Prolog: Raphael
Ich atmete tief durch, immer und immer wieder.
Ich sollte einfach wegrennen. Ja genau.
Gute Idee, Raphael, renn weg und lass Silas vor dem Traualter stehen.
Verdammte Scheiße! Krieg dich mal wieder ein!
Der Mann, den du liebst, will dich heiraten! Ihr werdet heute gekrönt!
Sei nicht so ein Mädchen!
Ich hörte ein leichtes Lachen neben mir und sah dorthin.
Silas' grüne Augen zogen mich in ihren Bann. Er fasste nach meiner Hand und beruhigte mich allein durch seinen Blick.
„Du musst keine Angst haben, Raphi. Alles wird gut"
Automatisch formten sich meine Lippen zu einem breiten Lächeln und ich nahm Silas' Hand komplett in meine.
Mein Verlobter drehte sich mehr zu mir, legte die Hand auf meine Wange und strich mit dem Daumen über meine Haut. „Du siehst großartig aus. Ich bin so froh, dich bald meinen Mann nennen zu dürfen"
All meine Zweifel und Ängste waren wie nie existent, als Silas mir einen kurzen, aber sehr emotionalen Kuss auf den Mund drückte.
„Ich liebe dich", seufzte ich, ließ meine Stirn runter zu seiner sinken.
„Ich dich mehr", flüsterte er und umarmte mich, indem er sich an mich lehnte.
Ich gab ihm einen Kuss auf den Kopf und legte ebenso die Arme um ihn.
Wir hatten einen Moment nur für uns, etwas, das in den letzten Wochen sehr selten vorgekommen war. Alle hatten unsere Hochzeit und Krönung vorbereitet und ständig nach uns verlangt, ob getrennt oder zusammen. Ich war froh, wenn die ganze Hektik endlich vorbei war und ich offiziell an Silas' Seite anerkannt wurde, egal in welcher Welt.
Wir standen gerade vor dem Raum, in dem wir verheiratet werden würden, und warteten auf unseren Einsatz, reinzugehen. Danach würden wir in die Vampirwelt wechseln und dort von Benedikt gekrönt werden.
Er freute sich schon darauf, in den Ruhestand zu gehen und zusammen mit Victoria die Menschenwelt zu erkunden. 7 Jahre, nachdem ich wusste, wer ich war und wo ich herkam, lehnte ich den Thorn nicht mehr ab, sondern freute mich irgendwie darauf.
Es war eine Ehre für mich und ich freute mich, dass Benedikt mich nach wie vor als seinen Sohn ansah.
Die anderen Vampire wussten bis Dato nicht, dass ich halb menschlich war, zumindest hatten wir es ihnen nicht mitgeteilt, doch sie mussten sich wohl denken, dass ich nicht einfach so in der Menschenwelt ohne Wenn und Aber einen Menschen heiraten durfte.
Ich hoffte einfach, es würde alles gut gehen.
Boris wollte mir zu der Zukunft nichts sagen, aber er sah schon seit zwei Jahren nicht wirklich zufrieden mit den Entwicklungen aus. Ob das nun mit unserer Zukunft zusammenhing, oder damit, was Austin getan hatte, blieb fraglich.
Ich hörte den Ton, der uns sagte, dass wir losmussten, kurz bevor die Flügeltüren vor Silas und mir geöffnet wurden.
Mein Herz setzte einen Schlag aus und ich sah meinen noch-Verlobten an. Er lächelte aufmunternd und zog mich voran.
Mit jedem Schritt fiel es mir leichter, durch all die Gäste und Zuschauer zu gehen, mich von ihnen angaffen zu lassen.
Ich denke, der ausschlaggebende Punkt dafür, dass ich nicht wegrannte, war Silas' Hand in meiner.
Gott, ich war so froh, ihn zu haben. Dieser Mann war einfach alles für mich.
Wir hielten vor dem aufgebauten Altar, hinter dem Benedikt, ein Standesbeamter und ein Pfarrer standen.
Charlie hatte ein ganzes Schloss für uns gemietet, in dessen Saal die Trauung stattfand. Das war auch bitter nötig, denn ich befürchtete, jeder Mensch und jeder Vampir dieser Erde wollte irgendwie anwesend sein und sie tummelten sich Schloss herum, obwohl sie nicht direkt anwesend sein konnten.
Das konnte viele Gründe haben. Weil ich bald König werden würde, weil wir Männer waren, weil wir der erste Vampir und Mensch waren, die die Ehe eingingen. Vermutlich waren die meisten nur hier, um in die Geschichte miteinzugehen oder um sich mitanzusehen, was alles schiefgehen würde.
Während der Zeremonie konzentrierte ich mich eigentlich nur darauf, wie Silas' Daumen über meinen streichelte, um mich ruhig zu halten.
Gerade würde ich echt gerne in seinen Kopf reinsehen, aber wir hatten uns darauf geeinigt, unsere Gedanken nur in Notsituationen zu teilen.
Ich konnte mich zwar als einziger vor seiner Kraft abschotten, seit wir verbunden waren, aber trotzdem war ich oft sehr neugierig und verfluchte es, dass er sich auch vor mir abschotten konnte.
Benedikt lächelte mich stolz an, als ich überprüfend zu ihm sah.
Charlie stand zwar nicht hinter dem Altar, doch daneben und wirkte so, als würde er mich jeden Moment in den Arm nehmen und emotional verkünden wollen, dass sein Baby erwachsen geworden sei.
Ich grinste ihn an und ich sah ganz genau, wie er kleine Tränchen unterdrücken musste. Süß.
Boris stand nicht bei Charlie, sondern auf Silas' Seite des Altars und sah sich immer wieder überprüfend um. Er war unruhig.
