> Part 94
,,Und du bist sicher, dass du von Damian sprichst?", fragte Lily am selben Tag als wir skypten und sie wissen wollte, was es Neues gab. Ich erzählte es ihr, auch wenn es mir schwer über die Lippen kam. ,,Ich weiß ja, dass er nicht gerade ein Kind von Zurückhaltung ist, aber sowas? Mit dir? Es tut mir so leid, Aria."
Ich machte eine Handbewegung. ,,Du kannst ja nichts dafür", sagte ich.
,,Dabei hat er's mir versprochen", nuschelte sie vor sich hin. ,,Wie heißt sie noch gleich? Sophia?"
,,Sophie. Was hat er dir versprochen?"
Sie stöhnte und setzte sich in eine andere Position. Hinter ihr sah ich ihr neuaufgebauten Kleiderschrank, neben dem aber noch immer ein paar ihrer Kartons zu sehen waren. ,,Am Tag, wo wir uns am Flughafen verabschiedet haben, da hat er mir versprochen, dass er es schafft."
Ich riss meine Augen auf. ,,Was?"
,,Soll ich dir das jetzt haargenau erläutern oder wie?"
Ich nickte und sie verdrehte die Augen. ,,Ich habe ihn umarmt und sagte: ,,Bitte vermassel es nicht. Sie verdient es glücklich zu sein und du machst sie glücklich. Also mach es nicht kaputt" und er guckte dumm, sagte dann aber: ,,Versprochen". Das waren so ziemlich die Worte, die wir benutzt haben."
,,Ich wusste doch, dass da was war!", rief ich. Das war echt ... süß. Sowohl von Lily, als auch von Damian. Erneut überkam mich das erstickende Gefühl von Enttäuschung, da Damian sich anscheinend nichts aus seinem Versprechen gemacht hatte.
Lily lächelte und sah mich sanft an. ,,Was willst du jetzt tun?"
,,Ich weiß nicht", sagte ich. ,,Was soll ich denn auch schon tun? Es ist nun mal so wie es ist."
Sie sah aus, als würde sie mich liebend gerne erwürgen. ,,Bist du völlig durchgedreht? 'Es ist nun mal so wie es ist'? Diese Sophia/Sophie-Tusse denkt, sie könnte auftauchen und alles an sich reißen, einfach so, und du willst es dabei belassen? Damian liebt dich, Aria, und du tust es auch und ich will, verdammte Hacke, dass du - dass ihr - umeinander kämpft und nicht, dass ein dämlicher Kuss alles kauputt macht, was zwischen euch ist. Okay, ich sag ja nicht, dass der Kuss okay war, das war er garantiert nicht und Damian sollte dich auf Knien anflehen, ihm zu verzeihen, aber es heißt nicht, dass es aus ist! Oder?"
,,Das ist echt ein bisschen zu dramatisch ... "
,,Dramatik hin oder her", sagte Lily energisch. ,,Es ist so, wie ich es sage. Vielleicht ist Damian nicht deine große, wahre Liebe - du bist noch jung, es kann sich so vieles verändern - aber zumindestens ist er deine erste Liebe und die erste Liebe ist immer etwas Besonderes. Soll es schon aufhören, bevor es überhaupt richtig angefangen hat?"
Ich ließ mir ein bisschen Zeit zum Nachdenken, bevor ich antwortete: ,,Nein. Natürlich nicht."
,,Na also." Zufrieden steckte Lily ihre roten Haare hinter ihre Ohren. Dann seufzte sie. ,,Liebe ist echt nicht einfach."
,,Was ist los?" Plötzlich schämte ich mich dafür, nicht nach Lily gefragt, sondern gleich mit meinen Problemen angefangen zu haben.
,,Olly! Er ist ständig in meinem Kopf! Manchmal, wenn ich an ihm vorbeilaufe, grinst er mich mit seinem strahlenden, perfekten Lächeln an und dann ignoriert er mich wieder."
,,Lächelst du zurück?"
