Der Junge, der überlebte

Marty und Phillis sprachen es nie offen aus – nicht einmal untereinander – aber als der Sohn von Alice und Frank Longbottom geboren wurde, fühlten sie eine seltsame Schuld.

Dieser kleine Junge – Neville war sein Name – würde wohl das Schicksal der Zaubererwelt bestimmen. In seinen kleinen Händen lag das Schicksal von tausenden und dabei konnte er noch nicht einmal klar sehen.

Aber ein Teil von Phillis – und sie hasste sich selbst dafür, dass es diesen Teil überhaupt gab – war erleichtert, dass es Neville war, den die Prophezeiung wohl meinte.

Lily war hochschwanger und Marty meinte, dass es schon in ein paar Wochen Zeit wäre, aber da würde der Juli schon vorbei sein. Es war nicht das Kind von Lily und James Potter.

Phillis mochte Alice und Frank, aber mit Lily und besonders James hatte sie doch mehr Kontakt gehabt und sie wollte sich gar nicht vorstellen, was gewesen wäre, wenn sie ihren Freunden hätte beibringen müssen, dass es über ihr neugeborenes Kind eine Prophezeiung gab.

Es war der letzte Tag des Julis und es war ruhig. Sie saßen zusammen im Wohnzimmer. Phillis spielte Klavier, Birget schärfte ein Messer, das sie in ihrer Prothese verstecken konnte, Marty feilte seine Nägel und Laertes schlief in seinem Schoß, während Houdini und Wesley verschiedene Zeitungen nach interessanten Artikeln durchsahen.

„Woher kenne ich den Namen Crouch?", fragte Houdini.

„Pirro hat in Perth seine Mutter abgestochen", erinnerte Phillis ihn, „während unseres Auftrags."

„Aja", murmelte Houdini nur – er erinnerte sich wohl, ordnete diese Information ein und machte dann mit seinem Leben weiter.

„Was hat er gemacht?", fragte Phillis neugierig.

„Offenbar ist es diesen Auroren nun erlaubt, unverzeihliche Flüche an Todessern anzuwenden", sagte Houdini locker, als wäre es ganz alltäglich.

Phillis drehte sich auf dem Hocker am Klavier um und musterte Houdini stirnrunzelnd. „Wirklich?"

Houdini sah von der Zeitung auf. „Jepp – warum?"

„Er hat Todesser damit mehr oder weniger zum Abschuss freigegeben", erklärte Phillis, „Ist das nicht etwas... ich weiß auch nicht... hart?"

„Ist ja nicht so, als würden wir schon seit Monaten so zielen, dass wir potenziell auch töten", erinnerte Birget sie.

„Auch wieder wahr...", murmelte Phillis. Trotzdem passte es in ihrem Kopf nicht ganz zusammen – bisher waren es immer Todesser gewesen, die die Unverzeihlichen Flüche benutzten – das hatte sie von den „Guten" abgetrennt. Aber wer bestimmte schon, wer gut und wer schlecht war?

Letztendlich waren sie alle grau.

Jemand klingelte an der Tür, aber bevor auch nur jemand aufstehen konnte, klingelte es noch einmal und dann gleich noch einmal.

Jemand schien es besonders eilig zu haben und Phillis sprang auf, um zur Tür zu eilen.

Sie hielt einen Pfeil in der Hand, bereit, jemanden abzustechen, sollte sie an der Tür angegriffen werden, aber dort stand James.

Er sah gestresst aus, beinahe schon aufgebracht.

„Phillis! Es kommt!"

Phillis runzelte verwirrt die Stirn. Was sollte kommen? Hatte sie etwas bestellt?

„Was meinst du?", fragte sie.

„Es kommt!", wiederholte James panisch und er atmete zu schnell – das erkannte Phillis als die halbe Heilerin, die sie war, „Es kommt! ES KOMMT!"

„Was kommt?", fragte Phillis frustriert.

Aber da kam Marty schon um die Ecke geschliddert und im Laufen zog er sich irgendwie seine Schuhe an. „Es kommt!", rief er nun auch aufgeregt, „Es kommt!"

Da dämmerte es Phillis erst, was James meinte. „Das Baby! Das Baby! Es kommt!"