Vermutlich machte er sich nur Sorgen um Austin, weil dieser nicht hier war. Ich verstand ihn irgendwie, auch wenn es mich traurig machte, dass er es nicht geschafft hatte. Ich hätte ihn gerne hier gehabt, konnte aber nachvollziehen, dass eine Hochzeit nicht einfach für ihn anzusehen war.
Weitere ablenkende Gedanken wurden verhindert, als es zur wichtigsten Frage des Tages kam. Ob jemand etwas gegen die Ehe einzuwenden hätte.
Ich spannte mich an und bemerkte wie Silas einen kleinen Schritt zu mir ging. Er kannte mich einfach zu gut.
Wenige Sekunden wichen der Stille und meinerseits auch der Anspannung, ehe sich der Standesbeamte daran machte, weiter zu sprechen.
Er wollte zu dem Teil kommen, bei dem wir nur noch „Ja" sagen mussten und es dann hinter uns hätten, als er durch ein Rascheln unterbrochen wurde und mit großen Augen hinter mich starrte.
Etwas verwirrt drehte ich mich, meine Hand verkrampfte.
So gut wie alle Anwesenden im Raum standen und sahen dabei nicht erfreut aus.
„Wir haben lange mit uns gekämpft, ob dir das einfach so hinnehmen können", begann einer aus den vorderen Reihen. Er hieß Ethan, soweit ich das wusste und arbeitete bei uns im Palast als Wache.
„Was hinnehmen?", fragte ich in böser Vorahnung.
Er schüttelte den Kopf, trat leicht vor und deutete um sich. „Das alles hier, Kian. Du heiratest. Einen Mann. Einen Menschen. Einen Jäger. Einen von denen, die uns über Jahrtausende gejagt haben. Einen der wenigen, der uns einfach so umbringen könnte...."
„Silas ist nicht wie andere Jäger.", durchschnitt ich sein Gerede. „Er ist mein Gefährte und das heißt, egal, was du oder ihr gegen unsere Beziehung habt, es ist und war dem Schicksal egal. Er ist für mich bestimmt und zusammen werden wir ein starkes Königspaar sein"
Ethan schüttelte den Kopf. „Das mag ja alles sein, aber was bringt uns ein starkes Königspaar, wenn es keine Nachkommen hervorbringt? Benedikt und Victoria haben dich bekommen, den mächtigsten Vampir seit Anbeginn unserer Existenz. Du kannst doch die Möglichkeit nicht verwerfen, einen noch stärkeren Nachkommen zu zeugen, für einen... Jäger..." Er spuckte das Wort fast schon aus und ich mahlte den Kiefer.
Wenn er nur wüsste, dass ich genauso Jäger war wie Vampir... Es würde alles schlimmer machen, das wusste ich. Aber er würde zumindest Silas nicht mehr verurteilen für etwas, das er nicht ändern konnte.
„Ob er nun mit Silas zusammen ist oder nicht, ändert nichts daran, dass er keine Nachkommen zeugen wird" Boris trat zu Silas und mir, blickte Ethan mit seinem finstersten Blick an. „Vampire können nur mit ihrem Gefährten Kinder machen, das heißt, egal was du tust oder sagst, es ändert nichts daran, dass Ra...Kian niemals Vater werden wird. Also halt deine dumme Klappe und geh zurück auf deinen billigen Platz, damit wir hier weiter machen können"
Ethan und Boris lieferten sich ein Blickduell.
Ich spürte die Luft spannen, beinahe explodierten und als ich durch die Reihen blicke, sah ich ausgefahrene Krallen und Reißzähne.
Nein.
Ich schob mich vor Boris und Silas, um sie davor zu beschützen, was meine Leute hier vorhatten. Die Leute, bei denen ich groß geworden war. Meine sogenannte Familie.
„Entscheide dich Kian. Sie oder wir" Als Ethan das sagte, bekam er zustimmende Laute.
Ich sah zu Benedikt, der nicht wirklich so wirkte, als wüsste er, was er zu tun hatte. Er konnte nicht einschreiten, ohne meine Autorität zu Nichte zu machen, das wussten alle Anwesenden. Und deshalb lag die Situation in meiner Hand.
Klar konnte ich sie einfach zwingen, hinter mir zu stehen oder ich konnte ihnen das Gehirn waschen, mit Silas' Kraft, aber ich wollte keine Loyalität, wenn sie nicht echt war. Deshalb traf ich meine Entscheidung, in dem Wissen, alles dadurch zu verlieren.
Ich ging einen Schritt nach vorne. Nochmal einen und nochmal einen, hatte Silas dabei an der Hand, lief immer weiter und weiter.
Durch meine Kraft brachte ich alle dazu, uns Platz zu machen und führte Silas mit mir zu Tür. Dort angekommen, blieb ich sehen und dreht mich zur „Hochzeitsgesellschaft" um, die mir gerade den schönsten Tag in meinem Leben versaut hatte.
Ich musste nichts sagen, um auszudrücken, dass ich somit die Welt der Vampire hinter mir ließ und mich voll und ganz für Silas und mein Leben mit ihm entschied. Alle verstanden das.
Ich war mir so sicher, das Richtige zu tun, doch ich hatte keine Ahnung, was das für Folgen haben würde.
Die ganzen Toten, das ganze Leid, der folgende Krieg. Das ging alles auf meine Kappe, weil ich egoistisch genug war, nicht auf meine Liebe zu verzichten, um meiner Pflicht nachzugehen, sondern viele wütende Gemüter einfach so zurückließ, nur um selbst mein Glück nicht zu verlieren.
Aber eigentlich hätte ich, egal, was ich getan hätte, nur die falsche Entscheidung treffen können.
So oder so. Alles ging kaputt. Und das war meine Schuld.
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