Der Tod eines Helden
Phillis war auf den Dächern und benutzte ein Fernglas, um ihr Ziel aufzuspüren.
Sie wusste, dass Houdini, Birget und Wesley irgendwo auf dem Boden waren, aber sie hatte sich weiter oben schon immer wohler gefühlt. Manchmal fragte sie sich, ob das Feigheit war – weit entfernt von dem Kampf zu kämpfen, bewaffnet mit einer Waffe, die man nicht kommen sieht.
Aber eine kühle Gleichgültigkeit hatte sich in ihr ausgebreitet. Es war nicht gesund und ihre Mutter hatte sie schon mehrmals besorgt gefragt, ob sie sich auch wirklich wohl fühlte.
Phillis fühlte sich überhaupt nicht wohl.
Sie schlief kaum noch und der Schlafmangel zeigte sich in ihrer sehr kurzen Geduldsspanne und ihren sarkastischen, kurzen, gemeinen Kommentaren auf „dumme" Fragen, sodass sogar Houdini das eine oder andere Mal ein wenig beleidigt gewesen war.
Aber da waren wieder diese Träume, noch verwirrender, als je zuvor.
In diesem Traum hört sie Voldemorts Stimme, wie er gerade donnernd den Todesfluch spricht und dann ist da ein grüner Strahl. Phillis sieht in dem Traum immer nur Fetzen von Bildern, die sie einfach nicht zuordnen konnte und am Morgen waren diese Bilder so schlecht in ihrem Gedächtnis, sie könnte sie nicht einmal so erkennen.
Ein Bein mit Halloween-Socken.
Eine Treppe, die nach oben führte in einen dunklen Gang.
Ein Blick hinaus aus einem Fenster in die Dunkelheit und dann plötzlich ein weißer Blitz.
Aber es war alles so unklar, dass Phillis nicht sagen konnte, was Realität war, war ein Traum (oder Albtraum) und was eine tatsächliche Vorhersage.
Es war manchmal ein wenig so, als würde sie fernsehen, aber sie hatte ein schlechtes Signal.
Trotzdem verstörten sie die Bilder – besonders der Gedanke daran, dass es vielleicht Visionen sein könnten – und sie fragte sich selbst manchmal bis spät in die Nacht hinein, wach liegend in ihrem Bett, was sie tun würde, wenn sie herausfinden würde, dass es tatsächlich Prophezeiungen eines Todes waren.
Vielleicht – das dachte Phillis sich – würde sie sich dieses Mal gegen die Götter und Apollo stellen. Vielleicht – dachte Phillis sich – würde sie dieses Mal die Leute vorwarnen. Ihnen sagen, dass ihnen Gefahr drohte. Dieses Mal – das sagte Phillis sich – würde niemand sterben, wenn sie es verhindern konnte.
Die Götter hatten sie verlassen – warum sollte sie noch auf deren Regeln hören?
Sie hatte eine Gabe, die Gabe der Vorhersehung. Warum sollte sie diese Gabe nicht benutzen, nur weil ihr Vater in dieser Hinsicht ein Kontrollfreak war?
Aber die Träume waren im Moment nicht ihre einzige Sorge – Pirro hatte oberste Priorität.
In einem Traum hatte sie gesehen, wie er von den Todessern verstoßen worden war und demnach war er nun bestimmt irgendwo allein unterwegs.
Es hatte einige Wochen gedauert, aber sie hatten ihn aufgespürt und seine Spur verfolgt – bis nach London.
Und nun kesselten sie ihn ein, wie er sie normalerweise immer eingekesselt hatte. Dieses Mal waren sie nicht nur in der Überzahl (obwohl sie Verluste erlitten hatten), sondern hatten auch noch die Oberhand und waren vorbereitet, während Pirro – nach Houdinis Ansicht – eher verstört und verwirrt sein musste, nachdem sich sein gesamtes Weltbild aufgelöst hatte, als seine Mutter ihn verlassen hatte.
Ein kleiner Teil von Phillis hatte Mitleid mit Pirro.
