Kapitel 1
„Wie eine harmlos wirkende Flüssigkeit einfach Menschenleben zerstören kann..."
~Davin
Ich entriss ihm die Flasche und knallte sie auf unseren Wohnzimmertisch.
„Lass es!"
Mein Vater war gerade wieder dabei sich seiner Welt zu entreißen. Er trank. Und das nicht wenig. Das konnte ich heute nicht gebrauchen.
Eigentlich war er ein anständiger Mann, doch wenn er Liebeskummer hatte, schüttete er sich gerne mal den ein oder anderen Whisky rein. Oder irgendwelchen anderen Kram. Und Liebeskummer hatte er nicht allzu selten. Also fast immer.
Das lag zum einen an meiner Mutter, die uns vor zwei Jahren verlassen hatte, um zu ihrer Affäre zu ziehen – einem reichen Geschäftsmann mit einer nervtötenden 14 jährigen Tochter- und zum anderen an seinen ganzen letzten Beziehungen. Von denen es nicht wenig gab.
Er wechselte seine Freundin fast so regelmäßig wie Bettwäsche (das war das Einzige was er noch wusch). Und er trank oft. Um nicht zu sagen täglich. Und das waren dann eher die unschönen Tage. Für mich, sowie für ihn.
Wenn es mal einen Tag gab, wo er nüchtern war, (kam viel zu selten vor) unternahmen wir gerne etwas zusammen. Irgendwelche Vater-Sohn Aktivitäten. Oder was uns sonst so einfiel. Gab es aber wie gesagt nur sehr selten. Irgendwie fand ich das schade.
Er war ohne den Alkohol, den fettigen Haaren und verquollenen Augen ein viel besserer Mensch. Jemand der anderen half. Für sie da war. Nicht wie mich, im Stich ließ. Und sein Lachen war echt. Nicht irgendwelches Lallen.
Das hässliche Schnarrgeräusch meines Handys riss mich aus meinen Gedanken. Das Teil war mir letztens ins Klo gefallen, jetzt schnarrte es nur noch, aktuell fehlte mir noch das Geld für ein Neues.
Es war Verena - meine Freundin. Andere hätten sich in einer solchen Situation vielleicht gefreut, ich hatte einfach keine Lust mehr. Verena war das Telefonterrormonster. Nicht nur am Telefon war sie ein Monster, sondern auch in echt.
Ich hatte eine Wette verloren. Und sie war meine Wettschulden. Deswegen war ich mit ihr zusammen. Nicht weil ich sie mochte, geschweige denn liebte. Sie war so etwas wie meine Strafe. Und das wusste sie auch.
Sie ist über die Zeit zur Stalkerin mutiert und ich konnte mich noch nicht mal mit jemand anderem unterhalten, ohne dass sie ausrastete. Obwohl sie wusste, dass sie nur meine Strafe war. Und damit quälte sie mich auch.
Jedes Mal, wenn sie mich küsste, konnte ich den Geschmack von Pfefferminzkaugummis schmecken, nach denen sie süchtig war. Und fast immer wurde mir davon schlecht. Seit ich mit ihr zusammen war, hasste ich Pfefferminze mehr als alles andere. Und immer wenn wir uns sahen und sie mich umarmte, krallte sich ihre falschen Nägel irgendwo in mein Fleisch rein. Ich hätte die Finger von dieser Scheißwette lassen sollen.
Mein Kalender erinnerte mich wieder daran, dass in zwei Tagen die Frist abgelaufen war. Als ich die Wette verloren hatte, war sie meine Strafe gewesen, die ich annehmen musste, ich wusste nicht was sonst passieren würde. Mit den Leuten, mit denen ich gewettet, hatte war nicht zu spaßen. Einen Monat musste ich mit ihr zusammen sein und ich traute mich nicht, mich dagegen zu wehren.
Manchmal hatte ich schon mit dem Gedanken gespielt, ihr fremdzugehen, einfach um sie vorher so loszuwerden. Damit sie sich von mir trennte.