,,Anfangs, ja. Aber jetzt nicht mehr", sagte sie. ,,Candice meint, er will sich nur mysteriös machen und dass er ein Spinner ist. Das ist er wahrscheinlich auch, aber -"
,,Aber trotzdem geht er dir nicht mehr aus dem Kopf", schlussfolgerte ich. ,,Eine klassische "Was-wäre-wenn"-Verknalltheit. Was wäre, wenn er doch nicht so ein Spinner ist? Wenn er eigentlich ganz schüchtern ist, obwohl er mich schon bei der ersten Gelegenheit beleidigt und dann geküsst hat? Was wenn er unsicher ist und sich deswegen so verhält?"
,,Aria, hast du irgendwelche Liebesratgeber verschluckt?" Sie fing an zu lachen und ich stimmte ein.
,,Nein, aber das sollte ich mal tun", seufzte ich daraufhin. Auf meinem Laptop wurde aufeinmal eine Meldung angezeigt, die sagt, dass ich schnellstens meinen Stromkabel einstecken sollte, da ich nur noch zehn Prozent Akku hatte. Während ich unter meinem Bett nach dem Kabel suchte, rief ich: ,,Hast du ein Bild von ihm?"
,,Was?"
Ächzend setzte ich mich wieder gerade auf und hielt in beiden Hände das Kabel. ,,Ob du ein Bild von Olly hast?"
,,Warte", murmelte sie und begann auf ihrem Handy herumzutippen. Währenddessen stöpselte ich das Ladekabel ein. Als sie mir schließlich Olly auf ihrem Handy zeigte, fiel mir gleich auf, dass er Mike ähnlich sah. Okay, nicht ähnlich. Doch er hatte die selben hellbraunen/dunkelblonden Haare wie er und auch dunkelblaue Augen hatten beide, soweit ich das bei Olly erkennen konnte. Vielleicht ähnelten sich auch ihre Kinnpartien, denn sowohl bei Mike als auch bei Olly war es ein wenig spitz und vorgezogen. Trotzdem fand ich Olly viel attraktiver.
,,Er ist hübsch", sagte ich lächelnd und als ich Lily ins Gesicht blickte, strahlte sie, was sie versuchte unter Kontrolle zu bekommen. Ich lächelte breiter. Ich hoffte, dass wenigstens sie glücklich wird.
***
,,Könnt ihr mir mal sagen, was bei euch los ist?", forderte Sally uns beim Mittagessen auf, wozu Dad mich regelrecht zwingen musste. Ich wollte weder Mittag essen, noch mit Damian in einem Raum, geschweige denn am selben Tisch sitzen. Und jetzt saß ich hier: Gebratene Würstchen und Kartoffelbrei vor mir und Damian gegenüber von mir.
Keiner von uns antwortete.
,,Ihr seit keiner Kinder mehr, Kinder", sagte Dad und wollte mit seinem schlechten Scherz wohl die Stimmung etwas auflockern. Klappte nicht. Es war komisch mit dem Jungen, mit dem ich gerade 'Beziehungstress' hatte, zusammen zu Mittag zu essen und dabei noch unsere Eltern dabei zu haben, obwohl man selbst überhaupt nicht miteinander sprach. Zwar bemerkte ich, dass Damian mich öfters mal anschaute, doch entweder blickte ich auf mein Essen oder stur an ihm vorbei.
,,Ihr wollt also nicht darüber reden?"
Ich schaute sie an und hoffte, dass das Antwort genug war. Genervt blickte sie zu Dad und wieder zurück zu mir und Damian, doch sagen tat sie nichts mehr, sodass das Essen einigermaßen schweigend verlief. Ich ließ zwei Würstchen und ein wenig Kartoffelbrei auf meinem Teller übrig, stand auf und entschuldigte mich, bevor ich rauf in mein Zimmer ging, um mich umzuziehen. Ich musste hier raus. Obwohl sich der Himmel immer mehr zusammenzog, lief ich einige Minuten später dick angezogen aus der Haustür. Ich wusste nicht, wohin ich gehen sollte, also ging ich erstmal los. Irgendwann würde ich wohl irgendwo ankommen.
