> Part 38

"Sie wollte wissen, ob ich noch Kontakt zu dir hätte, weil sie meinte, du würdest sie ignorieren?", erzählte ich Lily am Telefon. "Du sollst sie anrufen."

"Okay, ja, ich ruf sie später an", erwiderte Lily schlicht.

"Hattet ihr Streit oder so?"

"Nein, wieso sollten wir?"

"Ich weiß nicht. Naja, es geht mich ja auch nichts an", fügte ich schnell hinzu.

"Es ist alles okay, Aria", sagte Lily, aber ich hatte trotzdem das Gefühl, dass nichts okay war.

"Du weißt, dass du mit mir reden kannst, wenn irgendwas ist, oder?" Es war irgendwie seltsam, sowas einem Menschen anzubieten, den man erst wenige Tage kennt, aber sie hatte mir schließlich auch versucht zu helfen und außerdem mochte ich sie.

Sie lachte. "Ich weiß, Aria und dafür bin ich dir auch uuunendlich dankbar."

"Okay", sagte ich lächelnd, obwohl sie es sowieso nicht sehen konnte.

"Seid ihr befreundet?", fragte sie plötzlich.

Ich klemmte mir das Telefon unter mein Ohr. "Was?"

"Du und Mira - seid ihr befreundet?"

"Nein! Nein. Wir sind keine Freunde", fügte ich hastig hinzu. "Wir hatten einige ... Probleme miteinander."

"Das musst du mir erklären."

Ich seufzte. "Naja, sie konnte - oder kann - mich nicht austehen. Aber ich glaube, sie versucht jetzt netter zu mir zu sein, seitdem", ich unterbrach mich, "naja, egal, auf jeden Fall ist sie jetzt freundlicher zu mir."

 "Aber?"

"Aber was?", fragte ich zögernd, da ich vermutete, worauf das hinaulaufen konnte.

"Das hörte sich alles stark nach einem Aber an."

Ich nahm das Telefon wieder in die Hand und lies mich rückwärts auf mein Bett fallen. "Die ganze Schule kann mich nicht ausstehen."

"Du meinst ..."

Ich nickte. "Ich bin das Schulopfer", sagte ich betont munter.

"So wollte ich das gar nicht ausdrücken, aber - wie - warum?"

"Ich weiß nicht, vielleicht bin ich einfach zu widerlich, ganz wie Mike sagt und hab deswegen keine Freunde." Ich versuchte es nicht so deprimierend klingen zu lassen, was mir aber nur teilweise gelang.

"Mike?"

"Mike, Miras Freund. Kennst du ihn nicht?"

Eine kurze Stille herschte. "Doch", sagte sie knapp. "Was hat er damit zu tun?"

"Er hasst mich."

"Aber wieso? Was hat er für einen Grund?"

"Das frag ich mich jeden Tag, Lily, aber ich komme einfach nicht drauf. Jedesmal, wenn er wieder irgendwas findet, womit er mich demütigen kann, frage ich mich das. Aber das ist nicht das Schlimmste."

"Was ist denn noch schlimmer?"

"Das ganze Gelächter. Die ganze Schule denkt, ich wäre ein kleines, fettes Mädchen, das sich nicht wehren kann und sich alles gefallen lässt und damit haben sich verdammt nochmal auch Recht."

Wieder sagte sie eine Weile nichts. Ich konnte sie mir nur zu gut vor meinen Augen vorstellen, wie sie im Schneidersitz auf ihrem Bett saß, eine rote Haarsträhne um ihren Finger gewickelt und überlegte, was sie jetzt Passendes sagen könnte.

"Mike ist ein Arschloch", sagte sie dann, aber mit so viel unerwartetem Hass in der Stimme, als hätte ich ihr nicht nur erzählt, wie mies er war, sondern sie selber es erlebt hätte.

"Ja, wahrscheinlich ist er das. Hast du viel mit ihm zu tun?"

"Ehm- nein, nicht wirklich", sagte sie. "Ich hab ihn nur einmal bei Mira gesehen."

"Wie war er denn da so?", fragte ich, obwohl ich mir nicht vorstellen konnte, dass er bei Mira zuhause aufeinmal anders verhielt, als in der Schule.

"I-ich hab nicht mit ihm geredet oder so, nur einmal hallo gesagt."

Ich runzelte die Stirn. "Ist alles in Ordnung bei dir?"

"Ja, natürlich. Hey, ich hab übrigens tolle Neuigkeiten", meinte sie und ich war ein wenig irritiert, wegen des plötzlichen Themawechsels.

"Ja?"

"Wie ich weiß, macht habt ihr diesen Freitag ein Schulball und wie du vielleicht nicht weißt, führt mein Dad eine Cateringfirma, unzwar die, die eurer Schule das Essen liefert."

"Und weiter?", fragte ich neugierig.

"Ich hab Dad überredet, dass ich mitkommen und 'helfen' kann. Das heißt, wir werden uns dort sehen", sagte sie aufgeregt. "Du kommst doch, oder?"

