Irrationales Intermezzo
Es war natürlich absoluter Zufall, dass Remus Lupin sich mitten in der Nacht gleich neben Phillis wiederfand.
Wahrscheinlich war es tatsächlich nur Zufall, immerhin war es nicht geplant gewesen, dass beide von ihnen nicht gerade draußen waren und Wache hielten (das übernahmen im Moment Sturgis und Caradoc) und es war auch nicht geplant gewesen, dass Remus nach seiner Wache einen Platz gleich neben Phillis bekam, immerhin war er einfach nur als erstes vor Sirus ins Zelt gegangen und hatte den ersten freien Schlafplatz gewählt.
Ihm war erst aufgefallen, dass das Phillis neben ihm war, als er sich an die Dunkelheit im Zelt gewöhnt hatte und ihre Haarfarbe zusammen mit ihrem Geruch erkannt hatte. Alle Demigötter waren gleich und Houdini war auch blond, aber Houdinis Haare waren kürzer und er war auch kleiner als Phillis, also konnte Remus ihn schließlich ausschließen.
Danach war der Gedanke an Schlaf aber unmöglich.
Remus konnte es nicht genau beschreiben, aber der Gedanke, direkt neben Phillis zu schlafen, ließ ihn nervös werden. Seine Gedanken kreisten nur noch um diese Tatsache und egal, wie sehr er sich auch bemühte, einfach die Augen zu schließen und einzuschlafen, konnte er es einfach nicht.
Er wusste nicht, wie viel Zeit verging. In der Nacht, wenn man nicht schlafen kann, obwohl man eigentlich sollte, verging die Zeit immer gleichzeitig schnell und doch unendlich langsam und es war zu dunkel, um auf der Uhr etwas zu erkennen, also konnte Remus nur am Rücken liegen und auf die Zeltdecke starren, während Phillis neben ihm eindeutig schlief und tief atmete.
Das machte die ganze Angelegenheit noch seltsamer, immerhin war Phillis nicht einmal wach und wusste vermutlich nicht einmal, dass das Remus neben ihr war. Sie würde nur dann später aufwachen und sehen, dass Remus da war und dann würde sie sich vielleicht selbst etwas dazu denken – aber vermutlich eher nicht.
Es war absolut lächerlich also, dass Remus deswegen nicht schlafen konnte, obwohl er wollte, und er fühlte sich nicht nur peinlich berührt, sondern auch lächerlich deswegen.
Plötzlich schreckte Phillis aus dem Schlaf und Remus sah ihm dunkeln ihre Umrisse und erkannte, dass sie sich im Zelt umsah. Vielleicht ein Albtraum – und jetzt versuchte sie wieder zu orientieren.
Schließlich beruhigte sie sich wieder und atmete tief durch. Sie versuchte wahrscheinlich, wieder einzuschlafen, aber an ihrer Atmung und wie viel sie sich bewegte erkannte Remus, dass sie es wohl nicht schaffte – genauso wie Remus lag sie wach da und konnte vermutlich nicht mehr schlafen.
„Alles in Ordnung?", fragte er also schließlich in die Dunkelheit – ganz leise wispernd, um Houdini und Sirius im Zelt nicht ebenfalls zu wecken.
Phillis zuckte erschrocken zusammen, beruhigte sich aber schnell wieder.
„Klar", flüsterte sie zurück, „Nur..."
„Albtraum?", riet Remus leise.
„Oder Vision – das ist in letzter Zeit nicht immer so einfach zu differenzieren", gestand Phillis leise und hob ihre Hand, um sich übers Gesicht zu fahren.
„Also kannst du nicht darüber reden?", vermutete Remus.
„Lieber nicht."
Es wurde wieder leise.
„Warum schläfst du nicht?", fragte Phillis leise, „Ich hoffe, ich hab dich nicht geweckt."
Ich ertrage den Gedanken nicht, dass du direkt neben mir bist und ich dich nicht in den Arm nehmen kann, wie ich es am liebsten tun würde, weil wir nicht mehr zusammen sind, wobei ich mir nicht sicher bin, was genau wir im Moment sind, also bin ich verwirrt und kann deswegen nicht schlafen. Keine Sorge, Phillis – du hast mich nichtgeweckt, aber du hältst mich wach. Das sagte Remus natürlich nicht. „Nein, ich kann nicht schlafen", antwortete er – keine Lüge, also würde Phillis seine wahren Probleme niemals erraten – das wäre peinlich.