Er war nur ein Junge, hatte Mutter-Komplexe (wie so viele Demigötter), wollte nur geliebt werden und seine Mutter beeindrucken und hatte dabei den falschen Weg gewählt.
Aber dieser kleine Teil in Phillis wurde von Schlafmangel und Stress übermannt und so fühlte sie absolut nichts, als sie Pirro jagten wie einen Hasen.
Sie erblickte ihn – dort war er.
Er rannte eine Straße entlang und humpelte, wohl noch immer verwundet von der Wunde der Todesser. Er sah auch fiebrig und krank aus – vielleicht hatte sich die Wunde entzündet.
Pirro bog einmal ein und entfernte sich damit von Birgets Standort, wie Phillis durch ihr Fernrohr beobachten konnte, näherte sich aber Houdini.
Phillis schulterte ihren Bogen und änderte ihre Position auf ein anderes Dach.
Sie selbst war eigentlich noch zu weit entfernt, um einen sicheren Schuss garantieren zu können.
Sie hatte schon früher so weit gezielt schießen können, aber sie wusste nicht, ob sie in ihrem derzeitigen Zustand dasselbe erreichen würde.
Sie war so müde und erschöpft, sie wusste eigentlich nicht einmal, wie sie überhaupt noch aufrecht stehen konnte.
Aber im Notfall würde sie schießen müssen und sie würde den Schuss riskieren, damit das alles endlich endete.
Tort musste gerächt werden.
Ihre alte Wunde schieß wieder zu schmerzen, als sie daran dachte, wie Pirro sie verraten hatte und sie von hinten erstochen hatte. Sie dachte daran, für wie viele Tode Pirro letztendlich direkt oder indirekt verantwortlich war und Phillis war sich bewusst, dass keiner von ihnen unschuldig war und sie alle im Laufe des Krieges schreckliche Dinge getan hatten, aber gleichzeitig musste sie sich einreden, dass Pirro kein guter Mensch war.
Irgendwann war er vielleicht einmal ihr Freund gewesen, aber nun war er nur noch diese Person, die sie ausschalten musste. Kühl, kalkulierend, ohne Gefühle.
Wenn sie sich das nicht einredete... Wenn sie von Pirro noch immer als den Jungen bei ihrem ersten Auftrag dachte, würde sie nicht schießen können. Wie sollte Phillis einen Freund töten?
Sie fand eine neue Position und blickte wieder durch ihr Fernglas.
Zu ihrer Erleichterung war Pirro noch immer in Sichtweite und verfolgte genau die Route, die sie gedacht hatte – langsam wurde er vorhersehbar.
Oder es war Schicksal, denn Houdini kam direkt auf ihn zu.
Phillis riskierte es aber. Sie legte einen Pfeil an und zielte.
In ihrem Kopf hörte sie Marty, wie er zu ihr sagte, sie solle etwas höher zielen. Seine Stimme vermischte sich mit der von Apollo, wie er ihr dasselbe riet.
Phillis hatte schon immer ein wenig zu niedrig gezielt.
Schon ihren ersten Pfeil hatte sie zu niedrig angesetzt. Einen kurzen Moment lang fragte sie sich, was passiert wäre, wenn sie damals ihren ersten Pfeil nicht genau in die Mitte der Zielscheibe geschossen hätte. Was wäre passiert, wenn sie daneben getroffen hätte, wenn Marty ihr nicht geraten hätte, etwas höher zu zielen.
Wäre sie dann ebenfalls von Apollo anerkannt worden? Wäre dann das alles passiert? Hätte sie Ruth so kennengelernt, wäre sie auf diesem Auftrag gewesen? Hätte sie ihre Freunde so kennengelernt, wenn sie damals nicht offiziell eine Tochter des Apollo geworden wäre.
Sie spürte, wie sich der Pfeil wieder ein wenig senkte.
Wäre Ruth dann gestorben? Laertes, Marlene, Silas und all die anderen, die für diesen Krieg ihr Leben gelassen hatten?
