69. Chad: Schicksal vs. Zufall
Die Stimmung im Haus war wirklich schlecht.
Silas und Boris hatten Liebeskummer, auch wenn keiner von beiden das so richtig zugeben wollte, Amy und Claire waren nach wie vor im Vampirreich, um dort für Ordnung zu sorgen, auch Austin war, nachdem er eine Nacht wieder zu hause verbracht hatte, zurück in das Reich seines Volkes gegangen, wohl um Raphael beizustehen.
Mara hatte mir erzählt, dass sie ziemlich sauer war, weil Raphael so „arschlochig" mit Silas umging, Alica machte sich sorgen um Amy, vermisste sie, seit sie im Reich der Vampire helfen war, Dale war sowieso unser größtes Problemkind und ich fühlte mich dafür verantwortlich, dafür zu sorgen, dass es den Anderen etwas besser ging, selbst wenn ich auch nicht gerade bei bester Stimmung war.
Wir hatten auch vorgehabt, Elijahs Mutter nach der Jägerfamilie Cooper zu fragen, aber nach meinem erfolgreichen Hacken in die Polizeidatenbank mussten wir leider feststellen, dass diese vor etwa einem Jahr verstorben war.
Sie konnte uns also nicht mehr helfen.
Klar konnte ich jemanden aus meiner Familie fragen oder zumindest irgendeinen Mitarbeiter, aber selbst denen, die mich leiden konnten, wurde er Kontakt zu mir untersagt. Und wenn man gegen Regeln verstieß, dann wurde das sehr schnell sehr schmerzhaft.
Es vergingen, seit Austin wieder im Vampirreich war, etwa zwei Wochen, in denen sich nichts veränderte.
Austin rief jeden Abend an, einfach, um Bescheid zu geben, was alles so passierte und dass es ihm gut ging, sowie, um sich nach uns zu erkundigen.
Amy hatte, laut Boris' Vermutungen, Telefonsex mit Alica und Claire hatte angeblich einen Liebhaber gefunden. Die Welt wurde also immer verrückter und verrückter, aber das war ja nichts neues.
An einem Tag, der bislang wie jeder noch so langweilige vor ihm war, saßen wir alle Anwesenden im Hause zusammen vor dem Fernseher. Allen fehlte irgendwie der Elan für Unternehmungen und wir wollten immer hier sein, um informiert zu sein, falls etwas passierte.
Das einzige Mal, das wir das Haus ein paar mal verlassen hatten, war, um das Haus von Oma Jenkins zu verwalten.
Wir hatten sie, weil Boris sich das so gewünscht hatte, wie eine Jägerin bestattet. Der Garten war ja groß genug gewesen. Dort hatten Silas, Boris und Alica eine kleine Stelle nur mit Blumen angelegt, genau da, wo wir ihre Oma verbrannt hatten.
Wir hatten alle Waffen und Schriften, die im Keller gewesen waren, in dieses Haus gebracht, bis auf eine kleine Notration. Ansonsten wurde das Haus eigentlich nicht mehr benutzt oder betreten.
Ich denke, wenn all der Stress mal vorbei war, dann konnten Boris, Silas und Alica immer noch entscheiden, was sie damit machen wollten und wer einziehen sollte.
Ich fand es aber, obwohl es einen ziemlichen Platzengpass gab, wenn mal alle hier waren, gut, dass wir alle zusammen hier in diesem Haus waren. So konnten wir uns immer sicher sein, dass es den Anderen gut ging und ihnen helfen falls nicht.
Mir fiel auf, dass Dale und Boris sich ziemlich gut verstanden. Sie hatten irgendwie einen ähnlichen Humor, auch, wenn Dales etwas dunkler war.
Ich bemerkte auch, dass mein Bruder immer mehr aus sich heraus kam.
Er entwickelte sich, veränderte sich und wenn ich ehrlich war, wusste ich nicht in welche Richtung.
Ich meine, es ging ihm gut, ja, er war schon noch irgendwie er, aber nicht mehr der Dale, den ich gekannt hatte. Mir war klar, dass er nach dem Koma nicht sofort als er selbst wieder aufwachen würde, aber ich musste feststellen, dass seine Persönlichkeit nahezu wie... ausgetauscht... war.
