> Part 114

,,Dad", schrie ich durch das ganze Haus, doch ich bekam keine Antwort. ,,Daaaad! Hast du mein Ladekabel genommen?" Niemand antwortete mir, und ich knallte meine Nachttischschublade zu, wo sich normalerweise der Akkuladekabel meines Handys befand, doch von dem war nun nichts mehr zu sehen. Es regte mich immer total auf, wenn solche Dinge einfach verschwanden.

Genervt stolzierte ich rüber zu Damians Zimmer, der nicht da war und kramte in seiner Schublade herum auf der Suche nach irgendwas, womit ich mein Handy aufladen konnte, bevor es den Geist aufgab. Tatsächlich fand ich meinen (!) Ladekabel, nebenbei aber noch etwas ganz Anderes: Der Anhänger mit dem chinesischen Schriftzug für Liebe, den ich Damian vor meiner Reise nach Deutschland geschenkt und den ich von Leah zu meinem 16. Geburtstag bekommen hatte, lag gut sichtbar auf zwei Bücher, die in der Schublade neben seinem Bett verstaut waren. Ich vergaß meine Reizbarkeit und lächelnd nahm ich es heraus, da ich es fast vergessen hatte. Es freute mich, dass er es noch immer hatte und es anscheinend immer sah, wenn er die Schublade öffnete.

,,Macht's Spaß?", hörte ich eine Stimme hinter mir fragen und ich drehte mich ruckartig um, hielt sofort das Ladekabel demonstrativ in die Höhe.

,,Das ist meins!", sagte ich zu Damian, damit er gar nicht erst anfing mir Vorwürfe zu machen, weil ich in seiner Schublade 'rumgewühlt' habe. ,,Du hast den Anhänger ja immer noch."

,,Klar hab ich den noch", gab er zurück, setzte sich vor mir aufs Bett und nahm mir den Anhänger aus der Hand, um ihn genauer zu betrachten. ,,Sid hat ihn mal auf meinem Schreibtisch gefunden und mich felsenfest davon überzeugt, dass es 'Vollidiot' bedeutet."

,,Sag mir nicht, dass du das geglaubt hast", sagte ich lachend und schaute ihn leicht entsetzt an, wobei ich mal wieder belustigt wegen Sids Aktion war.

,,Doch", gestand er grinsend. ,,Aber dann hab ichs nochmal gegoogelt."

Meine Wange färbten sich in ein blasses Rot und ich sah auf seine langen Finger, die den Anhänger hin - und herdrehten. ,,Naja, der Vollidiot-Anhänger war leider schon ausverkauft ... "

,,Hab ich mir gedacht."

,,Um ehrlich zu sein, hat Leah ihn mir zu meinem 16. geschenkt."

Damians Augenbrauen zogen sich zusammen, bis ihm etwas einfiel und seine Gesichtszüge sich wieder glätteten. ,,Stimmt, ich hab mal gesehen, wie du so ein Armband getragen hast! War das davon?"

Ich nickte. ,,Alle Anhänger hatten irgendeine Bedeutung", erklärte ich. ,,Und den wollte ich dir geben."

Da ich auf dem Boden hockte, schaute er mich von oben aus an und der Ausdruck in seinen blauen Augen war unergründlich. Ich wusste beim besten Willen nicht, was er darüber dachte und das verunsicherte mich. ,,Ich will dich was fragen", sagte er dann und ohne meine Antwort abzuwarten, fuhr er fort, diesmal jedoch mit einem Grinsen auf den Lippen: ,,Gehst du mit mir auf ein Date?"

Ich verschluckte mich an meiner eigenen Spucke und daraufhin folgte ein ausgewachsener Hustenanfall höchsten Grades. Ich spürte wie mein Kopf so rot wie eine Tomate wurde und ich klopfte mir andauernd auf die Brust, um wieder normal Luft zu bekommen, doch erst nach einer Weile, nachdem Damian mir mehrmals etwas hilflos auf den Rücken klopfte (was eigentlich nichts brachte) und ich mich beruhigte, konnte ich wieder halbwegs gleichmäßig atmen.

,,S-sorry", entschuldigte ich mich beschämt und bettete meinen Kopf neben ihm auf der Bettkante, um meinen Puls erstmal zu normalisieren. Scheiße, war das peinlich.

