Lily - Nicht allein zu Haus

Es fühlte sich seltsam an, zurück zum Haus ihrer Kindheit zu gehen, wie Lily Evans fand.

Das Haus, in dem ihre Eltern erst vor wenigen Monaten durch die Hand von Lord Voldemort gestorben waren sah noch immer genau so aus, wie sie es in Erinnerung hatte und nur wenige Indikatoren sprachen dafür, dass hier überhaupt ein blutiger Mord passiert war.

Am Gartenzaun hingen noch die Reste von gelben Polizeiband und die Tür war versiegelt und wieder aufgebrochen worden, nachdem der Tatort freigegeben worden war.

Lily und Petunia hatten überraschend viel Kontakt miteinander gehabt und sich darüber unterhalten, was mit diesem Haus passieren sollte.

Petunia war es egal gewesen, was mit dem Haus passierte, aber sie selbst würde es niemals wieder betreten – das hatte sie gesagt. Lily wunderte das nicht, immerhin war sie es gewesen, die die Leichen ihrer Eltern gefunden hatte.

Lily schien der Gedanke auch nicht wirklich zu behagen, in dieses Haus zu ziehen und deswegen war es bisher leer geblieben, obwohl Lily schon vor Monaten Hogwarts verlassen hatte.

Wenigstens würde dieses Haus nun einen neuen Nutzen bekommen – das hoffte Lily jedenfalls und das war auch der Grund, warum sie nun davor stand.

Sie war das letzte Mal darin gewesen, als sie kurz nach dem Begräbnis ihre Sachen ausgeräumt hatte (für Petunia hatte das ihr Ehemann Vernon gemacht, der sie in dieser schweren Zeit sehr unterstützt hatte und dafür war Lily ihm dankbar, obwohl sie ihn nicht sonderlich mochte) und war seitdem nicht einmal in die Nähe ihres Heimatortes gekommen.

Nun aber war sie ein vollständiges Mitglied vom Orden des Phönix, einer Organisation, die gegen Voldemort und seine Todesser vorging, gegründet von Dumbledore selbst. Dumbledore hatte erwähnt, dass Treffpunkte nützlich für den Orden wären – sichere Häuser, die benutzt werden konnten, wenn sie sich trafen.

Im Moment trafen sich die Mitglieder meist in den Privathäusern von anderen Mitgliedern und sie achteten darauf, sich nie zweimal hintereinander am selben Ort zu treffen (aus Sicherheitsgründen), aber ein fixes Hauptquartier wäre schon praktisch.

Lily hatte sofort an das Haus ihrer Eltern gedacht, aber dafür musste sie es erst einmal inspizieren und etwas vorbereiten, bevor man es benutzen konnte und deswegen war sie nun hier.

„Wir müssen das nicht machen", sagte James Potter sanft zu ihr und hielt ihre Hand, „Wir können auch wieder gehen oder es an einem anderen Tag erledigen. Wir müssen das nicht sofort machen – wir müssen das hier eigentlich nie machen, wenn du nicht willst."

Lily war schon länger mit James Potter zusammen, als sie jemals gedacht hatte, dass sie mit ihm zusammen sein würde. Eigentlich hatte sie bis vor vielleicht etwas über einem Jahr noch nicht einmal geglaubt, überhaupt jemals mit ihm zusammen zu kommen, aber nun waren es schon über acht Monate.

„Nein, ich schaff das", versicherte Lily ihm und drückte seine Hand dankbar, „Ich... ich muss das machen. Nicht nur für den Orden, sondern auch für mich."

„Okay." James lächelte ihr zu und sah sich noch ein letztes Mal vorsichtig um, aber niemand außer ihnen war da.

Nicht einmal Lilys Nachbarn waren draußen und das auffälligste war ein gelber, leicht mitgenommener Schulbus, der am Ende der Straße parkte. Ansonsten war keine Spur von irgendwelchen Feinden zu sehen und sie hatten davor alles ganz genau abgesucht.

Lily nahm sich Zeit, um die Tür zu öffnen und sie trat in die ihr bekannten Räume. Alles war etwas staubiger, als es jemals gewesen war, aber natürlich erkannte sie die Struktur von ihrem zu Hause, in dem sie aufgewachsen war.

Sie hatte einen Moment lang das Bedürfnis, laut zu rufen, dass sie wieder zu Hause war, aber sie wusste, dass ihr niemand antworten würde und das hätte noch mehr geschmerzt.

Lily blieb einen Moment lang beim Eingangsbereich stehen und starrte ins leere Haus hinein.

