91. Silas: Uniform
Wir hatten vor, heute unserem Plan nachzugehen. Dafür stand ich gerade mit Philipp vor dem Waffenarsenal, das wir aus Omas Haus geborgen hatten. Er meinte, die meisten der Waffen seien so alt, dass man sie heute gar nicht mehr nutzte, aber sie seien noch gut in Schuss und zur Not würden sie uns im Kampf taugen.
Er hatte seine Uniform an und befestigte daran zwei Dolche aus dem Schrank, eine Klinge und suchte gerade nach Silberkugeln für seine Waffe.
Während das passierte, schaute ich mir all die Waffen an und überlegte, welche mir wohl liegen würde.
Boris hatte sich schon lange mit einem Morgenstern aus dem Staub gemacht und in den Trainingsraum verzogen. Chad hatte sich einen Silberspeer genommen, wohl die typische altertümliche Waffe. Er meinte, damit konnte er am besten umgehen.
Wir hatten beschlossen, dass jeder von uns ein Training bekommen sollte. Deshalb hatte Alica sich mit einem Seil aus Silber bewaffnet, fragt mich nicht, wie das funktionierte. Jay hatte sich nach langem hin und er für einen Bogen mit Silberpfeilen entschieden. Mara hatte sich total lange geweigert, weil sie nicht gewalttätig werden wollte, aber nachdem ich ihr versichert hatte, dass es nur zu ihrem besten war, sich im Notfall verteidigen zu können, war sie lustlos mit einem Schwert, das sie kaum hatte tragen können, abgezogen.
Claire, Luzifer und Chad hatten vor, den anderen ein bisschen Kämpfen bei zu bringen, während Austin und Amy zu Raphael gehen und ihn informieren wollten. Sie hatten mich doch echt überzeugen wollen, mitzukommen. Erfolglos, logischerweise.
Ich hatte keine Ahnung, für welche Waffe ich mich entscheiden sollte, bis Philipp mir eine Armbrust hin hob. „Das ist was für dich, glaub mir" Er legte es vor mir auf den Tisch ab, legte Pfeile dazu, einen Dolch und ein kleines Schwert.
Dann machte er den Schrank auf und holte etwas raus, das dort an einer Stange gehangen war.
„Was soll das jetzt?"
„Das hab ich mir vorhin auch gedacht", meinte er, machte einen Reißverschluss auf.
Heraus kam etwas, das seiner Uniform irgendwie ähnlich war. Sie bestand zumeist aus schwarzem Leder, war aber auch mit Silber bestückt. Und auf Brusthöhe war mein Name eingestickt in der Mitte des Wappens meiner Familie.
Ich schluckte hart, als ich mir das ansah.
Meine Familie hatte vorgehabt, mich als Anführer der Jägersoldaten im Krieg einzusetzen. Sie hatten sogar eine extra Uniform für mich vorbereiten lassen. Und diese sollte ich jetzt anziehen. Aber das war mehr als nur ein Kleidungsstück. Das war ein Schritt in eine gefährliche Welt, mit der ich eigentlich nichts zu tun haben wollte. Obwohl ich wusste, dass es nötig war, wollte, nein, brauchte ich einfach irgendwen, der mir sagte, dass, was ich hier tat, es auch wert war.
„Ich weiß nicht, ob ich das kann, Phil" Ich sah ihn unsicher an.
Er schüttelte den Kopf und legte die Uniform auf meine Waffen, um seine Hände auf meine Schultern zu legen. „Es geht hier nicht um dich, Silas. Es geht um die verfickte Welt. Also pack dich mal an den Eiern und sei, wozu du geboren wurdest. Ein Held" Er sah mich eindringlich an, so als sei er fest davon überzeugt, was er da von sich gab.
Er hatte ja Recht, das wusste ich. Ich hatte die Wahl, hier zu bleiben und mich zu beschweren, dass wir nicht weiter kamen oder in diesen Anzug zu steigen und mich in die Organisation meiner Familie einzuschleusen. Ich wusste, nur mit einer Möglichkeit konnte ich etwas bewirken.
