> Part 16
"Aufhören! Hören Sie sofort auf!", rief Mr McLion und versuchte Damian wegzuziehen. Der schien verwirrt und verärgert zugleich, doch er ließ von Mr Glint ab. Er schien Schmerzen zu haben, aber sonst nicht allzu große Verletzungen.
"Was ist denn in Sie gefahren?" Der Direktor war entsetzt, das hörte man seiner Stimme an.
"Was in mich gefahren ist? Fragen Sie ihn das!", rief Damian aufgelöst und deutete grob auf Mr Glint, der immer noch am Boden war. Genau wie ich.
"Was ist passiert?", wandt McLion sich an ihn.
"I-ich weiß nicht. Er kam aufeinmal rein und schlug wie wild auf mich ein", sagte Mr Glint und tat so, als wäre er genauso entsetzt über Damians Verhalten, wie der Direktor selbst.
"Tun Sie doch nicht so scheinheilig!", rief ich schrill und rappelte mich auf. Alle Blicke waren auf mich gerichtet und Mr McLion schien mich erst jetzt zu bemerken.
"Wie bitte?" Er musterte mich genau.
"Er hat mich fast vergewaltigt", schrie ich und ich merkte, wie hysterisch ich langsam wurde. "Er hat mich angefasst und wollte es tun und hat mich gegen diese verdammte Wand gedrückt, immer und immer wieder und er hat mich geschlagen -" Mir blieb die Luft weg. Das alles kam in einem Atemzug heraus.
Mr McLion schien nicht zu wissen, was er glauben sollte. "Sie wissen, was für Anschuldigen Sie da von sich geben?"
"Es ist die Wahrheit", rief ich aufgebracht und schaute zu Mira, die immer noch hinter ihm stand. Sie nickte, auch wenn er es nicht sehen konnte. Er musste mich für verrückt halten, so wie er mich anschaute.
"Ich verstehe nicht ..." Mr McLion schüttelte den Kopf und ließ den Blick von mir, zu Damian und schließlich zu Mr Glint wandern. "Am Besten wäre es, wenn wir die Polizei rufen."
Leise Panik stieg in mir auf. Wenn die Polizei kommen würde, wird es Dad erfahren. Nicht, dass ich Angst vor seiner Reaktion hätte, aber mir war das irgendwie ... peinlich. Ich wusste auch nicht, wieso. Ich krampfte meine Finger zusammen, um sie am Zittern zu hindern und seufzte innerlich. Es wäre auch zu einfach gewesen, wenn alles glatt gelaufen wäre. Soweit man das so nennen konnte.
Damian meldete sich zu Wort. "Gut, geben Sie denen das." Er reichte ihm sein iPhone.
"Was soll ich damit?", fragte Mr McLion und runzelte die Stirn.
"Da ist ein Video drauf."
"Ein Video?!", riefen ich und Mr Glint gleichzeitig. Wobei er entsetzt und panisch klang und ich verwirrt und hoffnungsvoll. Er hat ein Video aufgenommen..?
"Geben Sie es ihnen einfach", presste Damian aus zusammengebissenen Zähnen. Er schien sich beherrschen zu müssen, um nicht irgendwas Dummes zutun.
"Dann werde ich jetzt die Polizei anrufen. Sie drei kommen mit. Und Sie, Mr Glint, bleiben bitte hier." Dann verließen wir den Raum und Direktor McLion schob uns vorneweg in den Flur. Während er die Polizei informierte, standen Mira, Damian und ich ein wenig abseits.
"Wo warst du?", fuhr Damian Mira an, woraufhin ihr Gesicht ein wütenden Ausdruck annahm.
"Die Drecksarbeit erledigen!", blaffte sie zurück.
"Langsamer gings auch nicht, oder?"
"Hätte ich ihn mit einem Strick fesseln und ihn herschleppen sollen? Erstens, würde ich mir sonst wie viele Nägel abbrechen und zweitens, will ich nicht wegen Kidnapping festgenommen werden!"
