Kapitel 39

Letztlich waren die so gut wie vierundzwanzig Stunden doch viel zu schnell vergangen. Irgendwann war ich müde geworden und hatte einige Stunden geschlafen, selbst wenn die sitzende Position wirklich unbequem war. Mein Nacken tat vom Schlafen weh, weil ich meinen Kopf nirgendwo wirklich anlehnen konnte.  Dennoch fühlte ich mich nach diesen paar Stunden Schlaf schon viel besser. Ich hatte dringend etwas Ruhe gebraucht.

Irgendwann hatte ich nochmal trockenes Brot und einen Becher Wasser bekommen, die ich genauso verschlungen hatte wie beim ersten Mal. Daraufhin wurde ich wieder ein paar Runden durch die Halle geschleift, worüber ich sehr dankbar war, denn mein Po tat vom vielen Sitzen weh.

Die restlichen Stunden hatte ich dann damit verbracht, mir die Halle, in der ich mich befand, genauer anzusehen. Wenn ich schon nichts zu tun hatte, konnte ich meine Zeit wenigstens ein bisschen sinnvoll nutzen.

Die Sache mit den vielen Türen hatte ich schon abgehakt. Was mir noch aufgefallen war, waren die Matten am anderen Ende der Halle. Ein paar von ihnen standen an der Wand und direkt daneben war ein großes Tor, was möglicherweise zu einem Lagerraum mit noch mehr Matten oder Trainingsgeräten führen könnte. Ich hatte die Vermutung, dass in dieser Halle, unter anderem, trainiert wurde.

Die Frage war nur, was wurde trainiert und warum? Wurde hier Kampfsport trainiert oder lernte man den Umgang mit Waffen? Oder vielleicht beides? Was immer es war, es sorgte für ein mulmiges Gefühl in meinem Bauch. Denn wenn die Menschen hier gut trainiert waren, dann sank die Chance noch weiter, hier lebendig und unversehrt heraus zu kommen. Wahrscheinlich sank die Chance, hier heraus zu kommen, damit generell.

Als ich mich weiter um sah entdeckte ich ein ganzes Stück weiter oben in der Halle an den Wänden eine Art Vorrichtung, die man anscheinend betreten konnte. Die Vorrichtungen waren so weit oben, dass man vom Boden aus unmöglich ran kommen konnte und wenn man sich auf einer der Vorrichtungen befand, hatte man sicherlich einen ziemlich guten Überblick über die gesamte, riesige Halle. Ich fragte mich, wozu diese Vorrichtungen da waren.

Ich sah mich weiter in der Halle um, aber konnte nichts weiter interessantes entdecken. Mir fiel nur auf, dass sich mittlerweile viel mehr Männer als am Anfang in der Halle befanden und Qiang stolzierte die ganze Zeit zwischen ihnen hin und her und sagte etwas zu den Männern. Er war wie ein Hahn im Hühnerstall. Es war nicht zu übersehen, dass er hier das Sagen hatte.

Mittlerweile war die Zeit so weit fortgeschritten, dass ich mir ziemlich sicher war, dass einer meiner Freunde, oder Xiao, bald hier auftauchen würde. Auch, wenn mir dieser Gedanke nicht gefiel.

Erneut ließ ich meinen Blick durch die Halle schweifen und plötzlich sah ich eine Lichtreflektion an einem der Männer. Ich sah genauer hin und erkannte ein Schwert, was an seiner Hüfte befestigt war. Der Mann trug eine Waffe. Eine Vorahnung beschlich mich, die sich bestätigte, als ich mir die anderen Männer in der Halle betrachtet hatte.

Jeder Einzelne von den Männern trug eine Waffe. Es waren Schusswaffen, aber auch Schwerter und Speere. Keiner war unbewaffnet. Es gab keinen Grund, warum sie Waffen trugen, es sei denn, sie waren auf einen Kampf eingestellt.

Sie waren bereit, alle meine Freund abzuschlachten. Erst die Person, die hier auftauchen würde und dann würde sie nach Liyue gehen und den Rest meiner Freund umbringen.

Angst sprudelt heiß in mir hoch und ich versuchte, den Kloß in meinem Hals herunter zu schlucken.