Ich nickte also, gab ein „okay" von mir und zog mich bis auf die Unterhose aus, um in die Uniform reinzuschlüpfen. Meiner Meinung nach sah ich darin lächerlich aus und zu groß war sie auch noch. Phil betrachtet mich kritisch. „Na los, lach mich schon aus", brummte ich genervt und brachte die Waffen an, nahm mir dabei ein Beispiel an Phil.
Er schüttelte den Kopf. „Das hatte ich nicht vor. Mach dir keine Gedanken, ich weiß schon, wie wir das hinbekommen" Er grinste leicht, sah mich dabei aufmunternd an.
Ich brummte ein nicht wirklich überzeugtes: „Wenn du das sagst" und machte weiter.
Er half mir, die Armbrust durch eine Halterung an meinem Bein anzubringen, sodass ich sie dort rausziehen konnte, wenn ich sie benötigte.
„Wie man damit schießt, zeige ich dir die Tage. Bis jetzt musst du einfach nur so rüberkommen, als würdest du das alles wirklich wollen", meinte Phil als wir aus dem Raum gingen.
Wir machten uns auf den Weg nach draußen zu meinem Auto. Nein Leute, ich hatte nach wie vor keinen Führerschein. Aber das hatte mich ja noch nie davon abgehalten, Auto zu fahren...
Heute saß ohnehin Phil am Steuer, weil er den Weg kannte und ich nicht. Er versuchte, mich zu beruhigen und mir Mut zu machen, während wir fuhren, zählte er mir Regeln auf, die für mich so waren, als würden wir zu einer Sekte gehen, was wahrscheinlich auch so war, und klärte mich über bestimmte Umgangsformen auf.
Ich stellte fest, wie gut meine Kindheit bei Oma gewesen war und war ihr nun umso dankbarer, dass sie uns vom Jägersein ferngehalten hatte. Denn so hatte ich echt nicht aufwachsen wollen. Blinder Gehorsam und mittelalterliche Folterstrafen waren alltäglich, wie Phil berichtete. Ich konnte es kaum fassen. Das waren doch alles Psychos!!!
„Wie hast du es so lange da ausgehalten?", hauchte ich ungläubig.
Phil seufzte und fuhr sich mit einer Hand über den Unterarm des anderen. „Ich bin so aufgewachsen, Silas. Mir wurde beigebracht, dass es nichts gibt, das wichtiger ist als der Auftrag. Erst Karen hat mir gezeigt, wozu das Leben wirklich da ist. Und jetzt ist sie die, die dafür bestraft wird, dass sie sich trotz allem in mich verliebt hat." Er schüttelte leicht den Kopf.
Ich kannte die Gedanken, die er gerade hatte. So ähnliche hatte ich auch Raphael gegenüber gehabt.
„Wir werden sie schon da raus bekommen. Vielleicht nützt es ja schon was, dass wir so tun, als würde ich jetzt zu euch gehören. Das ist ja auch ein Erfolg, der auf dein Konto geht", versuchte ich ihn zu trösten.
Er nickte nur.
Wir fuhren ungefähr eine dreiviertel Stunde, bis in ein kleines unscheinbares Dorf, von dem ich bisher nicht mal gewusst hatte, dass es existierte.
Phil erkannte meinen ungläubigen Blick und war sichtlich belustigt. „Was denn? Wir sind eben unauffällig. Du kannst aber davon ausgehen, dass jeder der in diesem Dorf lebt zur Organisation gehört"
Ich nickte beeindruckt und stieg aus dem Auto. Das alles hier sah so gewöhnlich aus- Keiner würde darauf kommen, was sich hier für Geisteskranke herum trieben. Allerdings war es schon etwas auffällig, dass man keine Kinder auf den Straßen oder in den Gärten sah bei dem guten Wetter.
„Komm mit", meinte Phil und nickte auf ein Haus zu.
„Kann es sein, dass ihr uns damals wo komplett anders festgehalten habt?"