"Du redest nur Scheiße, Mira", erwiderte Damian genervt.
"Und du bist scheiße!", zischte sie.
"Ach ja? Aber ich war gut genug, zum -"
"Halt die Klappe!"
Er grinste. "Zum -"
"Ich sagte, halt die Klappe!"
"Ficken."
Erstaunt riss ich meine Augen auf. Erst Leah und er, jetzt auch noch Mira? War er wirklich so ein Aufreißer?
Mira schnappte nach Luft. "Du scheiß Mistkerl!" Sie war rot angelaufen - vor Wut oder vor Peinlichkeit oder so, wusste ich nicht. "Hol doch gleich ein Megafon."
"Selber Schuld", murmelte er. Ich seufzte leise; sie benahmen sich wie Kleinkinder - und das noch in so einer Situation! Damian hatte gerade unseren Sportlehrer zusammengeschlagen und jetzt hatte er nichts besseres zutun, als zu streiten. Ich warf ihm einen genervten Blick zu.
"Du bist Schuld. Hättest du nicht -", fing Mira an zu widersprechen und sie stritten noch eine Weile weiter, bis sie unterbrochen wurden.
"Guten Tag", begrüßte uns eine schwarzhaarige Frau in Polizeiuniform. "Wir sind von der Polizei", sie zeigte auf einen älteren Polizisten, der direkt neben ihr stand, "und man hat uns verständigt. War das einer von euch?"
"Ja, wir -"
"Ah, hallo." Mr McLion kam von weitem angelaufen. "Da sind Sie ja."
"Was ist passiert?", fragte der ältere Mann.
"Ach, wir veranstalten nur ein Kaffeekränzchen", hörte ich Damian schlechtgelaunt murmeln, aber wenn die Polizisten es gehört haben sollten, ignorierten sie ihn.
"Nun, diese junge Dame hier behauptet unser Sportlehrer Mr Glint wollte sie vergewaltigen und hätte sie zudem noch sexuell belästigt. Und gerade habe ich mitbekommen, wie dieser junger Herr hier ihn verprügelt hat, angeblich weil er es wieder versuchen wollte", erklärte der Direktor nun. "Und hier ist ein Handyvideo, welches von ihm aufgenommen wurde." Er reichte ihnen Damians Handy und die Frau drückte auf Play.
Mr Glints abscheuliche Stimme ertönte. "Dass du es am Liebsten mit mir treiben würdest? Aber einerseits gefällt mir das ..." Kurze Pause. "Dir schien es ja auch gefallen zu haben, so wie du geschrien hast ..."
Mir standen aufeinmal die Tränen in den Augen. Ich wollte das nicht hören, nicht noch einmal. Ich wendete mich ab und lief nach draußen auf den verlassenen Schulhof, wo ich mich auf die Treppe setzte und vergeblich versuchte die Tränen zurückzuhalten. Atme tief durch, Aria. Bloß nicht weinen. Und ausatmen. Aber es brachte alles nichts, eine Träne nach der anderen lief mir die Wangen runter. Wenige Minuten später konnte ich nicht mal richtig atmen, so dolle heulte ich. Mein Blick war verschleiert und ich konnte nichts außer das Wasser in meinen Augen sehen. Ich hasste es zu weinen, doch leider tat ich es viel zu oft. Ich war einfach viel zu nah am Wasser gebaut.
Er wollte es wieder tun, schoss es mir immer wieder durch den Kopf. Das war zwar auch der Plan gewesen, aber trotzdem war es deshalb nicht weniger schlimm. Auch wenn Damian rechtzeitig gekommen ist - mal wieder. Mir fiel ein, dass ich mich gar nicht richtig bedankt hatte für das alles. Aber er schien auch nichts zu erwarten. Was hatter er noch gleich gesagt? Ich will mir von deinem Dad nicht sagen lassen, dass ich mein Fast-Stiefschwesterherz nicht beschützt hätte. Du weißt, so als großen Bruder.