„Geht es dir gut?", fragte James sie sanft und riss Lily aus ihren Erinnerungen an ihre Kindheit.

„Ja, sicher", brachte sie heraus, „Es geht schon... ich muss mich... nur wieder daran gewöhnen. Es ist seltsam, hier zu sein."

„Ich kann das Haus auch allein putzen", bot James an, „Ich hole mir einfach Remus dazu – der sollte sowieso wieder einmal unter Menschen – und dann reinigen wir es erst einmal ordentlich durch und bereiten es für den Orden vor, wenn du das erlaubst."

„Nein, nein", lehnte Lily ab, „Ich... ich glaube, ich würde da gerne dabei sein. Damit ich... du weißt schon... abschließen kann."

„Ich glaube nicht, dass du damit überhaupt abschließen musst", meinte James sanft, „Deine Eltern sind gestorben – du musst sie aber nicht vergessen. Es ist nicht das Ende deiner Geschichte oder das Ende eines Kapitels – es ist der Anfang von etwas Neuem!"

„Es tut mir leid, dass ich das sagen muss, James, aber das war gerade wirklich kitschig von dir", schnaubte Lily belustigt und brachte sogar ein kleines Lächeln zustande (alles, was James gewollt hatte).

James grinste schief. „Aber du musst zugeben, ich habe schon ziemlich weise geklungen."

„Natürlich...", summte Lily amüsiert, „So weise kenn ich dich gar nicht. Bist du eigentlich Dumbledore in Verkleidung?"

„Da hast du mich wohl durchschaut", brummte James mit tieferer Stimme und er wollte wohl Dumbledore nachmachen.

Lily kicherte ein wenig und rollte mit den Augen. „Komm schon – gehen wir hinein."

Sie betraten zusammen das Haus und Lily sah sich um. Manche Sachen waren weg – einzelne Möbelstücke, die Petunia hatte haben wollen und andere, die auch Lily mitgenommen hatte, aber die meisten Sachen standen noch an Ort und Stelle – keine der beiden Schwestern hatte es übers Herz gebracht, sie zu verrücken.

So, wie die Bildersammlung von Mr und Mrs Evans.

Mrs Evans war eine begeisterte Fotografin gewesen und ihre liebsten Bilder hatte sie alle eingerahmt und einen Platz an der Wand dafür gefunden.

Da hingen viele Bilder von der Kindheit der beiden Schwestern, von ihren Geburtstagen, besonderen Anlässen wie Lilys ersten Schultag in Hogwarts und so weiter. Es gab sogar schon ein Bild von Petunias Hochzeit, wie sie mit Vernon neben sich sogar glücklich aussah. James hatte nicht gedacht, dass diese Frau überhaupt so etwas wie glücklich sein konnte, aber bei der Hochzeit hatte sie die meiste Zeit eine Grimasse im Gesicht gehabt, die man eventuell, mit viel Fantasie, als ein Lächeln hätte interpretieren können.

Es gab auch von Lily ein Bild auf der Hochzeit – sie stand neben James, der einen Arm um sie gelegt hatte und sie beide lächelten in die Kamera.

„Das gefällt mir", sagte er zu Lily und deutete auf das Bild.

„Mum hat nicht jeden eingerahmt", lächelte Lily, „nur Leute, die sie mag."

James grinste bei diesen Worten breit und blickte voller Ehrfurcht auf das Bild. „Sie hat mich also gemocht?"

„Scheint ja eine ganz neue Erkenntnis für dich zu sein, dass die Eltern von deinen Bekannten dich mögen", scherzte Lily.

„Überhaupt nicht", konterte James, „Lyall liebt mich und Mrs Pettigrew auch. Nur Sirius' Eltern haben mich immer verabscheut und haben mir immer die Schuld dafür gegeben, dass Sirius, ich zitiere: Ein nichtsnutziger, muggelliebender Blutsverräter geworden ist. Dafür hat mich sogar Mrs Dolohow gleich ins Herz geschlossen, aber das ist kein Wunder – sie liebt gefühlt alle, die einmal ihr Haus betreten und Phillis –" James stockte.

Phillis Dolohow. Das war derzeit in der Freundesgruppe ein kompliziertes Thema.

Wie ging man mit dem Wissen um, dass sie Remus so sehr verletzt hatte, dass er sich die erste Woche danach in seinem Zimmer eingesperrt hatte. Er hatte kaum gegessen, kaum geschlafen und war nur selten nach draußen gekommen. Das hatte dann so lange angedauert, bis James ihn dazu gezwungen hatte, ordentlich zu duschen und sich Dumbledores Orden anzusehen, zu dem er sie alle vier eingeladen hatte. Der Orden des Phönix.