Und das war an einem Park. Erinnerungen blitzten in meinem Kopf auf. Mum und ich waren früher manchmal hier gewesen, erinnerte ich mich. Mit Granny. Als ich an einem Spielsplatz vorbeikam, wo nur wenige Kinder spielten, wobei sich der Himmel nun wieder aufhellte, erinnerte ich mich daran, dass ich hier einmal von der Schaukel geflogen war. Ich hatte mitten in der Luft einfach losgelassen und bin im hohen Bogen von der Schaukel gestürzt, in den Sand. Ich fing wie am Spieß an zu weinen und meine Mum tröstete mich, während Granny notdürftig Pflaster auf meine blutenden Knie klebte, doch da ich wenige Minuten später einfach aufhörte zu weinen und weiterspielen wollte, verzichteten sie darauf mit mir zum Arzt zu fahren.
Gedankenverloren ging ich weiter und setzte mich schließlich auf eine Bank. Ein paar Jogger liefen an mir vorbei und auch ein paar Paare. Wir sind noch nie wirklich händchenhaltend rumgelaufen, Damian und ich. Und obwohl das für mich auch kein Muss war, beneidete ich die Pärchen, die hier rumliefen, scheinbar glücklich und zufrieden, und sich einfach ... liebten. Natürlich wusste ich, dass auch diese Leute wahrscheinlich Probleme hatten, die sie überwunden müssen oder schon überwunden hatten. Vielleicht aber, waren sie auch gar nicht so glücklich, auch wenn sie hier händchenhielten und verliebt aussahen. Das war ich auch nicht. Nicht glücklich, meinte ich. Lily hatte Recht: Er machte mich glücklich. Aber genauso, wie er mich glücklich machen konnte, konnte er mich auch unglücklich machen.
Eigentlich empfand ich nicht mal Wut auf Sophie. Ich mochte sie nicht besonders, doch sie wusste anscheinend nichts über die Beziehung zwischen Damian und mir. Damian hingegen schon. Konnte es sein, dass er tatsächlich Gefühle für sie hatte? Und wenn ja, dann waren sie garantiert nicht in den Tagen entstanden, seitdem sie wieder hier war. Wenn er tatsächlich irgendwelche Gefühle für sie hegte, dann mussten sie schon damals entstanden sein, oder?
Ich wollte mir meinen Kopf nicht darüber zerbrechen, doch es war als würde er sich zwischen allen verschlossenen Lücken in meinem Gehirn durchquetschen, sodass ich permanent an nichts anderes als ihn denken konnte. Irgendwie war ich sogar froh, als sich meine Aufmerksamkeit auf etwas anderes richtete.
Vor mir erstreckte sich ein kleiner, runder See, der so klein war, dass ich bis auf die andere Seite hinübersehen konnte, wo sich ein Paar auf einer Bank vergnügte. Ich konnte die blonden, langen Haare von Riley erkennen und auch ihr Gesicht, als sie kurz hochschaute, mich aber nicht entdeckte. Sie saß auf einen Jungen - der nicht Justin war, das hatte ich sofort überprüft - und knutschte wild mit ihm. Das grenzte echt an nicht mehr jugendfrei. Ich sah wie er von oben in ihr Shirt griff. Leicht angewidert blickte ich weg und stand auf. Armer Justin. Liebe war echt nicht einfach.
Aber dann redete ich mir ein, dass ich erst 16 war. Ich hatte noch mein ganzes Leben vor mir und wenn das schon schwierig war, wie sollte ich dann die nächsten Jahrzehnte überleben? Doch sowas war leicht gesagt. Im Moment war Damian für mich nunmal der Mittelpunkt.
***
Nachts wachte ich mehrmals auf, da mein Magen knurrte. Fing das jetzt schon wieder an? Müde stieg ich aus meinem Bett und schlich im Dunkeln die Treppe herunter. Ich wusste nicht, wie viel Uhr es war, doch ich sah, dass der Mond noch hell und hoch im Himmel stand.
Schlurfend betrat ich die Küche und wollte gerade den Kühlschrank nach irgendwas Essbarem durchsuchen, als eine Stimme ertönte, die nicht mir gehörte. ,,Hey."
Ich machte einen Satz zur Seite und stieß volle Kanne gegen die Arbeitsplatte, doch ausnahmweise kreischte ich nicht auf. Mein Herz schlug wie sonst was.
,,S-sorry", murmelte Damian dann und stand von dem Stuhl auf, um das Licht anzuschalten. ,,Hast du dir wehgetan?"
