Orpheus
„Nicht mehr waren sie fern dem oberstehen Rande der Erde", sprach Marty in einer ruhigen Stimme und alle Anwesenden lauschten seinen Worten gespannt.
Sie hatten sich versammelt, um das neueste Problem – Marsyas – zu besprechen und irgendwie war darauf eine kleine Geschichtsrunde geworden, als sie erklären mussten, wer Opheus war.
Phillis begleitete Martys Geschichte mit ihrer Gitarre und spielte ruhig Yesterday von den Beatles und die Musik trug zu der bedrückenden, traurigen Stimmung bei.
„Ängstlich, sie könnte versagen, von Lust, sie zu sehen, ergriffen; Schaut er voll Liebe sich um"
Peter keuchte leise auf, überrascht von dieser Wendung.
Sirius schniefte leise. Er hatte Tränen in den Augen.
„Und sofort sinkt jene hinunter; Streckt ihre Arme nach ihm –" Marty hob seine Arme, als würde er nach jemanden greifen wollen. „– zu umfangen, umfangen zu werden..."
Die dramatische Pause von Marty dauerte eine Sekunde. Zwei. Drei.
Dann fuhr er erst ruhiger fort: „Nichts aber fasst sie im Schmerz als Lüfte, die wanken und weichen."
Marty sprang auf und ging nun zwischen den Zuhörern hindurch und sie alle folgten ihm mit ihren Blicken, als wären sie Motten und Marty das Licht.
Marty sprang zwischen Alice und Frank Longbottom auf den Tisch und blickte aus einem der Fenster hinaus und sein Gesicht wurde von der Sonne erhellt, seine blonden Haare leuchteten im Sonnenlicht.
„Ob sie auch wiederum stirbt, sie klangt nicht über den Gatten. was denn sollte sie klagen, als dass sie zu viel nur geliebt sei." Marty machte wieder eine kurze Pause, um die Worte wirken zu lassen und blickte sich um, sah jedem von ihnen ins Gesicht. Nicht nur Sirius hatte Tränen in den Augen. Martys Hinterkopf wurde nun von der Sonne erleuchtet und es war beinahe so, als würde er einen Nimbus tragen. „Rief noch... ein letztes Lebwohl, das er kaum noch zu hören vermochte."
Marty sprang vom Tisch herunter, befand sich plötzlich wieder im Schatten. „Dann aber glitt sie dahin, woher sie eben gekommen. Orpheus aber erstarrte vom zweiten Tode der Gattin..." Marty beendete an dieser Stelle seine Wiedergabe von Ovids Metamorphosen und wechselte auf eine Geschichte mit eigenen Worten. „Orpheus blickte sich um und selbst seine Stimme, sein wunderbares Spiel brachten Hades dazu, ihn ein weiteres Mal in die Unterwelt einzulassen. Ausgesperrt war er, getrennt von seiner Liebe, die er verloren hat, ein zweites Mal." Marty machte wieder eine Pause. „Aber Orpheus lebte weiter, spielte weiter. Spielte weiterhin so wunderbar, dass die Natur weinte und sich ihm beugte. Aber seine Liebe – Eurydice – kehrte nicht zurück."
Phillis beendete das Lied so plötzlich und die Stille darauf war so erdrückend, die Zuhörer hatten das Gefühl, als hätte man ihnen etwas genommen und sie blieben unvollendet und mit einem Loch in ihrem Körper zurück.
Peter griff sich sogar an die Brust, wie um zu spüren, ob sein Herz noch dort war, wo es hingehörte.
„Das ist traurig", meinte Lily leise.
„Und die Kinder des Apollo haben das Talent, so zu spielen?", fragte Edgar Bones.
„Nicht alle – nur ein paar von uns", gestand Phillis, „Marty und ich gehören auf jeden Fall nicht dazu."
„Bist du sicher?", fragte Sirius, „Das hier –", er deutete zwischen Marty und Phillis hin und her, „– was gerade schon ziemlich... Orpheus-ig."