Er nickte. „Ja, es gibt viel mehr Standorte. Aber hier hat sich irgendwie das Zentrum entwickelt"
Ich machte einen verstehenden Laut und folgte Phil einfach. Mir war echt unwohl, da ich ziemlich angestarrt wurde, als wir durch ein Haus liefen. Männer aber auch Frauen in Uniformen schienen ziemlich beschäftigt zu sein und sollten uns eigentlich gar keine Beachtung schenken, guckten uns aber trotzdem total dumm an.
Ich folgte Phil in den Keller des Hauses, zu einem Raum, bei dem er erstmal einen Code an einem Verschlussmechanismus eingeben musste, damit sich die Tür öffnete. Es war ziemlich kalt darin, aber ich folgte ihm trotzdem.
„Was ist das?"
„Das Lager von Mitteln, mit denen wir nichts mehr anfangen können oder Versuchen, die zu nichts geführt haben"
„Und was machen wir hier?", fragte ich unverstehend.
Er ging zielsicher zu einem Regal, nahm eine Kiste raus und stellte sie auf den Tisch in der Mitte des Raumes. Er öffnete die Box. Raus kamen kleine Fläschchen mit einem goldschimmernden Inhalt.
Ich sah gespannt darauf, vor allem, als Philipp eine heraus nahm und sie mir zeigte. „Das ist ein Serum, das aus Raphaels Blut extrahiert worden ist. Keiner hat eine Ahnung, was genau es ist, aber jeder, der es bisher nur gerochen hat, ist... naja... er hat es nicht so gut vertragen, sagen wir es so"
„Es hat ihn umgebracht?", hauchte ich geschockt.
Phil nickte mitleidig.
Ich schluckte und nahm das Fläschchen an mich, um den Inhalt genau zu begutachten. Soweit ich das beurteilen konnte, sah das aus wie verdünntes und flüssiges Gold. Und dieser Schimmer, der kam mir bekannt vor von Raphael. Wenigstens wussten wir jetzt, wieso das. Weil er ein verdammtes Engelswesen war. Ist das zu fassen? Ich hatte einen Engel gefickt! Das sollte sich irgendwer notieren und in meine Memoiren schreiben als größten Erfolg meines Lebens.
„Was wollen wir jetzt damit?", fragte ich Phil, als er auf die Idee kam, eine Spritze in den Deckel zu stecken und sie mit dem Gold aufzufüllen.
„Weil du sein Gefährte bist, denke ich, du bist der Einzige außer ihm selbst, der das Zeug verträgt. Ich glaube, es kann dich ziemlich stark machen und deshalb solltest du es nehmen", erklärte er und verstaute dann alles wieder, nachdem er die Spritze bereit gelegt hatte.
Ich sah ihn aus großen Augen an. „Dein Ernst? Das Zeug wird mich umbringen!"
„Wird es nicht. Das ist quasi auch ein Teil von dir. Es wird dich stärken, und das kannst du gebrauchen, nachdem ihr die Verbindung gelöst habt. Es wird so sein, als sei euer Band immer noch da, nur noch stärker"
Es ergab schon irgendwie Sinn, aber ich wusste nicht so recht, ob ich mir das zutraute. Ich konnte sterben, wenn ich es nicht vertrug. Andererseits hatte Phil Recht. Es war ein Teil von Raphael und somit gehörte es auch irgendwie zu mir. Es konnte mir kaum etwas anhaben und wenn doch... so viel hatte ich jetzt nicht wirklich nicht mehr zu verlieren.
„Okay", seufzte ich geschlagen und zog mir das Oberteil der Uniform aus. Es bestand aus einer Art Jacke. Darunter trug ich ein schwarzes Top, also konnte Phil mir das Serum direkt in die Armvene spritzen.
Zuerst tat es etwas weh, wegen der Nadel, aber sobald es in mir war, durch meine Adern floss und zu einem Teil von mir wurde, fühlte es sich an wie der Himmel auf Erden.
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