Phillis war eine Anführerin gewesen und sie alle hatten ihr vertraut, aber dann brach sie einfach so Remus' Herz und verschwand dann vom Fenster.

Seitdem Remus und Phillis Schluss gemacht hatten, hatte niemand mehr etwas von ihr gehört.

Sirius hatte ihr einen wütenden Brief geschrieben, in dem er auf drei Seiten genauestens beschrieb, dass Remus ein guter Mensch war und er enttäuscht von Phillis war, weil sie sich von ihm abwandte, nur weil er ein Werwolf war.

James hingegen hatte einen verwirrten Brief geschrieben. Er hatte nicht verstanden, was passiert war und er erinnerte sich noch daran, wie Phillis ihm schon vor Monaten gestanden hatte, dass sie wusste, dass Remus ein Werwolf war. Es musste einen anderen Grund gehabt haben, warum sie ihn verlassen hatte, aber James verstand nicht, warum sie diesen nicht einfach erklärt hatte.

Wahrscheinlich wäre jeder Grund besser gewesen als jener, an den Remus im Moment noch glaubte: Phillis Dolohow hatte ihn verlassen, weil er ein Werwolf war. Ein Monster. Eine Kreatur, die Liebe nicht verdient hatte.

James hatte versucht, Remus zu erklären, dass das alles (wieder einmal) ein Missverständnis sein musste und er noch einmal mit Phillis' darüber reden sollte, aber natürlich hatte Remus das abgelehnt.

Denn eigentlich liebte der arme Junge sie noch immer und wenn es Phillis' Wunsch war, dass er fern von ihr blieb (und das dachte Remus wirklich), dann würde er alles tun, um diesen Wunsch Folge zu leisten.

„Ich bin mir sicher, es geht ihr gut", sagte Lily sanft und James und legte eine Hand auf seinen Arm. Sie lächelte ihn traurig an. James lächelte traurig zurück.

„Klar, es ist Phillis", schnaubte er, „Wahrscheinlich ist sie in Hogwarts und sucht sich gerade die neuen Spieler für das komplett neue Team." Der September hatte schon begonnen und es war ungewohnt gewesen, nicht am 1. in den Hogwarts-Express zu steigen.

„Ich weiß, du vermisst sie", wisperte Lily leise und umarmte James. James war gar nicht aufgefallen, dass er eine Umarmung brauchte, aber nun, da Lily ihn schon umarmte, war es schön. Er hatte wirklich Glück, dass er jemanden wie Lily hatte, die immer wusste, wann er eine Umarmung brauchte.

„Sie fehlt mir einfach", gestand James leise und hielt Lily fest, „Wir sind– oder waren Freunde... ich wünschte mir nur, sie würde mir schreiben..."

„Du kennst sie doch", tröstete Lily ihn, „Sie wird schreiben, wenn sie es für richtig hält. Sie wird sich auf einmal melden, ohne Vorwarnung und dann könnt ihr alles klären."

„Ich hoffe es", seufzte James und ließ Lily los, „Warum tröstest du mich überhaupt? Eigentlich sollte ich dich trösten!"

„Ich muss nicht getröstet werden", versprach Lily, „aber ich bin froh, dass du hier mit mir bist... begleitest du mich nach oben in Petunias Zimmer? Ich... ich habe mir gedacht, wir könnten darin vielleicht ein Gästezimmer einrichten für jene, die vielleicht eine Nacht hier verbringen wollen, weil sie nicht nach Hause können."

„Klingt gut", nickte James, „In deinem ehemaligen Zimmer könnten wir ein Krankenzimmer einrichten. Nur für den Notfall."

„Ich könnte Madam Pomfrey nach Zutaten fragen", stimmte Lily ihm zu, „Gehen wir nach oben!"

Sie besichtigten das Haus und Lily säuberte die Räume mit verschiedenen Zaubern schon einmal oberflächlich. Petunias Zimmer war beinahe komplett ausgeräumt und die Sachen, die sie nicht mitgenommen hatte, als sie ausgezogen war, hatte sie dann nach dem Begräbnis in Kisten gepackt und dann mit dem neuen Auto von Vernon in ihr neues Heim gefahren. Lily glaubte, dass sie die meisten Möbel weggeworfen hatte, als hätte sie versucht, ihre Kindheit zu vernichten.

