Belagerungs-Blues

Sie landeten in der Nähe von dem kleinen, provisorischen Lager, das Birget, Marlene, Caradoc und Moody inzwischen aufgebaut hatten. Eigentlich war es nicht wirklich ein Lager – sie standen nur zusammen und versuchten sich irgendwie mit magischen Regenschirmen aus ihren Zauberstäben vor dem Wasser von oben zu schützen, aber mit wenig Erfolg. Ihr Gepäck hatten sie auf einen Haufen in ihre Mitte geworfen – es war wohl zu schwer gewesen, um es einfach zu tragen.

Wie eine echte Busfahrerin bat Phillis alle, sitzen zu bleiben und sie öffnete die Tür, damit Birget und die klatschnassen Zauberer (das wäre ein guter Name für eine Band) einsteigen konnten.

„Alles ruhig", sagte Birget ernst zu Phillis, bevor diese fragen konnte, „Im Dorf hat sich nichts gerührt – außer natürlich der Horde an Zombies, die noch immer dort warten. Wahrscheinlich können sie uns riechen."

„Oder sie haben keine eigenständigen Gedanken und reagieren nur auf Bewegung innerhalb des Grenzkreises. Nur wenn jemand innerhalb der Grenze ist, bewegen sie sich aus – in Richtung ihres Opfers", schlug Phillis vor.

„Das wird sicherlich zu einem Problem, wenn der Kreis sich ausweiten sollte", murmelte Birget ihre Bedenken.

„Dann bereite du sie darauf vor", Phillis stand vom Sitz auf und klopfte Birget auf die Schulter, „Ist er noch draußen?"

„Nein, er hat sich von diesen Dingern fressen lassen", schnaubte Birget sarkastisch, „Natürlich ist er noch draußen! Er verschwindet ja leider nicht einfach!"

Phillis antwortete nichts darauf, sondern nahm nur das Erdnussbutter-Sandwich, das ihre Mum gemacht hatte und suchte sich dann zwischen all den Passagieren hinten ihren Weg zu ihrer Gitarre.

„Was passiert jetzt, Phil?", fragte James laut.

Phillis nahm ihre Gitarre und nahm dann auch noch den knallgelben Schirm an, den Marty ihr wissend hinhielt. „Keine Ahnung. Birget führt das Briefing! Seid nett und hört zu!"

Und dann ließ Phillis sie im Stich.

Sie verließ den Bus und schützte sich teilweise mit ihrem Schirm vor dem starken Regen, während sie Ausschau nach Houdini hielt.

Er war nicht wirklich zu übersehen.

Es war auch nicht zu übersehen, dass er sich miserabel fühlte.

Zugegeben, als Phillis sich neben ihn in den Dreck setzte, sah sie, dass er wie immer einen absolut teilnahmslosen und gleichgültigen Blick im Gesicht hatte, aber das änderte nichts daran, dass Phillis trotzdem erkannte, dass er sich nicht gut fühlte.

Schon allein die Tatsache, dass er einfach im Regen im Dreck saß, hieß so einiges.

„Mum hat ein Erdnussbutter-Sandwich für dich gemacht", sagte Phillis zu ihm – in ihren Augen eine perfekte und durchaus akzeptable Begrüßung. Sie hielt den knallgelben Schirm über sich und Houdini, obwohl er schon klatschnass war, aber wenigstens würde der Regen nicht weiter auf ihn eintrommeln, wie winzige, kleine, eiskalte Schläge.

Houdini nahm das Sandwich von Phillis an und untersuchte es wortlos. Manchmal sprach Houdini nicht gerne. Dann wirkte er irgendwie... distanziert von der Welt, als wären all seine Gedanken zu viel auf einmal und als wäre er nicht nur in einer anderen Welt, sondern einer ganz anderen Dimension mit anderem Verständnis für Zeit, Raum oder soziale Normen.

Niemand sah das jemals bei Houdini.

Niemand außer Phillis, wenn sie allein in ihrem Zimmer waren und es sich manchmal so anfühlte, als wäre Phillis ganz allein in ihrem Zimmer.

Das passierte selten – eigentlich nur nach Tagen, an denen Houdini viel Stress ausgesetzt gewesen war und er dann irgendwann das Gefühl hatte, sicher genug zu sein, um diesen ganzen Stress zu verarbeiten, fern von den Blicken von Leuten, denen er nicht vertraute oder die dann zu laut waren und ihn noch mehr stressten mit ihren Streitereien oder Beschwerden.