„Als ich das erste Mal im Camp übernachtet habe, hab ich auch nicht schlafen können", erzählte Phillis leise, „Da war einfach zu viel Spannung und zu viele Leute in einem Raum – außerdem hat Marty mir erzählt, dass wir manchmal mitten in der Nacht geweckt werden für Übungen oder echte Schlachten, das erfahren wir offenbar immer erst im Nachhinein. Dann hab ich nicht mehr schlafen können..."
„Klingt wirklich anstrengend", wisperte Remus leise, „Warum sollte das passieren?"
Phillis zuckte mit den Schultern. Remus konnte die Geste nur schwer in der Dunkelheit ausmachen, aber trotzdem kannte er ihre Mimik und Gestik gut genug, um diese regelrecht vor seinem inneren Auge zu sehen. „Chiron besteht darauf, solche Nachtübungen mindestens einmal im Monat zu machen. Ich würde sagen, ungefähr zweimal im Jahr handelt es sich um einen tatsächlichen Angriff. Es ist also wahrscheinlich nicht so schlecht, dass wir vorbereitet sind..."
„Ist dieses Camp nicht ein sicherer Ort?", fragte Remus neugierig, „Warum solltet ihr da angegriffen werden?"
„Es gibt da magische Grenzen – ähnlich wie in Hogwarts", erzählte Phillis, „aber wie auch in Hogwarts finden Monster hin und wieder trotzdem einen Weg, um hinein zu kommen. Es ist nie wirklich tragisch und wenn erst einmal das ganze Camp gegen einen Feind kämpfen muss, haben wir das meistens ziemlich schnell erledigt. Vermutlich könnte man die Grenzen noch etwas verbessern – das sagt jedenfalls Houdini. Es bräuchte aber wahrscheinlich ein Menschenopfer, deswegen passiert das in nächster Zeit wahrscheinlich eher nicht..."
„Das ist schrecklich", murmelte Remus.
„Jaah, das haben die meisten auch gesagt, als Houdini es vorgeschlagen hat", kicherte Phillis leise, „Er hat darin kein Problem gesehen. So ist er nun einmal."
„Das hab ich nicht gemeint", widersprach Remus, „Also... ein Menschenopfer wäre auch schrecklich, aber eigentlich wollte ich eher... ich finde es schrecklich, dass es eigentlich keinen Ort gibt, an dem du – oder ihr – wirklich sicher seid."
„Wer ist denn schon wirklich sicher?" Phillis zuckte wieder mit den Schultern. „Jeden Tag sterben Menschen – nicht nur Demigötter. Manchmal durch Krankheit, aber auch durch normale Unfälle oder auch Mord. Letztes Jahr sind allein in den Staaten rund 1.897.000 –"
„Eine-millionen-achthundertachtundneunzig-tausend", korrigierte Houdini sie in der Dunkelheit. Remus schrie beinahe erschrocken auf – ihm war gar nicht aufgefallen, dass noch jemand wach war.
„Wie auch immer", schnaubte Phillis amüsiert, „Es waren auf jeden Fall eine Menge – jeder von uns könnte jeden Tag sterben, warum sich Sorgen machen, weil die Chance als Demigott jung zu sterben viel höher sind als bei anderen Leuten. Wäre ja nur Zeitverschwendung, oder nicht?"
„Ich mache mir Sorgen", zischte Remus scharf, bemühte sich aber, leise zu sprechen, damit nicht auch noch Sirius aufwachte, „Ich will nicht, dass du stirbst."
„Das ist wirklich nett von dir, Remus, aber es ist nicht wirklich etwas, das du beeinflussen kannst." Remus hörte das Lächeln in Phillis' Stimme.
„Ich wünschte, ich könnte es", murmelte Remus leise.
Phillis antwortete ihm nicht. Stattdessen hörte Remus ihren Schlafsack rascheln und plötzlich nahm Phillis seine Hand in die ihre. Und mehr war auch nicht nötig – keine Worte hätten ihre Gefühle besser ausdrücken können.
