Ich habe vergessen, wie man glückliche Kapitel schreibt
Sirius benahm sich seltsam.
Remus hatte schon mit James und Peter darüber gesprochen, die derselben Meinung waren und heimlich versuchten sie herauszufinden, was mit ihm los war, aber Sirius lachte nur übertrieben heiter und sagte ihnen immer wieder, dass überhaupt nichts los war und sein einziges Problem an diesem Tag war, dass seine Haare nicht perfekt aussahen.
Zwischen dem Stress wegen der Hochzeit von James und Lily, die schon im März – also nächsten Monat – stattfinden sollte; dem üblichen Stress wegen dem Krieg und anderen Problemen wurde Sirius' Verhalten leider bald schon vergessen und er benahm sich beinahe so, als wäre wirklich nichts.
Aber in der Nacht, als alle in ihren eigenen Heimen waren und Sirius allein in seiner dunklen Wohnung war, kamen ihm zum ersten Mal an diesem Tag die Tränen.
In der Nacht hatte man Zeit, über das nachzudenken, was passiert war und Sirius erkannte, dass es nicht so egal war, wie er den ganzen Tag gesagt hatte. Er hatte eigentlich niemanden gesagt, was los war.
Es war mitten in der Nacht, aber trotzdem apparierte Sirius einfach in seinem Schlafgewand mit einem Morgenmantel an den einzigen Ort, an dem es sich im Moment richtig anfühlte, dort zu sein.
Denn Sirius liebte seine Freunde und es hatte eine Zeit gegeben, in der Sirius James einfach alles sofort erzählt hätte, aber dieses Mal nagte dieses schlechte Gewissen an ihm.
Es fühlte sich nicht richtig an, traurig zu sein, aber doch konnte Sirius seine Gefühle nicht einfach abstellen. Aber seine Gefühle waren falsch – darüber konnte er mit James nicht sprechen.
Wahrscheinlich war das der Grund, warum er nicht zu dem Haus von Lily und James apparierte, sondern zum Haus der Dolohows.
Es war mitten in der Nacht, aber trotzdem war in der Küche ein Licht an und Sirius erinnerte sich daran, dass die Demigötter einmal erwähnt hatten, dass sie Nachtschichten machten – aus Sicherheitsgründen.
Sirius läutete also nicht an der Haustür und weckte damit alle auf, sondern ging zu einem der Fenster an der Küche und blickte hinein.
Dort saß Marty, eine Tasse mit vermutlich Kaffee in der Hand und er las in einem Buch. Sirius klopfte und Marty blickte überrascht auf, runzelte kurz die Stirn, als wäre er sich nicht sicher, ob er sich nicht verhört hatte, sah dann aber Sirius und hob nun überrascht eine Augenbraue.
Aber er stellte die Tasse ab und stand auf – ging aber nicht zum Fenster, sondern aus dem Raum, also eilte Sirius zurück zur Eingangstür und erreichte diese gerade als Marty sie öffnete.
„Sirius", sagte Marty, „Ich muss darauf bestehen, dass du irgendwie beweist, dass du es wirklich bist... hast du... geweint? Geht es dir gut?"
Die Sicherheitsfrage schien vergessen, als Marty sah, dass Sirius offenbar geweint hatte und er trat einen Schritt auf ihn zu und nahm Sirius' Gesicht in seine warmen Hände.
„Alles in Ordnung", brachte Sirius heraus und schlug die Hände weg, obwohl diese Geste sehr beruhigend und tröstend gewesen war, „Tut mir leid, dass ich so spät vorbeikomme, aber... ich weiß selbst nicht, warum ich hier bin."
Marty sah Sirius besorgt an. „Geht es dir gut?"
„Ich bin nicht verletzt."
„Das habe ich nicht gefragt."
Sirius öffnete den Mund, um dieselbe Lüge zu erzählen, die er schon den ganzen Tag wiederholte, aber dieses Mal stockte er. „Ich... nein...", er schluchzte auf, „Mein... mein Bruder – Regulus. Meine Cousine ist heute hier gewesen, sie hat es von ihrer Schwester erfahren... Regulus... er... er ist tot... ich weiß nicht –"
Es auszusprechen, machte es nicht besser und Sirius vergrub weinend sein Gesicht in seinen Händen und all die Gefühle, die er den ganzen Tag schon zusammengestaut hatte, brachen aus ihm heraus.
„Oh, Schätzchen", seufzte Marty und umarmte Sirius – Marty war warm und seine Umarmungen herzlich, „Schon in Ordnung. Alles wird gut..."
