Auftakt

„Was denkst du, was macht Peter die ganze Zeit?", fragte Remus, ohne von seinem Buch aufzusehen.

Er bekam keine Antwort und deswegen blickte er doch auf. Er war nicht allein im Raum.

Phillis war bei ihm und beugte sich nachdenklich über eine Karte, auf der sie die Bewegung der Riesen eingezeichnet und analysiert hatten. Houdini und Phillis hatten es sich zur Aufgabe gemacht, zu versuchen, die nächsten Schritte dieser Wesen vorherzusagen, aber das war gar nicht so einfach.

Marty hatte gemeint, dass Riesen wohl Ausgeburten des Chaos' waren und sie deswegen keiner Ordnung folgten.

Birget sah es anders und sie vermutete, dass ein Riese alle anderen unter Kontrolle hatte.

Was auch immer stimmte – es nahm in letzter Zeit eine Menge Zeit von Phillis ein.

Mit einem leichten Lächeln beobachtete Remus einen Moment lang Phillis.

Sie hatte ihre Haare unordentlich hochgesteckt und trug einfach nur ein T-Shirt und kurze Hose, aber die Art und Weise, wie sie so absolut konzentriert in ihre eigene Sache vertieft war, sodass sie Remus scheinbar nicht einmal gehört hatte, fand Remus einfach nur wunderschön. In solchen Momenten erinnerte er sich wieder daran, warum er sich an erster Stelle in sie verliebt hatte.

Phillis spürte wohl seinen Blick und sah verwirrt auf.

„Hast du was gesagt?", fragte sie und Remus lachte amüsiert.

„Nein... nicht so wichtig", winkte er ab.

„Ok." Mehr an einer Antwort bekam Remus nicht von Phillis und sie vertiefte sich sofort wieder in ihre Arbeit.

„Ich bringe mehr Kaffee!" Remus' Vater betrat den Raum, eine Kanne Kaffee in der Hand, aber nicht einmal das weckte Phillis aus ihrer konzentrierten Trance.

Lyall sah Phillis erwartungsvoll an, als würde er auf eine Reaktion von ihr warten, aber Remus wusste, dass das vergebens war.

„Sie will noch einen", antwortete Remus für sie, ein amüsiertes Lächeln im Gesicht, „Danke, Dad."

Lyall schüttelte den Kopf und füllte Phillis' Tasse wieder. „Ruft einfach, wenn sie wieder in unserer Realität zurück ist und bemerkt, dass sie heute noch nichts gegessen hat", riet Lyall seinem Sohn, „Ich störe euch nicht weiter, aber denk daran, dass du gesagt hast, dass James dich später abholt."

Es war ein Auftrag von Dumbledore, den James und Remus ausführen sollten. Er wusste noch nicht einmal genau, worum es ging. Seit die Idee eines Verräters aufgekommen war, so kam es Remus vor, waren alle ein wenig geheimnistuerischer geworden.

Lyall ging und Remus gab ein Lesezeichen in sein Buch, stand auf und bereitete Phillis' Kaffee so vor, wie sie ihn mochte. Er stellte die Tasse einfach neben ihr ab und stellte sich an ihre Seite und sah ihr ein wenig bei ihrer Arbeit zu.

Eigentlich hatte er keine Ahnung, was genau sie da machte oder was die Notizen und Zeichnungen von Houdini zu bedeuten hatten, aber vielleicht waren Phillis und Houdini genau deswegen so ein gutes Team – weil sie sich einfach gegenseitig verstanden, wie es sonst vielleicht niemand tat.

Phillis griff gedankenverloren nach ihrer Tasse, ohne sie überhaupt anzusehen und trank einen Schluck, aber so, wie jemand, der erwartete, aus einer beinahe leeren Tasse zu trinken.

Die Folge war, dass Phillis sich den Kaffee über ihr Oberteil schüttete und so gezwungener Weise aus ihrer Trance gerissen wurde.

Phillis fluchte, während Remus sich vor Lachen kaum halten konnte.