Remus drehte den Kopf und sah in der Dunkelheit, dass auch Phillis ihr Gesicht ihm zugewandt hatte.
So nahe waren sie sich schon länger nicht mehr gewesen. Remus hätte sich nur etwas vorlehnen müssen und sie hätten sich geküsst. Sie war ganz nah – es wäre ganz einfach.
„Wenn ihr jetzt rummacht, übergebe ich mich", erklang Houdinis Stimme in der Dunkelheit.
„Ich warte zwar ebenfalls auf den Tag, an dem ihr beide endlich wieder offiziell zusammen seid", sagte plötzlich auch Sirius, „aber ich gebe ihm Recht – macht das nicht direkt neben uns."
„Wie kommt ihr auf die Idee, dass wir– das ich– wir haben doch nicht –", stammelte Remus peinlich berührt.
„Ich wollte nur sichergehen", sagte Houdini tonlos, „Könntet ihr jetzt die Klappe halten, ich versuche hier zu schlafen und diese niveaulose Unterhaltung voller indirekter Liebeserklärungen und irrationalem Gejammer weckt in mir das Bedürfnis, meinen Kopf gegen etwas Hartes zu schlagen, damit ich euch nicht mehr zuhören muss!"
„'Tschuldige", sagte Phillis leise – Remus hörte in ihrer Stimme, dass sie sich bemühte, nicht loszulachen.
Ihm ging es eigentlich ziemlich ähnlich und Remus holte tief Luft, um sein Lachen unter Kontrolle zu bekommen.
Es wurde wieder absolut still und Remus schloss wieder die Augen. Er hatte jetzt das Gefühl, wieder schlafen zu können.
Phillis hielt noch immer seine Hand. Ihre Hand war warm – Phillis war immer warm.
Remus verdrängte den Gedanken an eine eiskalte Phillis mit toten, leblosen Augen. Er sollte nicht darüber nachdenken, dass Phillis jederzeit einfach sterben könnte.
Eigentlich war das bei ihnen allen der Fall. Jeder von ihnen war in Gefahr, einfach nur, weil sie sich in einem Krieg befanden.
Selbst in diesem Moment übernachteten sie in Zelten, weil sie jederzeit bereit sein wollten, sollte eine Armee aus untoter Monster ihren Grenzen entkommen und auf die Lebenden losgelassen werden.
Auch Remus könnte in diesem Krieg einfach sterben.
Ein Todesfluch und es wäre vorbei.
Vielleicht würde er den grünen Zauber nicht einmal sehen, wenn man ihn von hinten überraschte. Vielleicht aber stolperte er auch nur und brach sich das Genick.
Oder er starb wegen einer Krankheit, wie seine Mutter. Oder wegen seiner Krankheit und er brachte sich aus Versehen während einer Verwandlung selbst um, wie er es in seiner Schulzeit einmal beinahe gemacht hatte.
Die Möglichkeiten waren wirklich weitreichend, Phillis hatte da Recht, aber trotzdem bekam er den Gedanken nicht aus dem Kopf, dass Phillis noch nie wirklich sicher gewesen war.
Durch ihre Geburt war es ihr vorherbestimmt gewesen, ein Leben als Gejagte zu führen und nur, indem sie zur Jägerin geworden war, hatte sie ihre Lebenserwartung ein wenig erhöht. Die Frage war nur, wie lange.
Vielleicht starb Phillis erst in hundert Jahren, friedlich einschlafend. Vielleicht schon in zwanzig Jahren, weil sie eine Demigöttin war und sie nicht gut genug für ein Monster war. Vielleicht auch schon morgen, weil sie sich mitten in einem Zaubererkrieg befanden.
Rational gesehen machte es tatsächlich keinen Sinn, sich mehr um Phillis Sorgen zu machen, als um alle anderen, die Remus kannte, immerhin befanden sie sich alle dauerhaft in Gefahr und es war nur eine Frage der Zeit, bis Voldemort sie als Orden anvisierte. Aber gleichzeitig kam Remus nicht mit dem Gedanken zurecht, Phillis zu verlieren.
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