,,War das jetzt ein Nein?", fragte er verwirrt. ,,Wenn ja, dann war das echt mal eine originelle Art es zu sagen ... "

,,Nein", sagte ich schnell. ,,Ich meine nein, es war kein Nein. Es war ein Ja." Ich hob meinen Kopf um ihn anzuschauen, und er schien mich wieder auszulachen, weshalb ich ihm einen leichten Schlag auf sein Bein gab. Ich rappelte mich von meiner Hockposition auf und setzte mich neben ihm aufs Bett, wobei ich mich mit der Vorderseite zu ihm drehte.

,,Ich hätte nicht gedacht, dass du mir jemals so eine Frage stellen würdest", gestand ich.

,,Tja, wie wir gesagt haben: Ich bin voller Überraschungen", sagte er grinsend. ,,Und nach Dates zu fragen, gehört doch zu einem guten Freund, nicht wahr? Nicht, dass ich das nicht auch so schon wäre."

,,Natürlich", erwiderte ich augenrollend, aber lächelnd. Mein Herz pochte ein bisschen schneller wegen der Aufregung mit Damian auf ein Date zu gehen, doch ich fand es wirklich ... rührend, dass er mich gefragt hatte, anstatt einfach mit mir etwas zu unternehmen. Schließlich hätte er es nicht machen müssen, da wir durch unsere Wohnsituation ja sowieso oft zusammen waren. ,,Und was machen wir?"

,,Ich lass mir etwas einfallen." Er kam mir ein Stück näher. ,,Aber ich wüsste, was wir jetzt machen könnten."

Ich grinste leicht, als er meine Wange küsste und dann meinen Hals, bevor er seine Lippen auf meine drückte und seinen Mund ein wenig öffnete. Es wäre so einfach, meine Augen zu schließen und mich ihm hinzugeben, doch ich hatte Lily versprochen sie zurückzurufen, sobald ich ein Ladekabel gefunden hatte und schließlich hatte ich ihr jetzt auch noch etwas Wichtiges zu erzählen.

,,Ich - ", murmelte ich nach einer kurzen Weile in den Kuss hinein und legte meine Hände auf seine Brust, um ihn sanft zurückzuschieben. ,,Ich muss Lily anrufen."

Damian rollte mit seinen Augen und meinte: ,,Was habt ihr denn so Wichtiges zu besprechen, dass ihr tagtäglich zehn Stunden telefonieren müsst?"

,,Tja."

,,Na gut", seufzte er, fuhr sich mit beiden Händen durch seine dichten Haare und stand dann von seinem Bett auf. ,,Ich treffe mich jetzt mit Matt und Lev."

,,Was habt ihr vor?", fragte ich immer noch auf seinem Bett sitzend.

,,Tja", ahmte er mich nach und zwinkerte, bevor er mir in die Wange zwickte und wieder sein Zimmer verließ.

***

Ich unterhielt mich mit Lily gerade über Octopusse (ich weiß selbst nicht, wie wir darauf kamen) als irgendwer in mein Zimmer gestürmt kam und ich laut aufschrie.

,,Herr Gott, wieso schreist du denn so?", fragte Leah mich, die zusammen mit Justin aufeinmal vor mir stand. Perplex schaute ich beide abwechselnd an, wobei ich mir mein Handy immer noch an mein Ohr hielt und Lily am anderen Ende der Leitung andauernd Fragen von sich gab.

,,Was wollt ihr hier?" Okay, das war vielleicht nicht so nett formuliert. Aber ich war eben verwirrt.

,,Ich möchte, dass du mir Justin vom Hals schaffst", sagte sie.

,,Und ich will, dass du Leah mal verklickerst, dass sie mal was riskieren soll." Justin sah teilweise wütend und erschöpft aus.

,,Lily", sagte ich ernst in mein Handy. ,,Ich muss auflegen." Nachdem ich mein Handy beiseite gelegt habe, wollte ich, dass die beiden endlich mal Klartext sprachen.

,,Leah weigert sich, mit mir auf die Hochzeit zu gehen!", sagte Justin.

,,Ja, weil ich darin kein Sinn sehe!"

,,Oh, aber wenn du Sex mit mir hast, dann siehst du wohl einen Sinn dahinter, oder was?"

,,Ja, das macht Spaß!"

Justin sah etwas vor den Kopf gestoßen aus und ich wartete gespannt seine Antwort ab. ,,Du weigerst dich einfach zuzugeben, dass ich dir etwas bedeute", sagte er schließlich.

Empört warf Leah die Hände in die Luft. ,,Du siehst einfach nicht ein, dass ich nichts von dir will."

,,Wer's glaubt, wird seelig", schnaubte er.