Deswegen war es für Phillis nur zum Teil seltsam gewesen, als Houdini sich von allen anderen zurückgezogen hatte und es bevorzugt hatte, im Regen allein zu sitzen, statt mit Birget und den Zauberern. Phillis hatte ihm angeboten, mit ihr mitzufliegen, aber er hatte sie ignoriert oder war tatsächlich schon zu weit weg gewesen, um sie zu hören oder zu realisieren. Mit den Gedanken ganz woanders war es bestimmt schwer, den Halt mit der Realität nicht zu verlieren.

Aber mittlerweile schien es Houdini wieder ein wenig besser zu gehen. Immerhin reagierte er auf Phillis, wenn auch noch nicht verbal.

Houdini untersuchte das Sandwich, musterte kritisch die abgeschnittenen Rinden und zog dann die beiden Weißbrotscheiben mit einer Konzentration auseinander, als würde er am offenen Herzen operieren.

Houdini starrte auf die beiden separaten Scheiben (eine noch mit Erdnussbutter, die andere nur mit wenigen Resten darauf, die klebengeblieben waren), als hätten sie ihn beleidigt. Amüsiert fragte Phillis sich, ob schon einmal jemand so voller Abscheu und Ekel angesehen worden war, wie Houdini gerade diese beiden Brotscheiben ansah, und das, obwohl sich mimisch an seinem Gesicht eigentlich kaum etwas veränderte. Man spürte es regelrecht in der Luft, dass Houdini mit diesem Sandwich unzufrieden war.

„Ich denke, ich sollte sagen, dass das nett von deiner Mutter gewesen ist", sagte Houdini schließlich seufzend, „aber sie hat das Sandwich absolut falsch gemacht! Meine Mom schmiert die Erdnussbutter immer dünn – manchmal auch dick, wenn es ein Aufmunterungserdnussbutter-Sandwich werden sollte, was dieses hier vermutlich darstellen soll, nachdem ich dir erst vor drei Tagen von den Aufmunterungserdnussbutter-Sandwiches zu Hause erzählt habe – auf beide Hälften und klebt sie zusammen. Deine Mutter hat sie nur auf eine Hälfte geschmiert."

„Ich werde es ihr beim nächsten Mal ausrichten", versprach Phillis schulternzuckend, „Aber eine Hälfte ist essbar, oder nicht?"

Houdini musterte die mit Erdnussbutter beschmierte Brotscheibe kritisch und nickte dann kurz. „Ja. Die ist tolerabel. Wenigstens sind die Ränder abgeschnitten... die mag ich nicht." Phillis grinste bei dem Gedanken, dass man selten ein Kompliment von Houdini hört – und diese eine Weißbrotscheibe mit Erdnussbutter war Teil des kleinen Kreises.

Houdini hielt Phillis die andere Scheibe hin – die ungeliebte, die verstoßene, die imperfekte Scheibe ohne Erdnussbutter.

Phillis mochte sie trotzdem und aß sie. Sie hätte etwas essen sollen, als sie zu Hause gewesen ist...

Houdini aß inzwischen das Erdnussbutter-Sandwich, das nicht mehr wirklich ein Sandwich per se war, aber aus Mangel an Alternativen würde Phillis, die Tochter des Gottes der Dichtkunst, es weiterhin ein „Sandwich" nennen.

Houdini beim Essen zuzusehen war immer etwas verstörend. Man war sich dann nie sicher, ob man es mit einem kleinen Pavian oder doch einem Kind zu tun hatte. Auf jeden Fall folgte er bei jeder Mahlzeit einem bestimmten Ritual, das Phillis noch nicht ganz entziffert hatte.

Im Falle des Sandwiches kratzte Houdini mit seinem Zeigefinger Erdnussbutter von der Scheibe und aß diese einfach so. Wenn er dann einen Teil freigelegt hatte, aß er auch das Weißbrot, wobei er bei diesem immer winzige Stückchen abzupfte, diese zwischen Zeigefinger und Daumen komprimierte und zu einer kleinen Kugel formte, die er dann aß.

Irgendwann, zwischen diesen rituellen Schritten, begann Houdini zu sprechen. „Ich bin nicht schuld daran, dass wir heute beinahe gestorben sind."

Phillis hatte sich schon gedacht, dass ihn das beschäftigte. Houdini sprach es zwar wie eine Tatsache aus, aber eigentlich – tief in seinem Inneren – war es eine unsichere Frage.