Obwohl meine Hüfte sehr schmerzte, ließ ich meine Hand sinken, die ich auf die pochende Stelle gedrückt hatte und schnappte mir stattdessen ein Glas Wasser. Auf die blauen Flecke konnte ich mich schonmal freuen. ,,Nein", sagte ich. Wieso saß er hier im Dunkeln?
,,Ich kann nicht schlafen", erklärte er, obwohl ich ihn nicht danach gefragt hatte. Vor ihm sah ich ebenfalls ein Wasserglass. ,,Aria, es tut mir leid. Wirklich."
,,Ist doch nichts passiert", murmelte ich und trank mein Glas mit zwei Schlücken aus. Hunger hatte ich trotzdem noch.
,,Das meine ich nicht." Er kam ein Schritt auf mich zu und ich ging ein Schritt zurück, sodass ich wieder gegen die Arbeitsplatte stieß, diesmal jedoch sanfter. ,,Der Kuss mit Sophie hat mir nichts bedeutet. Nicht so viel, wie wenn ich dich küsse."
Ich senkte meine Lider und presste die Lippen zusammen. Liebend gerne würde ich einfach nur nicken und es auf sich beruhen lassen, ihm verzeihen, aber ich konnte es nicht. Nicht, solange ich nicht wirklich wusste, dass er die Wahrheit sagte.
,,Ich werde mit ihr sprechen", sprach er weiter. ,,Und ich sage ihr, dass der Kuss nichts zu bedeuten hatte, obwohl ich mir sicher bin, dass sie das auch weiß. Für uns war es nur ein dummes Partyspiel, Aria."
,,Für mich aber nicht", erwiderte ich. Dann drehte ich mich um, nahm mir eine Birne von der Obstschale und ging an ihm vorbei.
,,Gute Nacht", hörte ich ihn noch sagen und unwillkürlich fragte ich mich, ob er überhaupt für mich kämpfen wird.
Mein erster Gedanke war: Nein, wieso sollte er auch? Du bist es nicht wert.
Mein zweiter Gedanke, der erst viel später kam, war: Du bist ihm nicht egal. Sonst hätte er nicht so viel Zeit mit dir verschwendet. Du. Bist. Ihm. Nicht. Egal.
Und das musste ich mir immer wieder sagen, um nicht völlig verzweifelt zu werden.
***
Wieder vergingen einige Tage und wieder einmal erkannte ich das Muster: Damian und ich stritten uns, redeten wenn es schlecht kam ein paar Tage nicht miteinander, dann vertrugen wir uns wieder und hatten eine schöne Zeit, bevor es wieder von vorne losging. Es war, als müssten die friedvollen Minuten mit Streit ausgeglichen werden. Nur, dass es diesmal schlimmer war als zuvor. Ich war verletzt und enttäuscht und sauer und wütend und ich weigerte mich noch immer mit Damian zu reden, solange ich mir nicht im Klaren über die ganze Situation war. Doch das Ding war - ich kam einfach nicht vorran. Mal wollte ich Damian glauben, dass es ihm nichts bedeutet hatte, dass es ein harmloser Kuss war, der ihm leidtat. Doch dann sträubte sich etwas in mir und ich wollte das einfach nicht so hinnehmen. Dabei dachte ich darüber nach, dass ich mich damals nie so verhalten hätte. Ich hätte einfach nachgegeben und es einfach so hingekommen aus Angst Damian zu verlieren. Dass ich es jetzt nicht tat, erfüllte mich irgendwie mit ein bisschen ... nun ja, es war kein Stolz, aber eine gewisse Freude über mich selbst hatte ich schon. Ich wollte nie jemand sein, der zu allem 'Ja und Amen' sagt, doch ich wusste, dass ich so eine Person war und dass ich mich jetzt so verhielt sah ich als einen kleinen Fortschritt. Das war aber auch das einzig Gute daran.
Freitag nach der Schule lief ich aus dem Gebäude, während ich mit meiner Schultasche beschäftigt war, die heute ein wenig überfüllt war. Ich war müde, da ich in letzter Zeit nicht besonders viel geschlafen hatte und gestresst, da ich schon den Berg an Hausaufgaben vor mir sah, den ich bis Montag zu bewältigen hatte. Mike hatte mich die Tage zum Glück in Ruhe gelassen, ich sah ihn selten oder gar nicht, wo ich natürlich nichts gegen hatte.