„Das ist kein Wort", bemerkte Houdini, „Ich weiß das, ich habe das Wörterbuch gelesen."
„Du hast... einfach so ein Wörterbuch gelesen?", fragte Edgar Bones verstört.
„Alle Kinder des Apollo sind zumindest ein wenig musikalisch begabt", erzählte Marty, „Das Lernen von Instrumenten fällt uns leichter und mit Übung spielen wir gleich einmal... schöner."
„Aber wenn ein Demigott das Talent des Orpheus beherrscht, ist das gleich ganz anders", mischte Birget sich zur Überraschung ein, „Es ist einfach nur... außerweltlich. Göttlich."
„Wenn mehrere Kinder des Apollo zusammen spielen, klingt es natürlich besser und gebündelt haben wir natürlich mehr Magie, aber ein jemand mit dem Talent des Orpheus kann allein dieselben Kräfte aufbringen, vielleicht noch mehr", erklärte Phillis.
„Wenn Ruth gespielt hat und dabei ihre Kräfte benutzt hat", erzählte Birget und ihre Stimme brach, als sie von ihrer verstorbenen Ex-Freundin sprach, „dann war das... ich war immer in einer anderen Welt. Alles um mich herum ist verschwunden... alles Leid, all der Schmerz – einfach weg."
„Es ist da oben dann –", Phillis tippte sich an den Kopf, „– ganz still... absolut still. Alles ist friedlich und ruhig und man bekommt absolut gar nicht mehr von seiner Umwelt mit."
„Mich würde es nicht überraschen, wenn so jemand auch einen Weg finden würde, seinen Hass zu bündeln und die Leute dann dazu zu bringen, so aufeinander loszugehen", sagte Marty ernst.
„Wir...", Houdini zögerte bei seinen Worten, was für sich schon ungewöhnlich war und das zeigte wohl erst den Ernst der Lage, „Wir können wohl davon ausgehen, dass sich Marsyas Voldemort und Pirro angeschlossen hat."
„Marsyas ist ein Satyr... gewesen", erzählte Phillis, „Er hat ein Instrument gespielt – den Aulos. Marsyas hat sich beigebracht, damit zu spielen und er hatte wohl das Talent des Orpheus, denn er konnte es wirklich gut spielen."
„Also forderte er Apollo zu einem Wettstreit heraus", schnaubte Houdini verächtlich, „Nie eine gute Idee – man fordert ein göttliches Wesen nicht einfach so heraus. Es hat immer Konsequenzen. Immer verliert man – man kann nur verlieren."
„Zunächst hat es so ausgesehen, als würde Marsyas gewinnen", fuhr Phillis fort, „Er spielte mit dem Aulos und Apollo mit seiner Leier und Marsyas spielte... wohl... besser. Aber Apollo hatte noch ein Ass im Ärmel – oder in seiner Toga... er konnte zu seinem Lied singen und als Apollo dann nicht nur spielte, sondern dazu auch noch sang, stand der Gewinner fest..."
„Marsyas meinte, Apollo hätte damit betrogen, aber... die Götter akzeptieren keine halben Siege...", sagte Marty vorsichtig, „Der Preis des Gewinners war es, mit dem anderen alles machen zu können, was man wollte und..."
„Apollo ist da einfach auf die Idee gekommen, dass er diesen Kerl häuten will?", fragte James entsetzt.
Stille trat ein. Die Demigötter sahen sich unsicher untereinander an.
„Wir haben nie behauptet, dass die Götter gut wären, oder?", fragte Phillis leise, „Sie... sind erbarmungslos..."
„Sie scheinen auch nicht wirklich über die Konsequenzen ihrer Taten nachzudenken", sagte Houdini abfällig, „Für das, dass sie unsterblich sind, leben sie hauptsächlich im Hier und Jetzt. Denken nie an die Zukunft. Aber es sind ihre Kinder, die mit ihren Taten leben müssen und die Konsequenzen tragen."
