70. Silas: Kapitulation
Ich wollte ja echt lachen. Aus Schock, aus Unglauben, einfach, damit ich nicht weinen musste. Aber nein, Raphael, der Mann, den ich liebte, hatte mir den Teufel ins Haus geschleppt, nur um nicht mehr mit mir verbunden sein zu müssen.
Ich sah ihn an. Als das passierte, sah er auf den Boden. Dieser verdammte Feigling.
Es reichte mir.
Ich ging einfach zu ihm, schnappte mir sein Handgelenk und zerrte ihn mit mir in die Abstellkammer. Die Tür knallte ich hinter uns hörbar zu und stellte mich dann mit verschränkten Armen vor ihn.
Ich starrte ihn einfach nur an.
Er hielt wohl die hier gelagerten Nudeln für interessanter, als meine vorwurfsvolle Miene, denn er hatte nur Augen für sie.
„Hei!" Ich schlug ihm auf die Brust, sodass er kurz nach hinten taumelte. „Was soll das?! Du kannst das unmöglich ernst meinen!"
Seine Ohren mussten kaputt gehen bei der Lautstärke meiner Stimme, aber das war gerade echt das Geringste, das mich irgendwie interessierte.
Raphael zwang seinen Blick hoch in mein Gesicht.
Diese kalte Maske, die er seit Wochen trug, war weg, ich sah seine Verzweiflung, seine Schreie um Hilfe, seine Liebe für mich.
Das erweichte mein Herz sofort und ich erwiderte seinen leidenden Blick.
Wir sahen uns in die Augen.
Vorsichtig bewegte ich meine Hand zu seiner und hielt sie fest.
Für ihn war es wohl, als würde ich durch diese zarte Geste all seine Mauern einreißen. Innerhalb einer Sekunde presste er mich an die Tür in meinem Rücken, packte sich meinen Kopf und presste seine Lippen auf meine.
Vor Überraschung gab ich ein hohes Quieken von mir, doch erwiderte dann sofort und zog seine Hüften an meine.
Der Kuss war emotional, leidenschaftlich, verzweifelt, aber auch liebevoll.
Ich müsste lügen, um nicht zu sagen, das war der beste Kuss, den er mir je geschenkt hatte oder zumindest der, bei dem meine Gefühle am meisten verrückt gespielt hatten.
Es war nicht nur ein Kuss. Für mich war es der Beweis, dass mein Raphael noch lange nicht verloren war.
Es war das Licht in der Dunkelheit. Es war mein Grund zu leben.
Er presste sich an mich und ich umarmte ihn fest, einfach, um mir das zurückzuholen, was ich die letzten Wochen nicht bekommen hatte.
Noch nie, wirklich noch nie hatte ich mich so von ihm gewollt und begehrt gefühlt wie in diesem Augenblick. Alles andere war mir gerade so unwichtig, einfach egal.
Ich machte ihm durch meine Lippen deutlich, dass er bei mir genau da war, wo er sein musste. Dass wir zusammen den Rest irgendwie hinbekommen würden. Dass er mein Ein und Alles war.
Aber irgendwann musste dieser Moment enden, der Kuss wurde langsamer, intensiver, fast so, als wollte Raphael ihn beenden, doch konnte einfach nicht. Und ich würde ihn sicherlich nicht lassen.
Doch nach einer Weile tat er es dann, lehnte seine Stirn an meine, schloss die Augen.
Ich wollte nichts sagen oder ihn fragen, was das sollte. Ich wollte ihn nicht vertreiben, sondern einfach nur diesen Moment mit ihm genießen.
Ich brauchte ihn. Jetzt und für immer.
Aber für ihn hatte dieser Kuss eine andere Bedeutung gehabt als für mich.
Er atmete tief durch, so als wolle er Kraft tanken, ehe er zwei schnelle Schritte zurück ging und mich aus der plötzlichen Distanz ansah. Seine Wangen waren leicht rot, seine Augen glasig, aber seine Mimik gewann an Kälte zurück.
„Was war das?" Ich wollte wütend klingen, aber meine Stimme hörte sich einfach nur überwältigt an.
„Ein Abschiedskuss"
Diese einfachen zwei Worte, brachten mich dazu ungläubig den Kopf zu schütteln. „Nein"
Er presste die nun leicht geschwollenen und roten Lippen zusammen, so als sei er wütend. „Das ist nicht nur deine Entscheidung, Silas"
„Deine auch nicht!", hielt ich ihm laut vor.
„Fang jetzt bitte nicht wieder an zu schreien", seufzte er, massierte sich die Schläfen.
Ich konnte nur noch den Kopf schütteln.
Er war so ein Arschloch. So ein egoistisches, selbstsüchtiges, hochnäsiges Arschloch.
Wie konnte er mir das antun? Wie konnte er mir sagen, dass er mich nicht wollte, mich dann küssen und dann wieder mit mir Schluss machen? Wie konnte er mir dabei in die Augen sehen? Wie hielt er diesen Schmerz aus, wenn ich jeden Moment zu zerbrechen drohte?
„Beweis es", hauchte ich, bevor ich selbst wusste, was ich da tat.
Er legte fragend den Kopf schief. „Was?"
„Dass du mich nicht mehr willst. Dieser Kuss hat nämlich eher das Gegenteil bewiesen. Ich weiß, dass du mich liebst und du weißt, dass du ohne mich nicht kannst. Wieso tust du dir das an? Uns? Wieso alles kaputt machen, was wir uns aufgebaut haben? Wieso..."
„Ich habe den Teufel beschworen, um dich loszuwerden, Silas. Das sollte genug beweisen"
Diesen Satz sagte er mir ins Gesicht, während ich ihn fragen wollte, wieso ich ihm so egal geworden war.
Es war Antwort genug. Es war Grund genug, hier und jetzt zu akzeptieren, dass ich aufgeben musste.
Ich konnte keinen Kampf führen, den er schon lange beendete hatte. Sonst würde ich nur noch gegen mich selbst kämpfen, nur noch mir selbst wehtun und mich schließlich selbst vernichten.
„Gut", hauchte ich also in einer Qual, die ich noch nie empfunden hatte. „Wenn du denkst, das ist das Beste für dich..."
Mehr konnte ich dazu nicht sagen.
Ich konnte gar nichts mehr. Ich gab auf. Und das obwohl ich wusste, dass ich das ganz sicher noch bereuen würde.
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