9. Silas: Neue Freundschaften

Ich hasste es, einkaufen zu gehen. Ohne scheiß, ich überlegte mir gerade ernsthaft, mir eine Frau zu suchen, damit diese das dann übernehmen konnte.

Ich war so unfähig. Ich hatte heute schon ein ganzes Regal heruntergerissen und somit für Chaos in der Marmeladenabteilung gesorgt, dann war eine Milchpackung aufgeplatzt, nur weil ich sie etwas zu fest gedrückt hatte und jetzt, beim hinauslaufen aus dem Laden, als ich gerade erleichtert aufatmen wollte, platzte diese verschissene Papiertüte, in der ich den Einkauf hatte, und ich stand kurz vor einem Ausbruch.

Nein, ich bekam einen Ausbruch, als ein verdammtes Auto meinen geliebten Schinken überfuhr.

„Verdammte Scheiße! Fuck!", fluchte ich laut geschrien in den Himmel, sodass eine Mutter ihr Kind schnell an der Hand nahm und von mir weg zerrte, als sei ich ein abgedrehter Psycho.

Ich ballte die Hände zu Fäusten und versuchte, mich zu beruhigen, als ich das Zeug wieder aufsammelte.

Gerade als ich mich fragte, wo ich das denn jetzt hin tun sollte, erkannte ich eine fremde Hand in meinem Blickfeld, die meinen Einkauf, der sich auf dem Boden verteilt hatte, aufhob und in eine Stofftasche packte.

Ich sah dem jungen Mann überrascht dabei zu, der nahm sich auch das aus meinen Händen, packte alles, das noch zu retten war, in die Tasche und hielt sie mir dann lächelnd hin.

„Äh... Danke..." Verwirrt nahm ich die Tasche an mich.

Das war ja echt nett von ihm.

Er lächelte ein Zahnpastalächeln, das man sonst nur in einer Werbung sah, und schob die Hände in die Hosentaschen. „Kein Problem. Schlechter Tag heute, was?"

Ich nickte schnell. „Und wie. Irgendwie fällt gerade alles auseinander"
Und damit meinte ich nicht nur meine ursprüngliche Tragetasche...

Der Typ nickte verstehend und sah dann auf die Straße, wo mein Schinken lag und noch ein paar andere Sachen, die schon von den Autos zerstört worden waren. Die Armen.

„Ich schätze, du musst nochmal rein"

Ich seufzte geschlagen und nickte, doch hatte keine Ahnung, wie ich das denn jetzt machen sollte.

Er erkannte das wohl in meinem Blick und lachte leicht. „Sag mir, was genau du brauchst und ich bringe es dir mit. Ich wollte nur Chips holen, also ist das kein Problem"

Ich legte den Kopf leicht schief, als ich ihn ansah.

Er war gut einen Kopf größer als ich, ziemlich breit gebaut, aber ungefähr in meinem Alter, vielleicht wenige Jahre älter. Er schien nett zu sein. Aber irgendwie machte mich genau das misstrauisch, denn in Zeiten wie diesen war keiner mehr einfach so nett.

„Ich denke, das passt schon, trotzdem danke", meinte ich zurückhaltend und wollte mich auf den Weg machen, als er mich am Unterarm sanft festhielt.
„Ich weiß nicht, ob ich das so stehen lassen kann. Du hast ziemlich verzweifelt gewirkt, als der Schinken drauf gegangen ist"

Ich musste etwas schmunzeln. „Naja, tot war er ja auch schon vorher"

Der Typ zuckte mit den Schultern und ließ mich los, als er bemerkte, dass ich nicht vorhatte, wieder wegzulaufen. „Jedenfalls denke ich, dass es meine Aufgabe ist, als redlicher Bürger und Vertreter von Nächstenliebe, dir einen neuen Schinken zu besorgen" Er grinste mich an und ich weiß nicht wieso, aber ich gab mich geschlagen.

„Gut", meinte ich und lehnte mich an ein paar Fahrradständer. „Ich werde hier genau 10 Minuten warten und wenn du bis dahin nicht zurück bist, dann kannst du deinen toten Schinken selbst essen"

Er nickte schnell und eilte in den Laden.

Schmunzelnd schüttle ich den Kopf und sah auf den Parkplatz, auf dem sich der Schinken und etwas Käse verteilt hatten.

Das einfach so da liegen zu lassen fühlte sich nicht gut an, aber erstens würde das heute Abend bei Ladenschluss ohnehin weggeräumt werden und zweitens würde ich nur überfahren werden, wenn ich mich da jetzt hin kniete, um das Zeug aufzuheben.
Also blieb ich hier stehen, überprüfte meinen Bestand und dachte nach, warum ich eigentlich so mies drauf war heute.

Es lag einfach an allem.
Zu wenig Schlaf, zu wenig Liebe, zu wenig Raphael.
Er hatte so viel Zeit wie noch nie in seinem Leben, aber irgendwie schien es mir so, als sei es ihm egal, ob er sie mit mir verbrachte oder nicht.

Ich kämpfte um jeden Blick von ihm, um jedes Lächeln, um jeden Kuss. Das machte mir zu schaffen.

