mich nur an. Dann sagt er nach einer Weile: „Ich verstehe dich und es war kein Witz. Ich möchte dir helfen und wenn ich dafür deinen Hund beschützen muss, dann tue ich das, Blondie. Es ist nur so, dass ich bei Keinem ernst rüberkomme, doch es ist mein voller ernst. Wenn du deinen Hund vor-wem-auch-immer retten willst, solltest du ihn in den Keller schicken. Wir bekommen das hin, mit seinem Geschäft, meine ich. Wärst du damit einverstanden?"
Er will mir wirklich helfen. Unsicher darüber, was ich als nächstes sagen soll, vor Gerührtheit sprachlos, bringe ich eher leise heraus: „Danke, Hunter, dass du mir immer noch helfen willst. Ich hole Pongo."
Warum vertraue ich ihm eigentlich beinahe blind? Was ist, wenn er mich ohne den Schutz meines Hundes umbringen will? Oder meinen Hund und ich ihn erst Monate später tot auffinde und er meint, die De Vils haben ihn geschnappt? Wenn er mich belügt? Doch ich vertraue ihm. Wenn nicht ihm, wem dann? Viel mehr Leute gibt es hier schließlich nicht. Außerdem könnten wir ja vielleicht die kleine Meerjungfrau aufsuchen, wobei das schwierig werden könnte, damit ich ihr einen Brief für meine Familie geben könnte, bevor er mich umbringt. Das wird schon. EinemMenschen Vertrauen entgegen bringen wirkt so gut wie Meer. Irgendwann kommen wir gemeinsam aus dieser Schneekugel, so hatte es Immy doch gesagt. Eine Schneekugel. Eine Weihnachtsschneekugel vermute ich mal. Vielleicht... Vielleicht könnte man vo hier drinnen jemanden da draußen erreich, der gerade die Kugel schüttelt und es dann entdecken könnte, um uns zu retten. Oder da draußen erwartet uns bloß die Person, die uns mit diesem Fluch umbringen wollte. Ich habe eindeutig zu viele Fantasien. Okay. Hoffnung. Hoffnung... Ich hoffe darauf, hier wieder rauszukommen. Daran glaube ich ebenfalls fest. Das wird schon. Irgendwie.
Der Jäger sieht mich abwartend an. Ach ja, da war was. Ich verschwinde in meinem Zimmer, aus dem Pongo mir bereits entgegen kommen. „Hey, Großer. Darf ich dich im Keller unterbringen? Zu deiner Sicherheit."
Mein Dalmatiner nickt. Oh. Sonst ist er meist anderer Meinung. Wenn Hunter wirklich ein Auftragskiller wäre und einen Plan im Schilde führen würde, hätte Pongo längst Alarm geschlagen, um uns in Sicherheit zu wissen. Also alles gut. Hunter kann man vertrauen.
Ich wünschte mir nur im Keller gäbe es eine kleine Rasenfläche, auf der er sein Geschäft erledigen könne mit einem gemütlichen Körbchen auf der anderen Seite, in dem es schön kuschelig warm wäre. Ein Keller, indem er sich dalmatinerwohl sowie dalmatinermäßig glücklich fühlen könnte halt. Verwunderlicherweise nimmt Hunter meine Hand und gemeinsam mit meinem Dalmatiner steigen wir die Stufen in den Kellern herab. Erst jetzt, wo es etwas dunkler as oben ist, sehe ich, dass er vorgesorgt hat, indem er an eine Kerze gedacht hat. Unten staunen wir nicht schlecht, als es vor unseren Augen glitzert und schließlich mein Wunsch in Erfüllung geht. Das wird ja immer verrückter, aber immerhin hat mein Hund so auch seinen Spaß. Freudig nehme ich sein Gesicht in meine Hände. „Hier lässt es sich leben oder was meinst du?"
Zur Antwort bellt mein Dalmatiner. Hunter, ich frage mich, wieviel Hände er wohl haben muss, stellt einen Teller mit etwas zu Futtern auf den Boden.
Sachte drückt er meine Hand, was meinen Körper erneut in eine kleine Kribbelattacke versetzt. „Kommst du?"
Ein letztes Mal für diesen Zeitpunkt streichel ich mit meinem Finger die Linie von seiner Schnauze bis hin zu seiner Stirn entlang. „Bis später, Pongo. Heute Abend bringe ich dir deine Lieblingsspeise."
Auf dem Weg nach oben fragt Hunter mich, was wir machen wollen, ob wir die anderen aus unserer Welt aufsuchen wollen oder erstmal diese Welt erkunden. Mit erkunden meint er bestimmt genießen. Wäre ich freiwillig hier, hätte ich das bereits getan. Hätte die Lieder fröhlich, in Erwartung auf das schönste Fest im Jahr, mitgesungen. Hätte hier und da Plätzchen gefuttert, von Zeit zu Zeit gebrannte Mandeln verschlungen. Ich liebe, liebe, liebe die schönste Zeit im Jahr. Wahrscheinlich hätte ich sogar mit Wildfremden getanzt, nur für das Weihnachtsfeeling. Bei diesen Gedanken vollzieht mein Herz einen Salto. Weihnachten. Wo bin ich hier nur gelandet?

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