,,Leute", mischte ich mich ein. ,,Ist das euer Ernst?" Sie kamen zu mir, damit ich ihnen sagen soll, dass Leah auf Justin steht beispielsweise Justin checken soll, dass Leah nicht auf ihn steht? ,,Das ist totaler Unsinn. Ihr solltet euch mal hören."

Leah seufzte und setzte sich zu mir auf mein Bett, legte ihren Kopf auf meine Schulter. Dann seufzte sie erneut. ,,Okay. Ich werde mit dir zu der Hochzeit gehen", sagte sie und ich zog die Augenbrauen zusammen. Diese Situation war echt bizarr.

,,Aber nur weil du mich nervst und ich Kopfschmerzen bekomme", fügte sie hinzu. Da setzte sich Justin auf meine andere Seite und auch er legte seinen Kopf auf meine Schulter.

,,Dann hätten wir das ja geklärt." Und dann fing er an, zu seufzen.

***
Es war Donnerstag, der Tag vor dem großen Tag. Ich wurde deutlich nervöser und machte mir die ganze Zeit Gedanken darüber, wie es wohl sein wird, wenn ich da vorne vor 50 Leute stehe, während unsere Eltern sich das Ja-Wort geben. Immer wieder betrachtete ich das dunkelrote Kleid, welches nun an der Außenseite meines Schrankes hing und mich fast anlächelte - ich freute mich, es bald tragen zu dürfen und das war etwas, was ich früher niemals getan hätte. So schön die Kleider auch wären, die alte Aria hätte sich davor gegraut in ein Kleid zu steigen.

Vielleicht war das nur die Aufregung, doch ich freute mich auch immer mehr, dass Sally und Dad heirateten. Ich gab zu, dass ich mir - als ich hörte, dass sie heiraten wollten -  nicht sicher war, ob das wirklich richtig war. Außerdem war ich ein bisschen wütend auf Dad gewesen, ganz tief in meinem Inneren, denn somit würde er meine Mutter ersetzen. Doch letztendlich war er ein erwachsener Mann und konnte seine Entscheidungen selber treffen und das tat er jetzt. Ich glaube nicht, dass ich sie jemals vollständig akzeptieren konnte, doch Sally war doch schon jetzt so gut wie seine Frau, also wieso sollten sie nicht richtig glücklich sein und es offiziell machen?

,,Weißt du noch als ich sagte, ein Gorilla könnte dabei sein dich anzugreifen und du würdest es nicht merken?"

Ich zuckte zusammen und schaute zu Damian, der wohl schon seit Längerem an meiner Zimmertür stand und sich dort anlehnte. Bevor ich ihm antwortete, musterte ich ihn absichtlich etwas länger. Er trug eine schwarze Jeanshose und dazu ein paar Sneakers und ein weißes Nike-Shirt. Seine Haare waren ein wenig nach oben gekämmt und sein Blick ruhte seelenruhig auf mir.

,,Naja, ein Gorilla bist du ja nicht gerade", kommentierte ich und legte das Buch, welches ich ungelesen neben mir im Bett liegen hatte, zur Seite und setzte mich gerade hin.

,,Fast", sagte er und ich fragte mich, wieso er da an der Tür stehen blieb und nicht reinkam.

,,Hast du da Wurzeln geschlagen oder wieso kommst du nicht rein?", fragte ich leicht grinsend.

,,Hey, sei lieber nicht so frech, sonst geh ich mit mir selber auf ein Date", erwiderte er,  grinste jedoch auch und kam dann tatsächlich herein, um vor meinem Kleid stehen zu bleiben und es genauer zu betrachten. ,,Das ziehst du morgen an?"

Ich nickte und er sagte: ,,Ich weiß schon jetzt, wer die Heißeste dort sein wird", woraufhin ich rot wurde, mir ein breites Grinsen jedoch nicht verkneifen konnte.

,,Du sagtest Date?"

Damian kniff die Augen zusammen, verschränkte die Hände hinter seinem Rücken und grinste breit, während er heftig mit seinem Kopf nickte und dabei aussah, wie ein kleiner Schuljunge, was mich noch mehr zum Grinsen brachte.

,,Okay, und wann? Etwa heute schon?"

,,Jetzt."

,,Und wohin?"

,,Daaaas", er machte eine dramatische Pause. ,,Wirst du dann sehen."