Phillis schüttelte den Kopf. Sie musste sich konzentrieren.
Das war sowieso schon ein schwieriger Schuss und sie durfte nicht verfehlen!
Das war ihre Chance, das alles zu beenden – es war viel Schlimmes passiert, aber vielleicht würde es aufhören, wenn die Prophezeiung des Orakels erfüllt wurde. Vielleicht musste sich dann nicht die andere Prophezeiung von dieser neuen Wahrsager-Lehrerin erfüllen. Vielleicht würde dann alles wieder in Ordnung sein.
Phillis atmete tief durch und konzentrierte sich. Es existierte nur noch der Pfeil, der Bogen, das Ziel.
Sie hörte ihren Herzschlag in ihren Ohren und ihr Blick fixierte sich auf ihr Ziel – es war nur ein Ziel, kein Mensch.
Sie konnte es schaffen. Sie musste es schaffen.
Ba-tum. Ba-tum. Ba-tum.
Ihr Herz schlug unendlich laut, alles andere war verstummt.
Und dann schloss Phillis die Augen und schoss.
Houdini nahm die Straße links von ihm, bog dann noch einmal rechts ab und stand plötzlich direkt vor Pirro.
Er sah überhaupt nicht gut aus, das erkannte Houdini auch ohne irgendwelche lächerlichen Titel oder eine jahrelange Ausbildung. Jeder Vollidiot hätte erkannt, dass Pirro verletzt war – er humpelte immerhin, selbst ein Blinder hätte das gehört. Außerdem war er sehr bleich und sein Gesicht nassgeschwitzt – wahrscheinlich Fieber, wie Houdini erkannte. Vielleicht eine Nebenwirkung von zu viel Nektar und Ambrosia, vielleicht aber auch eine Nebenwirkung einer entzündeten, unbehandelten Wunde.
Houdini erinnerte sich an verschiedene Momente, an denen seine Begleiter irgendwelche Anzeichen von Fieber gezeigt hatten, weil sie irgendwie verwundet worden waren.
In seiner Kindheit hatte er selten Fieber gehabt und war eigentlich immer ein ziemlich gesundes Kind gewesen, aber einmal hatte er Feber bekommen. Seine Mom hatte es sehr gut kurieren können, aber da war er natürlich krank gewesen und nicht stark verletzt, also konnte er diese beiden Situationen wohl kaum miteinander vergleichen.
Fieber – in dieser Situation – war aber kein gutes Zeichen, genauso wie eine entzündete Wunde kein gutes Zeichen war, immerhin war diese potenziell tödlich, wenn man sie nicht behandelte, das wusste Houdini ohne Titel, aber mit einer allgemeinen Ausbildung aus Camp Half-Blood, wo er die grundlegenden Heilmethoden gelernt hatte.
Ein gutes Zeichen hingegen war, dass Pirro allein unterwegs war.
Natürlich hatte Phillis ihnen allen von ihrem Traum erzählt und deswegen war Houdini sich durchaus bewusst, dass Pirro nun wahrscheinlich kein Teil der Todesser mehr war (was schon immer anzuzweifeln war, immerhin hatten sie unterschiedliche Endziele und nur denselben Feind), aber trotzdem bestand immer die Möglichkeit, dass nach diesem Traum etwas passiert war, das Pirro zurück auf die Seite von Voldemort gezogen hatte.
Solche Träume und Visionen waren nicht sehr vertrauenswürdig, fand Houdini. Besonders, weil Voldemort und Pirro gewusst hatten, dass Phillis sie durch Träume eventuell ausspionieren könnte. Andererseits war Eris nun kein Spieler auf dem Feld mehr, also hatte sich in dieser Hinsicht viel verändert.
Kein gutes Zeichen war, dass Pirro noch immer in Besitz dieser Harpune war, mit der er Phillis tödlich verletzt hatte.
Ein gutes Zeichen war, dass er sie noch nicht gezogen hatte.
Ein schlechtes Zeichen war, dass er gerade im Begriff war, sie zu zücken, aber er schien so schwach, dass seine Bewegungen viel langsamer waren, als Houdini es von ihm gewohnt war.