„Wir hätten selbst besser aufpassen können", antwortete Phillis also, „Die Inferi haben sich an uns heranschleichen können – wir sind unachtsam gewesen. Du hast sie früher bemerkt und hättest uns auch früher warnen können, aber letztendlich sind wir für uns selbst verantwortlich – zu einem Teil. Besonders wenn es darum geht, Gefahren zu bemerken."

„Aber in einem Team sollte man sich auch aufeinander verlassen können", warf Houdini ein und kratzte Erdnussbutter von der Brotscheibe.

„Wenn wir uns als Team auf das Team verlassen, passt niemand mehr auf", erwiderte Phillis, „Wenn wir uns zu sehr auf andere verlassen, vergessen wir, auf uns selbst zu achten. Hast nicht du mir einmal gesagt, dass ich am besten immer alles selbst prüfen sollte, bevor ich es als ein – welches Wort hast du benutzt? – Faktum! akzeptiere?"

„Ich hab das im Zusammenhang mit meiner Doktorarbeit gesagt", schnaubte Houdini, „nicht bei einer lebensgefährlichen Mission."

„Einigen wir uns darauf, dass wir alle Fehler gemacht haben", schlug Phillis vor, „Du hättest uns warnen können, aber wir hätten auch selbst achtsamer sein können. Wir sollten daraus lernen und uns verbessern."

„Sehr inspirierend." Da war wieder der sarkastische Houdini.

„Ich hab so meine Momente", grinste Phillis, „Aber mach du dir keinen Kopf mehr darüber – wir brauchen dich bei klarem Verstand."

„Ansonsten hat ja niemand überhaupt Verstand", stimmte Houdini nickend zu. Phillis lachte. „Du hast die anderen abgeholt?", fragte Houdini nach – er war wohl wieder bei Verstand und schon mitten in der Mission. Sichtlich zufriedener saß er die letzte Weißbrot-Kugel auf und konnte sich wieder auf den Auftrag konzentrieren.

„Insgesamt siebzehn Leute vom Orden und wir sechs sind hier", brachte Phillis ihn auf den neuesten Stand, „Also..." Phillis brauchte für diese einfache Addition wohl zu lange.

„Dreiundzwanzig", sagte Houdini, „Hätten sie nicht auch noch einen vierundzwanzigsten mitschicken können, dann hätten wir sie wundervoll durch drei teilen können!"

„Wir könnten auch einfach zwei wieder nach Hause schicken, dann wären es nur noch einundzwanzig", grinste Phillis.

„Ich bin überrascht, dass du das kleine Ein-Mal-Eins überhaupt beherrschst, Phillis, aber das ist eine lächerliche Idee... wenn auch verführerisch", winkte Houdini ab, taub gegenüber dem Sarkasmus „aber wir brauchen die Menge mehr als runde Zahlen."

„Bist du sicher?", grinste Phillis neckisch.

„Halt die Klappe."



Als Phillis und Houdini sich den anderen wieder anschlossen, beendete Birget gerade ihren Vortrag über den sicheren Umgang mit Handgranaten.

„Wir haben uns auf ein Drei-Wachen-System geeinigt", sagte Laertes zu den beiden, als sie näherkamen. Er sprach Houdini nicht auf sein Verhalten zuvor an oder ließ sich auch nur annähernd anmerken, dass ihnen etwas aufgefallen war. Er fragte nicht, ob es ihm wieder besserging oder was gewesen war und das war genau das, was Houdini in diesem Moment brauchte.

„Also immer drei Leute, die aufpassen?", fragte Houdini nach, „Glaubst du, die Zauberer schaffen das?"

„Es ist sicher", gestand Wesley, „Wenn einem der drei Teams etwas auffällt, schickt einer rote Funken in die Luft – so haben wir es ausgemacht. Einer muss also immer den Blick für diese Funken offenhalten, während die anderen beiden die Umgebung im Auge behalten können. Und zwei sind auf jeden Fall effizienter, als nur einer."

„Für ein paar Tage geht das", stimmte Phillis nachdenklich zu, „Was sagt der Wetterbericht? Wie lange regnet es noch?"

„Heute noch und morgen auf jeden Fall", antwortete Marty ihr, „Vielleicht noch übermorgen, aber sobald es nicht mehr so stark regnet, können wir mit den Vorbereitungen schon anfangen."

Ihr Plan war es tatsächlich, das ganze Dorf einfach niederzufackeln. Es war zwar zerstörerisch, aber effizient und schnell und Überlebende aus dem Dorf gab es sowieso keine, die ihren Häusern und Besitztümern nachtrauern würden.

