Kapitel 2
Das habe ich mir gedacht. Wieso sollte sich ein Prinz an jemanden wie mich erinnern? Ich nicke verständnisvoll und lasse den Kopf hängen. Toll, gleich darf ich den Schmollmündern alias meinen Schwestern diesen Moment auftischen, ihnen sagen, dass das mit Céde wohl oder übel nichts wird. Bei allen Eichhörnchen des Waldes! „Warte! Jay, doch jetzt sagst du mir was. Glückwunsch zu deinem Abschluss - du hast doch einen, oder? Was kann ich für dich tun?" Das hatte ich nicht kommen sehen, dass er sich an mich erinnert, dass er obendrein sogar mit mir, der Doppelnull, spricht.
„Ja... ja, klar, habe ich. Dir auch", fange ich mich wieder. „Meine Schwestern, sie wollten, dass ich dich mit ihnen bekannt mache."
„Yanis, komm her!", er winkt jemanden irgendwo hinter mir zu, erklärt das Gespräch somit für unterbrochen. Ich will mich schon umdrehen, da hält er mich auf. „So, was wolltest du? Sorry, Modo hat meine Mutter gebeten, dass ich ein Auge auf seinen Sohn habe."
„Schon gut. Meine Schwestern wollten dich kennenlernen."
„Ah, natürlich. Schick sie ruhig her zu mir."
Mein Blick fällt wieder auf die Mädchen, die in einer chaotischen Schlange darauf warten, den Prinzen in voller Natur zu betasten. Verständlich, wenn man den Prinzen so ansieht. Er ist heiß, das sieht jeder, selbst wenn ich auf Mädchen stehen würde. „Darf ich fragen, wie du das schaffst?"
„So viele Girls auf einmal oder was meinst du? Das ist gar nicht mal schwer. Siehst du, sie liegen mir zu Füßen. Egal, ob ich mich für sie entscheide oder für eine andere, sie folgen mir auf Schritt und Tritt."
„Und was ist mit Blanchette?"
„Was soll mit ihr sein? Sie ist süß und ich habe sie im betrunkenen Zustand angeblich wach geküsst. Das heißt gar nichts."
„Das bedeutet, du stehst nicht auf sie?", hake ich nach. Obwohl zwischen Nevis und mir viel steht, besorgt mich das Schicksal seiner Schwester ebenso.
„Keine Ahnung, aber der Weg ist fei für dich, wenn du das meinst."
„Nein, nein, das meinte ich nicht. Na dann, tschüss."
„Jo, ciao. Wir sehen uns." Diesmal gehe ich wirklich. Die Prinzessin tut mir leid. Sie hofft und er macht ihre Hoffnungen ständig zu nichte. Ich hoffe nur, meine Schwestern werden sich eines besseren besinnen. Eigentlich tut mir Céde nur leid. Die meiste Zeit eingesperrt in einem Schloss, seine Mutter ist durchgeknallt, alles bei ihm ist verstrickt. Andererseits ist er kaum bemitleidenswert, er hat reichlich Frauen um sich, Unmengen an Kohle und hat ein hammermäßiges Äußeres. „Bonjour, mes chéries. Ça va?"
Wieder verziehe ich mein Gesicht und stapfe weiter zu meiner großen Schwester. Für heute, als sie mich überredet hatten, auf den Ball zu gehen, hatte ich ihr einen Tanz versprochen. Besser ich bringe es schnell hinter mich. Es ist nicht das Problem, dass ich nicht tanzen kann, sondern eher, dass ich mich nur nicht traue. Trude ist in allem perfekt. Sie hat den perfekten Freund, - es ist Esmeraldas Sohn Zephyr - die tollsten Freunde und hatte bisher nur gute Noten. Meine Noten waren jetzt auch nicht die schlechtesten, aber ebenso nicht die besten. Die besten Noten in unserem Jahrgang hatten Prinz Nevis und Connor, die schlechtesten hatte hingegen Prinzessin Merida, die keiner wirklich leiden konnte oder besser gesagt, sich jeder vor ihr fürchtete. Trude kann tanzen, ich nicht. Klar, meine Noten im Tanzen waren zwar nicht der Bringer, aber ich hatte ein einigermaßen gutes Niveau durch die Theorie erhalten. Praxis stand bei mir gleich null. Trotzdem zieht meine Schwester mich an sich und tanzt mit mir. Dabei versucht sie mich in ein Gespräch zu verwickeln. „Bist du mir böse, wenn ich sage, dass ich mit deinem Schwarm getanzt habe?"