Sirius hätte ihn gerne angeschrien, dass natürlich alles wieder gut werden würde, immerhin war Regulus ein Todesser gewesen und Sirius hatte seine Familie gehasst, aber trotzdem tat es so unendlich weh, zu wissen, dass er fort war. Regulus, der jünger gewesen war, als Sirius. Noch so jung – eigentlich noch voller Hoffnungen und Träume. Vielleicht, wenn Sirius sich etwas bemüht hatte, wäre er kein Todesser geworden. Dann wäre er jetzt vielleicht nicht tot.
Aber Sirius hatte versagt – nun nicht nur als Sohn, sondern auch als Bruder und noch nie war Sirius so verwirrt gewesen.
„Komm, gehen wir rein", schlug Marty sanft vor, „Ich mach dir einen Tee. Wir haben aber auch Kaffee."
Sirius lachte schniefend und fuhr sich mit der Hand über die Augen. „Ihr habt immer Kaffee."
„Es hilft beim Denken", antwortete Marty darauf nur amüsiert und führte Sirius nach innen. Hinter ihnen verschloss er wieder die Haustür und jemand trat aus dem Wohnzimmer heraus.
Es war Birget. Sie hatte all ihre Rüstung abgelegt, was, wie Sirius nun auffiel, ungewöhnlich war, aber Birget wenigstens beim Schlafen ihren Schutz abzulegen.
Sie wirkte verschlafen, aber in ihrer Hand war einer ihrer Speere, kampfbereit wie immer und Sirius war sich sicher, dass sie ihn einfach so hätte köpfen können, noch vor ihrem ersten Kaffee.
„Was ist los?", fragte sie misstrauisch und blickte zwischen Sirius und Marty hin und her, „Was ist passiert?" Ihr Blick blieb einen Moment länger an Sirius' verweintem Gesicht hängen.
„Schon in Ordnung, Birget", winkte Marty mit einem vielsagenden Blick ab, „Sirius hat nur jemanden verloren, der ihm wichtig gewesen ist."
„Regulus war mit nicht wichtig!", verteidigte Sirius sich sofort, beinahe schon instinktiv. Als er das bemerkte, runzelte er verwirrt die Stirn und hinterfragte sich selbst, ob das stimmte, immerhin hatte er sich für seinen verstorbenen Bruder die Augen ausgeweint.
Birget fuhr sich mit der Hand über die Augen, um wohl den Schlaf heraus zu reiben, und sie stellte ihren Speer gegen eine Kommode, als wäre es ein einfacher Regenschirm und keine potentiell tödliche Waffe.
„Hast du ihm schon einen Tee angeboten?", fragte Birget Marty streng, „Oder Kaffee – wir haben auch Kaffee."
„Natürlich hab ich es ihm angeboten", meinte Marty amüsiert empört, „Ich bin ein guter Gastgeber!"
„Warum stehen wir dann hier noch herum?", fragte sie und führte Sirius direkt in die Küche, „Wir wecken noch alle anderen auf, wenn wir hier weiterreden."
Es war ein wenig ungewohnt für Sirius, mit so wenigen Leute in der Küche zu sein. Im Haus der Dolohows war immer etwas los – die Demigötter waren keine sonderlich leisen oder ruhige Bewohner und es schien immer der ganze Raum zu vibrieren, wenn sie zusammen in einem waren.
Aber nun waren nur die Lichter in der Küche an und Marty und Birget sprachen leise, um sonst niemanden zu wecken – bei Birget waren sie wohl nicht sonderlich erfolgreich gewesen.
Es herrschte eine ganz andere Stimmung als am Tag – wie immer, wenn man irgendwo in der Nacht war.
Marty machte einen Tee. Birget setzte sich Sirius gegenüber und sah ihn ernst an.
„Es ist in Ordnung, um ihn zu trauern", sagte sie schlicht.
Sirius verzog das Gesicht und biss sich auf die Zunge. „Ich weiß nicht", sagte er gleichgültig, „Er ist ein Todesser gewesen – wollte offenbar aussteigen und Voldemort hat dafür gesorgt, dass er für immer ausgestiegen ist. So hat es jedenfalls meine Cousine erzählt."
„Das klingt doch gut", bemerkte Birget, „Er wollte aufhören – er hat wohl erkannt, dass es nicht richtig war."
„Oder er war einfach nur ein Feigling", schnaubte Sirius, „So, wie alle Slytherins."