Lily hingegen hatte kaum etwas angerührt.

Ihre meisten Besitztümer hatte sie jedes Jahr nach Hogwarts mitgenommen und ihr Zimmer war eher ein kleiner Lagerraum, als wirklich ein Zimmer. Sie hatte dort verschiedene Sachen behalten, die in ihrem Koffer keinen Platz mehr gehabt hatten, aber alles, was Lily hatte behalten wollen, hatte sie ebenfalls schon nach dem Begräbnis aus dem Raum entfernt.

Es fehlten eigentlich nur noch die Fotografien und Lily hatte beschlossen, dass sie diese nicht an der Wand hängen lassen wollte, wenn der Orden dieses Haus benutzen würde.

Sie schaffte es nicht, die Bilder abzuhängen, also übernahm James das für sie und sie legten die Bilderrahmen mit den Erinnerungen ordentlich in Kisten, um diese dann später mitzunehmen.

Als sie aber wieder nach unten gehen wollten, um dort auch noch die Bilder abzuhängen, klirrte etwas in der Küche und die beiden stockten.

Leise zückten sie ihre Zauberstäbe und schlichen die letzten paar Treppen hinunter, um zu sehen, ob es ein feindlicher Eindringling war, der dieses Haus gefunden hatte.

Voldemort hatte in diesem Haus Lilys Eltern umgebracht, also war schon einmal ein Todesser darin gewesen, aber wenn es noch immer ein Ort war, den Todesser häufiger inspizierten, war es zu riskant, dort eine Basis des Ordens aufzubauen.

Am Fuße der Treppe nickte James Lily zu, dass sie hinter ihm bleiben sollte und er ging voraus, als plötzlich jemand hinter der Treppe hervorsprang.

Derjenige packte James und hielt ihm etwas gegen den Hals.

James' Zauberstab fiel ihm aus der Hand und Lily schrie erschrocken auf, bevor sie ihren eigenen Zauberstab gegen den Eindringling richtete, aber sie hatte keine Chance, ihn mit einem Zauber zu treffen, ohne James eventuell zu verletzen.

„Lauf, Lily!", schrie James sie an, „Appariere! Verschwinde!"

„Mach das, und dein Freund hier ist tot", drohte der Eindringling und hielt den Gegenstand noch grober gegen James' Hals, sodass ein dünnes Rinnsal Blut aus seiner Haut drang.

Erst da erkannte Lily, dass es kein Zauberstab war, der James da gegen die Kehle gehalten wurde, sondern ein Messer mit fies aussehenden Zacken und winzigen Widerhaken. Und derjenige, der das tat, war ein Junge. Vielleicht war er siebzehn oder achtzehn, aber niemals älter als zwanzig. Er trug schwarze Kleidung, hatte schwarze Haare und seine Haut war etwas dunkler. Das Messer in seiner Hand war wohl auch nicht seine einzige, spitze Waffe – am Rücken trug er einen riesigen Speer oder doch eher eine Harpune mit zwei Klingen.

Als er so James mit einem Messer bedrohte, wirkte er auch ganz entspannt.

„Lass ihn gehen", bat Lily ihn und hielt ihren Zauberstab ein wenig höher. Sie wünschte sich, sie könnte ebenso selbstsicher aussehen, wie dieser Junge, aber stattdessen zitterte ihre Stimme.

Lass ihn gehen", äffte der Junge sie mit übertrieben hoher Stimme nach, „Natürlich nicht! Warum solltest du uns zuhören, wenn ich niemanden bedrohe?"

„Was willst du?", fragte James, „Wir räumen hier nur das Haus auf! Wir wollen keinen Ärger!"

Der Junge ignorierte ihn. Stattdessen musterte er Lily genauer. „Du bist also Lily? Ich habe schon ein paar Dinge von dir gehört."

„Ich kenne dich nicht", bat Lily ihn, „Ich habe dich noch nie gesehen! Warum bist du hier? Bist du ein Zauberer?"

„Natürlich nicht!", spuckte der Junge angewidert aus, als wäre das eine Beleidigung für ihn, „Ich bin ein Halbblut, so wie du!"

„Ich... ich verstehe nicht", stammelte Lily leicht verzweifelt, „Da liegt eine Verwechslung vor! Ich bin eine Muggelgeborene! Meine Eltern waren beide Muggel! Sie sind ermordet worden – hier, in diesem Haus!"

„Ja, ich weiß, Idiotin!", schnauzte der Junge sie an, „Ich war dabei! Und wir haben dich ja vorgewarnt – in diesem Traum, in dem du spioniert hast!"

