Kapitel 5

"Es bringt nichts davonzulaufen, von seinen Problemen. Und trotzdem tue ich es." ~Davin


Die Sirenen klingelten in meinen Ohren. Das Geräusch war nervtötend und tat mir gleichzeitig weh. Mir waren hier zu viele Leute. Das blaue Licht wurde auf die Hauswand projiziert, irgendwie regte es mich auf.

Menschen kamen auf mich zu. Ich sah es nur wie in Zeitlupe, als sie einen Fuß vor den anderen setzten.

Ich konnte mir das alles nicht mehr ansehen. Es war alles zu viel. Zu unverständlich für mich.

Was war bloß geschehen? Die Antwort darauf war eigentlich simpel, aber ich konnte es mir trotzdem nicht erklären. Für mich war es einfach nicht zu begreifen. Außenstehende hätten wahrscheinlich gelacht, wie ich etwas, dass direkt vor meinen Augen passierte, einfach nicht checkte.

Um es mal ganz simpel zu erklären: Mein Vater wurde gerade verhaftet.

Und ich verstand gar nichts mehr. Absolut nichts. Irgendetwas hatte es mit der Sache mit dieser schreienden Frau zu tun. Was hatte er ihr getan?

Wenn, er verhaftet wurde, musste er doch was getan haben? Die Frage quälte mich denn ich wusste es nicht. Die Menschen, die auf mich zukamen, hatten Uniformen an. Ich zuckte leicht zusammen. Das war die Polizei. Was wollte die denn jetzt? Und wer hatte die gerufen? Ich ging langsam ein paar Schritte zurück, sicherheitshalber. Wer hatte die Polizei gerufen? Weshalb hatte die Person sie gerufen. Warum wurde gerade mein Vater verhaftet?

Ich erkannte zwei Silhouetten von Menschen. Sie standen direkt vor mir. Der Polizist und die Polizistin waren mittlerweile bei mir angelangt.

„Bleiben Sie mal stehen junger Mann. Vielleicht können sie als Zeuge aussagen. Haben Sie das eben beobachten können? Können sie vielleicht sogar eine der Personen identifizieren?"

Der Polizist musterte mich gründlich. Ich schluckte langsam. „Ja?" Meine Stimme klang leicht gequält und ich blickte die beiden unsicher an.

Die beiden sahen mich erwartungsvoll an. Sie erwarteten von mir, dass ich weitersprach. Ich schluckte ein weiteres mal. Was sollte ich den beiden jetzt sagen? Das der Mann da drüben zufällig mein Vater war, der heute Abend ein bisschen mehr als nur ein Glas Whisky intus hatte? Die Polizisten schauten mich weiter erwartungsvoll an, wirkten aber langsam ein bisschen ungeduldig.

„Deinem Blick nach zu urteilen, hast du vermutlich etwas mitbekommen. Aber keine Sorge, wir haben dem Mann Handschellen angelegt, er kann dir nichts mehr tun." Der Polizist lächelte jetzt freundlich.

Ich schluckte wieder. Mein Hals war ganz trocken. Das er mir was tat, war meine geringste Sorge, er war mein Vater, und auch wenn er ständig sturzbesoffen war, war er mir gegenüber noch nie handgreiflich geworden.

Er wirkte vielleicht nicht so, aber er war wirklich harmlos, selbst wenn er etwas getrunken hatte. Er würde nicht einmal einer Fliege etwas zuleide tun, nein er war nicht so. Ich erkannte ihn in dem Moment nicht.

Generell verstand ich eigentlich nicht, was hier abging.

Mein Vater, einer der sich an Frauen vergriff? Nein, das war er auf keinen Fall. Ich würde meine Hand dafür ins Feuer legen.

Ich kannte ihn jetzt schon 16 Jahre lang. Er war schließlich mein Vater. Er hatte sich vielleicht nicht immer ausreichend um mich gekümmert, trotzdem bedeutete er mir was. Ich wusste, dass er es versucht hatte zu tun, aber es einfach nicht funktionierte.