Ich seufzte und schaute skeptisch an mir herunter. ,,Darf ich mich denn noch fertig machen? Oder willst du mich so mitnehmen?" Ich deutete auf meine gepunktete Pyjamahose, die ich noch anhatte und dem 'I love England'-Shirt, das Dad mir mal zu Weihnachten geschenkt hatte, damit ich "weiß, wo ich hingehöre", wenn ich erstmal in Deutschland gewesen war.

Damian zuckte mit den Schultern. ,,Ich nehm dich auch so."

Obwohl er es diesmal definitiv nicht zweideutig meinte, konnte ich nicht verhindern, dass meine Wangen erneut erröteten, doch ich versuchte es zu vertuschen, indem ich hastig aufstand und mich an meinem Kleiderschrank zu schaffen machte. Leider musste ich dafür an Damian vorbei und er sah natürlich alles.
Er legte seine Hände sanft um meine Handgelenke und drehte mich zu sich, ein dreckiges Grinsen bereits auf seinen Lippen.

,,Was?", fragte ich stumpf, obwohl mein Gesicht mich natürlich verriet.

,,Das mit 'Ich nehm dich auch so' meine ich natürlich in allerlei Hinsicht." Daraufhin beugte er sich zu mir herunter und küsste mich, und selbst wenn ich verlegen war, ich erwiderte den Kuss nur liebend gern. Danach ging ich jedoch einfach zur Seite und während ich mich durch meine Klamotten wühlte, wollte ich von Damian wissen, wie ich mich denn kleiden sollte. Nicht, dass ich etwas Schickes hätte, aber es besteht wohl ein kleiner Unterschied zwischen einem Gammelpulli und einer schlichten Bluse oder so. Wobei der Pullover bei dieser Jahreszeit nicht das Schlauste wäre.

Ich war froh, als Damian sagte: ,,Zieh dich einfach normal an" und sich dabei auf mein Bett fallen ließ. Ich kramte mir also irgendwelche 'normalen Klamotten' aus meinem Schrank und verzog mich ins Bad, um mich anzuziehen, was Damian mit einem Augendreher registrierte.

Ich zog mich an, machte mir meine Haare, was hieß ich kämmte sie einmal durch und hoffte, dass sie so blieben, wie sie gerade lagen und trug eine Schicht Wimperntusche auf - dann war ich fertig.

,,Ich bin soweit", verkündete ich als ich zurück in mein Zimmer ging, wo Damian immer noch auf dem Bett lag und die Augen geschlossen hielt.

,,Sag mir nicht, du bist eingeschlafen", murmelte ich und ging ganz nah an ihn dran, wedelte mit der Hand ein paar mal vor seinen Augen  hin - und her, doch seine Lider zuckten kein einziges Mal. Ich seufzte und da packten mich zwei starke Hände an meinem Rücken und zogen mich hinunter, direkt auf Damian drauf.

,,Ich dachte, du schläfst", beschwerte ich mich als ich auf ihn lag.

Er öffnete seine Augen und grinste breit. ,,Hab ich auch fast." Er überlegte. ,,Wir könnten natürlich auch Zuhause bleiben und eine Runde schlafen. Nebeneinader, selbstverständlich", fügte er hinzu und zwinktere übertrieben.

Ich zuckte die Schultern, so gut es ging und sagte: ,,Von mir aus." Dann grinste ich ebenfalls und schaute in seine strahlenden blauen Augen auf die gerade ein Lichtstrahl von draußen fiel und sie fast durchscheinbar machten.

,,Du willst echt auf das beste Date deines Lebens verzichten?"

,,Das wäre das erste Date meines Lebens", informierte ich ihn und er hob eine Augenbraue an.

,,Warst du mit diesem Jonas nie auf ein Date oder so?"

,,Nein", sagte ich. Jonas und ich hatten uns öfters getroffen, klar, aber es war nie etwas ... so offizielles wie ein Date.

,,Oh", sagte er und setzte sich ein wenig hin, so gut es halt eben ging, wenn ich auf ihm drauf lag. Er schaute mir auf meine Lippen, dann wieder in meine Augen, bevor er meinte: ,,Dann können wir das nicht mit Schlafen vergeuden." Er küsste mich, kurz, aber fest, bevor er mich von sich runterschmiss und aufstand. Ich tat so als hätte ich mir den Kopf gestoßen und wäre dadurch ohnmächtig geworden, doch er packte mich an meinen Füßen und zog mich übers Bett, sodass ich beinahe runterknallte.

Ich schlug panisch die Augen auf und strampelte wild mit meinen Beinen. ,,Du bist echt unsensibel", schimpfte ich.