Mir fehlte dieses Gefühl, von ihm geliebt und begehrt zu werden.
Früher hatte er sich sehr angestrengt, um meine Aufmerksamkeit zu bekommen, er hatte mich überredet und Methodiken angewandt, um mich zu sich zu locken, hatte kaum die Hände oder den Blick von mir lassen können, aber nun... Er war irgendwie nicht mehr er selbst.

Und ich hasste dieses Gefühl, wenn ich bei ihm war, denn da war nichts. Kein Gefühl. Keine Wärme, wenn wir uns berührten, keine Aufregung, keine Liebe. Nur Enttäuschung. Aber an ihm zog das total vorbei.

Es war wie damals, nachdem er von Charlie erfahren hatte, wer er wirklich war und wie er zur Welt gekommen war. Nur schlimmer. Irgendwie konnte ich es auch gar nicht nachvollziehen, denn er hatte sich für mich entschieden, er hatte mich gewollt und nun hatte er das und war unzufrieden.

Wenn er doch wenigstens mit mir reden würde... Ich fühlte mich so nutzlos...

„Hier bitteschön" Auf einmal hatte ich einen Schinken vor dem Gesicht, sowie Käse und Butter. Alles, was von meinem Einkauf drauf gegangen war.

Ich tauchte aus meinen Gedanken in die Realität und nahm die Dinge an mich, um sie in die Stofftasche zu stecken.

„Danke", murmelte ich dem Typen zu, der ziemlich stolz auf sich zu sein schien.

Ich wollte ihm das Geld für die Sachen geben, aber er winkte ab. „Ach was, lass stecken. Dein Tag ist ja eh schon mies genug. Komm, ich lad dich auf nen Kaffee ein"

Er nickte in Richtung des Starbucks, der nur etwa 100 Meter entfernt war und ich seufzte. „Der Einkauf"

Er machte eine wegwerfe Handbewegung. „Wegen 10 Minuten geht der schon nicht kaputt. Komm mit"

Ohne wirklich auf eine Reaktion von mir zu warten, nahm er meine Hand und zog mich mit.

Ich musterte ihn von der Seite, als ich meine Hand aus seiner löste, doch weiterhin neben ihm herlief.
„Irgendetwas ist an dir anders", stellte ich fest.

Er lächelte mich an. „Ist das ein Flirtversuch? Tut mir leid, aber ich bin glücklich vergeben."

Ich schüttelte den Kopf. „Nein, das war kein Flirtversuch. Ich bin einfach nur misstrauisch"
Ups, ganz schön ehrlich von mir...

„Wolltest du deshalb keinen Kaffee mit mir trinken?", fragte der Typ weiterhin gut gelaunt.

Ich schüttelte den Kopf. „Nein, sondern weil ich einen Verlobten habe und mich gerade irgendwie mies fühle, mit dir unterwegs zu sein..."

Er sah zu mir runter, zog die Augenbrauen hoch. „Also bist du doch so einer"

Ich blickte ihn fragend an und er lachte. „Na einer, der auf Typen steht. Du hast mich vorhin schon so komisch angeschaut, als würdest du mich vernaschen wollen"

Das brachte mich zum Lachen. „Davon kannst du träumen. Mein Verlobter ist der einzige Mann, für den ich mich interessiere. Aber wenn es dir bei deinem Selbstvertrauen hilft, dann bilde dir ruhig weiter Sachen ein"

„Ich mag dich, du bist lustig", meinte er und stupste mich mit der Schulter leicht.

„Und vergeben", setzte ich hinzu.

Er verdrehte die Augen. „Ich doch auuuuch. Trotzdem darf man doch Freundschaften schließen"

„Naja, irgendwie glaube ich nicht, dass du Freundschaft von mir willst", meinte ich viel zu ehrlich, als wir in den Starbucks gingen und er mir die Tür aufhielt.

„Das mag daran liegen, dass du dir wünschst, ich würde mehr von dir wollen" Er zwinkerte mir zu, fragte mich, was ich trinken wollte.

Ich nannte ihm das Getränk, er bestellte und ich stand nur als Dekoration nebenbei. Sein Becher wurde mit dem Namen Phil beschriftet und meiner mit Silas, nachdem ich meinen Namen genannt hatte.

„Schöner Name. Ist nicht so häufig", meinte Phil, als wir uns draußen an einen Tisch setzten.

Ich zuckte mit den Schultern. „Mein Cousin heißt Boris und meine Cousine Alica. Bei uns ist nichts häufig. Aber Phil ist doch ne Abkürzung oder?"

Er lachte leicht. „Jap. Steht für Phillip, oh Wunder"

Er brachte mich wirklich zum Lachen, ich konnte nicht verstehen wieso.

Ich war bei ihm so offen, wie eigentlich nicht mal zu Raphael. Wir reden viel, er erfuhr viel von mir.

Als ich dann vor meiner Haustüre stand, wusste ich selbst nicht mehr von ihm, als dass er Phillip hieß, eine Freundin hatte und man viel zu gut mit ihm reden konnte...














Mhhh was sollen wir denn von Phillip halten?

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