Birget runzelte die Stirn. „Was... war das gleich noch einmal? Ein... Slingerring?"
„Slytherin", wiederholte Marty, bevor Sirius die Chance hatte und er setzte sich zu ihnen an den Tisch und stellte vor Sirius eine Tasse mit Tee ab, „Eines dieser Häuser in ihrer Schule. Sara war wohl eine von ihnen."
Sirius hatte das gewusst, aber es wohl verdrängt und sofort fühlte er sich schuldig, weil er das ganze Haus beleidigt hatte, wenn es doch Leute wie Sara Dolohow gab.
„Wie schlimm können sie dann schon sein", bemerket Birget, „Sara ist mutig."
Sirius schluckte schwer. „Ja... stimmt... tut mir leid. Aber mein Bruder war ein Feigling! Wahrscheinlich waren ihm die Methoden der Todesser einfach zu extrem und er wollte aussteigen."
„Wir werden es wohl nie erfahren", murmelte Marty leise.
Sirius' Kehle schnürte sich zusammen und er nahm eilig einen Schluck von dem noch brennend heißen Tee, um nicht noch einmal zu weinen. „Jaa...", brachte er heraus, „Scheint wohl so..."
„Weißt du, Sirius", sagte Birget und sie wirkte wie jemand, der ein unangenehmes Gespräch führen musste – wie damals, als James' Vater den Versuch gestartet hatte, James und Sirius etwas über Sex und den Körper eines Teenagers zu erzählen. „Es... ist in Ordnung, zu trauern. Auch dann, wenn es um eine vielleicht böse oder schreckliche Person geht. Er war dein Bruder. Ihr seid zusammen aufgewachsen."
„Meine Familie ist schrecklich", schnaubte Sirius, „Sie... haben mich nie akzeptiert. Seit ich in Hogwarts nach Gryffindor gekommen bin – vielleicht schon davor. Für meine Mutter war ich wohl nie der Sohn, den sie sich erhofft hatte... dafür war dann Reg zuständig... und jetzt ist er tot. Ich bin da weg, als ich sechzehn war – sie... haben mich enterbt. Aus dem Familienstammbaum herausradiert. Ich bin kein Teil mehr von dieser Familie."
„Ich kenn das", sagte Birget ernst und ihre Stimme klang seltsam distanziert, „Meine Mutter war eine herzliche Dame. Hat viel gelacht – und alle in ihrer Nähe zum Lachen gebracht. Und manchmal war sie auch eine gute Mutter... wenn da nicht der Alkohol war..." Birgets Hände formten sich zu Fäusten, so fest, dass sich ihre Knöchel weiß färbten. „Wenn sie betrunken war – und das war sie meistens – dann wurde sie... gemein. Aggressiv. Beleidigend. Handgreiflich und gewalttätig."
Sirius schluckte schwer, unterbrach Birget war nicht und auch Marty sagte nichts, sondern griff nur über den Tisch hinweg nach Birgets' Hand, noch immer zu einer Faust geballt und sie lockerte diese auch nicht, aber Marty legte seine Hand einfach um die ihre. Es war eine gewohnt sanfte Geste zwischen den beiden - Birget zuckte nicht einmal vor der Berührung weg. Bisher hatte Sirius Birget und Marty als ewige Streithähne kennengelernt, die ihr Leben wohl darauf ausgelegt hatten, den jeweils anderen zu ärgern und zur Weißglut zu bringen.
Nun erkannte Sirius, dass vielleicht nicht immer alles so war, wie es schien.
„Ich bin jung gewesen, als ich gedacht habe: Jepp. Heute bringt sie mich um. Und ich hab solche Angst gehabt, ich bin einfach weg. Da war ich vielleicht neun, glaub ich. Ich weiß es nicht mehr genau", erzählte Birget mit distanzierter, gleichgültiger Stimme und Sirius erkannte, dass er wohl den ganzen Tag über ähnlich gesprochen hatte. „Das war die beste Entscheidung meines Lebens gewesen", sagte Birget, „Ich bin irgendwie ins Camp gekommen und hab dort meine Heimat gefunden. Ein zu Hause. Aber dann, vor ein paar Jahren, da kommt Chiron zu mir und sagt mir, dass meine Mommy gestorben ist. Bei einem Autounfall."
Kurze Stille.