Mir flammte das Bild von Damian vor meinen Augen auf, wie er immer wieder auf Mr Glint eingeschlagen hat. Oh ja, er hatte mich beschützt. Sogar mehr als einmal. Dabei kannten war uns erst seit ein paar Tagen. Würde ich das auch für eine fast fremde Person tun? Andererseits hielt ihn das auch nicht ab, gleich mit zwei Mädchen in die Kiste zu springen. Ich wusste nicht, warum mir das irgendwie im Herzen wehtat. Bestimmt, weil das scheiße für Leah wäre, redete ich mir ein. Immerhin dachte sie ja, es könnte was zwischen Damian und ihr werden und jetzt hatte er was mit Mira - aber vielleicht war es ja auch vor den beiden? Hieß das, Mira hatte Mike betrogen?
Was gehts dich an, Aria?, ermahnte meine innere Stimme mich. Recht hatte sie.
Während mir das alles durch den Kopf ging, flossen die Tränen unerbittlich weiter. Ich wollte aufhören, aber ich konnte nicht; es war, als wollte mein Körper alle Tränen aus mir raustreiben.
Ich erschrak, als eine Hand sich auf meinen Rücken legte. Es war Mira, wie ich erstaunt feststellte.
"Oh, hi", murmelte ich und senkte den Blick auf meine Hände.
"Alles okay?", fragte sie und setzte sich zu mir auf die Treppenstufe.
"Nein."
"Er wird festgenommen", sagte Mira nach einer Weile und schaute mich an. "Sie glauben uns. Naja, das Video war auch ziemlich eindeutig."
Ich nickte nur, denn mir war immer noch zum Heulen zumute. Wenigstens das.
"Wir müssen mit auf's Revier. Wegen unseren Personalien und den ganzen Kram."
"Ich - ich kann das nicht", sagte ich mit tränenerstickter Stimme. Wie jämmerlich ich mich doch anhörte.
"Wir müssen doch nur mit auf's Revier. Du wirst den Arsch nicht mehr sehen", meinte sie verwundert.
"Nein, das mein ich nicht. Ich kann das alles nicht. Ich komm damit nicht klar. Ich weiß, dass ist alles Quatsch, weil mir doch bis auf die paar blauen Flecken nichts passiert ist, aber ... ", ich unterbrach mich und wischte mir über die Augen. "Wenn ich mich jetzt schon so fühle, will ich mir gar nicht vorstellen wie sich die Leute fühlen, die wirklich ... vergewaltigt wurden."
Eine ganze Weile sagte keiner was. Jeder hing seinen eigenen Gedanken nach, wobei meine nicht besonders toll waren. Schließlich sah Mira sich nach allen Richtungen um und sagte dann ganz ruhig:
"Man kann die Gefühle nicht ausdrücken, die man dann hat. Ich sag mal so: Man fühlt sich innerlich verdorben. Wertlos. Dreckig."
Mein Kopf schoss hoch. "Was?"
Mira seufzte tief und strich sich einmal über die blonden Haare. "Okay, ich erzähle dir jetzt was. Du bist die Erste, der ich das sage, und dass ausgerechnet du es bist, hätten wir beide bestimmt nicht gedacht. Irgendwie erinnert mich das ganze sowieso alles an einen schlechten Film, wo zwei Feindinnen zu Freundinnen werden und diesen ganzen Scheiß - du weißt schon. Jedenfalls: Ich könnte verstehen, wenn du es weitererzählen wirst - nach allem was ich dir angetan habe, würde ich das auch machen - aber ich bitte dich trotzdem, es nicht zu tun. Naja, es ist deine Entscheidung." Sie zuckte mit den Schultern und schaute mich an - ich nickte etwas verwundert und irritiert.