„Welchem Schwarm?" Leider weiß ich nur zu genau, wen sie meint.
„Du weißt, wen ich meine. Hunter Hood", bestätigt sie meinen Verdacht. Innerlich stöhne ich auf. Ich benötige ein Alibi. Jemanden neues, auf den ich angeblich stehen könnte.
„Hood? Wie Robin Hood? Was habe ich verpasst?"
Siegessicher grinst Trude. Eichhörnchenhölle! Jetzt hat sie mich, wird mich zappeln lassen. Ich hätte desinteressiert klingen sollen. „Hast du ihn dir mal angesehen? Er sieht wie der gute alte Robin aus. Na ja, streich das Wort alt. Er könnte glatt der Sohn von Robin sein, wenn man das Aussehen bedenkt, als er diesen Trunk getrunken hat, um für kurze Zeit ein Mensch zu sein."
„Meinst du? Hm, kann schon sein. Darauf achte ich nicht."
Um für einen Moment, wenn er auch noch so kurz sein mag, meine Ruhe zu haben, drehe ich meine große Schwester. Doch als ich sie wieder zu mir ziehe, geht es weiter. „So, so. Worauf achtest du denn dann?"
Anstatt darauf zu achten wende ich mich an Valerya Marie, die Tochter von Anastasia, die mich eben an der Schulter angetippt hat. „Möchtest du mit mir tanzen, Jornandes?"
Oh nein, nicht dieser Name. Jornandes ist mein Alptraum. Es ist zwar mein richtiger Name, aber der ist noch schlimmer, als die althochdeutschen Namen meiner Schwestern. Die klingen wenigstens noch annähernd schön. Meiner klingt wie aus einem schlechten Sciencefictionfilm entstanden. Deshalb der Name Jay. Eigentlich bin ich davon ausgegangen, dass alle mich unter dem Namen Jay kennen. „Hey, Valerya Marie. Du kannst mich Jay nennen. Das wäre mir lieber."
„Oh natürlich, tut mir echt leid. Auf schoolfairyserv standest du in meinem alten Kurs als Jornandes."
„Ja, weil das mein richtiger Name ist. Nicht schlimm." Die Tochter der früheren Zarentochter starrt verletzt zu Boden. Sofort fühle ich mich schlecht. Ich habe auf ihre andere Frage gar nicht geantwortet. Sie wollte wissen, ob ich mit ihr tanzen möchte. „Ja", sage ich deswegen. Verwirrt schaut die Zarentochter auf. „Ich würde sehr gerne mit dir tanzen."
Ein kleines Lächeln stiehlt sich auf ihre Lippen. Ich nehme ihre Hand und führe sie weg von meiner großen Schwester. Bereits von weitem sehe ich, wie meine anderen Schwestern auf Trude zulaufen. Bloß weg. Eine weitere Diskussion über und um Hunter kann ich nicht ertragen, obendrein sicher nicht, wenn wir in der Öffentlichkeit sind. Allein zu Hause ist mir das schon unangenehm genug. Wie ich es im Unterricht gelernt habe, lege ich der Zarentochter die Arme an die schmale Taille, während sie ihre Arme auf meiner Schulter platziert. „Was willst du nach dem Abschluss machen?"
„Um ehrlich zu sein, weiß ich das noch gar nicht. Vielleicht um die Welt reisen oder etwas in der Richtung Tanzen machen. Definitiv will ich nicht mehr nach Paris. Ich weiß, meine Mutter und meine Großmutter lieben es dort, wegen Erinnerungen und so, Blabla. Und ich liebe es da ja auch, Paris ist der Wahnsinn - warst du schonmal da? - aber es ist halt momentan einfach nicht mehr dasselbe wie in meiner Kindheit. Ich will die Welt mit eigenen Augen entdecken. Ich will nach Sankt Petersburg, nach Griechenland und so weiter. Und du?"
„Also erstmal, nein, bisher bin ich noch nie nach Paris gekommen. Hat sich nicht ergeben" In Gedanken füge ich hinzu, weil meine Familie für sowas nicht genügend Geld hat. Im Gegensatz zu den anderen haben wir nicht jeden Cent entgegen genommen. Wir haben uns unser Leben hart erarbeitet. „Nach heute werde ich an die Polizeiakademie gehen."
„Möchtest du Polizist werden? Natürlich willst du das, sonst würdest du ja nicht zur Akademie gehen. Das ist cool. Freust du dich?"