Mein Plan für heute war: Hausaufgaben, Hausaufgaben, Hausaufgaben und Schlafen, wobei mir Sophie natürlich gar nicht in den Kram passte. Die stand nämlich vor unserer Schule, so wie letztens als sie Damian abholen wollte. Da ich annahm, dass es auch jetzt der Fall war, ging ich einfach weiter über den Schulhof, tat so als würde ich sie nicht sehen und zog mir die Riemen meines Rucksackes fester über die Schulter.
,,Aria", rief ihre zarte Stimme plötzlich und als ich stehen blieb und mich umdrehte, sah ich sie auf mich zulaufen. ,,Hey, warte mal. Ich hab auf dich gewartet."
Verwirrt zog ich die Augenbrauen zusammen. ,,Wieso denn auf mich?"
,,Ich wollte mit dir reden", sagte sie und sah mich dabei etwas unsicher an. Obwohl sie so offen und redselig wirkte, war sie wahrscheinlich auch schüchtern. Vermutlich wäre sie mir sehr symphatisch gewesen, aber aufgrund dieser Sache konnte ich sie einfach nicht leiden.
,,Und worüber?"
Nun sah sie etwas hilflos aus. Sie ist keine Bitch, sagte ich mir. Sie wusste nichts über Damian und mich, also kann ich ihr auch nichts vorwerfen. Ich bemühte mich um ein Lächeln.
,,Naja, weißt du", fing sie an. ,,Ich habe nicht so viele Freunde, außer Damian, und du scheinst mir sehr nett zu sein. Ich dachte mir, vielleicht könnten wir ja mal ein Kaffee trinken oder falls du kein Kaffee magst, eine Cola oder sowas."
Ich schluckte. Diese Situation war ja sowas von grotesk. Doch ich brachte es nicht übers Herz einfach abzulehnen, denn eigentlich war sie ja ein netter Mensch ... glaube ich, jedenfalls. ,,Ein Kaffee wär ganz nett", sagte ich und nickte verdeutlichend.
Begeistert schlug sie in ihre Hände. ,,Wie wärs mit jetzt?", fragte sie.
Bedauernd dachte ich an die Tonnen Bücher auf meinem Rücken, doch ich wollte es am liebsten jetzt hinter mich bringen. Wieder nickte ich. ,,Warum nicht?"
Sie grinste und wir gingen zusammen in die Stadt. ,,Eigentlich tu ich mich nicht leicht auf Leute zu zugehen", erzählte sie.
,,Du wirkst immer so direkt und offen", sagte ich und schaute sie von der Seite an. Da sie ein Stückchen größer war als ich musste ich zu ihr hochsehen.
,,Vielleicht bin ich das", sagte sie und lachte kurz. ,,Aber das kommt immer hinterher. Anfangs bin ich echt schüchtern. Ich glaube, erst seitdem ich aus der Klinik bin, hat sich das etwas gebessert. Damian hat es dir erzählt, oder?"
,,Ich - ", stotterte ich, da ich mir nicht sicher war, ob ich ihn verraten sollte.
,,Das ist schon gut", sagte sie grinsend. ,,Es macht mir nichts aus. Das gehört zu meiner Vergangenheit und vielleicht auch noch ein wenig zu meiner Gegenwart, aber damit muss ich leben."
,,Wieso denn zur deiner Gegenwart? Ich dachte - naja, ich dachte du wärst wieder gesund?"
Sie nickte bekräftigend und wir betraten das Café, in dem ich vor Tagen noch mit Justin gesessen hatte. Als wir uns setzten, antwortete sie: ,,Das bin ich auch. Aber trotzdem muss ich immer wieder zur Kontrollbesuchen zum Arzt und alles. Es verfolgt mich."
,,Damian meinte, du hättest eine Essstörung und Depressionen gehabt", sagte ich vorsichtig. Ich war mir nicht sicher, ob ich damit nicht zu weit ging und ihr zu Nahe trat, doch es interessierte mich wirklich, was sie dazu sagte.
