55. Chad: Neue Freunde
Erstmal war ich ziemlich verwirrt, als ich aufwachte und mich umsah. Dann fiel mir wieder ein, was die letzte Zeit alles so abgegangen war und ich wusste, wo ich war. Allerdings wusste ich auch, dass Dale eigentlich bei mir im Bett liegen sollte. Da es aber mittlerweile wohl schon halb zehn war, machte ich mir deshalb keine großen Sorgen. Er musste ja nicht warten, bis ich wach war, um aufzustehen.
Ich hatte überraschend gut geschlafen letzte Nacht. Keine Alpträume, keine Gedanken, die mich wach gehalten. Aber jetzt, wo ich so wach war und mir bewusst wurde, was nun wieder alles auf mich zu kam sehnte ich mich ein paar Jahre zurück. So ungefähr 3. Damals, als Anni mich jeden Morgen mit mindestens einem Kuss aus dem Bett bekommen hatte. Damals, als sie mir Frühstück gemacht hatte, während ich mich für die Arbeit fertig gemacht hatte. Damals, als sie jeden Tag für mich perfekt gemacht hatte nur durch ein Lächeln, wenn sie mich dabei ansah. Ich war dann immer zu Jay gegangen, das relativ früh, um ihm zu helfen und meine Arbeit zu erledigen. Anni hatte sich in der Zeit immer wieder hingelegt, bis sie ebenfalls hatte zur Arbeit müssen.
Sie war Schauspielerin und spielte schon seit ca. 5 Jahren als einer der Hauptcharaktere in einer Daily-soap mit. Nebenbei modelte sie oder nahm kleine Nebenrollen an.
Ich hatte mich immer gewundert, wie eine Frau wie sie an einen Typen wie mich geraten war. Trotzdem war ich immer davon überzeugt gewesen, unsere gemeinsame Zukunft sei in Stein gemeißelt. Aber nein, ich hatte es vermasselt.
Das war meine Schuld, das wusste ich. Ich hätte sie nicht belügen sollen. Klar stellte man sich nicht vor mit; Hei, mein Name ist Chad und ich bin Krankenpfleger, weil ich laut meiner Jägerfamilie eine Behinderung habe, die es mir verhindert, Superkräfte auszubilden, mit denen ich Vampire bekämpfen kann, und ich deshalb unbrauchbar bin.
Doch ich hatte genügend Gelegenheiten gehabt, reinen Tisch zu machen. Als Dale ins Koma gefallen war zum Beispiel. Jedes Mal, wenn ich nach jedem Besuch von ihm völlig fertig war und sie mich erstmal hatte trösten müssen.
Nach jedem Streit mit meiner Familie, weil sie Anni, um mich zu provozieren, fast die Wahrheit gesagt hatten. Nachdem ich mich mit Austin angefreundet und mich den Jungs vorgestellt hatte... Und noch so so viele mehr.
Aber nein, ich beichtete ihr in einem komplett verzweifelten Zustand, was ich war, was meine Familie war, ohne es verleugnen zu können.
Klar war sie sauer und musste darüber hinweg kommen. Aber irgendwie hatte ich eine Zeit lang gehofft, sie würde wieder zu mir zurückkommen. Wir liebten uns doch. Meine Herkunft änderte nichts daran.
Und ihr Gefühl, mich gar nicht richtig zu kennen, war ja mal sowas von falsch. Sie war die einzige, die mich richtig kannte. Seit Jay tot war zumindest.
Ou man. Auch ihn vermisste ich.
Er war nie nur ein Patient für mich gewesen oder ein kleiner Bruderersatz. Ich hatte mich wirklich für ihn verantwortlich gefühlt, wollte ihm ein schönes Leben machen, ihm beistehen, als sein bester Freund. Aber auch das hatte ich vermasselt.
Ich gab mir immer so viel Mühe, nicht, um perfekt zu sein, sondern anderen zu helfen, es perfekt zu haben. Aber ich versagte.