Houdini war nicht gefühlslos, auch wenn seine Gesichtszüge das manchmal anderen vorgaukelten. Er war durchaus zu komplexen und einfachen Gefühlen und Emotionen in der Lage, konnte diese nur nicht so zeigen, wie sein Nächster.
Trotzdem fühlte er – manchmal mehr, als ihm lieb war.
Und in diesem Moment verspürte Houdini Mitleid diesem Gegner der letzten paar Jahre gegenüber.
Schon häufig hatten sie Pirro angeboten, zurück auf die Seite der Götter zu kommen. Wieder ihr Freund zu sein (oder zumindest ein Verbündeter, denn nach allem, was passiert war, wusste Houdini nicht, ob er Pirro jemals wieder einen Freund nennen konnte). Wieder mit ihnen ins Camp zurückzukehren.
Aber er hatte abgelehnt. Houdini konnte sich verschiedene Gründe vorstellen: Sentimentalität, Angst, Wut, Stolz. Alles lächerliche Gründe, aber im Zusammenhang mit simpel denkenden Menschen immer zu berücksichtigen, wie Houdini die letzten Jahre gelernt hatte.
Aber nun waren sie allein – Houdini war sich bewusst, dass das das erste Mal seit Jahren war, dass sie tatsächlich nur zu zweit waren. Niemand, der Pirro ins Ohr flüstern konnte. Houdini fragte sich, ob sie in dieser Hinsicht schon jemals allein gewesen waren, oder ob Eris ihrem Sohn schon immer ins Ohr geflüstert hatte, welche Streitigkeiten er für sie auslösen sollte.
„Pirro", sagte Houdini ruhig. „Gibt auf. Bitte."
Pirro sah Houdini einen Moment lang wütend an und funkelte ihn voller Hass in den Augen an, als wäre Houdini der Grund für all seinen Schmerz.
Houdini fragte sich, ob Pirro das tatsächlich glaubte – es würde ihn nicht überraschen. Simpel denkende Menschen neigten dazu, anderen gerne die Schuld zu geben, obwohl sie selbst diese zu tragen hatten. In diesem Fall wäre Houdini wohl nur der Einzige, der in der Nähe war und an dem Pirro diese Schuld abschieben konnte. Wäre Phillis statt seiner hier, würde er sie wohl genauso ansehen.
Aber dann änderte Pirro sich. Sein Blick wurde weicher. Er wirkte beinahe schon müde, aber Houdini war sich nicht sicher, ob er diesen Gesichtsausdruck richtig interpretierte. Es war derselbe Gesichtsausdruck, den er in den Gesichtern seiner Begleiter sah. Jedes Mal, wenn Phillis dachte, niemand würde sie ansehen, sah sie genauso müde und verloren aus, wie Pirro in diesem Moment. Jedes Mal, wenn Birget sich eine oder zwei Stunden Schlaf gönnte, sah sie genauso müde aus. Jedes Mal, wenn einer der Zauberer eine weitere schlechte Nachricht hörte, sah er so aus.
Eine tiefsitzende Müdigkeit, die auftrat, wenn man Jahre des unnützen Krieges ohne Ende in Sicht hinter sich hatte. Das Ende war in Sicht – aber nur das Ende des Auftrages, das wusste Houdini.
Tort musste gerächt werden.
Aber Voldemort mordete einfach weiter – das hatte er die letzten Wochen bewiesen. Er hatte sich mithilfe von Eris und Pirro ein kleines Imperium und eine stabile Grundlage aufgebaut und ihre Abwesenheit hatte ihn vielleicht ein wenig abgebremst, aber eigentlich war er immer noch dabei, zu gewinnen.
Das dachte Houdini sich nicht voller Hoffnungslosigkeit. Das war sein Ergebnis von Stunden der Analyse ihrer derzeitigen Lage und ihm war bewusst, dass außer ihm niemand die Lage offiziell so eingeschätzt hatte, aber jedem musste es einfach bewusst sein.
