Kapitel 19

- Der Grillabend; sechs Tage später -

Ist da noch frei?", frage ich die rothaarige junge Frau, die auf einem der Gartenstühle thront. Meine Frage beantwortet sie mit einem Ja. Ich weiß, wer sie ist. Es ist Merida - die einzige Prinzessin mit echtem roten Haar, die ich kenne. Von einer anderen Prinzessin mit roten Haaren habe ich bisher nicht gehört. Außerdem haben wir sie schließlich zusammen mit Connor eingeladen. Ich setze mich auf den Stuhl neben sie. „Ich bin Jay", stelle ich mich vor. „Und wer bist du?"
„Im Ernst? Du weißt, wer ich bin", behauptet die Prinzessin mit hochgezogenen Augenbrauen, die unterstreichen, wie verwirrt sie von meiner Aussage ist.
„Nein, das weiß ich nicht. Sollte ich das?" Die Übertreibung des Jahrhunderts. Ein Jeder kennt Merida. Es gibt keinen, der sie nicht kennt. Wer sie nicht kennt, lebt echt noch weiter als nur hinter den Sieben Bergen. Der lebt wahrscheinlich eher im Menschenwald oder nahe an der Grenze.
Ihr Blick ist derart urkomisch, dass ich erst anfange zu prusten und dann schallend lache, mich nichts mehr zurückhält. „Prinzessin Merida. Tochter von König Fergus", macht sie sich mit einem finsteren Blick mit mir bekannt. Ich schüttel ihre Hand, nicht ohne zu lachen.
„Zugegeben, ich weiß genau, wer du bist. Ich dachte nur, du möchtest dich vielleicht einmal selbst vorstellen können. Bestimmt bist du nicht so, wie man in Zeitschriften über dich schreibt", löse ich die Sache auf. Meine Worte meine ich ernst. Wer mich kennt, weiß das. Wie gesagt, jeder kennt sie aus zahlreichen Zeitschriften, aber warum sollte sie sich nicht einmal selbst vorstellen dürfen? Ich finde, das hat sie verdient. Zu zeigen, was ihr wahres Ich ist, zu sagen, was sie möchte. Nicht die Schlampe sein, als die sie jeder durch die Klatschblätter kennt.
„Bestimmt bin ich das. Glaubst du die sexy princess lügt?", versucht sie sich an einem eher missglückten Scherz.
„In deinem Falle, ja. Lieblingsfilmgenre?", wechsle ich das Thema, damit sie ihre Chance nicht verspielt.
„Wieso? Wird das hier ein Interview?"
Wieder komme ich nicht umhin, über sie zu lachen. Und wieder erwartet mich ein finsterer Blick ihrerseits. Ich sollte es mir nicht mit ihr verscherzen, besser vorsichtig sein. Viele Jungs haben Angst. Als Polizist sollte ich diese Angst jedoch nicht zur Schau stellen.„Darüber müssen Sie mit meinem Manager reden", säuselt die Prinzessin aus reinem Spaß, dessen bin ich mir sicher. „Nein, Scherz beiseite. Meine sind Horrorfilme. Deins?"
„Liebesfilme", antworte ich, obwohl es nicht der Wahrheit entspricht. Liebesfilme sind nicht schlecht, aber die gucke ich nur wegen meinen Schwestern und weil ich in der Unterzahl als Junge bin. „Nein, okay, Barbiefilme."
„Scherz oder Witz?", hakt sie nach. Scherz oder Witz? Hm...
„Keins von beiden. Das ist mein ernst. Nein, ich schaue zwar manchmal gerne Liebesfilme, aber mit Nevis habe ich früher Die wilden Kerle geguckt, dann Marvelfilme und so weiter. Star Wars Filme kenne ich auch alle wegen Lennox. Der hat die ständig mit Nev und mir geguckt. Richtiges Lieblingsgenre habe ich eigentlich nicht, so könnte man es sehen. Musik?"
„Musik-was? Achso. Rock", für einen Moment scheint sie leicht verwirrt, doch das ändert sich schnell wieder.
„Pop. Lieblingsmärchen?"
„Nicht dein Ernst!", grimmig sieht sie mich an. War das wirklich eine so eine verkehrte Frage? Die war noch nicht ganz so schlimm, wie die Frage, die ich mir vorher überlegt hatte. „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel."
„Hätte ich nicht von dir erwartet - sorry für das Vorurteil."
„Aschenbrödel ist witzig mit ihrem Jägerkostüm deshalb. Ansonsten hasse ich Märchen. Was ist dein Lieblingsdingsbums?"
„Du meinst Lieblingsmärchen? Schneewittchen", lautet meine Antwort mit einem Grinsen.
Connors Rücken versperrt mir auf einmal die Sicht auf Merida. Die beiden wechseln ein paar Worte, jedoch so leise, dass ich diese nicht verstehen kann. Als er mit einem äußerst wütenden Gesichtsausdruck an mir vorbei stampft, zieht die Prinzessin ein ähnlich genervtes Gesicht wie er.