„Halt doch die Klappe!", schimpfte Phillis, „Warum ist die Tasse so voll?"

„Dad hat sie wieder aufgefüllt", erklärte Remus noch immer lachend, „Hast du das gar nicht mitbekommen?"

Hatte Phillis natürlich nicht.

Remus erbarmte sich aber und zauberte den Kaffee-Fleck auf ihrem T-Shirt einfach weg.

„Ich glaube, ich habe aber etwas gefunden", erzählte Phillis und tippte auf die Karte, „Moody und Frank haben doch erzählt, dass am Himmel über den Bergen häufiger als sonst seltsame Vögel gesichtet worden waren, aber natürlich kümmert sich niemand darum."

„Ist es ein Symbol für etwas?", fragte Remus.

„Ich weiß es nicht", gestand Phillis, „Ich weiß noch nicht, was für Vögel das sind... aber wenn mir die jahrelange Verfolgung durch Raben eines gezeigt hat, dann, dass solche Vögel wichtig sein könnten. Ich überlege mich, ob ich vielleicht mit ein paar anderen in die Berge gehen könnte, um mir das genauer anzusehen."

„Ist das nicht zu riskant?", fragte Remus, „Beim letzten Mal sind die anderen beinahe umgebracht worden."

„Ich denke nicht, dass wir uns wegen einer fehlgeschlagenen Mission einschüchtern lassen sollten", schnaubte Phillis bestimmt, „Angst bringt niemanden etwas!"

„Außer natürlich, man will überleben..."

„Und das will ich auf jeden Fall", sagte jemand anderer – James trat in den Raum, „Hey, Phil! Hab gar nicht gewusst, dass du hier bist –", dann sah er mit einem vielsagenden Grinsen zu Remus, „– ich bin aber auch nicht überrascht."

„Ist es schon so spät?", fragte Phillis und blickte auf ihre Uhr, „Ich wollte mich mit Houdini zum Tee treffen! Ich sollte gehen!"

„Aber wir müssen uns auch beeilen – wir sind schon hinter dem Zeitplan!", stresste James ungeduldig, „Ich hoffe, du hast schon alles zusammengepackt, Moony. Für eine Toilettenpause haben wir jetzt keine Zeit mehr!"

„Alles bereit!" Remus hob seinen schon lange gepackten Rucksack auf und schulterte ihn, „Bereit zum Aufbrechen!"

„Dann los!", hetzte James ihn.

„Geht, ich kann mich selbst rausbringen!", verscheuchte auch Phillis sie, die gerade ihre eigenen Sachen zusammenpackte.

„Oder du bleibst einfach noch zum Essen", schlug Lyall vor, „der gerade den Raum betrat, wieder mit einer Kaffeekanne in der Hand."

Phillis öffnete und schloss unsicher den Mund, als wäre sie nicht sicher, wie sie auf dieses Angebot reagieren sollte und sie sah hilfesuchend zu Remus, der also wieder für sie antwortete: „Sie bleibt gerne – sie hat nämlich Hunger."

„Habe ich?", fragte Phillis verwirrt und horchte wohl einen Moment in sich hinein, „Oh! Hab ich tatsächlich!"

„Und ihr beide – geht!", hetzte Lyall nun auch Remus und James hinaus.

„Klar! Bye, Dad. Tschüss, Phillis!"

Zugegeben, weder Remus noch Phillis dachten groß darüber nach. Remus ging eigentlich einfach nur an ihr vorbei, beugte sich kurz zu ihr und küsste sich zum Abschied, wie es ein Ehemann mit seiner Ehefrau zum Abschied tun würde.

Der Unterschied war natürlich, dass Remus und Phillis nicht Ehemann und Ehefrau waren. Eigentlich waren sie nicht einmal zusammen und seit sie sich getrennt hatten, hatten sie sich nicht mehr geküsst.

Aber das fiel Remus erst auf, als er schon bei der Tür war (während Phillis wohl überhaupt nichts daran seltsam fand und noch immer eilig alle ihre Karten und Zettel zusammenklaubte, die sie überall verteilt hatte).