„Es kommt!", rief James aufgeregt.

„Reiß dich zusammen, Jamie!", verlangte Marty, „Bring mich zu Lily!"

„Klar! Klar! Klar!", wiederholte James immer wieder und ließ sich von Marty über die Apparier-Schutz-Grenzen des Hauses bringen, „Klar! Halt dich fest!"

Marty hielt sich fest und James disapparierte mit Marty.

Phillis drehte sich um, ohne die Haustür zu schließen und rannte ins Wohnzimmer zurück. Sie riss Kissen vom Sofa und verfluchte sich selbst und ihre Unordentlichkeit. Wo war ihr Zauberstab?

„Was ist passiert?", fragte Birget.

„Lily bekommt ihr Baby", erklärte Phillis kurz und jubelte triumphierend, als sie ihren Zauberstab zwischen den Ritzen des Sofas fand, „Aha! Ich gehe hin – passt auf das Haus auf!"

„Phillis, warte –", wollte Houdini sie aufhalten, aber Phillis war schon nach außen geeilt, über die Grenze und disapparierte selbst.

Phillis disapparierte nicht oft und der Grund war, dass sie meist zu abgelenkt war, um zu disapparieren, aber dieses Mal war es ein Notfall – das Mini-Sonnenmobil wäre nicht schnell genug gewesen.

Besonders wenn man die Umstände beachtete, sollte man wohl hinzufügen, dass sie ziemlich effizient apparierte und nur eine halbe Augenbraue zurückließ, die mit einem einfachen Zauber wieder nachwachsen konnte.

Sie eilte durch die Straßen von Godric's Hollow zum Haus der Potters und dort klopfte sie hämmernd an die Tür, ähnlich wie James zuvor.

Es war Remus, der ihr öffnete und sie eilig nach drinnen scheuchte.

„Sie sind oben", sagte er zu ihr.

„Ich bin eigentlich nicht hier, um zu helfen", gestand Phillis, „Eigentlich bin ich als mentale Unterstützung gekommen und um genauso in Panik zu verfallen, wie alle anderen."

„Oh, ich hab nur gedacht, dass... du weißt schon...", Remus fuchtelte mit den Händen in der Luft herum, „Nachdem Marty und du immer ein Team seid, wenn es um solche Dinge geht..."

„Ich habe noch nie bei einer Geburt geholfen!", rief Phillis aus, „ich will da nicht helfen!"

„Phillis! Bist du auch endlich hier?", schrie Marty von oben, der sie wohl gehört hatte, „Beweg deinen Hintern hier hoch, Hintern!"

Phillis sah Remus leidend an, der ihr mitleidig auf die Schulter klopfte. „Du schaffst das schon", versicherte er ihr, klang dabei aber etwas zu spöttisch für Phillis' Geschmack.

„Oh, ich hasse ich", zischte Phillis und verdrehte die Augen, bevor sie die Treppen nach oben lief.

Sie musste nicht nach dem Weg fragen – Lily klang überhaupt nicht begeistert von den noch eher weit auseinandergelegenen Wehen.

Phillis schaute um die Ecke und lächelte gequält. „Hey!", begrüßte sie die Anwesenden – James, Lily und Marty – etwas zu heiter.

Als Antwort schrie Lily sie an.

„Sehr gut, Lily, Schätzchen", munterte Marty sie auf und tätschelte ihr auf die Hand, die er hielt, drückte diese dann aber James in die Hand, „Immer weiter atmen, Lily – ich muss nur kurz etwas mit Phil besprechen! Bin gleich wieder hier!"

„Verlass mich nicht", bettelte James mit flehenden Blick, aber Marty eilte eilig zur Tür hinaus und schloss diese hinter sich, damit James und Lily nicht zuhören konnten.

Sobald er außer Sicht war, verdüsterte sich sein Blick sichtlich – sehr ungewöhnlich für Marty. Auch Phillis sah Marty ernst an – sie wussten beide, was der jeweils andere dachte.

„Es läuft alles... prima", sagte Marty langsam, „Die letzten paar Stunden des Julis..." Marty schaute auf seine Uhr und fluchte. „Götter, ich sag das nicht oft, aber ich hoffe, dass Lily eine lange Geburt vor sich hat – mindestens acht Stunden lang. Ansonsten kommt dieses Kind noch im Juli zur Welt."

