> Part 19

Eine Welle von Wärme ging durch meinen Körper und mein Magen rumorrte. Doch das Einzige was ich wirklich spürte, waren Damians Lippen auf meinen. Ich schloss reflexartig die Augen und konnte mich jetzt auf nichts anderes mehr konzentrieren. Ich küsse gerade Damian! Und es gefällt mir! Seine Lippen waren so unendlich weich und schmeckten nicht im Geringsten nach Alkohol, sondern eher nach ... nach ... ich konnte es nicht beschreiben. Es war ein so schönes Gefühl. Und verdammt, konnte er gut küssen!

Es schien Minuten zu dauern, bis ich begriff, was gerade wirklich geschah, obwohl es höchstens ein paar Sekunden gewesen sein konnten. Ja, ich küsste gerade Damian! Meinen Fast-Stiefbruder-Damian! Den Damian, mit dem ich zusammenwohnte!

Ich wollte nicht aufhören, wollte seine warmen Lippen weiterhin auf meinen spüren, aber ich wusste, dass es nicht richtig war. Es konnte doch nicht richtig sein, oder? Doch als er spürte, dass ich mich losmachen wollte, verstärkte er den Druck seiner Hände an meinem Kopf und drückte mich näher gegen ihn. Oh Gott, was passierte hier gerade? Wieso machte er weiter? Nicht, dass ich es nicht wundervoll fand, seine Lippen zu spüren, seine Nase an meiner und seinen Geruch einzuatmen. Aber wieso fand ich das so toll? Das musste doch sicher am Alkohol liegen.

Er ließ mich erst los, als die Leute um uns herum anfingen zu johlen. Ich musste ersteinmal Luft holen. Scheiße, ich habe tatsächlich ausgeblendet, dass sie hier waren. Ich schaute Damian etwas überfordert und verblüfft an und auch er schien ganz verwirrt und überrascht darüber zusein, was gerade passiert war. Ich spürte immer noch den Druck von Damians Lippen auf meinen.

"Das grenzte schon fast an 'nem Pornostreifen, Kumpel", sagte der Arschloch-Typ und klopfte Damian auf die Schulter. Er warf ihm einen genervten Blick zu. Ich schaute zu Leah: Sie lächelte mich zwar an, aber ich konnte deutlich die Verletztheit in ihren Augen sehen und auch ihr Lächeln wirkte traurig. Oh nein, wie das wohl für sie ausgesehen haben musste. Hat man es mir angesehen, dass ich den Kuss so toll fande? Dass der Kuss länger dauerte, als nötig? Wenn es so war, sagte sie es nicht, sondern meinte immer nach lächelnd: "Du bist dran mit dem Drehen, Aria." Sie klang nicht mehr im Geringsten betrunken, sondern sogar fast nüchtern.

Ich nickte und versuchte irgendwie entschuldigend zu gucken. Als die Wodkaflasche nach ein paar Umdrehungen schließlich still stand, zeigte sie ironischerweise auf den Arschloch-Typen. Zu meinem Glück nahm er genau wie ich Pflicht, und ich ließ ihn einen Kopfstand an der Wand machen, während er nebenbei "Hänsel und Gretel" sang.

***

Es war weit nach ein Uhr als der Taxifahrer mich zuhause absetzte. Das Auto hatte Leah stehen gelassen und meinte, sie würde es morgen/heute früh abholen. Sonst war sie den ganzen restlichen Abend schweigsam gewesen. Ich wusste, dass sie verletzt war. Und ich wollte ihr auch erklären, dass ich ja eigentlich nichts für den Kuss konnte, dass es meine "Pflicht" gewesen war und es mir auch in Wahrheit gar nicht gefallen hatte. Aber dann kam mir der Gedanke, dass es alles nur noch schlimmer machen würde, wenn ich mich verteidigte und außerdem wäre es schlicht und einfach gelogen - mir hat es nämlich gefallen. Auch wenn ich mir das Gegenteil einzureden versuchte. Damian jedenfalls hat so getan, als wäre nichts passiert und war irgendwann abgerauscht.