„Und jetzt ist da draußen irgendwo ein verrückter, der auf Rache aus ist?", fragte Remus aufgebracht, aber sein Blick galt nur Phillis, „Was ist, wenn er – keine Ahnung! – zufälliger Weise auf die Idee kommt, sich an dir– euch zu rächen? Auge um Auge?"
Phillis war bleich geworden, aber ansonsten ließ sie sich absolut nichts anmerken. Sie atmete einmal tief durch und öffnete den Mund, um wohl etwas zu sagen, aber es war ihre Mutter, Sara, die ihr zuvorkam.
„Oh nein! Keiner fasst mein Baby an!", rief sie aufgebracht – aufgebrachter, als irgendeiner der Anwesenden sie jemals erlebt hatte, „Du hast schon als Kleinkind mit den Konsequenzen deines Vaters Taten leben müssen, aber es wird mit diesem... diesem Monster genauso sein, wie mit allem anderen, dem du dich bisher gestellt hast! Du wirst es umbringen und ich werde mit einer Schaufel bereitstehen, um die Leichen zu begraben!"
Die Ordensmitglieder sahen Sara verstört an.
„Ihr glaubt doch selbst nicht, dass Phillis sich von so etwas unterkriegen lässt!", rief Sara bestimmt und stemmte die Hände in die Hüften, „So habe ich sie bestimmt nicht erzogen und ihr werdet es diesem Ding zeigen!"
Aber sie zeigten diesem Ding, Marsyas, überhaupt nichts.
Es wurde September, ohne dass sich noch einmal so ein Vorfall ereignete. Alle vom Orden hielten in Zeitungen und anderen Medien Ausschau nach Anzeichen für noch so ein Blutbad, aber es passierte nichts.
Im September bekam der Orden zum ersten Mal seit den Demigöttern auch wieder ein weiteres Mitglied und Phillis war ehrlich gesagt überrascht, dass es Emmeline Vance war.
Emmeline war in ihrem Jahrgang ebenfalls in Gryffindor gewesen und – wie Dumbledore sie erinnerte (aber damals ist es etwas untergegangen) wurden ihre Eltern erst im April von Todessern umgebracht.
Emmeline war also bereit, sich auf die Seite jener zu stellen, die gegen jene kämpften, die für den Tod ihrer Familie verantwortlich war.
Dumbledore hatte zuvor bei einigen Treffen über die Möglichkeit gesprochen, Emmeline in den Orden einzuladen, immerhin konnten sie es sich nicht erlauben, aus Versehen einen Spion einzuschleusen, der sie an Voldemort verriet.
Es wurde aber beschlossen, dass Emmeline eintreten durfte – Phillis sprach sich unter anderem für sie aus und auch einige der Ordensmitglieder, die im Ministerium arbeiteten.
Nach Hogwarts hatte Emmeline wohl eine Karriere im Zaubereiministerium eingeschlagen – genau genommen in der Mysteriumsabteilung, wie Phillis später von Emmeline erfuhr.
Eigentlich durfte sie nicht über ihren Job sprechen, aber mit Dumbledore tauschte sie dann Informationen aus, also war Emmeline von Anfang an schon eine große Bereicherung für den Orden.
Beim ersten offiziellen Treffen vom Orden, bei dem auch Emmeline dabei war, war es die Aufgabe von Dumbledore und den Demigöttern, die Sachlage noch einmal zu erklären und wie so häufig fiel Phillis auf, wie kompliziert die ganze Angelegenheit eigentlich war.
„Ich finde das alles ein bisschen... überwältigend", gestand Emmeline nach dem Treffen, als Phillis noch einmal kurz mit ihr sprach, wie man es eben mit alten Schulkameraden machte (zunächst war es etwas unangenehm, aber irgendwann fiel Phillis auf, dass Emmeline eigentlich ganz nett war und Gespräche mit ihr angenehm – sie war wohl anders, seit ihre Eltern tot waren...), „aber... es erklärt bei dir so einiges..."
„Tatsächlich?", fragte Phillis leicht amüsiert, „Du meinst das Herumzappeln?"