„Können wir es irgendwie herauszögern?", fragte Phillis leise.

Marty schüttelte den Kopf. „Ich tu schon mein bestes, aber... ich werde nicht Lilys Leben oder das des Kindes riskieren..."

Phillis nickte geschlagen. „Ich... ich werde unten ein Feuer anzünden und Artemis um Unterstützung beten", schlug sie vor, „Als Göttin der Geburt kann sie das alles vielleicht ein wenig... beeinflussen?"

Marty verzog das Gesicht – auf die Götter konnte man sich nicht verlassen, besonders nicht dann, wenn man sie brauchte. Trotzdem nickte er. „Mach das." Lily schrie wieder und James rief nervös: „Marty?"

„Ich geh wieder rein", meinte Marty leise, „Ich rufe dich, sollte ich dich brauchen."

Phillis ging nach unten und Remus wartete dort mit Remus und Peter am Fuß der Treppe.

„Und?", fragte Sirius und er klang sehr unsicher.

„Oh, alles gut", winkte Phillis ab und versuchte zu lächeln, aber es gelang ihr wohl nicht so wirklich, denn die drei Rumtreiber sahen sich zweifelnd untereinander an. „Marty macht das gut, Lily geht es gut – alles ist gut!"

Phillis ging an den dreien vorbei und wie verlorene Welpen folgten sie ihr in die Küche. Phillis begann Schränke zu öffnen auf der Suche nach etwas, das Artemis als Opfer gefallen könnte.

„Suchst du... etwas bestimmtes?", fragte Sirius unsicher, „Was braucht man für eine Geburt? Wasser? Da ist der Wasserhahn..." Sirius deutete auf den sehr offensichtlich platzierten Wasserhahn.

„Hm... nein", lehnte Phillis ab, „Remus, bringst du mich einmal zu mir nach Hause?"

„Klar."

Keiner hinterfragte es – jeder wusste, dass Phillis nicht oft apparierte und warum.

Die Demigötter, die zu Hause geblieben waren, waren wohl gerade dabei, mit dem Mini-Sonnenmobil nachzukommen, als Phillis und Remus apparierten.

„Phil! Wie läuft es?", fragte Birget sofort.

„Gut, alles gut", winkte Phillis noch etwas neben der Spur ab, „Ihr müsst nicht kommen – alles ist gut."

„Was brauchst du?", fragte Laertes, „Braucht Marty etwas?"

Phillis zögerte einen Moment. „Ich... suche Dinge für ein Opfer an... Artemis."

Es war nicht klug, diese Göttin vor Laertes und Birget zu erwähnen – aus gutem Grund.

Sofort verdüsterte sich Birgets Blick und auch Laertes Blick wurde kühl.

„Spar dir das", schnaubte Birget abfällig, „Die kann nicht einmal helfen, wenn es sie interessiert."

„Birget!", tadelte Phillis sie aufgebracht, „Kannst du solche Dinge vielleicht nicht sagen, wenn eine Freundin in den Wehen liegt?"

Birget wirkte noch immer nicht begeistert, sagte aber nichts mehr, während Phillis ins Haus eilte und dort willkürlich ihren Köcher und ihren Bogen einpackte und dann in der Küche ein paar Dinge einpackte, die haltbar waren. Trockenfleisch, Trockenfrüchte, noch mehr Trockenfleisch und eine Dose mit Suppe.

Sie warf alles in einen Rucksack und eilte wieder nach draußen, wo Remus auf sie gewartet hatte.

„Gehen wir!", verlangte sie und Remus kümmerte sich nicht darum, dass Birget wohl noch protestieren wollte und disapparierte wieder.

Zurück im Haus der Potters entzündete Phillis in deren Kamin ein Feuer und kniete sich davor.

„Können wir... irgendwie helfen?", fragte Peter unsicher.

„Keine Ahnung – schon einmal gebetet?", fragte Phillis zurück, „Einfach nur... beten? Denken? Bitten? Flehen?"

„Darin bin ich nicht gut", gestand Sirius.