Trotzdem war er mein kleiner Bruder und ich mochte ihn ja auch. Er hatte nicht mehr so einen Stock im Arsch wie früher, er war nicht mehr so gehorsam, nicht mehr so spießig und er hatte endlich keinen Kopf mehr für seine Zukunft als Soldat. Das fand ich gut.
Aber ich vermisste auch den kleinen Jungen, den ich nach dem Drill unserer Eltern immer getröstet und laut ihnen durch die Vermittlung von moralischen Werten verweichlicht hatte. Dabei hatte ich nur dafür gesorgt, dass er sich wenigstens bei einer Person geliebt gefühlt hatte, wenn schon nicht bei unseren Eltern. Sie hatten nie ihren Sohn in ihm gesehen.
Nur einen Soldaten, wie jeden anderen, einen mächtigen, aber nur einen Soldaten.
Außerdem hatte er laut eigener Aussage wohl keine Kräfte mehr. Ich konnte das bestätigen, denn ich trainierte mit den Anderen regelmäßig im großen Kellerraum. Wir meditierten, wir hatten Kampftraining und wir alberten auch immer viel herum.
Diese Leute hier, die ohne Jay heute Fremde für mich gewesen wären, waren mehr meine Familie für mich als es meine genetische je gewesen war. Obwohl wir schon echt ein schräger Haufen waren.
Gerade schien es allen den Umständen entsprechend gut zu gehen. Boris hatte zumindest seine Kraft wieder etwas im Griff, sodass er keine allzu große Angst mehr hatte einzuschlafen und er kam nun auch mit der körperlichen Kraft klar, wobei wir noch immer nicht wussten, wieso er plötzlich so viel von Charlies Kraft in sich hatte.
Silas vermisste seinen Raphael sehr, er hatte es auch schon versucht sich bei ihm zu melden, aber er ließ ihn immer wieder abblitzen und er hatte erzählt, dass er an der Grenze zum Reich nicht mehr durchkam, so als stieß es ihn ab, weil es wusste, dass Raphael ihn nicht da haben wolle.
Wir hatten, schon seit er sich zum König ernannt hatte, nichts mehr von ihm direkt gehört. Er hatte auch kein einziges Update gegeben, wie er so voran kam oder ähnliches. Es wunderte mich, dass er nicht auch noch Austin und den anderen den Kontakt zu uns verbot.
Aber das traute ich ihm eigentlich gar nicht zu. Er trauerte eben, da machte man verrückte Sachen. Wie verrückt würde sich heute, in wenigen Minuten genauer gesagt, schon noch zeigen.
Nach einer Weile, in der wir alle einfach nur vor uns hin gegammelt hatten, klingelte es an der Tür.
„Ich nicht!", riefen wir alle fast zeitgleich.
„Boa ihr faulen Missets", beschwerte sich Boris. „Ich geh sicherlich nicht"
Ich schüttelte den Kopf.
Bevor wir anfangen konnten, Massen- Schnick schnack schnuck zu spielen, wer gehen musste, rief jemand von draußen: „Ich bins, Silas, beweg deinen Arsch!"
Oh das war Raphael.
Silas sah uns aus ganz großen Augen an, wurde knallrot und schüttelte schnell den Kopf, um zu signalisieren, dass er nicht in der Lage war an die Tür zu gehen.
Ich seufzte und erklärte mich dazu bereit, das zu übernehmen. „Schon gut, ich gehe."
„Kack dir solange nicht in die Hose", meinte Mara genervt zu Silas.
Ich quälte mich vom Sofa, schlenderte an die Tür und öffnete sie, aber nicht so weit, dass er eintreten könnte. „Was willst du?"
Ich wusste, alle hielten mich immer für den netten und freundlichen, aber Raphael gegenüber war ich gerade einfach nicht gut gestimmt.
„Lass mich rein", meinte Raphael bloß, sah mich kalt an.
Ich schnaubte. „Sicherlich nicht, wenn du so drauf bist..." Ich wollte ihm erklären, dass es zu Silas' Bestem war, aber er unterbrach mich durch ein Schnauben.