Und jetzt stand er da. Er starrte auf den Boden, während Handschellen seine Handgelenke umschlossen.

Irgendwie war die Information, das mein Vater jetzt abgeführt werden würde, nicht zu meinem Hirn durchgedrungen. Mein Kopf fühlte sich wattig an und ich konnte nicht denken.

Das der Polizist mittlerweile ziemlich entnervt aussah, weil ich nicht antwortete überging ich. Der war mir im Moment egal. Wahrscheinlich sah ich gerade aus wie ein ziemlich unterbelichteter Jugendlicher, ich fühlte mich auch so.

Der Polizist stöhnte und hakte bei mir nochmal nach: „Junger Mann, haben sie jetzt was beobachten können oder nicht?" Ich schaute ihn müde an. „Ne, doch nicht."

Ich redete mal wieder irgendeinen Scheiß, der Polizist wirkte verwirrt. Die Polizistin richtete nun das Wort an mich. „Also, du hast hier jetzt nichts beobachten können, oder etwa doch?" Sie wippte ungeduldig hin und her.

„Nein, ich habe mich geirrt, dachte eben der Mann wär einer meiner Nachbarn. War er aber schlussendlich doch nicht. Habe mich geirrt."

„Ok gut, dann ziehen wir jetzt ab." Die Polizisten nickten zum Abschied. Ich lief zurück ins Haus.

Mit voller Wucht schlug ich die Haustür zu und ließ mich daran herabsinken.

„Fuck, Fuck, Fuck!" Ich fluchte leise, ich wollte nicht das das ganze Treppenhaus es mitbekam und einer der Nachbarn nachschaute was los war. Meine Hände fuhren verzweifelt durch meine blonden Haare und mein Kopf sank auf meine Brust. So blieb ich eine Zeitlang sitzen.

Ich hätte am liebsten geschrien. Oder auf etwas eingeschlagen. Am Liebsten beides. Ich stand auf und rannte die Stufen hoch, dabei flog ich fast zweimal hin und konnte mich gerade noch abfangen. Ich schloss hastig die Wohnung auf, stürmte hinein und schloss die Wohnungstür diesmal leiser als ich es mit der Haustür getan hatte.

Ich ließ mich aufs Sofa fallen. Ich wollte mich am liebsten irgendwie bewegen, auf etwas einschlagen oder einfach nur schreien.

Ich versuchte mich etwas abzuregen, doch es funktionierte nicht. Meine Gedanken fuhren Achterbahn und es gab keine Notbremse.

Meine Gefühle waren kurz davor mich zu überwältigen und ich musste mich beherrschen, nicht aus Wut anzufangen zu brüllen, mir Dinge zu schnappen und sie durch die Wohnung zu schleudern. Vor Wut und Verzweiflung stiegen mir die Tränen in die Augen.

Was war bloß los mit mir?

Ich keuchte und rollte mich auf dem Sofa zusammen.

Sie haben mir meinen Vater genommen, hämmerte es in meinem Kopf. Unablässig.

Ich wusste, dass das, was er getan haben sollte, Konsequenzen nach sich ziehen würde. Auch für mich. Welche, konnte ich mir nicht ausmalen.

Auch wenn mein Vater nicht für mich da war, in den letzten Jahren, war er mein verdammter Vater. Ich wusste, auch wenn er es mir nicht zeigte, dass er gerne für mich dagewesen wäre. Aber er konnte nicht. Wegen meiner Mutter.

Der Gedanke an sie, machte mich noch wütender. Ich brodelte. Ich stand kurz vorm Ausbruch.

Ich konnte mir ausmalen, was mit meinem Vater geschehen würde. Er würde vor Gericht landen. Es würde eine Verhandlung geben, wegen dem Vorwurf einer Vergewaltigung an dieser Frau, die ich hatte schreien hören.