"Ehm... also eigentlich wollte ich zuhause bleiben", gab ich etwas zögernd zu.

Lily klang enttäuscht. "Ach man, unsere Schule macht nie sowas und ich wollte so gerne kommen, aber was soll ich alleine da?"

"Du hast doch Mira", versuchte ich sie zu überzeugen, damit sie nicht mehr so traurig klang.

"Pff", machte sie, "sie hängt doch sowieso nur mit ihren Freundinnen rum. Kannst du's dir nicht nochmal überlegen?"

In dem Moment erinnerte sie mich ein wenig an Leah; sie wusste, dass ich früher oder später ja sagen würde und benutze ihre eigene Methoden - Mitleid und Bettelei.

"Ich hab nichts zum Anziehen."

"Wir gehen shoppen."

"Ich kann nicht Tanzen."

"Brauchst du auch nicht."

"Ich hab eine Sozialphobie."

"Aria."

"Na schön!"

***

 Eine halbe Stunde später waren wir in der Stadt. Wir kamen gerade aus H&M - wo ich übrigens nichts gefunden hatte -, als Lily mich plötzlich zur Seite zog und mich in ein Laden für Herrenmode zerrte.

"Was...?", fragte ich verwirrt.

"Da sind Mira und Mike", sagte sie und deutete aus den Fenster. Tatsächlich gingen Mira - mit vielen Tüten bepackt - und Mike gerade an uns vorbei, ohne uns zu bemerken.

"Ich dachte, ihr habt kein Streit?"

"Haben wir ja auch nicht."

"Wieso gehst du ihr denn aus den Weg?"

"Tu ich doch gar nicht." Obwohl wir beide wussten, dass sie sich selber widersprach, sagte ich nichts mehr.

Nachdem "die Luft wieder rein war", gingen wir in die andere Richtung.

"Weißt du", fing Lily plötzlich an, "ich glaube Damian mag dich irgendwie und traut sich nur nicht, das zuzugeben."

Ich verschluckte mich fast an meiner eigenen Spucke. "Wie kommst du denn jetzt darauf?!"

"Er sucht die Nähe zu dir, oder etwa nicht?"

"Nein!", rief ich sofort und bemerkte wie ich rot wurde.

"Er hat gestern Nacht bei mir im Bett geschlafen", gab ich schließlich zu.

"Er hat was?!"

"Psst!", rief ich und zog an ihrem Arm. "Aber nicht so wie du denkst. Ich hatte ein Albtraum und geschrien und da ist er halt gekommen, um nach mir zusehen."

"Er war also besorgt", sagte sie und zog mich weiter. "Das wäre er nicht, wenn du ihm egal wärst."

"Ich bin seine Stiefschwester."

"Heißt ja nichts", sagte sie und zuckte die Schultern.

"Und außerdem hat er Leah", erinnerte ich sie.

"Nehmen wir mal an, er wäre nicht dein Stiefbruder und auch nicht mit Leah zusammen."

"Dann hätte ich ihn wahrscheinlich nie kennengelernt", unterbrach ich sie, was sie jedoch ignorierte.

"Denkst du, er hätte sich dann in dich verliebt?", fuhr sie unbeirrt fort.

"Nein."

"Wieso?"

Ich blieb stehen. "Sieh mich doch mal an, Lily. So ein Typ wie er würde mich doch niemals wahrnehmen! Jedenfalls nicht so."

"Nun hör aber mal auf - was haben andere, was du nicht hast?", fragte sie entrüstet, als würde ich den größten Quatsch der Welt blabbern.

"Also mir würde da einiges einfallen", murmelte ich und Lily zog mich wieder mit sich.

"Du siehst dich selber immer so schlecht."

Ich zuckte einfach mit den Schultern. Was blieb einem auch übrig, wenn einem jeden Tag an den Kopf geworfen wird, wie hässlich und was-weiß-ich man doch war?

"Ich kenne ihn zwar nicht persönlich", fuhr Lily fort, "aber ich denke, da ist was zwischen euch. Ganz sicher."

***

 Ich kam mit Tüten beladen nachhause. Lily war genauso schlimm, wie Leah, wenn nicht sogar schlimmer. Sie hatte mich in einen Laden nach den anderen geschleppt, hat für jede ihrer Anproben mindestens zehn Minuten gebraucht, die Sachen dann schließlich doch weggelegt und mich in den nächsten Laden geschleppt. Sie müsse etwas finden, sagte sie, dass zu ihren roten Haaren passt. Schließlich entschied sie sich für einen schwarzen Zweiteiler.

Und dann schleppte sich mich wieder durch die Läden - diesmal auf der Suche nach etwas für mich, was sich fast als genauso schwierig erwies, denn ich weigerte mich, wieder ein Kleid zu tragen und Lily weigerte sich, mich in Hose und Bluse auf den Schulball gehen zu lassen. Letztendlich gab ich (natürlich) dann doch nach. Wir einigten uns auf ein Kleid, dass bis zu den Knien ging und etwas gewagter war - es hatte einen weißen Untergrund mit schwarzen, blauen, türkisen und roten Sprenkeln drauf, aber wenigstens hatte es nicht so einen großen Ausschnitt.