,,Und du noch immer eine schlechte Schauspielerin." Er reichte mir lächelnd seine Hand, damit ich mich vom Bett aufrappeln konnte und ließ sie nicht los, als wir nach unten gingen. Ich erinnerte mich als wir im Meer von Bournemouth schwimmen waren und ich so getan hatte als hätte ich einen Krampf bekommen und unter Wasser verschwand. Eigentlich hatte ich erwartet, dass Damian mir zu Hilfe kam, doch er tat nichts, blieb an Ort und Stelle bis ich wieder auftauchte und er mich auslachte. Damals meinte er auch, dass ich keine besonders gute Schauspielerin sei und die Erinnerung brachte mich zum Lächeln.

Unten hielt ich kurz inne, da ich erwartete, dass unsere Eltern anwesend waren, doch dann erinnerte ich mich, dass beide ja mit ihren Freunden beispielsweise Freundinnen unterwegs waren. Das hieß für uns: Wir hatten bis mindestens spät in die Nacht sturmfrei.

***

,,Der Jahrmarkt?" Erstaunt blickte ich auf das, was vor mir lag. Der süße Geruch der Zuckerwatte und der gebrannten Madeln stieg mir in die Nase und von allen Seiten hörte ich die laute Musik, die von den Fahrgeschäften ausging und das bunte Geblinker, welches ebenfalls von ihnen kam.

Damian atmete zufrieden aus. ,,Jap." Dann aber schien ihm etwas in die Gedanken zu kommen und er drehte sich leicht zweifelnd zu mir um. ,,Magst du keine Jahrmärkte?"

,,Doch", sagte ich ehrlich. ,,Ich liebe sie. Nur hab ich das überhaupt nicht erwartet."
Um ihm zu beweisen, dass ich die Idee toll fand, lächelte ich und schaute mich begeistert um. Früher war ich oft mit Leah auf der Kirmes gewesen, doch in den letzten Jahren haben wir das irgendwie nicht mehr gemacht. Was vielleicht auch daran lag, dass sie immer ihre anderen Freunde mitnehmen wollte und ich mich dann total fehl am Platz gefühlt hätte, sodass ich immer gleich unter irgenwelchen Vorwänden abgesagt habe. Aber nun stand ich hier mit Damian und freute mich wie ein kleines Kind.

Während wir eine Runde gingen, erzählte er mir mal wieder die verrücktesten Storys, die er auf der Kirmes mal erlebt hatte. Von Kirmeskindern, die ihn mal überall kostenlos haben mitfahren lassen und hinterher von ihren strengen Eltern mit Schlägen bestraft wurde bishin zu Junkies, die sich in der Geisterbahn versteckt hatten und die Kinder dort erschreckten. Gerade als er dies erzählte, hielten wir vor der riesigen, zweistöckigen Geisterbahn an und herausfordernd sah er mich an. Ich grinste, nickte und wir gingen uns zwei Chips kaufen. Zehn Minuten später saßen wir auf unseren Plätzen und die Fahrt ging los.

Eigentlich war ich ja kein Angsthase, doch ich war seit Ewigkeiten nicht mehr in sowas mitgefahren und ich wollte mich nicht vor Damian blamieren. Großmütig, wie er war, legte er seinen Arm um meine Schulter und meinte, ich könnte mich ruhig an ihm festhalten, wenn ich Angst bekommen würde. Ich verdrehte nur die Augen.

Das meiste war ziemlich harmlos, doch ich erwartete das Schlimmste, also presste ich die Lippen fest aufeinander und krallte mich an der Stange, die uns im Sitz hielt, fest. Plötzlich sprang ein Mann mit einer großen, lauten Kettensäge von der Seite auf uns zu und ein lautes Poltern war zu hören. Tatsächlich war es Damian, der kurz aufschrie und ich drehte mich lachend zu ihm um. ,,Hach! Du bist so ein Baby", lachte ich und er zeigte mir grinsend den Mittelfinger.

Nach der Geisterbahn fuhren wir noch in einigen anderen Karussels mit und nach dem Fünften musste ich zugeben, dass mir langsam übel wurde. Anscheinend sah man mir das an, denn Damian schlug vor: ,,Ich denke, wir setzten uns mal kurz hin", und deutete dabei auf eine gerade frei gewordene Bank, die neben einer Imbissbude stand. ,,Willst du was trinken?"