„Was?" Lily war absolut verwirrt und nichts, was dieser Junge sagte, ergab einen Sinn.

„Der ist doch wahnsinnig!", rief James laut, „Lauf, Lily! Ich komme schon zurecht! Hol lieber Hilfe!"

„Ich schlitze ihm die Kehle auf, wenn du auch nur Anstalten machst, wegzulaufen, dich weg zu teleportierten oder Hilfe anzufordern", drohte der Junge grimmig und so, wie er es sagte, wusste Lily, dass er es auch so meinte, „Wirf deinen Zauberstab auf den Boden und erzähle mir, wie du es machst."

„Was denn?", fragte Lily verzweifelt.

„Der Zauberstab!", brüllte der Junge und Lily ließ wimmernd den Zauberstab fallen.

Jemand betrat das Haus und einen naiven Moment lang dachte Lily, es wäre vielleicht Hilfe. Beinahe hätte sie um Hilfe gerufen, aber dann erinnerte sie sich an die Drohung des Jungen und ließ es lieber – es war in ihren Augen auch gar nicht nötig, denn die Schritte kamen auf sie zu.

Lily sackte aber sichtlich zusammen, als niemand vom Orden den Raum betrat, sondern ein Todesser – genau genommen Antonin Dolohow, der Onkel von Phillis und einer der wenigen bekannten Todesser.

Er betrachtete Lily voller Abscheu, bevor er seinen Blick auf den Jungen mit James richtete – mit ebenso viel Abscheu.

„Ist sie das?", fragte er grob und er sah Lily abschätzig an, „Das hier soll sie sein? Sonderlich gefährlich sieht sie ja nicht aus."

„Unterschätz sie lieber nicht", warnte der Junge ihn, obwohl Lily schon entwaffnet war, „Hast du ihn kontaktiert?"

„Natürlich, ich bin ja nicht schwer von Begriff", schnaubte Dolohow verächtlich.

„Dann halte sie hier in Schach", befahl der Junge und Lily war überrascht davon, dass er überhaupt auf die Idee kam, einem angeblich so hohen Todesser wie Dolohow Befehle zu erteilen, obwohl er so jung war, „Ich habe ihn hier im Griff."

Dolohow schnaubte trat aber zu Lily und packte sie am Kragen, bevor er einen Arm um ihren Hals legte und den Zauberstab gegen ihre Stirn presste. Lily wimmerte.

James sah sie besorgt an, nickte ihr aber zuversichtlich zu, als würde er ihr sagen wollen, dass alles gut werden würde.

Wie sehr er sich da offenbar täuschte, denn es kam sogar noch schlimmer: Jemand apparierte und dieses Mal hatte Lily nicht einmal die Hoffnung, dass es ein Freund von ihnen war.

Es war Voldemort.

Lily stieß einen erstickten Laut aus, als er zusammen mit zwei vermummten Todessern den Raum betrat und James wurde kreidebleich.

Sie beide hatten nur Erzählungen gehört und ihn nie persönlich gesehen, aber nun, da er direkt vor ihnen stand, war er noch schlimmer, als die Überlebenden von den Begegnungen berichteten.

Seine Haut war bleich, als wäre jegliche Farbe herausgetreten und er hatte keine Haare mehr.

Seine Augen waren blutrot und seine Gesichtszüge seltsam verzerrt, als wäre er gar nicht mehr menschlich.

Voldemort blickte nur eine Sekunde zu dem Jungen, der noch immer James festhielt, bevor sich sein Blick auf Lily richtete. „Ah, Lily Evans!"

Lily hatte keine Ahnung, woher Voldemort selbst ihren Namen kannte, aber es konnte kein gutes Zeichen sein.

„Endlich überschneiden sich unsere Wege. Lange hast du dich mir entzogen – du bist gerissen, das muss man dir lassen, und an deinen Wachleuten kommt man nur schwer vorbei. Es hat wohl einen der euren gebraucht –", Voldemort machte eine ausladende Geste zu dem Jungen, „– um dich zu fassen."

Lily war zu erschrocken und zu verängstigt, um etwas zu sagen.

Dafür hatte James das Talent, selbst in gefährlichen Situationen immer einen frechen Spruch auf den Lippen zu haben: „Da liegt wohl eine Verwechslung vor, Sir – wir besichtigen hier nur dieses Haus."

„Niemand hat dich gefragt!", zischte der Junge und drückte das Messer noch etwas mehr in seinen Hals.

