Kapitel 20
Ich konnte Xiao auf diese Frage keine Antwort geben. Doch vielleicht war hier können nicht das richtige Wort. Ich wollte ihm keine Antwort geben. Ich schien Xiao gerade erst näher gekommen zu sein und ich wollte mich nicht schon wieder meilenweit von ihm weg bewegen. Ich schluckte und sah den Krieger einfach nur an, weil ich Angst hatte, das alles nur noch schlimmer werden würde, wenn ich jetzt etwas sagte.
Doch der Dunkelhaarige sah mich so eindringlich an. Sein Ausdruck angsterfüllt, flehend und vorwurfsvoll zugleich. Ich schluckte erneut. Ich hatte keine Ahnung, was gerade in Xiao vorging.
"Was ist das?", fragte Xiao erneut, diesmal eindringlicher. Ich schluckte wieder, um den immer größer werdenden Klos loszuwerden. "Das ist ein göttliches Auge", gab ich leise von mir. Vorsichtig, um nicht alles kaputt zu machen. "Mei, ich weiss, dass das ein göttliches Auge ist. Aber, woher hast du es?"
Xiao sah mir in die Augen, während er sich erhob. Seine Stimme klang so ausdruckslos, dass mich ein kalter Schauer durchfuhr. Ich driftete schon wieder von ihm ab. Warum nur entfernte ich mich immer wieder von ihm?
"Ich...", fing ich an, doch beendete meinen Satz nicht. Was sollte ich ihm denn sagen? Dass ich keine Ahnung hatte, woher ich es hatte? "Hast du es gestohlen?", fragte Xiao nun und seine Stimme klang etwas verärgert. Geschockt riss ich die Augen auf. "Hältst du mich wirklich für einen Dieb? Ich habe es nicht gestohlen!", antwortete ich und der Krieger sah mich nachdenklich und misstrauisch an. Offensichtlich wusste er nicht, was er denken sollte.
"Ist es eine Fälschung?", fragte er diesmal ruhiger. Er dachte vermutlich, es wäre wirklich eine Fälschung. Ich seufzte und lies die Schultern hängen. Ich senkte meinen Blick, mir war es unangenehm, ihn anzugucken. "Nein, es ist echt", gab ich Preis und Xiao sagte eine Weile nichts.
Doch dann kam der Ältere auf mich zu und stand so nah vor mir, dass ich seinen Duft riechen konnte. Er blickte mir eindringlich in die Augen. In seinem Blick spiegelte sich Unsicherheit.
"Woher hast du es dann?", fragte er diesmal wieder verärgerter und etwas lauter. Ich hob meinem Blick und sah ihm direkt in seine goldenen Augen. "Das kann ich dir nicht sagen", antwortete ich nur und Xiao biss verärgert seine Zähne aufeinander. "Du hast es doch gestohlen", gab er nach einiger Zeit verärgert von sich.
Xiao schloss seine Faust fest um die Vision und drehte sich dann rum. Und erneut befand sich ein Keil zwischen uns. Ich musste mich entscheiden. Entweder ich driftete weiter von ihm ab oder ich erzählte ihm jetzt alles dazu, was ich wusste. Ich entschied mich für das Letztere.
"Bleib stehen", sagte ich zu Xiao, doch er ignorierte mich geflissentlich und lief einfach weiter. Ich verdrehte meine Augen. Diesmal würde ich ihn nicht einfach wieder abhauen lassen. Ich legte eine Hand auf den Erdboden und sammelte meine Energie. Es kostete mich große Kraft, doch letztlich konnte ich eine Pflanze wachsen lassen, die sich in windeseile um Xiao's Knöchel schlang und ihn an Ort und Stelle hielt. "Ich sagte, bleib stehen."
Ich erhob mich langsam wieder und ich setzte mich in Bewegung, bis ich vor Xiao stehen blieb. In seinen Augen lag Überraschung und Unglaube. Ich seufzte.
"Das göttliche Auge gehört mir, wie du ja gerade mitgekriegt hast. Es ist nicht gestohlen", fing ich an zu erzählen. Xiao verschrenkte währenddessen seine Arme vor der Brust und sah mich an. Er hatte wieder ganz die ausdruckslose Maske aufgelegt und ich konnte nicht erraten, was er dachte. Doch er hörte mir zu, das war ein Anfang.
"Ich habe das göttliche Auge anscheinend bekommen, als ich noch relativ jung war. Doch ich hab keinerlei Erinnerungen daran. Das frustriert mich. Man bekommt ein göttliches Auge nur, wenn man sich als würdig dafür erwiesen hat, das heißt, ich muss irgendetwas bedeutendes getan haben. Aber die Erinnerungen sind alle weg." Ich konnte ein Seufzen nicht unterdrücken.