Ich brauchte drei Anläufe bis der Schlüssel im Schloss war, was teils daran lag, dass es stockdunkel war, aber auch weil ich nach dem Flaschendrehen noch zwei oder drei Drinks getrunken hatte. Schlimmer konnt's ja nicht mehr werden.

Im Haus war es still, fast unheimlich. Ich streifte mir im Dunkeln die Ballerinas von den Füßen und tappste barfuß die Treppen rauf. Ich brauchte nur noch die Schminke und das Kleid loswerden, dann konnte ich mich endlich ins Bett fallen lassen. Aber als ich oben auf der letzten Stufe stand, ging plötzlich das Licht an und irgendwer Großes stand plötzlich vor mir und ich erschreckte mich so sehr, dass ich stolperte. Wenn es nur das gewesen wäre: Ich fiel über die letzte Stufe und riss den Jemand, den ich nicht sofort erkennen konnte mit runter und landete unsanft auf etwas Hartem. Irgendwie verhedderte sich mein Kleid in irgendwas und man konnte das verdammte Geräusch von reißenden Stoff hören. Scheiße nochmal! Leah wird mich umbringen, so viel war sicher. Ich konnte in meiner Position nicht sehen, wie weit das Kleid gerissen war, aber bei meinem Glück war es bestimmt nicht wenig. Ob man es nähen konnte? Und was wenn nicht - wie sollte ich Leah das beibringen? Es war doch bloß ausgeliehen!

Ein Räuspern durchschnitt die Stille und holte mich aus meinen pansichen Gedanken. Ensetzt stellte ich fest, dass ich auf Damian lag! Oh Gott, wie peinlich. Bestimmt erdrückte ich ihn mit meinem Gewicht. Ich wollte hastig aufstehen, doch einen Moment lang konnte ich nichts anderes, als in seine strahlend blauen Augen zu schauen.

"Freut mich ja, dass du es so bequem hast. Wir können auch ruhig hier liegen bleiben, aber ich glaube, dein Kleid löst sich gleich in seine Bestandteile auf. Nicht, dass ich was dagegen hätte."

Hektisch versuchte ich, mich aufzurappeln, aber ohne mich irgendwie auf Damian aufzustützen. Als ich gerade auf den Füßen stand, fasste ich mir an die Seite und bemerkte panisch den großen Riss, der von der Brust runter bis zum Oberschenkel reichte. Man konnte meinen blauen BH und meine Unterhose sehen! Und jede Menge blasse Haut. Wieso?, fragte ich gen Himmel. Wieso muss ausgerechnet mir immer sowas passieren?

Ich raffte die zwei Seiten des Kleides so gut es ging zusammen und ging um Damian herum, ohne ihn in die Augen zu sehen, in mein Zimmer. Erst als ich die Tür leise zugemacht hatte (ich wollte Dad und Sally ja nicht auch noch aufwecken) und ich wenige Sekunden später das Schließen von Damians Tür hörte, ließ ich das Kleid los und schlümpfte heraus. Ich konnte mich gar nicht entscheiden, was ich schlimmer finden sollte: Dass das ausgeliehene, wunderschöne Kleid von Leah zerstört wurde oder dass ich mich gerade (mal wieder) vor Damian zum Affen gemacht habe. Verflucht sei meine Tollpatschigkeit!

Ich verzichtete auf das Abschminken und Zähneputzen und wollte einfach nur ins Bett, deshalb stieg ich in Unterwäsche in mein warmes Bett. Innerhalb weniger Minuten war ich weggedriftet.

***

"Aria!", rief eine vertraute Stimme laut. Ich versuchte sie, zu ignorieren und einfach weiterzuschlafen. Als ich gerade wieder eingenickt war, wurde ich jedoch einige Sekunden später wieder unsanft durchgerüttelt und öffnete die Augen ein wenig. Konnte ich nicht einmal ausschlafen?!