Ich nickte und er ging los, um uns Wasser zu holen. Bis jetzt war der Abend echt toll gewesen, denn es gab keine peinlichen Zwischenfälle oder sowas und die Karussels hatten echt Spaß gemacht. Ich sah Damian an, dass er nicht erwartet hatte, mich so begeistert für die Karussels zu sehen, doch er begleitete mich in jedes Fahrgeschäft, das ich wollte.

Drei Minuten später kam er mit zwei Flaschen Wasser zurück und ich öffnete meine, um ein Schluck zu trinken. Jetzt, wo ich saß, verschwand die Übelkeit langsam.

,,Du siehst aus wie der Geist in der Bahn", sagte Damian und sah mich besorgt von der Seite an. Ich grinste schwach und meinte: ,,Wow, was für ein Kompliment."

,,Du weißt, wie ich es meine", erwiderte er. ,,Wir hätten den Thunderstorm echt auslassen sollen." Der Thunderstorm war ein Karussel, dass 58 Meter hoch war und sich mehrmals mit 110 km/h um sich selbst drehte.

,,Quatsch", sagte ich. ,,Sonst hätten wir ja nicht gesehen, wie das Mädchen neben uns im Strahl runter kotzte." Ich bekam erneut einen kleinen Lachanfall bei dem Gedanken, wie das Mädchen, das etwa in unserem Alter war und nehmen mir gesessen hatte, sich übergeben musste, gerade als wir oben in 58 Meter Höhe Halt gemacht haben, damit unten weitere Leute einsteigen konnten. Ihr Erbrochenes traf irgendeinen armen Mitarbeiter auf dem Kopf.

,,Das wird sie auch niemals vergessen", grinste er. Dann blickte er mir kurz über die Schulter und sagte dann: ,,Oh shit." Fragend drehte ich mich um und sah, dass Mike mit einigen anderen Jungs an uns vorbeiliefen. Noch hatte er uns nicht entdeckt. Über die Monate hatte er sich ein wenig verändert. Es schien, als habe er einiges an Muskeln zugelegt und seine blond-braunen Haare waren länger geworden. Zudem pragte an seiner Wange ein ziemlich heftiges Veilchen.

,,Weißt du, was mit seinem Gesicht passiert ist?", fragte ich Damian ohne mich umzudrehen. Nicht, dass ich mich um sein Wohlergehen sorgen würde, jedoch war ich interessiert daran, wer ihm eine verpasst hatte.

,,Ich hab gehört", antwortete Damian, ,,dass er eine aufs Maul bekommen haben soll. Du kennst ihn doch, sein zweiter Name ist Provokation."

Als hätte Damian ihn damit gerufen, drehte Mike sich in unsere Richtung. Erst glitt sein Blick zügig über uns, doch dann schaute er nochmal genauer hin und diesmal hatte er uns ganz genau entdeckt. Aber ich wagte es nicht, als Erstes den Blickkontakt abzubrechen und deshalb schaute ich weiterhin ruhig in seine Richtung. Ich wusste nicht, was er dachte oder was er mir gegenüber empfand, schließlich war unsere letzte Begegnung nicht gerade friedlich gewesen. Ich hatte ihm vorgeworfen, dass er ein schlechter, grausamer Mensch sei und ihn dann noch mit Tatsachen über seinen toten Bruder überhäuft. Zugegebenermaßen hatte ich schon ein wenig Angst vor seiner Reaktion, wenn ich wieder auf ihn traf, doch im Moment war ich eigentlich ziemlich entspannt. Immerhin saß Damian gerade neben mir und es war über ein halbes Jahr vergangen. Vielleicht hatte er es vergessen. Es ist viel Zeit vergangen.

Schließlich schaute er wieder weg und ging weiter, an uns vorbei und ohne ein Ton zu sagen.

,,Hey, heeeey", rief stattdessen eine andere bekannte Stimme hinter Damian und wir beide zuckten erschrocken zusammen.

Es war Sid.
,,Hi", sagte ich lächelnd.

,,Mann, was erschreckst du uns so?", fragte Damian statt einer Begrüßung. Sid hatte seine roten, kurzen Haare unter einer Cap versteckt, die er mit dem Schirm nach hinten trug und die er gerade anhob, um einmal kurz über seine Haare zu fahren.

,,Woah, habt ihr auch Mikes blaues Auge gesehen?", sagte er und ging nicht auf Damian ein.

,,Ist ja nicht zu übersehen", bestätigte Damian und schlug bei Sid ein, der ihm die Hand hinhielt. ,,Bist du alleine hier?"