„Warum lassen wir unsere Gäste nicht erst einmal zu Atem kommen", schlug Voldemort mit einem hinterlistigen Ton vor und tatsächlich ließen Dolohow und der Junge James und Lily los, „Vielleicht erinnert sie sich dann daran, welche Probleme sie bereitet haben – besonders unsere kleine Spionin hier, nicht wahr? In den Träumen die Pläne anderer zu sehen... eine Gabe, die bestimmt sehr nützlich ist."

„Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen", wimmerte Lily. James sah sie direkt an und schüttelte kaum merklich den Kopf, während er mit einer Hand die Wunde an seinem Hals etwas festdrückte. Es war kaum mehr als ein Kratzer.

„Ich werde dir etwas auf die Sprünge helfen", bot Voldemort an und zückte seinen Zauberstab – und richtete ihn gegen James. „Crucio!"

James spürte den Schmerz augenblicklich. Er konnte nicht anders als aufzuschreien und seine Beine gaben unter ihm nach. Weit entfernt hörte er, wie Lily ebenfalls aufschrie und bettelte, damit aufzuhören, aber in diesem Moment gab es für James nur Schmerzen – unendliche Schmerzen.

Dann hörte es auf und keuchend blieb James noch liegen, ausgelaugt von der Folter durch einen so einfachen Zauber. Dann rappelte er sich vorsichtig auf. Sein Körper fühlte sich seltsam an.

Lily half ihm auf die Beine – in ihren Augen waren unvergossene Tränen.

„Ich weiß nicht, was Sie von uns wollen", weinte sie verzweifelt, „Bitte!"

„Halte mich nicht zum Narren!", schrie Voldemort nun mit seiner hohen Stimme, „Du bist jene, die die Welt der Götter und der Magie verbindet! Du bist jene, die jeden Schutzzauber zu umgehen weiß! Schließe dich mir an oder schau dabei zu, wie ich jeden vernichten werde, der dir teuer ist! Begonnen mit diesem Jungen hier!"

„Nein, Lily", keuchte James, „Nicht!"

Crucio!"

James schrie wieder und Lily weinte, konnte aber nichts tun. Sie war machtlos gegen so eine Überzahl – nicht nur waren sie zahlenmäßig und auch vom Können her weit überlegen, Lily hatte nicht einmal mehr einen Zauberstab.

„Aufhören!", bettelte sie, „Bitte!"

Voldemort hörte auf und James sackte keuchend zusammen. Er zitterte, als würde er frieren.

„Entscheide dich, Mädchen!", verlangte Voldemort zornig.

„Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen!", versicherte Lily ihm und Tränen rannen über ihre Wangen.

„Doch! Du weißt es! Schon seit Monaten spionierst du in deinen Träumen!", schrie Voldemort.

„Nein, tut sie nicht." Die neue Stimme kam vom oberen Stockwerk und alle blickten nach oben. Dort stand am Geländer der Treppe ein Junge, vielleicht dreizehn oder vierzehn Jahre alt, die Arme streng hinter dem Rücken verschränkt in einer beinahe schon militärischen Haltung und einen beinahe schon gelangweilten Gesichtsausdruck.

Lily wusste nicht, was ein Kind hier plötzlich machte und sie wollte schreien, dass er verschwinden sollte, bevor es zu spät war und Voldemort ihn umbrachte.

Auch Voldemort und Dolohow wirkten überrascht, den Jungen zu sehen, aber nicht so der Junge, der James bedroht hatte.

„Houdini!", keuchte er erschrocken und wurde ganz bleich im Gesicht, als hätte er seinen schlimmsten Albtraum gesehen.

Die Augen den Jungen richtete sich auf ihn, aber dieser „Houdini" wirkte absolut unbeeindruckt, als hätte er noch nie etwas Langweiligeres in seinem Leben gesehen.

„Pirro Navaja, das Rote Messer", begrüßte Houdini den Jungen, „Du wirst dich für deine Verbrechen vor den Göttern verantworten müssen, aber bis dahin sollten wir erst einmal ein paar Missverständnisse klarstellen."

„Ein Kind – sie schicken uns ein Kind", murmelte Dolohow ungläubig und blickte zu seinem Meister, als würde er antworten von ihm erwarten.

„Du wagst es, so mit mir zu sprechen?", zischte Voldemort und richtete seinen Zauberstab gegen das Kind, „Avada Kedavra!"

Lily schrie erschrocken auf, konnte dem Jungen aber nicht mehr helfen.