Mein Blick zuckte zu den Vorrichtungen, als ich eine Bewegung war nahm. Auf die Vorrichtungen traten ein paar Männer, die sich im Abstand von einigen Metern zueinander platzierten und sich dann hinknieten. Kurz darauf überprüften sie die Pfeile, die in Köchern auf ihren Rücken befestigt waren. Auf den Vorrichtungen saßen Bogenschützen.

Angst stieg weiter in mir auf. Wer auch immer von meinen Freunden her kommen würde, würde es nicht überleben. Am Boden waren so viele Männer mit Waffen und selbst wenn derjenige ihnen entkommen könnte, dann würden die Bogenschützen ihn von oben herab gnadenlos erschießen. Es gab kein entkommen.

Verzweifelt fing ich an, an meinen Seilen, die mich fesselten, zu ruckeln, um mich zu befreien und die Panik ließ meinen Körper erzittern, doch es war zwecklos. Mir war nach weinen zumute.

Ein Mann trat ein. "Einer ihrer Freunde ist hier", sagte der Mann zu Qiang und dieser begann böse zu Grinsen. "Macht euch bereit", sagte Qiang so laut, dass es in der ganzen Halle zu hören war. Seine Stimme hallte unangenehm in meinen Ohren wieder.

Alle Männer, die sich in der Halle befanden, reihten sich an den Wänden auf und die Bogenschützen auf den Vorrichtungen spannten ihre Bogen.

Kurz darauf ging eine Tür erneut auf und jemand, der von zwei Männern flankiert wurde, trat ein.

Mein Herz sackte ab und Panik und Angst stiegen in mir auf und verbreiteten sich rasend schnell in meinem Körper.

"Xiao", flüsterte ich und ich spürte die Tränen in meinen Augen. Ich hätte mir niemanden von meinen Freunden her gewünscht, aber am allerwenigsten Xiao. Ich hatte so gehofft, dass er schlau genug war, nicht her zu kommen. Dass er schlau genug war, um zu wissen, dass er nicht überleben würde, dass er alleine keine Chance gegen diese Männer hatte. Ich hätte ihn lieber nie wieder gesehen, als ihn hier zu sehen. Ich wollte doch nur, dass er sicher war. Dass er lebte.

Erneut ruckelte ich verzweifelt an meinen Seilen und erneut nützte es nichts. Meine Kehle schnürte sich zusammen.

Xiao's Augen glitten in meine Richtung und er fing meinen Blick auf. In seinen Augen stand so viel Liebe, dass mein Herz sich schmerzhaft zusammen zog und Tränen mir ungehindert die Wangen herunter flossen.
Er hätte nicht herkommen sollen. Er hätte in Sicherheit sein sollen und trotzdem war er hier. Wegen mir. Weil ich es vermasselt hatte. Er war hier und würde vermutlich sterben und ich ganz alleine war Schuld daran. Der Schmerz in meinem Inneren durchzog meinen ganzen Körper. Ich wollte ihn beschützen, doch wie sollte ich das anstellen, wenn ich mich nicht mal selbst beschützen konnte?

"Es freut mich, dass wir zu dieser Abmachung gekommen sind", gab Qiang von sich und lächelte spöttisch. Xiao sah den Mann hasserfüllt an und sagte nichts. So wie er es immer tat. Wenn er etwas konnte, dann war es Schweigen.

"Sobald ich den Würfel in den Händen halte, bekommt ihr das Mädchen", gab Qiang von sich und streckte seine freie Hand aus, doch Xiao rührte sich nach wie vor nicht und sagte nichts. Er warf nicht mal einen Blick auf die ausgestreckte Hand.

Qiangs Blick wurde Böse und er kam auf Xiao zu. "Den Würfel", sagte Qiang nun durch zusammengebissene Zähne, doch der Krieger sah ihm nur trotzig und schweigend ins Gesicht. Ich fragte mich, was gerade in Xiao's Kopf vor ging.

Qiang schnaubte verägert und wandte sich von Xiao ab.

"Foltert ihn und bringt ihn dann um, ich will, dass das Mädchen alles sieht", sagte er und nur einige Sekunden darauf wurde Xiao von dem ersten Pfeil in die Schulter getroffen.