„Ich meine, dass du immer zu Sonnenaufgang aufgewacht bist; dass du im Schlaf immer seltsame Sachen vor dich hingemurmelt hast; das eine Mal, als du absolut panisch gewesen bist, als du einfach nur etwas geträumt hast...", zählte Emmeline auf – es waren Dinge, die einem wohl nur auffielen, wenn man sechs Jahre lang mit einer Person zusammen in einem Schlafsaal verbrachte.
„Oh", machte Phillis schmunzelnd, „Jaah... da war ja was..."
„Die Tochter von Apollo... einem Gott..." Emmeline schüttelte ungläubig den Kopf. „Meine Welt ist gerade noch seltsamer geworden – nach allem, was ich bisher schon in der Mysteriumsabteilung gelernt habe... und jetzt das hier..."
„Es ist wohl für den Anfang ziemlich viel", bestätigte Phillis.
„Es ist in Ordnung", versicherte Emmeline ihr heiter, „Ich... ich glaube, ich mag... seltsam? Ist das eine Beleidigung?"
Phillis lächelte. „Nicht, wenn du es als Kompliment meinst."
Emmeline lächelte zurück. „Dann meine ich es als Kompliment."
„Wir sollten langsam los, Leprechaun, morgen wollten wir früh raus und eine Runde trainieren", sprach Birget sie an, „Bist du bereit?"
Phillis entging der Blick nicht, den Emmeline Birget zuwarf.
Birget war wirklich groß – größer als alle anderen im Orden, bestimmt über zwei Meter groß. Und sie war sehr muskulös. Ihre Armmuskulatur war sehr definiert und sie zeigte es gerne, indem sie die Ärmel ihrer orangefarbenen Camp-T-Shirts abschnitt und darüber trotz Kälte keine Jacke trug.
Emmeline musterte Birget einen Moment lang voller Bewunderung und hielt ihr dann eine Hand hin.
„Hey! Ich bin Emmeline!"
Birget sah Emmeline einen Moment lang überrascht an und schüttelte dann ihre Hand. „Birget. Freut mich, dich kennenzulernen."
„Ihr trainiert morgen? Vielleicht kann ich mich euch anschließen?", fragte Emmeline, „In Hogwarts habe ich mich nie getraut, Phillis zu fragen, ob ich bei ihrem Training mitmachen kann."
Birget lachte herzlich auf. „Ich fürchte, dieses Training ist für Anfänger eher ungeeignet", sagte sie und Emmeline sah tatsächlich enttäuscht aus. Diese enttäuschte Miene hellte sich aber bei Birgets nächsten Worten gleich wieder auf. „Aber ich trainiere gerne ein anderes Mal mit dir", schlug Birget vor.
Emmeline lächelte begeistert. „Klar! Morgen?"
„Wenn es sich ausgeht", versprach Birget, „Immer, wenn ich solche Pläne habe, kommt mir etwas dazwischen."
„Meist ein riesiger Drakon oder andere riesige Monster", meldete sich Phillis dazwischen.
„Ich komme dann einfach einmal vorbei – morgen Nachmittag", sagte Emmeline bestimmt.
Als Birget ging, warf Phillis Emmeline einen vielsagenden Blick zu und diese räusperte sich peinlich berührt.
„Was ist? Es herrscht Krieg – ich sollte wenigstens ein bisschen sportlich werden, oder?"
„Aja... genau", grinste Phillis, „Ich bin mir sicher, dass ist der Grund dafür... Ich habe gar nicht gewusst, dass du –" Phillis deutete zwischen Emmeline und Birget hin und her.
„Wundert mich nicht, dass es dir nie aufgefallen ist", spottete Emmeline, „Dir ist auch nie aufgefallen, dass ich ungefähr zwei Jahre lang in dich verliebt war."
Emmeline ging einfach und ließ Phillis mit dieser Neuigkeit zurück.
„Warte! Was?", rief Phillis ihr hinterher, aber Emmeline reagierte nicht auf sie, sondern winkte er noch frech grinsend zu.
Phillis blinzelte überrascht. Scheint so, als hatte sie Emmeline all die Jahre lang unterschätzt.
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