„Birget teilt die Teams ein", erzählte Laertes, „Ich werde ein paar Vorräte holen gehen. Birget hat ihnen gezeigt, wie man einen Molotowcocktail zusammenbaut, also sollten die Zauberer damit jetzt auch umgehen können. Wir brauchen Brennmaterial, Nahrung und Wasser."

„Ich habe in meinem Rucksack Geld", bot Phillis an.

Laertes sah sie verständnislos an. „Ich soll dafür bezahlen?" Was hatte Phillis schon vom Sohn des Hermes erwartet.

Sie seufzte. „Ja! Das ist ziemlich viel, das wir einkaufen müssen, immerhin sind wir dreiundzwanzig Personen! Du kannst nicht so viel stehlen!"

Können im Sinne von moralisch-nicht-können oder eher ich-habe-nicht-die-Fähigkeiten-dazu-können?", fragte Laertes grinsend.

„Bitte bezahl es einfach", bettelte Phillis schon beinahe, „Wir haben vor, ein ganzes Dorf auszulöschen! Da können wir wenigstens auch dafür bezahlen!"

„Wir haben also die Arbeit und zahlen auch noch dafür?", fragte Marty unschuldig.

„Wag es ja nicht, dich jetzt auf seine Seite zu stellen!", warnte Phillis ihren Bruder.

Marty grinste. „Aber er ist mein Ehemann! Und ich bin neugierig, ob er wirklich so viel Zeug stehlen kann."

Phillis stöhnte genervt auf.

„Schon gut! Schon gut!", gab Laertes lachend auf, „Wir zahlen ja dafür!"

Phillis wusste es besser, als ihm zu vertrauen, aber sie nickte. „Gut. Nimm den Bus." Sie warf ihm die Schlüssel zu und Laertes fing sie geschickt auf.

„Alles klar!", Laertes salutierte schlampig, „Houdini, begleitest du mich?"

Houdini sah Laertes misstrauisch an. „Wozu?"

„Ich habe keine Ahnung von britischem Geld und ich kann dir zeigen, wie man hundert Flaschen Alkohol stielt, ohne erwischt zu werden", bot Laertes an, aber Phillis sah ihn warnend an, also verbesserte er sich schnell: „Natürlich nicht stehlen! Wir bezahlen dafür!"

„Okay..." Houdini klang ein wenig kleinlaut und er warf Phillis einen unsicheren Blick zu. „Wenn du mich dabei haben willst..."

„Ein zusätzliches Paar Augen kann sicherlich nicht schaden", ermutigte Laertes ihn, „Und ich bin wirklich schrecklich in Mathe – da kannst du mir auch helfen."

„Ich bin wirklich ausgezeichnet in Mathe", sagte Houdini tonlos.

„Ihr seid ja wirklich ein Traumpaar", gurrte Marty, „Passt auf euch auf – alle beide. Und gegenseitig."

„Versprochen, Schatz!", schnaubte Laertes und verdrehte die Augen.



Birget hatte die Zauberer in verschiedene Teams eingeteilt, die sie liebevoll Alpha-, Delta- und Omega-Team genannt hatte.

Laertes und Houdini nahmen das Delta- und Omega-Team im Mini-Sonnenmobil mit und verteilten sie auf die drei Standorte, an denen sie die Lager aufbauen würden, während das Alpha-Team mit Phillis zurückbleiben würde.

Mit Magie hatten sie schnell zwei Zelte aufgebaut und fanden darin etwas Schutz vor dem starken Regen.

Ungefähr zu dieser Zeit kehrten Laertes und Houdini mit den Vorräten zurück und sie halfen zusammen, um diese schnell in eines der Zelte zu bringen, damit sie nicht allzu nass wurden.

„Gute Nachrichten, Phillis!", rief Laertes frech grinsend, „Es war billiger als gedacht! Houdini hat das Wechselgeld!"

Phillis seufzte – das war Herm-isch für „Ich habe überhaupt nichts bezahlt und deswegen habe ich das ganze Geld zurückgebracht".

„Keine Sorge", sagte Houdini leise zu ihr, „Ich habe das Geld liegenlassen, als Laertes nicht hingesehen hat. Aber sag's ihm nicht!"

Phillis lächelte. Auf Houdini und Bedürfnis nach Gerechtigkeit konnte man sich immer verlassen.

„Ich übernehme die erste Wache", bot Phillis an, „Zusammen mit Sirius und Sturgis. Ruh du dich ein wenig aus."

„Melde dich, bevor du einschläfst", verlangte Houdini, „Dein Tag ist auch lang gewesen."

„Solange die Sonne scheint, schlafe ich nicht!" 

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