Voldemort und die Todesser waren dabei, diesen Krieg zu gewinnen.
Das Ministerium dieser Zauberer war schon so voller Spione und Anhänger Voldemorts, dass man dort nicht mehr offen gegen ihn agieren konnte, ohne zu riskieren, umgebracht zu werden. Angst wurde verbreitet und jeder fürchtete das Dunkle Mal über den Häusern der Opfer.
Der Orden war zerstreut. Viele mussten sich zu ihrer eigenen Sicherheit verstecken, andere waren erschöpft oder anderswertig beschäftig. Viele waren tot.
Die Demigötter selbst waren wenige. Birget und Phillis waren starke Krieger und Wesley half, wo er nur konnte, aber Laertes und Marty fehlten (und das gab Houdini nicht gerne zu).
Houdini fühlte diese Müdigkeit ebenfalls und er war sich sicher, man konnte sie ihm in seinen Augen ansehen. Er zeigte Gefühle nicht so offen, wie es andere taten, aber Phillis wusste immer mit Sicherheit, wie er sich fühlte und eigentlich ging es ihm nicht gut.
Wahrscheinlich – auf einer psychoanalytischen, hellseherisch-wissenschaftlichen, sozialen Ebene war es Houdinis eigene Schuld. Diese Müdigkeit, dieses Gefühl, auf der Stelle zu treten hatte begonnen, nachdem er einmal mit Albus gesprochen hatte und Houdini ihm gestanden hatte, dass er sich gar nicht vorstellen konnte, nach all dieser Strapazen in sein altes Leben zurück zu kehren und ein letztes Jahr auf der High School zu beenden.
Albus hatte ihm daraufhin angeboten, ein Zertifikat, ein Diplom und Zeugnis zu fälschen, sodass er das letzte Jahr überspringen und sofort in ein College gehen konnte.
Dieser Gedanke hatte Houdini gefallen und sofort hatte er sich Gedanken darüber gemacht, in welches College er gerne gehen würde – ein gutes, das wusste er. Vielleicht sogar lieber eine Universität in England.
Aber der Gedanke, wieder etwas anderes zu lernen, außer Kriegskunst und Kampf – das hatte ihm schon gefallen. Er hatte sich Gedanken darüber gemacht, welche Fächer er belegen würde, was seine Interessen waren, wie er vielleicht sogar mehr Fächer als gewöhnlich belegen könnte, immerhin merkte er sich alles, das er einmal aufnahm.
Und dann war ihm die Zeit nach dem Krieg gar nicht mehr so fremd vorgekommen, sondern sogar erstrebenswert.
Vielleicht war Pirro ebenfalls so weit, dass eine Zeit nach dem Krieg erstrebenswert war.
„Komm mit mir – mit uns", bat Houdini ihn. Er flehte nicht. Bettelte nicht. Es war ein rationaler Vorschlag für Pirro und die logische Schlussfolgerung wäre, dass Pirro annahm. „Lass den Krieg hinter dich, so wie deine Mutter."
Pirro zögerte – Houdini verstand nicht, warum er überhaupt zögerte. Jeder andere hätte sofort angenommen. Jeder Mensch mit ein wenig Verstand hätte sofort angenommen. Selbst Birget hätte sofort angenommen!
Aber Pirro zögerte.
Dann lächelte er und Houdini war sich unsicher, ob es ein gemeines oder ein trauriges Lächeln war, die konnte er so schwer unterscheiden.
„Es tut mir leid, Hou", sagte Pirro dann leise, „aber das geht nicht..."
Houdini blinzelte verwirrt und war sich sicher, empört auszusehen. Auf jeden Fall fühlte er sich empört.
„Oh, und was genau hindert dich daran?", fragte Houdini in einem sarkastisch-spöttischen Ton, „Irgendein Komplex? Oder schon wieder Angst?"
„Es ist...", Pirro zögerte, als würde er zum ersten Mal in seinem Leben über seine Worte und Taten nachdenken, „... es ist einfach zu spät für mich. Ich habe nicht das Gefühl, als wäre da draußen etwas für mich... ich habe mich getäuscht."