James und Lyall standen beide mit offenen Mündern da und sahen Remus ungläubig an.

Dieser riss erschrocken die Augen auf, wurde knallrot und drehte sich zu Phillis um, die aber noch immer nichts seltsam zu finden schien.

Remus beschloss also einfach, die ganze Sache zu vergessen.

„Ihr beide – ich sagt keinem etwas davon!", drohte Remus seinem Vater und James.

James grinste breit. „Lily wird ausrasten, wenn ich ihr davon erzähle."

Remus stöhnte genervt auf und vergrub sein Gesicht in seinen Händen. „Es war ein Versehen! Gehen wir einfach!"

„Pass auf dich auf!", rief Phillis ihm gedankenverloren hinterher und Remus wurde noch roter im Gesicht, brachte irgendwie ein „Klar" heraus und eilte dann gleich weiter, gefolgt von einem lachenden James.

Lyall blieb noch einen Moment länger an der Tür stehen.

Dann endlich, nachdem James und Remus schon gegangen waren, realisierte Phillis, was gerade passiert war und verwirrt blickte sie auf.

„Hat Remus mich gerade geküsst?", fragte sie niemand bestimmten im Raum.

Lyall lachte nur.



„Alle einmal recht freundlich in die Kamera sehen! Auch du, Houdini!"

„Ich kann nicht lächeln, es ist mir physisch gesehen nicht möglich."

Fabian, der gerade versuchte, ein Orden vom versammelten Orden zu machen, auf das wohl auf die Demigötter gehörten, blickte überrascht von hinter der Kamera heraus.

„Wirklich nicht?", fragte er.

„Wirklich nicht", bestätigte Phillis nickend, „Er hat eine neurologische Störung, die verhindert, dass er seine Gefühle mit der Muskulatur um seinen Mund herum verbinden kann."

„Wir kennen uns jetzt schon bald drei Jahre", sagte Gideon empört, „Drei Jahre, in denen wir jetzt schon versuchen, dich zum Lachen zu bringen, und erst jetzt erfahren wir, dass du überhaupt nicht lachen kannst?"

„Ihr hättet einfach nachfragen können – das ist kein Geheimnis", erinnerte Houdini sie verständnislos.

Gideon schüttelte empört den Kopf und murmelte immer wieder: „Drei Jahre..."

„Wie auch immer", seufzte Fabian und verschwand wieder hinter der Kamera, „Alle – außer Houdini – einmal recht freundlich in die Kamera sehen! Und – alle zusammen: Wingardium Leviosa!"

Ein Blitz und alle entspannten sich wieder.

„Sehr schön!", freute Fabian sich, „Jetzt haben wir wohl das erste offizielle Foto des Ordens!"

„Aber du bist gar nicht darauf", erinnerte ihn Lily.

„Kein Problem – Gideon ist drauf", winkte Fabian ab, „und nachdem uns sowieso alle verwechseln, ist es einfach so, als wären wir beide darauf zu sehen, aber zugleich keiner von uns."

„Wir Schrödingers Foto", stimmte Gideon seinem Zwilling zustimmend nickend zu.

„So... funktioniert Schrödingers Katze nicht", bemerkte Houdini, „Diese Theorie ist eigentlich von Erwin Schrödinger erdacht worden, um die Schwachpunkte der Kopenhagener Interpretation der Quantenmechanik in Bezug auf die physikalische Realität aufzuzeigen. Erst vor Kurzem hab ich mich mit meinem Dad darüber unterhalten, dass diese Geschichte eigentlich schon so ähnlich in der Antike vorgekommen ist, als ein Mann zu einem Philosophen mit einem Vogel in den Händen gekommen ist, und gefragt hat –" Houdini verstummte abrupt und sein Blick war einen Moment lang verträumt, als wäre er mit den Gedanken ganz woanders. „Hm...", machte er, als wäre er überrascht, „das war gar nicht vor Kurzem... das ist schon Jahre her..."

Sie würden nicht erfahren, was der Mann den Philosophen gefragt hatte und was mit diesem Vogel passiert war, denn Houdini erklärte dieses Gespräch wohl für beendet und ließ die anderen einfach stehen.