„Das hier ist nach wie vor mein Haus. Ich kann euch alle vor die Tür setzen, wenn ich das will. Und jetzt lass mich rein, oder ich muss wohl mit Gewalt reinkommen"
Ich blieb stehen und kniff die Augen zusammen. Er war nicht der Erste, der um weiten stärker war als ich und mir Gewalt androhte. Ich war mir sicher, er würde diesen Schritt, der ohne jeden Zweifel eine Grenze überschreiten würde, nicht gehen.
Raphael und ich lieferten uns ein Blickduell, solange, bis mir die Tür weggenommen und weiter geöffnet wurde.
Silas hatte wohl doch den Mut gefunden, dazu zu kommen und zog mich auf die Seite, damit Raphael rein kommen konnte. Erst dann bemerkte ich, dass er einen Begleiter hatte.
Ich musterte ihn, seine schwarzen Haare, die dunklen Bartstoppel, die Muskeln, die sich unter seinem Shirt abzeichneten und dieser arrogante Blick, dem man ihm am liebsten mit einer Bratpfanne ausprügeln wollte.
„Hei", meinte Silas schüchtern zu Raphael, lächelte dabei.
Raphael schaute Silas an.
Ich wollte ihn wirklich für ein Arschloch halten, für einen gefühllosen Mistkerl, aber ich sah so viel Leid und Traurigkeit in seinem Blick, selbst, wenn er es zu verbergen versuchte, dass ich ihn einfach nicht verurteilen konnte, so sehr ich es auch wollte.
„Hi" Seine Stimme klang auch total anders, als er dieses kleine Wort zu Silas sagte. So leidend.
„Wer ist das?" Silas nickte zu Raphaels Begleiter, während er die Tür schloss.
Dieser musterte mich genauso eingehend wie ich ihn zuvor.
„Musst du nicht wissen. Er kann uns helfen"
Silas lachte unsicher. „Ein Paartherapeut oder was?"
Der, um den es ging, zog seine Augenbrauen hoch, betrachtete Silas kritisch und sah dann zu Raphael, der nur Silas im Blick hatte.
„Er weiß, wie wir unsere Verbindung trennen können"
Silas' unsicheres Lächeln verging ihm, so als habe man es ihm aus dem Gesicht geschlagen. „Ich hab dir doch gesagt, dass ich das nicht will..."
„Das ist mir egal", durchschnitt Raphael ihm das Wort. „Es geht nicht mehr nur um dich und mich, versteh' das doch endlich. Ich hab jetzt die Verantwortung für viele Vampire, zumindest so viele, wie noch übrig sind und du störst dabei, meinen Job zu erledigen."
„Ich bin dein Verlobter", gab Silas verletzt, aber auch gereizt von sich. „Du hast auch eine Verantwortung für mich"
Raphael schüttelte den Kopf. „Nicht mehr, wenn unsere Verbindung gelöst ist... Wenn du Glück hast, bist du danach vielleicht auch deine Gefühle für mich los. Wir wären keine Gefährten mehr..."
„Du hast den Verstand verloren!", brüllte Silas so plötzlich, dass ich zusammen zuckte. „Das Schicksal hat uns verbunden, aus einem Grund! Wir gehören zusammen! Du kannst das nicht einfach so umentscheiden, nur weil es dir nicht passt, dass dein verdammtes Herz mir gehört, verstanden?!"
Im Augenwinkel sah ich, wie alle anderen neugierig aus dem Wohnzimmer zu uns spähten, ich sah, wie Raphael, die Lippen zusammenpresste und dann, wie der Fremde begann mit dem Kopf zu schütteln. „Mach mal nicht so ein Drama hier. Ein Schicksal gibt es nicht. Diese Verbindungen sind meistens nur zufällig von ein paar wertlosen Engeln entschieden, die ansonsten nichts zu tun haben. Man schließt sie schnell und man kann sie auch schnell wieder lösen..."
„Wer bist du, dich in meine Beziehung einzumischen?!", fauchte Silas ihn an und ging einen bedrohlichen Schritt auf ihn zu.
Der Typ schien aber höchst unbeeindruckt. Er sah auf Silas herunter, als sei er ein minderwertiges Wesen. „Ich, Silas Jenkins, bin Luzifer persönlich. Und wenn du es nochmal wagst, mir mit dieser Haltung entgegenzutreten, schleppe ich dich mit mir in die hinterste Ecke der Hölle und wir sehen, wie groß deine Klappe dann noch ist"
Ups... Wen haben wir denn da?
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top