Ich verzog mich zurück in mein Zimmer. Hochhauswohnung, unterstes Stockwerk. Da wohnten wir. Mehr konnten wir uns nicht leisten. Das war aber auch nicht so schlimm. Ich brauchte nicht mehr Luxus.
Wie ich diese riesigen Stadthäuser verabscheute. Die Erwachsenen waren meist streng zu ihren Nachwuchs - zu den Kindern konnte ich nichts sagen.
Berlin war eine anstrengende Stadt. Meiner Meinung nach zu viele Menschen. Ich wohnte zwar nur am Stadtrand, trotzdem blieb ich von dem ganzen Trubel nicht verschont. Die Stadt war zwar sehr bunt und individuell, doch irgendwie fand ich es hier gruselig. Ich wusste nicht wieso, es war einfach so. Vielleicht lag es an der Größe.
Unser Kiez grenzte an das benachbarte Villenviertel. Leute von dort kam ich kaum zu Gesicht, nicht weil es sowas wie eine Grenze gab, sondern weil man sich generell nicht so gerne hier herumtrieb. Egal wie arm oder reich man war. In der Nacht sollte man hier lieber nicht rausgehen. Gefühlt gab es an jeder Ecke eine weitere zwielichtigerere Gestalt.
Nachts hatte ich in unserem Hinterhof mal einen Dealer beobachtet, der (ich hatte gelauscht) jemanden vermöbelt hatte, weil er ihm sein Geld nicht gebracht hatte. Miese Nummer, ich hatte, als der Kerl verschwunden war, den Krankenwagen rufen müssen.
Der Jemand saß mit einer blutigen Platzwunde am Kopf an unsere Hauswand gelehnt auf dem Asphalt. Und das mitten in der Nacht. Ich war gerade mal mit einer Boxershorts bekleidet gewesen und damals war es Winter. Die Blutflecken sah man immer noch an unserer Außenfassade.
Und was hatte es mir gebracht? Drei Tage Fieber durch Unterkühlung, niemand hatte sich um mich gekümmert. Mittlerweile hatte ich mich daran gewöhnt, dass niemand für mich da war. Morgens lachte ich mich meist tot, als manche meiner Mitschüler immer noch von ihren Eltern zur Schule gefahren wurden. Da war ich das komplette Gegenteil. Ich war gerade mal 16 Jahre alt und musste den Haushalt komplett alleine werfen.
Geschwister hatte ich keine. Brauchte ich auch nicht. Die würden nur noch mehr Arbeit machen, als es sonst schon gab. Außerdem müsste man die dann ja auch noch bezahlen. Also Essen und solches Zeug. Und der Malergehalt meines Vaters reichte gerade für uns beide aus.
Berlin ist teuer. Vor allem sind die Wohnungen teuer. Mehr als eine 3-Zimmer-Wohnung war nicht drin. Es gab ein Zimmer für mich, das Schlafzimmer meines Vaters und das Wohnzimmer. Mehr nicht, Küche und Bad zählte man ja nicht dazu. Zumindest hatte ich mein eigenes Zimmer.
Das war aber auch nicht groß. Unter meinem Zimmer war es laut. Sehr laut. Aktuell wurde die Straße neu gemacht. Mit Presslufthammern und Dampfwalzen. Und wenn es mal keine Bauarbeiten gab, lieferten sich nachts irgendwelche Autos illegale Rennen.
Unfälle hatte ich auch schon gesehen. Ich stand dann meist am Fenster und sah zu, wie ein paar Leute festgenommen wurden. Blut sah ich auch nicht allzu selten.
Meist wurde ich von Polizeisirenen wach, diesmal weckte mich etwas anderes. Ich rieb mir verschlafen über die Augen und stieg aus meinem Bett. Für Sommer war es ganz schön kalt. Ich konnte das Geräusch zuerst nicht identifizieren, doch als ich begriff, was mich da wach gemacht hatte, erschrak ich.
Ein Schrei gellte durch die Nacht.
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