,,Ja, das stimmt. Hat er dir denn wenigstens die ganze Geschichte erzählt?" Sie wirkte kein wenig verärgert.
,,Ich bin mir nicht sicher, ob es die ganze war", murmelte ich. Ein Kellner kam und wir bestellten uns einen Kaffee.
,,Willst du sie denn hören?"
Ich bejahte. ,,Eigentlich gibt es da nicht viel zu erzählen. Ich wurde früher im Internat halt viel gemobbt. Viele Leute nannten mich fett und hässlich, das Übliche halt." Ich wusste genau, wovon sie sprach. ,,Und das ging mir sehr, sehr nahe. Ich hatte damals nicht viele Freunde, doch ein paar hatte ich, aber dann wurde das alles immer schlimmer. Ich war das schwache Opfer, das sich niemals wehrte und nie Kontra bot. Meine Freunde haben sich von mir abgewandt, weil die Leute, die mich mobbten, auch langsam bei ihnen anfingen, nur weil sie mit mir befreundet waren. Also war ich alleine. Okay, das war ich nicht: Ich hatte Damian. Ich wusste selbst nicht, warum er mir half und mich unterstützte, aber naja. Trotzdem wurde mir das alles zu viel, ich wollte so nicht mehr weiterleben und wurde immer verzweifelter, selbstkritischer und trauriger bis ich einfach nicht mehr konnte. Ich konnte nicht mehr und obwohl ich wusste, dass meine Eltern mich liebten und ich einen guten Freund wie Damian hatte, fühlte ich mich ungeliebt und ungewollt. Dann fing ich an einige Tage nichts zu essen, bekam immer wieder Fressattacken, woraufhin ich mich immer übergab. Es war schrecklich, aber für mich war es wie ein Muss. Irgendwann fingen neben meiner Bulimie, auch meine Depressionen an." Sie hielt kurz inne. Ich hatte eher das Gefühl, dass es ihr gut tat darüber zu reden als andersherum und darüber wunderte ich mich ein bisschen. ,,In der Klinik hab ich irgendwann, nach langer Zeit, begriffen, dass ich nie richtig dick war. Ich hatte eine normale Figur, doch die hatte ich mir zerstört indem ich auf die Menschen hörte, die aus Spaß einfach das Gegegenteil behaupteten. Nach einer Zeit wog ich nur noch 45 Kilo bei meiner Größe von 1,70 cm, also war ich wohl ziemlich unterernährt." Sie lachte dumpf. ,,Damian musste mir versprechen niemanden etwas zu sagen, doch irgendwann bemerkten auch die Lehrer, dass ich unter meinen dicken, weiten Pullovern nur noch aus Knochen bestand und informierten meine Eltern. Dann wurde ich eingewiesen. Okay, scheiße, eigentlich wollte ich gar nicht so viel reden. Das interessiert dich wahrscheinlich gar nicht."
,,Doch", sagte ich schnell. ,,Doch, das tut es. Das ist ... es tut mir leid."
Sie lächelte. ,,Das brauch es nicht!"
,,Es muss grausam gewesen sein."
,,Ja, aber das war einmal. Zwar fällt es mir ab und zu immer noch schwer vernünftig zu essen, vorallem vor Leuten, doch dann zwing ich mich einfach dazu und sage mir, dass es besser so ist. Und das ist es auch. Naja, genug von mir." Sie winkte ab. ,,Was ist mir dir? Irgendwelche atemberaumenden, einzigartigen Geschichten, die du mit mir teilen möchtest?"
Ich tat so als würde ich überlegen, bevor ich den Kopf schüttelte. ,,Mir fällt nichts ein."
Unsere Getränke kamen und wir bedankten uns. Dann sagte Sophie: ,,Wieso bist du eigentlich letztens so schnell von der Party verschwunden? Ich habe mitbekommen, dass Damian dich gesucht, aber nicht gefunden hat." Sie nippte an ihrer Tasse, und atmete zischend ein. ,,Scheiße, ist das heiß."
Ich schluckte. Für einen Moment hatte ich vergessen, mich zu fragen, warum zum Teufel ich eigentlich mit ihr hier saß, doch jetzt, wo sie es wieder ansprach, überkam mich das leise Gefühl von Wut. ,,Mir gings nicht sonderlich gut", murmelte ich und legte meine Hände um die heiße Tasse. ,,Hab wohl vergessen mich zu verabschieden. Außerdem wart ihr ja mitten im Spiel."