"Was'n?", murmelte ich verschlafen und ein bisschen genervt.

"Was ist das?", fragte mich die Stimme, die ich immer noch nicht so richtig zuordnen konnte.

"Was?" Aufeinmal wurde die Bettdecke weggerissen und die plötzliche Kälte verursachte mir überall Gänsehaut. Ich war hellwach und schaute erst an mir herunter und dann in Leahs verärgertes Gesicht. Sie hielt das Kleid in der Hand. Oh je. Die Erinnerung von gestern Abend prasselte auf mich ein. Wie ich Damian 'umgestolpert' habe und dabei das Kleid zerrissen war.

"Hör zu, es war ein Versehen", sagte ich aufgebracht und schling meine Arme um meinen Körper, weil es ziemlich kalt war. Dass Leah mich halbnackt sah, machte mir nichts aus - sie war die einzige Person, bei der es mir egal war.

"Gestern bei der Party war es doch noch heile", sagte sie, aber sie sah jetzt nicht mehr ganz so verärgert aus. Sie ließ sich neben mir ins Bett plumpsen und breitete die Decke über uns aus.

"Aber dann bin ich über die Treppe gestolpert und das war dann das Todesurteil für das Kleid." Ich betrachtete das Stück Stoff. "Ich zahl's natürlich. Wo hast du das überhaupt ausgeliehen?"

"Mums beste Freundin hat eine Boutique. Sie hat mir Kleider aus ihrer alten Kollektion ausgeliehen."

Ich nickte. "Tut mir wirklich leid."

Sie seufzte. "Dafür machst du mir jetzt Mittagessen."

"Mittagessen? Was ist denn mit Frühstück?"

Leah lachte. "Es ist kurz nach eins."

Woah, ausgeschlafen hab ich dann wohl doch. "Okay, okay. Gucken wir 'nen Film?"

"Ich suche aus."

Ich schlug die Bettdecke beiseite und stolperte aus dem Bett. "Ist Dad da?"

Während ich mir ein T-Shirt und eine Jogginghose aus dem Schrank suchte, antwortete Leah: "Nö. Keiner da."

"Wie bist du dann reingekommen?", fragte ich sie verwundert und zog mir das T-Shirt über den Kopf.

"Tja, das ist ein Fall für ,,X-Factor - Das Unfassbare"", sagte sie, hiefte sich aus meinem Bett und trottete zu meinem Regal mit den DVDs.

Ich rollte die Augen und streifte die Jogginghose über meine Beine. Als ich den Raum verließ, rief Leah mir hinterher: "Und bring bitte 'ne Kopfschmerztablette mit! Mein Kopf dröhnt wie die Musik gestern Abend!"

 ***

Die Ravioli wärmte ich gerade im Topf auf, als ich die Haustür zu schlagen hörte. "Daaad?", rief ich, doch als keiner antwortete steckte ich den Kopf aus der Tür, aber niemand war zusehen.

Ich schaufelte die Raviolis in eine große Schüssel, schnappte mir zwei Löffel und stampfte die Treppen rauf. Ich wollte mich gerade in mein Zimmer begeben, als mir auffiel, dass ich die Tablette für Leah vergessen hatte. Ich stellte die Schüssel auf der Treppenstufe ab und wollte die Badezimmertür aufdrücken, als ich Leahs schwarzen Haarschopf durch Damians offene Zimmertür sah. Und das war noch nicht alles was ich sah. Sie knutschte wild mit ihm, fast schon leidenschaftlich.

Als mir diesmal ein Stich durchs Herz ging, wusste ich sofort was los war: Tief im Inneren hatte ich wohl doch gehofft, dass ihm unser Kuss doch irgendwas bedeutet hätte - vergeblich, wie es aussah.

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