„Ich eigentlich auch nicht", schnaubte Phillis, „aber es ist wichtig, dass alles so funktioniert, wie wir es wollen."

„Die Geburt läuft also doch nicht gut?", fragte Peter panisch, „Geht es ihnen nicht gut?"

„Oh doch, alles läuft perfekt", versicherte Phillis ihnen, „Das ist ja das Problem..."

Natürlich wussten sie nicht, was genau das Problem war und dass Phillis und Marty einfach nur verhindern wollten, dass das Kind im Juli geboren wurde, da es sonst möglich war, dass eine Prophezeiung für es bestimmt war, aber das konnte Phillis ihnen natürlich nicht sagen.

Sie warf etwas Trockenfleisch ins Feuer und bittete Artemis darum, dass es eine lange Geburt wurde – so wie die Geburt der Zwillinge, weil Hera ihrer Mutter nicht erlaubt hatte, auf irgendeinem Land zu gebären und sie deswegen auf die Insel Delos fliehen musste.

Dann warf Phillis noch einen Pfeil ins Feuer – Pfeile waren gut. Pfeile gefielen Artemis – so hoffte Phillis jedenfalls.

Die anderen waren leise. Remus hatte sich neben Phillis gekniet, wirkte aber sehr unsicher – wie jemand, der betete, ohne wirklich zu wissen, warum oder ob es funktionieren konnte.

Langsam trudelten auch noch andere Freunde von Lily und James ein und auch die anderen Demigötter, die sich alle im Wohnzimmer versammelten.

Die Stunden vergingen und Phillis glaubte schon, dass es funktioniert hatte – dass Artemis auf sie gehört hatte und das Kind wirklich erst im August zur Welt kam...

Aber dann kam Marty herunter und er versuchte wohl zu lächeln, aber es gelang ihm nicht wirklich.

James aber, der kurz hinter ihm kam, strahlte breit und wirkte wie der glücklichste Mann der Welt.

„Ein Junge!", rief er, „Es ist ein Junge!"

Die Anwesenden jubelten und klatschten, fielen sich um die Hälse und James' Freunde eilten sofort zu ihm, um ihm zu gratulieren.

„Lily geht es gut", verkündete Marty, „und dem Baby auch."

„Harry!", rief James, „Wir nennen ihn Harry! Harry James Potter!"

„Wie wundervoll!", rief Sirius begeistert, „Obwohl du ihn gerne nach mir hättest benennen können, du Egoist."

„Du bist schon sein Pate, da haben wir uns gedacht, er muss nicht auch noch mit deinem Namen bestraft werden", scherzte James.

„Meinst du das ernst?", fragte Sirius ungläubig, „Ich... Pate?"

„Klar doch, Tatze", grinste James und umarmte Sirius fest, „Ich würde dir mein Leben anvertrauen – und auch das Leben meines Sohnes."

Es wurde gefeiert und gelacht, aber Marty drängte sich durch alle hindurch zu Phillis, die noch immer beim Kamin stand und mit ausdrucksloser Miene ins Feuer starrte.

„Sie... hat uns nicht erhört", sagte Phillis matt, „Sie hat nichts getan..."

„Vielleicht war es Harry bestimmt, heute geboren zu werden", sagte Marty leise, aber auch er wirkte bei dieser Aussage nur halbherzig – er klang wie jemand, der immer alles gut reden wollte, aber schon zu oft enttäuscht worden war.

„Ich habe Artemis einmal bewundert... wollte den Jägerinnen beitreten", gestand Phillis leise, „Jetzt... jetzt bin ich nur... traurig... verlassen..."

Marty legte einen Arm um ihre Schultern und drückte sie an sich. „Ich weiß..." Mehr sagte er nicht – nichts, das er hätte sagen können, hätte etwas besser gemacht.

Es war nicht so, als hätten sie ein Wunder von Artemis verlangt. Sie hatten vergleichsweise um eine Kleinigkeit gebeten, aber sie waren ignoriert worden.

Und nun stand Harry James Potter eine unbekannte Zukunft voraus, aber Phillis konnte sich einfach nicht vorstellen, dass sie gut werden würde. Nichts würde so laufen, wie sie hofften. 

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