Ich lege meinen Kopf schief. Erfahrungen in solchen Sachen habe ich wenig bis gar nicht, dennoch habe ich das Gefühl, zwischen den zweien läuft was. Nach dem letzten Gespräch mit dem Wolf bin ich mir da sogar ziemlich sicher. Außerdem habe ich dann doch etwas Erfahrungen aus den Schnulzen, die ich mit meinen Schwestern ständig schaue und aus ihren schnulzenhaften Büchern, die ich lese, weil es bei uns keine besseren Bücher gibt, da meine Mutter nicht bereit ist, viel zu viel Geld auszugeben. Entweder kauft sie Dinge, wie zum Beispiel Bücher, also gebraucht in einem Second-Hand-Shop oder lässt es bleiben, in dem wir frühere Dinge benutzen, die irgendwann mal Trude gehörten. Ich versuche mich an einem wissenden Grinsen. Wie gesagt, ich versuche es. Wer weiß, wie dieses Grinsen für andere aussehen muss. Merida verschränkt die Arme vor der Brust und starrt immer noch dem Wolf hinterher, bis sie meinen Blick auffängt und ich ihre bösen Blicke abbekomme. Unwohl spiele ich an meinen Fingern herum. Kann sie mit ihren Blicken aufhören? Oder können wir zu dem vorherigen Gespräch zurückkehren? Das war mir um einiges lieber. Um einiges. Wirklich. Bitte, bitte, zurück zu dem Gespräch. Meine Konzentration liegt weiterhin auf meinen Fingern, wo ich gerade einen Fitzel bemerkt habe, den ich abknabbern könnte, um etwas zu tun zu haben... Stattdessen wird mir bewusst, dass ich in diesem Moment eine ziemliche Blamage für die Polizei darstelle, daher richte ich den Blick auf und hebe bloß abwehrend die Arme. „Was denn? Ich habe doch gar nichts gemacht."
„Aber gedacht", kontert sie. Das ist wahr. Da kann ich ihr leider nicht widersprechen.
„Ja, stimmt, ich habe gedacht. Ich sehe Liebe auf den ersten Blick, glaub mir und zwischen euch hat es definitiv mächtig gefunkt."
„Ist klar. Und zwischen dir und-"
Oh nein. Ich weiß schon, was jetzt kommen wird. Ich und Hunter. Bestimmt ist Adelheid die Übeltäterin, die mal wieder alles ausposaunt - nichts an die guten alten Posaunisten, dazu zählt Knuthilde und wenn ich das nicht dazu sage, ist sie sauer auf mich, weil ich damit sie beleidigen würde - hat. „Sag's nicht. Hunter und ich, ja, ja, ich weiß. Themenwechsel?", beende ich entnervt ihre Worte. Bitte kann ich in den Eichhörnchenhimmel kommen? Ohne Hunter? Ich mag ihn, aber... Der Kuss war toll, aber... Wie klingt das denn? Ich habe keine Ahnung, ob ich Gefühle für ihn habe. Ich weiß es wirklich nicht. Wie gesagt, null Erfahrungen. Aber was ich weiß und manchmal erschreckend finde, ist, dass... dass ich mich Fegefeuer hätten, wenn wir uns das Bett geteilt hätten. Da wäre ich nicht in der Dunkelheit mit meiner Angst allein gewesen. Oder, dass ich in seiner Nähe ein Kribbeln im Bauch verspüre, doch vielleicht ist es nur ein Zeichen, dass ich ihn als Freund wertschätze. Ich weiß verrückt, vor allem in Hinblick dessen, dass ich aus den Romanzen genau weiß, was das Kribbeln bedeuten könnte.
Mein Blick fällt auf die Becher neben uns. Die hat Connor wohl für uns besorgt. Komisch, dass die Prinzessin, der ein gewisser Ruf voraus eilt, nicht längst daraus getrunken hat. Oder aber ich habe es nur nicht bemerkt. Durchaus möglich, wenn man bedenkt, wie konzentriert ich gerade auf meine eigenen Gedanken war. Aus dem Gespräch zwischen ihr mit meinem Kumpel habe ich zwar nur einige Fetzen aufgeschnappt, aber ich glaube mich daran zu erinnern, dass es um das Trinken ging. Unauffällig schaue ich in die Becher. Ein gelbes Getränk wie mir scheint. Vermutlich Fanta. Oh, war das der Grund? Wollte sie lieber das scheußliche Gesöff anstatt einer Fanta? Scheinbar war es ihm trotzdem wichtig, dass sie etwas trank. Um meinem Kumpel zu helfen, nehme ich den einen Becher und halte ihr den anderen hin. Mit einem zu Anfang angewiderten Ausdruck im Gesicht nimmt sie den Becher an.
„Definitiv einverstanden", greift sie die Frage nach einem Themenwechsel wieder auf. Zusammen lachen wir, als wir uns mit der Brause gegenseitig zuprosten. „Lieber Football oder Rugby?", zieht sie den Wechsel unserer Themen durch.
„Fußball", lasse ich sie wissen. Ich bin nicht doof, ich weiß genau, wie ihre Frage ursprünglich gemeint war. American Football, nicht Fußball. Doch ich bin ein Mensch, der beiden von ihr genannten Sportarten irgendwie eher weniger etwas abgewinnen kann.

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