Sid drehte sich um und deutete auf Cathy und Patrick, einer von Damians und Sids Freunden. ,,Nee, Patrick und Cat sind auch noch da. Und ihr beiden Süßen habt wohl ein Rendevouz?" Aufreizend wackelte er mit seinen hellen Augenbrauen und quetschte sich zwischen uns auf die Bank, legte uns beiden je ein Arm um die Schultern. ,,Ich freu mich ja so für euch", sagte er leichthin und dann leiser: ,,Wenn Cathy jemals vorschlagen sollte auf ein Doppeldate zu gehen: Schlagt ein Kreuz und lauft weg. Bloß kein Doppeldate!"

,,Keine Sorge", sagte Damian und klopfte Sid auf die Schulter. ,,Du reichst mir schon. Wenn dann noch so eine von deiner Sorte kommt, kriege ich ein Nervenzusammenbruch."

,,Das liegt an der Weiblichkeit. Mädchen verursachen schneller einen Nervenzusammenbruch als du 'Es tut mir leid, war nicht so gemeint' sagen kannst." Sid warf einen abschätzigen Blick auf mich. ,,Das wirst du schon noch merken, mein Freund." Er stand auf. ,,Wir sehen uns morgen."

Und dann war er auch schon wieder weg.

,,Ist er eigentlich jemals schonmal traurig gewesen?", fragte ich interessiert und sah Sid nachdenklich hinterher.

,,Als sein Kaninchen Va gestorben ist", antwortete er. ,,Da hat er geweint. Zwei Minuten lang und dann hat er irgendein Bunny-Witz gerissen."

,,Er hat sein Kaninchen Va genannt?" Was war das denn für ein Name?

Er fing an zu lachen. ,,Ja, sein anderes hieß Gina. Aber die hat leider auch schon ins Gras gebissen."

Es dauerte seine Sekunden bis ich es verstand, und dann grinste ich ebenfalls. Va und Gina - sowas konnte auch nur Sids Ideen entspringen. ,,Mögen sie in Frieden Ruhen", sagte ich.

Wir gingen noch eine weitere Runde über die Kirmes. Es war bereits dunkler geworden und frischer, doch immer noch nicht so kalt, dass man eine Jacke bräuchte. In weniger als 18 Stunden würden Sally und Dad verheiratet sein. Ob alles gut gehen würde?

,,Mit wem warst du eigentlich auf dem The Fray-Konzert?", fragte ich Damian irgendwann. Bis jetzt hatte ich stark damit gerechnet, dass er Sophie an meiner Stelle mitgenommen hatte.

Er sah mich kurz von der Seite an, bevor er wieder nach vorne schaute. ,,Mit Lev", antwortete er. Lev war ja schon von Anfang an dabei, aber was war mit der anderen, ürbiggebliebenden Karte?

,,Nur ihr beide?"

,,Ja", sagte er. ,,Nur wir beide. Wieso?"

,,Ich hab gedacht, dass du vielleicht Sophie mitgenommen hättest", gestand ich.

,,Nein. Ich wollte sie nicht fragen, weil ... ich wollte nicht, dass du denkst, dass ich dich ersetzte. Auch wenn es nur so ein dämliches Konzert war und nicht mal sicher war, dass du es überhaupt rauskriegen würdest. Außerdem mag sie die Band nicht."

,,Oh. Okay. Wie war es denn?"

,,Toll", meinte er. ,,Dir hätte es sicher auch gefallen." Er lächelte.

,,Ich hab gar nicht daran gedacht als ich weggezogen bin. Erst als mein Handy mir die Erinnerung gab, ist es mir wieder eingefallen", sagte ich. ,,Tut mir leid, dass ich die Karte verschwendet habe."

,,Ist doch scheißegal", meinte er und stupste mich kurz mit der Schulter an. ,,Nächstes Mal."

Wir unterhielten uns noch über das Konzert bis Damian vorschlug zum Abschluss Autoscooter zu fahren. Ich mochte Autoscooter, nur verunsicherten mich die vielen Leute, die immer um das Fahrgeschäft herum standen und ihre Zeit dort vertrieben, als wäre es der Treff für all die 'coolen' Jungs und Mädchen. Nicht zu meiner Überraschung kannte Damian einige der Leute da und während er sich kurz mit ihnen unterhielt, bemerkte ich natürlich, wie sie mir immer wieder kurze Blicke zu warfen und sich wohl fragten, wieso Damian mit mir abhing. Damals hatte ich ab und zu auch schon solche Blicke abgekriegt und das war mir auch deutlich bewusst gewesen, jedoch bereitete mir das im Gegensatz zu früher keine weiche Knie und panische Gedanken mehr.