Xiao wusste wahrscheinlich nicht, wie frustrierend es war, ein göttliches Auge zu haben, aber nicht zu wissen, wo es herkam. Er kann sich sicherlich daran erinnern, wie er seins bekommen hat.
"Und der Grund, warum ich dir nichts von meiner Vision erzählt habe ist, weil ich nicht kämpfen kann. Ich bin Träger eines göttlichen Auges, doch kann absolut nichts damit anfangen. Meine Kräfte sind schwach und ich kann nicht mehr, als eine kleine Schlingpflanze wachsen zu lassen. Ich komme mir so erbärmlich dabei vor. Ich bin nutzlos in der Hinsicht. Ich hatte Angst, dass wenn du weisst, dass ich eine Vision besitze, aber nichts damit anzufangen weiss, du mich für erbärmlich hältst oder sogar nichts mehr mit mir zu tun haben willst."
Jetzt hatte ich es ihm also gesagt. Das, was ich unter allen Umständen vor ihm verbergen wollte, war nun ans Licht gekommen. Irgendwie fühlte ich mich unbehaglich. Ich sah Xiao an und dieser blickte zurück, das Gesicht ausdruckslos, der Blick trüb. Er schien mit seinen Gedanken in eine ganz andere Welt abgedriftet zu sein.
"Das Schlimme ist, es kann mir niemand beibringen, wie ich damit kämpfen kann, denn ich habe bis jetzt niemand anderen getroffen, der eine Dendro Vision besitzt", ergänzte ich noch und der Krieger sah mich plötzlich wieder an. Eine gewisse Distanz lag plötzlich wieder zwischen uns. Diesmal wusste ich nicht, was der Grund dafür war. Ich sah ihm eine Weile in die Augen, bevor ich schließlich den Blick abwandte und seufzte.
Ich kniete mich wieder auf den Boden und legte meine Hand erneut auf die Oberfläche. Dann gab ich den Älteren von der Pflanze frei und stand erneut auf. Xiao sah mich noch kurz an und legte mir dann vorsichtig meine Vision in die Hände. Dann lief er schweigend an mir vorbei und ich sah ihm niedergeschlagen nach. Diesmal wirkte Xiao nicht wütend oder verärgert, sondern eher traurig und verwirrt und das tat mir erstaunlicherweise noch mehr weh, als wenn er wütend gewesen wäre.
"Xiao...", sagte ich und der Krieger blieb stehen, doch er drehte sich nicht zu mir herum. "Tut mir leid, dass ich es dir nicht eher gesagt habe", gab ich von mir und eine gewisse Traurigkeit machte sich in mir breit. Ich hätte ihm einfach vertrauen und davon erzählen sollen. Doch ich tat es nicht und jetzt stand wieder etwas zwischen mir und Xiao.
Xiao reagierte nicht auf das, was ich gesagt hatte, sondern setzte sich einfach wieder in Bewegung. Er ging auf die Brücke zu, um wieder nach Liyue Harbor zu gehen.
Ich senkte den Blick auf die Dendro Vision in meinen Händen und mich durchströmte wieder Traurigkeit. Erneut seufzte ich und befestigte dann das göttliche Auge wieder sicher an meinem Gürtel. Als ich meinen Blick wieder anhob, war Xiao verschwunden.
Plötzlich kam mir die Nacht viel dunkler vor und auch die orangen Laternen am Himmel lösten in mir kein Glücksgefühl mehr aus.
Nachdem ich mich versichert hatte, dass ich alles hatte, machte ich mich ebenfalls auf den Weg zu Liyue Harbor zurück. Auf dem Weg fiel mir auf, dass ich nach wie vor Xiaos Tuch hatte. Ich musste es ihm zurück geben, doch gerade erschien mir der Moment unpassend.
Ich wollte nicht, dass Xiao sich wieder von mir entfernte, doch genau das passierte gerade. Wenn er nur endlich mit mir reden würde, dann würde sich vielleicht etwas ändern. Aber wahrscheinlich würde das noch etwas dauern, denn ich hatte das Gefühl, dass Xiao mit etwas kämpfte, was ihn davon abhielt, mir seine Geschichte zu erzählen.
Er hatte mit seinen eigenen Dämonen zu kämpfen.
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Ein spätes Update zum Wochenende. Ich hoffe ihr hattet einen tollen Tag ^^ ich war heute sehr viel unterwegs und hab schonmal ein paar Weihnachtsgeschenke besorgt, damit ich nicht wieder erst kurz vor knapp welche kaufe XD
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