,,Oh", sagte sie. ,,Ja, das Spiel."
Ich runzelte die Stirn, was sie offenbar als Frage nahm. Sie schien eine Weile lang zu überlegen, und ihre Wangen färbten sich ein wenig rot, als sie fragte: ,,Kann ich dich was fragen? Oder besser gesagt, dir etwas erzählen und du sagst mir deine Meinung dazu?"
Kaum merklich nickte ich. Ich wollte es nicht hören, da ich wusste, was jetzt wahrscheinlich kam, aber andererseits wollte ich es doch hören.
,,Auf der Party. Du bist bei diesem Spiel ja irgendwann aufgestanden und gegangen und kurz darauf, waren Damian und ich an der Reihe zu spielen. Ich hab das Blatt fallengelassen und dann ... haben wir uns geküsst."
Ich konnte sie nicht anschauen, also blickte ich auf meine Kaffeetasse. ,,Und jetzt weiß ich nicht, wie er darüber denkt", sagte sie. ,,Ich meine, der Kuss war toll, jedenfalls habe ich ihn so empfunden. Aber seitdem ist er so anders zu mir und ... keine Ahnung. Ich meine, das war zwar nicht unser erster Kuss, aber immerhin der erste seit drei Jahren und ich -"
,,Nicht euer erster Kuss?", platzte ich heraus und schaute sie erschrocken an.
Ein wenig verwundert über meine Reaktion schaute sie mich an. ,,Naja, wir hatten damals keine offizielle Beziehung, aber wir waren vielleicht kurz davor. Ich weiß nicht, es war immer so ein Zwischending und bevor wir uns dazu entscheiden konnten ernst zu machen, wurde ich eingeliefert."
Ich war fassungslos. Sie waren ein Paar gewesen? Oder immerhin sowas Ähnliches?
,,Aber ich dachte, das wüsstest du. Schließlich weißt du schon mehr über mich, als andere. Das ist nicht schlecht gemeint", fügte sie schnell hinzu. ,,Damian und du scheint euch nahe zu stehen, wenn er dir so viel erzählt, oder?"
Ich wusste nichts zu Antworten. ,,Ich - ja, nein. Es - es geht. Dann wart ihr also mehr als nur befreundet."
,,Ja, vielleicht. Du scheinst echt geschockt darüber zu sein", sagte sie und sie legte ihren Kopf schief.
,,Nein, ich bin nicht geschockt, nur überrascht", versicherte ich ihr schnell. Und ob ich geschockt war.
,,Und? Was sagst du dazu?", wollte sie wissen und schaute mich mit ihren hellen Augen erwartungsvoll an.
,,Wozu?"
,,Na, zu alldem." Sie machte eine ausholende Handbewegung, wobei sie fast ihren Kaffee umschmiss, woraus sie erst zwei Schlucke genommen hatte. Sie kicherte.
,,Ich weiß nicht genau", murmelte ich. Meine Gedanken wirbelten in meinem Kopf nur so umher. ,,Ich glaube, Damian weiß manchmal selber nicht, was er denkt." Mein Handy vibrierte und als ich draufschaute, sah ich, dass ich eine Nachricht hatte. Es war zwar bloß eine von meinem Handyanbieter, doch ich sagte: ,,Es ist mein Dad. Er will, dass ich nachhause komme."
Sophie nickte verständnisvoll und ich trank noch zwei große Schlücke, von meinem nun lauwarmen Kaffee, bevor ich aufstand und ein Geldschein auf den Tisch legte. ,,Ich - wir sehen uns", verabschiedete ich mich, packte meine Tasche und lächelte sie an, bevor ich mich umdrehte und so schnell wie möglich das Café verließ.
***
Dad war gar nicht zuhause, dafür aber Damian. Er war in seinem Zimmer und die Tür stand ein Spalt weit offen. Eigentlich wollte ich einfach in mein Zimmer, doch kaum hatte ich es mit einem Fuß betreten, überlegte ich es mir anders, schmiss meinen Rucksack auf den Fußboden und ging rüber zu Damian, wo ich energisch die Tür aufstieß.