Sie kannten mich nicht. Damian kannte mich. Er wird wohl schon seine Gründe haben, warum er mich mochte.

Zum Glück verabschiedete er sich schnell, sodass wir uns noch rechtzeitig ein Auto schnappen konnte, bevor er es losging. Damian saß am Steuer und rammte fast jeden, der uns in die Quere kam und ich musste jedesmal lachen, wenn ich sah, dass die Leute uns böse Blicke hinterherwarfen. Es war Autoscooter, was erwarteten sie? Jedoch wurden wir auch einige Male gerammt, doch Damian passte immer auf, dass ich mir nicht zu sehr weh tat, was mich rührte. Trotzdem würde ich nach der vierten Fahrt wohl einige blaue Flecken mit davon tragen.

Als wir ausstiegen, hielt Damian mir seine große Hand hin, die ich ergriff und danach ließ er sie nicht mehr los. Ich bemerkte, dass eine Mädchengruppe uns - oder besser gesagt Damian - hinterherstarrte, als wir die Treppen runterstiegen. Beim genaueren Hinsehen entdeckte ich Sophie unter ihnen und aus irgendeinem Grund färbten sich meine Wangen rötlich. Auch Damian hatte sie nun bemerkt und schnell ließ ich seine Hand los, obwohl sie unser Händchenhalten natürlich schon längst gesehen hatte. Ich sah, wie die beiden sich ein kurzen Augenblick anstarrten und dass Sophie ihre schmalen, jedoch schönen Lippen zusammengepresst hatte und eine von ihren Freundinnen auf sie einredete. Sie schüttelte einfach nur den Kopf und schaute weg, bevor sie erneut einen Blick auf uns warf. In ihren Augen war Schmerz zu sehen, aber sie strahlte auch eine gewisse ... Akzeptanz aus.

Plötzlich nahm Damian wieder meine Hand und drückte sie. ,,Sie kann es ruhig sehen", sagte er.

Wir gingen weiter. ,,Ich dachte nur, dass du sie nicht verletzten willst", murmelte ich. Meine Hand in seiner fühlte sich einfach unbeschreiblich gut an, vielleicht sogar etwas erleichternd.

,,In erster Linie will ich dich nicht verletzen", meinte er.

Ich lächelte leicht. ,,Ich weiß nicht ... ich meine, früher war alles zwischen uns auch so geheim und irgendwie denke ich immer, dass es jetzt auch noch so sein muss. Verstehst du?"

Ich merkte, dass er wirklich darüber nachdachte. Dann nickte er. ,,Ich weiß, was du meinst. Aber das muss es jetzt nicht mehr, okay? Wir brauchen kein Geheimnis mehr zu sein." Er sah zu mir. ,,Das hat uns nichts Gutes gebracht."

Ich nickte.

,,Hey, ich meins ernst", beharrte er. Plötzlich blieb er stehen und brachte mich ebenfalls dazu, stehen zu bleiben. Dabei ließ er meine Hand nicht los. Als er sich mir näherte und ich wusste, was er nun vorhatte, fing ich an zu lächeln. Er umfasste meine Wangen und küsste mich. Diesmal war es kein kurzer Kuss. Er war lang und er legte all seine ... Worte hinein, sodass ich verstand, dass er es wirklich ernst meinte. Ich versuchte ihm zu zeigen, dass ich es auch ernst meinte.

Von irgendwo hörte ich Sid laut jubeln und rufen. Ich musste lachen.

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Heeey! Wie geht es euch? Ich hab mal wieder lange nichts hochgeladen, was mir echt leid tut. Jedoch bin ich gerade dabei, eine neue Story zu schreiben bzw zu planen, was sich irgendwie als schwerer erweist als gedacht. Und um ehrlich zu sein, mache ich mit dieser Story auch nicht so schnell, weil ich Angst davor habe sie zu beenden. Sie ist nun mal mein ganzer Stolz - das soll jetzt nicht falsch rüberkommen, aber ich bin nunmal echt stolz und erfreut, dass so viele von euch sie mögen und das macht mich wirklich, wirklich glücklich. :) Danke dafür an dieser Stelle!

Ich sage euch natürlich Bescheid, wenn ich die andere Geschichte veröffentlichen sollte, falls es euch überhaupt interessiert. :'D

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