Dieser schien noch immer absolut gelangweilt und plötzlich, gerade als ihn der grüne Strahl beinahe traf, zückte er ein Messer– nein! Es war ein Degen und zerschlug den Zauber einfach so in der Luft.

Der Zauber zersprang wie ein kleines, harmloses Feuerwerk und Houdini verschränkte wieder die Hände hinter seinem Rücken, als wäre er nicht gerade fast gestorben.

„Wie ich schon gesagt habe – aber ihr alle scheint wohl ebenfalls die Aufmerksamkeitsspanne von kleinen Kindern in einem Schmetterlingshaus zu haben –"

Lily konnte nicht fassen, wie respektlos dieser Junge Voldemort gegenüber war.

„– es ist alles nur ein Missverständnis. Ihr habt eindeutig die falsche Person im Visier und verschwendet eure eigene Zeit genauso, wie die unsere. Wenn wir dieses Chaos also endlich aufklären könnten?"

„Tatsächlich?", fragte Voldemort und klang seltsam spöttisch, „Inwiefern sollte das alles hier ein Missverständnis sein?"

„Lily hier ist gar keine Demigöttin", sagte Houdini schlicht, „Ihr seid einer falschen Spur gefolgt, aber das passiert nun einmal, wenn man seine Quellen nicht überprüft oder fanatisch einer Idee folgt, die in die Irre führt. Natürlich hätte ich gedacht, dass ihr alle zusammen etwas mehr Intelligenz aufbringen würdet, nachdem Albus ziemlich Respekt vor dir zu haben scheint, aber offenbar suche ich hier ebenfalls vergeblich nach einem Funken Verstand."

„Das ist unmöglich", zischte Voldemort und kniff die Augen zusammen, „Du versuchst mich in die Irre zu führen! Sie muss es sein!"

„Und welche Beweise hast du dafür?", fragte Houdini unbeeindruckt. Lily war beeindruckt darüber, wie er noch immer so neutral aussehen konnte – sie hatte es nicht einmal geschafft, normal zu sprechen und war sofort panisch zusammengebrochen, als Voldemort aufgetaucht war.

„Bitte?", fragte Voldemort etwas verdutzt.

Be-wei-se", wiederholte Houdini langsam, als würde er mit einem dummen Kind sprechen, „Kannst du mir die Indizien vorlegen, mit denen du zu dem Schluss gekommen bist, dass Lily hier die eine Demigöttin sein muss?"

„Meine Spione haben es mir berichtet!", schnauzte Voldemort gereizt.

„Aha." Houdini musterte Voldemort von oben herab, als würde er einen ekelhaften Käfer begutachten. „Und... sonst so?"

„Sie hat über die Träume gesprochen, in denen sie uns verfolgt hat!", verteidigte sich Voldemort, klang aber schon unsicherer.

„Hm, hm", machte Houdini nickend. „O-kay... und... das war's?"

„Welchen Beweis brauchst du sonst?", fragte Voldemort aufgebracht.

„Oh, ich weiß auch nicht..." Houdini zuckte gleichgültig mit den Schultern, bevor er sich über das Geländer schwang. Er ließ sich einen Moment lang hängen, bevor er sich mit einem eleganten Salto in der Luft fallenließ und Lily erinnerte sich an Phillis, die so ähnliche Stunts ebenfalls immer wieder gemacht hatte. Houdini rollte sich geschickt ab und kam elegant wie ein Tänzer wieder auf die Beine. Seinen Degen schwang er locker im Kreis herum, als wäre es ein Spazierstock und er kam ebenso locker zu ihnen her spaziert.

Die Todesser, die Voldemort begleitet hatten, richteten bedrohliche ihre Zauberstäbe auf ihn, aber der Junge schien noch immer nicht beeindruckt davon zu sein – ganz im Gegenteil, er wirkte sogar noch immer gelangweilt und genervt.

Voldemort gab seinen Leuten ein Zeichen und keiner von ihnen griff den Jungen an. Voldemort schien fasziniert genug, um Houdini noch ein paar Momente länger leben zu lassen.

„Du bist also Lord Voldemort", erkannte Houdini und musterte Voldemort, „und... du bist Antonin Dolohow? Ich habe schon von dir gehört. Und dann natürlich noch Pirro Navaja..."

„Houdini, Sohn der Athene", brachte der Junge heraus, den Houdini „Pirro Navaja", genannt hatte.

Houdini verbeugte sich leicht spöttisch, grinste aber dabei nicht, sondern sah noch immer neutral aus. „Also... versuchen wir es gemeinsam: Was verrät einen Demigott?"