Xiao stöhnte schmerzerfüllt auf und sank auf die Knie. Die zwei Männer, die ihn flankiert hatten, griffen so schnell nach seinen Armen und zogen sie auseinander, dass er nicht mal die Chance hatte, nach seiner Maske zu greifen. Er hing zwischen den Männern wie ein Gefangener und konnte sich nicht wehren, als ein zweiter Pfeil seine Schulter durchbohrte. Diesmal war es die andere Schulter und er sah nun so aus, als wurde er gnadenlos von den Pfeilen fest genagelt. Blut bahnte sich seinen Weg über seine Arme.

Mir flossen die Tränen über die Wange. "Xiao, nein", sagte ich leise und wollte den Blick abwenden, doch Qiang griff nach meinem Kinn und zwang mich, hinzusehen.

"Sieh zu wie er leidet, denn das ist alles deine Schuld", flüsterte Qiang in mein Ohr und ich verspürte Ekel. Der Mann machte mich so wütend, dass die Wut fast meinen Schmerz übertraf.

Xiao traf ein dritter Pfeil und ich musste gnadenlos zusehen. "Genießt du es? Genießt du, wie er leidet?", fragte Qiang leise und ich sah ihn böse an. Die Tränen flossen weiter über meine Wange. Es war die reinste Qual.

Als Xiao von zwei weiteren Pfeilen durchbohrt wurde, er erneut schmerzerfüllt aufstöhnte und seine Kleidung mittlerweile blutgetränkt war, stieg mir meine Angst immer mehr zu Kopf. Er hing so leblos zwischen diesen zwei Männern, ich konnte mir nicht vorstellen, wie sehr er leiden musste. Er konnte nichts tun und sie folterten ihn. Sie fügten ihm Schmerzen zu und der Anblick trieb mich an meine Grenzen. Mein Herz stach.

Qiang ließ mein Kinn endlich los und ging auf Xiao zu. Er blieb in ein paar Metern Entfernung stehen und zog seine Pistole, die er auf Xiaos Herz richtete. Ausgerechnet auf sein Herz.

"Es ist wirklich schade, dass es so kommen musste. Wirklich, zu schade, dass ein guter Krieger nur wegen einem dummen Mädchen sterben muss", fing Qiang an und während er sprach und ich ihn so spöttisch grinsen sah, änderte sich etwas in mir. Ich wurde wütend und zwar richtig. Meine Angst um Xiao und meine Verzweiflung wuchsen ebenfalls, vermischten sich mit meiner Wut und brachten mein Blut zum kochen.

"Aber wenigstens war dein Tod nicht umsonst, denn dein Tod wird dazu beitragen, den Willen des Mädchens zu brechen", sagte Qiang, entriegelte seine Waffe und richtete sie erneut auf Xiao's verletzliches Herz.

Xiao sah den Mann nicht einmal an. Er sah mich an. In seinen Augen stand so viel Schmerz und trotzdem gab er nicht einen Laut von sich. Er litt wegen mir und war nicht mal böse auf mich. In seinen Augen fand ich nur Angst. Xiao, der furchtlose Krieger, hatte Angst. Nicht vor dem, was mit ihm passieren würde, sondern vor dem, was mir passieren würde. Als ich das realisierte, rauschten so viele Gefühle in windeseile durch meinen Körper, dass ich nicht mehr wusste, wo oben und unten war und mein Blickfeld wurde am Rande schwarz. Ich verlor die Kontrolle.

In mir brannte eine Sicherung durch. "Xiao!", kam es schreiend über meine Lippen, als ich sah, wie Qiang seinen Finger an den Abzug legte und ich spürte eine plötzliche Macht durch meine Adern fließen. Die Seile, die mich fesselten, rissen mühelos auseinander und die nächsten Sekunden fühlten sich an, als würden sie in Zeitlupe ablaufen.

Ohne nachzudenken rannte ich los und fiel Xiao schützend um den Hals, während ich den Schuss hörte. Es passierte alles gleichzeitig. Als nächstes spürte ich einen dumpfen Schmerz in meinem Rücken, nahe der Schulter.

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Ja, die Geschichte wird langsam ziemlich ernst. Ich freue mich schon auf eure Reaktion für die nächsten Kapitel. ^^

Meine Woche ist schon wieder mit Schulkram vollgestopft und ich hab keine Ahnung, wie ich alles schaffen soll. Aber das wird schon, nur nicht den Kopf verlieren ^^ Habt einen tollen restlichen Dienstag!

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