„Da kann ich nicht widersprechen, du hast eine Menge dummer Sachen getan", schnaubte Houdini spöttisch, „aber vielleicht könntest du doch etwas spezifischer werden?"
„Ich bin nicht die Hauptperson in dieser Geschichte", sagte Pirro leise, „Das war ich nie... ich bin der Bösewicht. Und wenn das Gute gewinnt, dann vergeht das Böse, oder nicht?"
„In dämlichen Kindergeschichten", schnaubte Houdini abfällig.
„In dem Buch von deinem Großvater schon, findest du nicht?"
Houdini stutzte – und das passierte nicht oft. „Du... hast es gelesen?"
Pirro lächelte leicht. „Natürlich. Es ist von deinem Großvater! Es war die Hölle mit meiner Leseschwäche und weil ich keine spanische Version gefunden habe, aber... ich glaube, ich habe es trotzdem verstanden. Und deswegen weiß ich auch, dass es hier keinen Platz mehr für mich gibt. Selbst wenn es mir – uns – gelingt, das Auenland zu retten, wird es für mich niemals gerettet sein... wie für Herr Frodo."
„Was willst du dann machen?", fragte Houdini unsicherer, als er sich fühlen wollte. Er hasste das Gefühl von Unsicherheit.
Pirro antwortete nicht auf seine Frage. Er sah nur so aus, wie Houdini sich normalerweise fühle – besserwisserisch und allwissend. Klar den Tatsachen gegenüber, die anderen verborgen blieben.
„Passt auf das Kind auf", warnte Pirro ihn, „Ich habe den Dunklen Lord dabei belauscht, wie er etwas von einem Kind, geboren Ende Juli, gesprochen hat. Ich weiß, dass Leute auf eurer Seite Kinder haben... sie sollten auf sie achtgeben. Das haben Kinder verdient."
Houdini wusste ausnahmsweise einmal nicht, was er dazu sagen sollte.
„Und ich hoffe, Phillis verzeiht mir irgendwann", sagte Pirro nun, „und... du auch..."
„Ich verzeihe dir, wenn du jetzt aufhörst, dich so dämlich zu benehmen", schnaubte Houdini.
Pirro lächelte.
Und plötzlich zuckte er zusammen, als hätte ihn jemand geschlagen.
Er trug ein dunkles, kurzärmliges T-Shirt, aber trotzdem sah Houdini im Sonnenlicht, wie sich ein dunkler, nasser Fleck auf seiner Brust ausbreitete.
Wie in Trance stolperte Houdini vor und find Pirro auf, bevor dieser zu Boden fallen konnte. Mittlerweile war Houdini genauso groß, wie Pirro und er find ihn auf, konnte ihn sanft zu Boden legen.
Da bemerkte Houdini auch den Pfeil, der Pirro durchbohrt hatte und er erkannte, dass er Phillis gehörte.
Gefühle waren schwierig für Houdini, aber er verstand, dass er Schmerzen hatte, als Pirro sterbend zu ihm aufblickte und Houdini ihn in seinen Armen hielt und sein weißes Hemd mit dem Blut von Pirro besudelt wurde, während Pirro sein Leben aushauchte.
Houdini traten Tränen in die Augen, aber er weinte nicht wirklich.
Aber da war Schmerz und Schmerz war irgendwie immer ähnlich, aber der Schmerz, einen Freund zu verlieren, der gefiel Houdini am allerwenigsten.
Eine Träne rann über seine Wange und Houdini wischte sie wütend weg. Er war Houdini, er weinte doch nicht!
Aber dann erinnerte er sich an eine Zeile in dem Buch seines Großvaters. „Ich will nicht sagen, weint nicht", wisperte er, mehr zu sich selbst, als Pirro in seinen Armen starb und Houdini weinend seine Augen schloss, „denn nicht alle Tränen sind von Übel... Gute Reise, Pirro."
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top