Keiner antwortete ihm – wahrscheinlich waren alle von dieser „Lehrstunde" zu überrascht.

Houdini seufzte. „Ich bitte euch, ihr solltet doch zumindest ein paar Kennzeichen schon erraten haben, immerhin arbeitet ihr jetzt schon – wie lange? Jahre oder Monate – mit Pirro hier zusammen!"

„Wir spielen keine Spielchen!", drohte Voldemort finster, „Wenn das Mädchen nicht die ist, nach der wir suchen, wer ist es dann? Sag es uns, oder wir werden dich dazu zwingen, Junge!"

Houdini hob nur eine Augenbraue, zeigte aber keinerlei Angst. „Das halte ich für keine gute Idee, aber ich bin ehrlich gesagt nicht überrascht, dass du auf diese Idee gekommen bist, immerhin hast du innerhalb der wenigen Minuten, in denen ich nun schon in deiner Gegenwart bin, nicht sonderlich viele geistige Kapazitäten gezeigt."

„Und warum sollte das keine gute Idee sein?", fragte Dolohow spöttisch.

„Weil er immer einen Plan B hat", murmelte Pirro.

„In der Tat", bestätigte Houdini und klatschte einmal in die Hände, „Ich bin nämlich nicht allein gekommen!"

In diesem Moment kamen noch weitere Leute aus verschiedenen Orten hervor.

Ein Mann mit Narben im Gesicht sprang durch ein offenes Fenster hinein und hielt dann gleich ein riesiges Schwert hoch, bereit für einen Kampf.

Ein Junge mit Turban auf dem Kopf machte die Schranktüren von einer Kommode auf und rollte etwas unelegant heraus.

Im Nebenraum begann jemand zu brüllen und eine Tür wurde niedergetreten. Das Brüllen verstummte verwirrt.

Houdini seufzte. „Falsche Tür!", rief er und nach einer kurzen, irritierten Pause begann das Brüllen erneut und dieses Mal wurde die richtige Tür eingetreten. Heraus trat eine riesige Frau mit je einem Speer in der Hand und Kriegsbemalung im Gesicht. Sie sah wirklich einschüchternd aus.

Pirro schluckte nervös und wich einen Schritt zurück.

„Also...", sagte Houdini entspannt, „Fangen wir noch einmal an: Wie erkennt man einen Demigott? Doch nicht an seltsamen Träumen, oder? Die hat jeder einmal, dafür braucht es keine wahrsagerischen Fähigkeiten."

„Sag es uns einfach", seufzte Pirro genervt, „Wer ist es?"

„Das amüsante ist, Pirro, dass du sie schon kennst", antwortete Houdini ihm locker und richtete dann seinen Blick auf Antonin Dolohow, der sich unter diesem Blick überhaupt nicht wohl zu fühlen schien, „Und du kennst sie auch."

Nun blickte auch Voldemort zu seinem Diener und kniff die Augen misstrauisch zusammen. Vermutlich fragte er sich gerade, ob Dolohow ihn hintergangen hatte.

„Wer. Ist. Es?", fragte Pirro gereizt und biss die Zähne zusammen.

„Jene, von der du gedacht hast, sie wäre tot!", verkündete Houdini.

„Die, der du einen Speer in den Rücken gerammt hast!", fügte der Mann mit Narben im Gesicht drohend hinzu.

„Die, die schon seit Monaten gegen euch agiert!", brüllte die große Frau aggressiv und stampfte mit einem ihrer Speere auf dem Boden auf.

„Nein", hauchte Pirro und wurde wieder bleich, „Das... das ist unmöglich! Ich habe sie umgebracht! Sie hat das niemals überlebt! Ich habe sie zerfetzt!"

„Ich habe überlebt, Pirro!", rief eine weitere Stimme und diese war Lily zu ihrer eigenen Überraschung bekannt. Wieder richteten sich alle Blicke nach oben zu der Treppe auf das Geländer, von wo Houdini gerade davor noch hinuntergesprungen war und aus den Schatten trat jemand, den Lily kannte.

„Mein Name ist Phillis Dolohow! Tochter des Apollo! Ich habe Niobe von Theben bezwungen und den mächtigen Lykaon besiegt! Und jetzt, Pirro Navaja –" Phillis Dolohow hob ihren goldenen Bogen, den Lily schon in der Schule häufig gesehen hatte und setzte einen Pfeil an, den sie direkt auf Pirro richtete, „– erwartet dich das Gericht der Götter, die dich für deine Vergehen bestrafen werden!"

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