„Und scheiße, hab ich geheult", lachte Birget, aber ihre Stimme brach und sie räusperte sich, „Hab geschrien und geweint. Für diese verdammte Frau, die mir wehgetan hat – neun Jahre lang. Die dafür verantwortlich ist, dass mir immer noch übel wird, wenn ich auch nur Alkohol rieche. Die dafür verantwortlich ist, dass ich beim Geruch von Zigarettenrauch noch immer –" Sie beendete den Satz nicht. „Sie hat sich mit dem Alkohol umgebracht – ist betrunken gegen einen Baum gefahren. Und eigentlich wollte ich mich freuen, dass sie tot ist und sie mir jetzt wirklich nicht mehr wehtun konnte, aber... ich war einfach nur so verdammt traurig. Ich hab an diesem Tag nicht die Frau verloren, die mir wehgetan hat, die mich beschimpft hat, mich gehasst hat, wenn sie betrunken war. Ich hab an diesem Tag meine Mommy verloren, mit der ich seit Jahren nicht mehr gesprochen hatte. Und ich hab nicht einmal die Chance gehabt, mich bei ihr zu verabschieden..."
Wieder Stille. Keiner sagte ein Wort und Sirius sah nur auf seine Hände, die die Tasse mit dem Tee umklammert hielten.
„Scheiße", sagte er schließlich.
„Eine Untertreibung", lächelte Birget, „Aber... verstehst du? Wir können nicht wirklich kontrollieren, um wen wir trauern und wen wir im Leben vermissen, oder?"
„Können wir das trotzdem für uns behalten?", fragte Sirius kleinlaut, „Ich... will nicht, dass die anderen erfahren, dass ich –"
„Wenn du das wirklich willst", unterbrach Birget ihn, „Aber du willst offenbar mit jemanden darüber sprechen – du bist hierher gekommen, weil du reden wolltest, oder? Und es kann nicht schaden, auch mit einem wirklichen Freund – deinem besten Freund – darüber zu reden."
„Ich hab's als erstes von Birget erfahren", erzählte Marty mit einem leichten Lächeln, „Noch vor Ruth oder Laertes. Aber die beiden waren gleich danach dran. Birget hat's sogar Laertes erzählt, dem einen, der eigentlich wenig Mitgefühl und Mitleid für die Leute aus seiner Kindheit zeigt."
„Und sogar Laertes hat es verstanden und mich nicht dafür verurteilt", fügte Birget hinzu, „Aber es ist den Geheimnis, Sirius. Von uns erfährt niemand davon."
Sirius nickte und schluckte schwer.
Er trank seinen Tee aus und eine halbe Stunde später disapparierte er wieder.
Aber nicht nach Hause, sondern zu dem Haus von Lily und James in Godric's Hollow.
Er klopfte und Lily im Morgenmantel und dem Zauberstab in der Hand öffnete.
„Sirius?", fragte sie verwirrt, „Ist alles in Ordnung? Was ist passiert?"
„Ist...", Sirius räusperte sich, „Ist James hier?"
James kam gerade selbst im Morgenmantel und Zauberstab in der Hand die Treppe hinunter, aber als er seinen besten Freund erblickte, entspannte er sich.
„Sirius, was machst du denn hier?"
„Ich... ich muss dir was erzählen", brachte Sirius heraus.
James sagte nichts, musterte seinen Freund nur besorgt. Lily trat zur Seite und ließ ihn herein.
„Es... es geht um Regulus", erzählte Sirius und verfluchte sich selbst dafür, dass er schon wieder zu weinen begann, aber wir Birget gesagt hatte – er konnte es nicht wirklich kontrollieren, „Sie... sie haben ihn umgebracht. Er ist tot."
Sirius' größte Angst in diesem Moment war, dass James ihn aus dem Haus werfen würde und nie wieder mit ihm sprechen würde, weil er um den Tod eines Todessers trauerte. Er hatte Angst, dass sie ihn als einen Verräterbezeichnen würden, weil er seinen Bruder vermisste, obwohl er ihn schon lange nicht mehr gesehen hatte und Sirius ihn davor ja auch nicht vermisst hatte.
Aber natürlich passierte das nicht.
James kam nur die restlichen Treppen hinunter und zog Sirius in eine Umarmung. „Es tut mir so leid, Sirius", murmelte James und drückte Sirius einfach nur ganz fest.
Das war alles, was Sirius im Moment gebraucht hatte und er weinte in den Armen seines besten Freundes, seines Bruders und er trauerte um den Bruder, den er einmal gehabt hatte und hätte haben können in einer gnädigeren Zeit.
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