Dann fing sie an zu erzählen. "Als ich zwölf war, wurde ich vergewaltigt. Von dem Freund meiner Mum. Ich mochte ihn, er machte meine Mum glücklich, das konnte man an ihren Augen sehen, wenn die beiden zusammen waren. Und deshalb dachte ich, ich könnte ihm vertrauen. Wir unternahmen viel zu dritt, aber manchmal auch nur er und ich. Wir gingen in den Zoo, ins Kino oder in den Freizeitpark. An dem Tag waren wir im Schwimmbad und es war schon später Nachmittag, nur noch ein paar Leute waren da und wir wollten auch nachhause. Ich wollte mich in der Kabine umziehen, als er reinkam und mich gegen die Kabinenwand schubste." Bis jetzt klang sie ganz ruhig, aber nun wurde ihre Stimme immer brüchiger. "Er sagte, ich solle bloß die Klappe halten, sonst würde er mir was antun. Ich war so ... überrascht und verängstigt, dass ich einfach nur nickte. Sein Gesicht war so anders, komisch verzerrt. Und dann hat er mich vergewaltigt. In einer dreckigen Schwimmbadkabine. Ich war die ganze Zeit so leise wie ich konnte, obwohl ich am liebsten geschrien hätte. Doch einmal musste ich einfach schreien; es tat so weh. Und dann hat er mir eine verpasst. Aber weißt du, nicht das war es, was mir im Herzen weh tat. Sondern die Tatsache, dass ich ganz sicher war, dass mich die Leute gehört haben. Sie sind an der Kabine vorbeigegangen, ohne irgendwas zu machen, ohne zu helfen."
Ich war nicht fähig irgendwas zusagen, sondern war einfach sprachlos. Sowas hätte ich nicht erwartet. Dass hinter Miras Fassade so eine Geschichte steckt, hätte ich nie gedacht. Sie - die taffe, selbstbewusste, wunderschöne und vor allem mich demütigende Mira - hatte sowas durchmachen müssen.Es musste so schrecklich sein, alleine damit umgehen zu müssen. Mir haben Mira und Damian ja geholfen, aber sie hatte es keinem erzählt. Und ich konnte sie da gut verstehen. Wenn die beiden mich nicht gerettet hätten, hätte ich es ihnen sicherlich auch nicht erzählt. Keinem. Vielleicht auch nicht einmal Leah. Dann war es auch noch der Freund der eigenen Mutter; eine Person dem sie vertraut hat und von dem sie dachte, sie wäre sicher bei ihm, weil es ihre Mutter auch war. Und ihr war keiner zur Hilfe gekommen: Was wäre passiert, wenn ich keine Hilfe bekommen hätte? Ich wollte es mir gar nicht ausmalen.
Da ich nichts sagte, meinte sie:
"Ich wollte es besser machen, verstehst du? Und ich weiß, wie es ist in so einer Situation zu sein, deswegen wollte ich dir helfen, damit du da nicht, so wie ich, alleine durchmusst. Außerdem - wer weiß, wie viele Opfer dieses Schwein noch hat? Ich kann mir vorstellen, dass du nicht die Einzige bist."
"Ich werde es keinem sagen", sagte ich leise, da ich nichts Besseres zu erwidern wusste und merkte, wie kratzig ich mich anhörte.
Es schien, als würde ihr die Antwort reichen. Sie nickte und lächelte mich fast schüchtern an.
"Ich hab's dir erzählt, damit du dich damit nicht alleine fühlst. Ich kenne das Gefühl und verstehe dich. Und ich glaube jetzt echt nicht, dass ich das sage und glaub mir, dass kostet mich so viel Überwindung, aber ich meine es ernst: Du kannst das. Du kannst und wirst es packen."
Kurz bevor Mira und ich in das Polizeiauto stiegen (Damian war schon drinnen), sah ich sie an und vor mir stand plötzlich ein zwölfjähgriges blondes Kind, dass verängstigt und verwirrt war.
Ich kam meinen Drang nach und murmelte: "Danke." Und das meinte ich wirklich ernst.
Wer hätte gedacht, dass ich mich ausgerechnet bei Mira bedanken würde?
Wie heißt es denn so schön? Nichts ist unmöglich.
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