„Ja, schon irgendwie", antworte ich ihr. Noch ein letztes Mal drehe ich sie, dann endet das Lied. „Wenn du tanzen magst, war das bestimmt dein schlechtester Tanz mit mir, oder?"
„Oh nein, gar nicht. Seh die Welt mal positiver. Du warst um einiges besser als die anderen Jungs in unserem Jahrgang."
„Das solltest du mal Frau Lebkuchen sagen", witzel ich.
„Meinst du Gretel? Oh, wie ich ihr Gebäck geliebt habe. Schade, dass sie sich gegen den Beruf als Bäckerin entschieden hat. Sie und ihr Bruder haben so wundervoll gebacken. Manchmal bin ich echt sauer auf Hänsel, dass er seiner Schwester so zugeredet hat."
„Hast du früher auch immer in der Bäckerei Erdbeerige Lebkuchen gefrühstückt? Meine Mutter hat dort früher gearbeitet und jeden Morgen nach der Arbeit etwas mit nach Hause gebracht", erinnere ich mich mit einem kleinen Lächeln an diese Zeit. Das war kurz nachdem mein Vater gestorben ist.
„Ja, das habe ich auch! Ist ja irre! Was war dein Lieblingsgebäck?"
„Boah, das ist eine schwere Frage. Vielleicht die Quarkinis?"
„Au ja, die waren lecker. Ich kann mich nicht entscheiden."
„Ach, aber ich musste mich entscheiden?", lache ich. Sie fällt in mein Lachen mit ein. Wir entfernen uns von der Tanzfläche, damit wir den anderen nicht im Wege stehen. „Wir sollten eine Petition machen, wo wir Unterschriften für sammeln, damit die Bäckerei wieder öffnet. Was hältst du davon?"
„Klingt nach einem wirklich richtig guten Plan - ich bin auf alle Fälle dabei."
„Super, schlag ein!"
„Was gibt es zu feiern?", fragt Walda. War ja klar, dass meine Ruhe vor den drei Monstern nicht von ewiger Dauer sein würde.
„Wir wollen die Bäckerei Erdbeerige Lebkuchen wieder aufleben lassen", verkündet die Zarentochter stolz, als sie ihren Blick auf meine Schwester richtet.
„Mega, da bin ich dabei. Wobei...", meine kleine Schwester kommt näher und wechselt in ihre versucht geheimnisvolle Flüsterstimme. „Vielleicht braucht es dazu nicht mal unsere Hilfe. Den Gerüchten zufolge will die Tochter den Laden auffrischen. Egal, wie oft die Mutter und der Onkel es ihr verbieten, sie liebt das Backen. Angeblich soll sie gegen die Regeln ihrer Mutter verstoßen und beim Austausch bei einer Bäckersfamilie unterkommen. Bumm! Das nenne ich mal genial!" Valerya Marie beobachtet meine Schwester belustigt. Dabei fällt mir auf, dass ich die beiden noch nicht miteinander bekannt gemacht habe, aber das brauche ich gar nicht, denn meine anderen Schwestern stehen aus heiterem Himmel ebenso neben mir. Ich bin mir sicher, sie haben nur auf diese Gelegenheit gehofft. „Valerya, darf ich vorstellen? Meine drei entzückenden Schwestern. Trude, Walda und Hilde."
„Hallo, ich bin..."
Bevor sie enden kann, unterbricht Hilde sie. „Du bist Valerya Marie. Jay, pass gut auf sie auf!", drohend richtet sie ihren Zeigefinger auf mich. Daraufhin werfe ich ihr diesen fragwürdigen Blick zu, mit dem ich bezwecken möchte, zu erfahren, was die drei vorhaben. Die Zarentochter lacht bloß darüber. Sie ist mir gleich sympathisch gewesen. Dieses Lachen, dieses Selbstbewusstsein. Da werde ich glatt neidisch. So viel Selbstbewusstsein hätte ich nur zu gerne, aber egal, was ich mache, es hilft alles nichts. Überwiegend bin ich schüchtern. „Ja, die bin ich." Sie zeigt ihre strahlend weißen Zähne. Für einen kleinen Augenblick habe ich das Gefühl, dass es jetzt passiert, dass ich mich genau jetzt in sie vergucke, doch ich spüre keine Veränderung. Kein Kribbeln im Bauch, kein Herzrasen. Schade. Irgendwann werde ich die Richtige finden, bläut mir Mama stets ein.
„Jay, hi." Ich schaue auf in braune Augen, so hell, dass ich an Bernstein am Meer denken muss. Mein Herzschlag setzt für eine Millisekunde aus.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top