Nach der Versammlung des Ordens – weswegen sie eigentlich zusammengekommen waren – beschlossen einige von ihnen, noch in einen Pub zu gehen, aber Dumbledore hielt Marlene einen Moment länger zurück. Er drückte ihr geheimniskrämerisch einen Zettel in die Hand mit den kryptischen Worten: „Hier ist alles, was du wissen sollst. Sorge dafür, dass ihn sonst niemand liest."

Marlene nickte ernst, las sich die Informationen auf dem Zettel durch und verbrannte diesen dann sofort.

„Sie können sich auf mich verlassen, Professor", sagte Marlene ernst.

Die anderen, die diese Unterhaltung mitbekommen hatten, sahen neugierig zu Marlene, aber natürlich fragte niemand nach.

„Ich find das nicht gut", sagte Sirius aber unzufrieden, als sie zusammen aus dem Haus gingen, „wir sind doch ein Orden – eine Organisation. Wir sollten wissen, was die anderen auch wissen."

„Es ist sicherer, wenn nicht jeder dasselbe weiß", widersprach Remus ihm, „selbst, wenn wir keinen Verräter unter uns hätten–"

„Haben wir nicht", warf Phillis dazwischen, obwohl sie selbst nicht so klang, als würde sie daran glauben.

„– wäre es unsicher. Wenn einer von uns erwischt wird, hat er wenigstens nicht alle Informationen."

„Ich würde nichts verraten", versprach Sirius feierlich, „egal, wie sehr sie mich foltern."

Laertes machte einen amüsierten Laut und Sirius sah ihn sofort herausfordernd an.

„Was ist? Glaubst du, ich würde euch verraten?"

„Ich weiß nicht", gestand Laertes, „aber ich weiß, dass jeder an irgendeinem Punkt ankommt, an dem man einfach nur noch will, dass die Schmerzen aufhören. Momente, in denen es einem egal ist, ob man lebt oder stirbt – Hauptsache die Schmerzen hören auf."

Sirius klappte seinen Mund auf und zu, als würde er etwas darauf erwidern wollen, aber offenbar fiel ihm keine passende Antwort darauf ein.

„Ich würde lieber sterben, als ein Wort zu sagen!", sagte er laut.

„Ich glaube dir", sagte Laertes ruhig, „aber zugegeben, es wäre ziemlich dumm von dir, davon auszugehen, dass es allen im Orden so geht."

„Dann sollen sie es lieber gleich sagen und den Orden verlassen, bevor sie uns verraten", schnaubte Sirius aufgebracht.

„Dann verlierst du wahrscheinlich ein Drittel von jenen, die wir sowieso schon so dringend brauchen", erinnerte Birget ihn, „Wir sind in der Unterzahl – stark. Houdini würde dir sagen, dass das unser Vorteil ist, aber als Tochter des Ares weiß ich, dass die Zahl den Unterschied über Sieg oder Niederlage entscheiden kann."

„Ganz zu schweigen davon, dass man so etwas sowieso erst wirklich weiß, wenn man dem Tod gegenübersteht", mischte Marty sich ein, „und wenn man noch bereit ist zu sterben, würde man alles tun, um ihm zu entkommen. Selbst, wenn man nicht stirbt, hat es meist Konsequenzen, die man aber liebend gern in Kauf nimmt, um noch einen Tag länger zu leben."

Kurz war es still.

„Ich hab doch nicht sterben können, wenn Dad der letzte gewesen ist, den ich gehört habe", sagte Phillis ruhig, „Es hat mich viel gekostet, aber... ich sterbe sicher nicht, wenn Apollo die letzte Person – oder nicht-Person – gewesen ist, die ich gesehen habe."

„Phillis hat nur durch puren Hass überlebt", erkannte James, „Ich bin nicht überrascht."

„Purer Hass und eine Menge Nektar", korrigierte Phillis ihn, „Wenn einen die Heilung beinahe umbringt, weiß man, dass es schlimm ist."

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