Wir kauften mir dazu blaue Ballerinas, ein paar Perlenarmbänder und eine kleine silberne Handtasche, bis Lily mit mir und der Welt zufrieden war. Was ich mit meinem leeren Portmonnaie allerdings nicht behaupten konnte.

Ich schaffte es gerade, die Haustür aufzuschließen, ohne eine der Tüten fallen zu lassen und ließ alles im Flur liegen, als überraschenderweise Justin aus dem Wohnzimmer kam und mich angrinste.

"Waren wir verabredet oder so?", fragte ich ihn, als er mich kurz in die Arme schloss und ich lächelte.

"Nö", sagte er und begutachtete meine Tüten, "ich dachte, ich komme dich einfach mal besuchen und schau, was du so machst."

"Wäre aber nett, wenn du vorher anrufen", sagte Damian, der gerade ebenfalls aus dem Wohnzimmer kam, "und nicht einfach hereinspazieren würdest. Ich hab was Wichtigeres zu tun, als mich um dich zu kümmern."

Etwas verwirrt, über seine scheinbare schlechte Laune, fragte ich: "Wieso hast du ihn denn nicht einfach in mein Zimmer gelassen?"

Er warf mir einen kurzen Blick zu und schaute dann wieder zu Justin, der seine Hände in die Hosentasche steckte und uns etwas unsicher anschaute. "Hätte ich das tun sollen?"

"Wieso denn nicht?", fragte ich etwas überffordert. Was genau war denn jetzt das Problem? Justin würde wohl nicht in meiner Unterwäsche stöbern ... hoffte ich mal. Und außerdem konnte ihm das doch egal sein.

"Ach, macht doch was ihr wollt", knurrte er grimmig und stürmte an uns vorbei die Treppe rauf.

"Ich glaub, er mag mich nicht besonders", sagte Justin mit einem Anflug eines Grinsens, als Damian weg war.

Ich winkte ab. "Ach was. Könntest du mir helfen, die Tüten hochzutragen?"

Er nickte, packte zwei meiner Tüten und ging mit mir die Treppe rauf. "Was haste denn alles da drinne?", fragte er mit hochgezogenen Augenbrauen.

"Wir haben am Freitag sowas wie ein Abschlussball für den letzten Jahrgang und ich brauchte was zum Anziehen", erklärte ich und schmiss die Tüten in die Ecke.

Er seufzte. "Unsere Schule macht sowas nicht", sagte er. Wieso machte nur unsere Schule sowas Bescheuertes? "Ein Ball wäre schon ganz geil, bevor ich weg von der Schule bin."

"Was willst du denn eigentlich machen, wenn du fertig bist?"

"Keine Ahnung. Vielleicht mache ich eine Ausbildung in der Werkstatt meines Cousins", meinte er und zuckte die Schultern, während er sein Hollister T-Shirt richtete und mit seinen Beinen rumzappelte. "Aber erstmal sind ja Ferien."

"Zum Glück, ich hätte es keine Sekunde länger ausgehalten." Ich beobachtete ihn, während er kreuz und quer durch mein Zimmer ging und dann noch die Beine kreuzte.

"Du kannst gerne unsere Toilette benutzen, falls du musst", bot ich ihm an und als er mich verlegen anschaute, musste ich etwas grinsen.

"Damian hat mich keine Sekunde aus den Augen gelassen", erklärte er, als er die Zimmertür wieder öffnete und in den Flur schaute. "Wo muss ich denn lang?"

"Direkt die Tür da links", erklärte ich ihm und als ich ihn die Badezimmertür schließen hörte, zog ich meine Schuhe aus und schmiss sie in die Ecke des Flurs.

"Ne, lass uns bei dir treffen", hörte ich aufeinmal Damians Stimme sagen und blickte zu seinem Zimmer, deren Tür offen stand. Er stand mit dem Rücken zu mir und schaute aus dem Fenster, während er sein Handy gegen sein Ohr presste und wartete, bis der Jemand an der anderen Leitung zu Ende sprach.

"Leah, da haben wir wenigstens unsere Ruhe", fuhr er fort, etwas lauter als nötig. "Jap, bis gleich, Babe." Dann legte er auf und steckte sein Handy weg, drehte sich um und sah mir direkt in die Augen. Ich versuchte schnell wegzugucken und mir nicht anzumerken, dass ich gelauscht hatte, aber das war natürlich offensichtlich. Er kam zur Tür, schaute mich kurz an und sagte: "Kümmer dich um deinen eigenen Kram", bevor er seine Tür schloss. Mir war klar, dass er mit 'Kram' Justin meinte und ich runzelte die Stirn.

Was war sein verdammtes Problem?

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