Ich kannte ihn. Er würde so etwas nie tun. Er hatte Anstand und Respekt. Aber wie sollte ich es mir sonst erklären? Ich verzweifelte daran.

Ein Bild tauchte vor meinem inneren Auge auf. Eine aufgerissene Bluse. Ich versuchte es zu verdrängen, doch es klappte nicht.

Die Frau hatte sie getragen. Und daran sollte mein Vater schuld sein. Nein, Nein, Nein. Das konnte nicht sein.

Ich bekam keine Luft mehr. Ich sprang auf und lief zum Fenster. Ich riss es auf und schnappte nach Luft. Mein Keuchen hallte durch die Nacht.

Wahrscheinlich bekam niemand gerade mit, das hier gerade eine Welt über einem Jungen zusammenbrach.

Sie schlummerten vermutlich alle entspannt in ihren Bettchen und träumten was Schönes.

Genau das wünschte ich mir gerade sehnlichst, dass das alles nur ein Traum wäre. Aber das war es nicht. Es war kein verdammter Scheißtraum.

Nein, das war es nicht. Es war die pure Realität die mich hier gerade überfiel. Mich nicht einmal davor warnte.

Ich lehnte mich erschöpft aus dem Fenster. Die kühle Nachtluft schlug mir entgegen. Es ging mir alles zu schnell. Die Realität holte mich ein.

Ich hatte das Bedürfnis wegzurennen. Entfliehen. Ich konnte nicht mehr.

Er ist weg. Alles in mir schrie. Ich sah mich um. Die Wände schienen immer näher zu kommen.

Ich schloss das Fenster. Es hallte in der Wohnung. Es hatten hier nie viele Möbel gestanden, im Moment kam es mir noch leerer vor, als es sowieso schon war. Es bedrückte mich. Meine Schritte steuerten auf die Haustür zu.

Mein Skateboard stand in der Garderobe. Ich schnappte es mir, ließ den Haustürschlüssel in meine Hosentasche gleiten, öffnete die Wohnungstür.

Ich sprang die Treppenstufen runter. Als ich unten angekommen war, nahm ich den Griff der Haustür in die Hand und riss sie auf.

Die kalte Sommernachtluft beruhigte meine Nerven. Ich sprang auf mein Board und fuhr die Straße runter.

Ziellos durch die Straßen steuern und nicht wissen wo es hin ging, beruhigte mich. Das Klappern meines Boards noch mehr. Zumindest normalerweise. Heute funktionierte das nur so halb. Ich war weiter hin wütend.

Ich beschleunigte.

Die Häuser in der Gegend wo ich mich befand, waren heruntergekommen, aktuell stank es nach Pisse. Ich würgte. Graffitis zierten die Fassaden.

Die Stadt in dem Gebiet war nie ruhig. Aus heruntergekommenen Clubs schallte Musik und lautes Stimmengewirr. Den Alkohol konnte man bis nach draußen riechen.

Gelegentlich torkelte ein Besoffener an mir vorbei. An Bushaltestellen schliefen Obdachlose in ihren Schlafsäcken.

Das nannte man Hauptstadt.

Ich erreichte einen kleinen Park, den man eigentlich nicht mehr so nennen durfte. Es standen kaum Bäume herum und überall lag der Müll.

Ich fuhr über eine Bierdose und es knackte. Leute lachten nicht weit entfernt von mir. Den Park zu durchqueren, dauerte nicht lange.

Mittlerweile wusste ich nicht mehr, wo ich war. Es war mir auch egal.

Ich wollte nur noch weg.

Weg von Zuhause.

Weg von dem Ort, wo mein Vater fehlte.

Weg von den Erinnerungen der vergangenen Stunde.

Ich fuhr an einer leuchtenden Straßenlaterne vorbei.

Zumindest sie, schaffte es heute zu strahlen.


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