,,Ich dachte, du erzählst mir die Wahrheit", sagte ich. Er schreckte auf und drehte sich auf seinem Schreibtischstuhl zu mir um. ,,Aber stattdessen hast du mich angelogen."
,,Wovon redest du?", fragte er verwirrt und stand auf.
,,Du warst mit Sophie zusammen? Wieso muss ich das von ihr und nicht von dir erfahren?"
,,Ihr habt geredet?" Seine sonst so glatte Stirn, legte sich in Falten und er trat ein Schritt auf mich zu. Ich bemerkte es kaum, denn ich war wütend und wollte meine Worte unbedingt loswerden.
,,Ich hab dir gesagt, du sollst ehrlich sein und du sagst, du warst es!", rief ich und ignorierte seine Frage. ,,Du hättest es mir nie gesagt, wenn ich es nicht herausgefunden hätte."
,,Es war einmal! Wir waren nie wirklich ein Paar. Ja, wir haben uns ein paar mal geküsst, aber ist drei Jahre her."
,,Und das ist alles? Bist du sicher, dass es da nicht noch mehr gibt? Weil irgendwie kommt ja immer noch irgendwas dazu!" Ich war froh, dass weder Sally noch Dad hier waren, da sie sich garantiert wieder beschwert hätten.
,,Aria ... "
,,Du kannst es mir sagen!", sagte ich.
Er packte sich mit einer Hand an die Stirn und schaute auf den Boden, scheinbar dachte er darüber nach, ob es mir es wirklich sagen wollte, als er sich schließlich wieder ganz aufrichtete und mich anschaute. ,,Ich hab mit ihr geschlafen", sagte er schließlich. ,,Einmal. Es war unser erstes Mal."
Ich presste die Lippen aufeinander, doch ich musste nicht weinen. ,,Miteinander geschlafen", wiederholte ich dann. ,,Na super."
,,Es ist solange her", sagte er und wollte nach meiner Hand greifen, aber ich zog sie weg.
,,Und du sagst mir, der Kuss hat dir nichts bedeutet?" Fragend schaute ich ihn an. Er schaute nur zurück. ,,Du hattest mit ihr dein erstes Mal, ihr habt so vieles zusammen erlebt und dann sagst du mir, dass der Kuss, der so echt aussah, dir nichts bedeutet hat und erwartest von mir, dass ich das glaube?"
,,Ich weiß nicht mehr, was ich tun kann, außer mich zu entschuldigen", sagte er und warf die Hände in die Luft. ,,Und dir zu sagen, dass es nur ein verdammter Scheißkuss war. Natürlich bedeutet mir Sophie viel, gerade eben weil wir so viel miteinander erlebt haben, aber das tust du auch, Aria."
Ich schloss die Augen und lächelte, höhnisch und gefaked. ,,Du bedeutest ihr auch 'ne Menge", sagte ich. ,,Sie ist in dich verliebt, das hat sie mir selbst gesagt." Ich schaute sein verdutztes Gesicht an, als ich ihm das erzählte. Ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil Sophie mir sowas anvertraut hatte und ich es jetzt einfach so herausposaunte. ,,Und jetzt versprich mir, dass du überhaupt keine Gefühle mehr für sie hast." Meine Stimme war ruhiger geworden und ich nahm mir vor, auf alles, was er nun sagte, gefasst zu sein. Es entstand eine Stille und er sagte nichts. Er überlegte und ich ließ ihm Zeit.
,,Aria, ich - ich weiß nicht", sagte er schließlich. Kein ja, kein nein, sondern ein beschissenes ich weiß nicht. Doch dass er nicht sofort sagte, dass er nichts mehr für sie empfand hießt für mich eine Menge.
,,Aber ich weiß es", sagte ich und verließ sein Zimmer.
---
Hey! Wenn ihr euch wundert, warum in zwei Tagen hintereinander zwei Kapitel kommen, dann sag ich euch; ich wundere mich auch. Aber irgendwie wollte ich unbedingt weiterschreiben und jaa: Hier ist es. :D
Ich habe noch eine Frage an euch: Hättet ihr lieber längere Kapitel oder ehrer kürzere? :)
xoxo.
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