Jetzt mal ganz ehrlich, was hatte ich in meinem Leben schon auf die Reihe bekommen? Nichts, das ich nicht wieder verloren hatte.
Dale war das Einzige, was ich wieder zurückbekommen hatte und ich war nicht bereit, ihn wieder aufgeben zu müssen. Ich wollte ihn nicht verlieren. Auch nicht, wenn ich dafür akzeptieren musste, dass Austin und er eine Verbindung hatten, die ich niemals zu ihm haben würde.
Nach all diesen vernichtenden Gedanken und einer ausgiebigen Dusche, schleppte ich mich ins Esszimmer, wo ich doch tatsächlich alle anderen antraf.
Wow. Und das um zehn Uhr. Hatten die eigentlich alle nichts zu tun? Also ich hatte mir ja frei genommen, was war ihre Entschuldigung fürs Faulenzen?
„Morgen, Leute", brummte ich verschlafen, gähnte müde und setzte mich zu Austin, sodass er nun zwischen Dale und mir saß, der sich köstlich mit Boris unterhielt.
„...Du hättest ihm diese Scheiße einfach ins Gesicht schmieren sollen", lachte mein Bruder.
Boris nickte schnell. „Aber sowas von! Dieser scheiß Penner hat echt gedacht, er könnte alles machen, was er will. Dreckssack"
„Worum geht's denn?", erkundigte ich mich und nahm mir einen Apfel aus der Obstschale, die immer auf den Tisch stand.
Während ich hinein biss, wandte sich Dale an mich. „Boris hat von so einem Typen erzählt, der Alica im Kindergarten immer gehänselt hat. Er hat ihr sogar mal in die Schuhe gekackt. Und ich habe vorgeschlagen, ihm seine Kacke einfach ins Gesicht zu klatschen, so als Peeling" Er grinste mich stolz an und ich zog amüsiert die Augenbrauen hoch.
„Früher hättest du diesem Kerl die Scheiße nicht wieder ins Gesicht geklatscht, sondern ihm einen noch größeren Haufen auf die Stirn gelegt, während er seinen Mittagsschlaf gemacht hätte" Als ich das ernsthaft verkündete, mussten alle lachen.
Nein, Dale hätte sowas niemals gemacht. Hätte ihn einer im Kindergarten gehänselt, wäre er weinend zu mir gerannt und ich hätte mich dann um den gekümmert. Aber das mussten die anderen ja nicht wissen und ich wollte ihn auch nicht blamieren vor seinen neuen Freunden.
„Und du?" Mara sah mich neugierig an.
„Was ich?", hakte ich nah. „Na was hättest du gemacht, wenn dir einer einen Haufen in die Schuhe gelegt hätte?"
„Puh!" Ich stieß den Atem aus. „Keine Ahnung. Ich hätte ihn mir neue Schuhe kaufen lassen und vermutlich bei seinen Eltern rumgeheult, damit er einen Einlauf bekommt. In dem Alter denke ich hat sowas die meiste Wirkung"
Silas' Schwester verdrehte die Augen. „Das ist ja mal langweilig."
„Sorry!", lachte ich leicht und zuckte mit den Schultern. Ich war halt nicht sehr spannend. Das war ich noch nie gewesen.
Es gab immer diese drei Typen von Jungs. Die superschlauen, aber schüchternen, die superdummen, aber beliebten Badboys und die Normalos. Ich gehörte mit Sicherheit zur letzten Gruppe. Nie auffällig, immer freundlich und vor allem Streit aus dem Weg gehend.
„Was ist das da?" Claire, die auf der anderen Seite neben mir saß, strich mit ihren feinen Fingerspitzen über meinen Oberarm, wo ich ein Tattoo trug, das ich bereits mit 16 bekommen hatte.
Es sagte so viel über mich aus, und das tat weh.
„Naja, jede Jägerfamilie hat so sein Wappen und das wird einem tätowiert, wenn man vollwertiger Jäger ist und sein Leben dem Auftrag widmen muss..."
„Ich finde das Wappen aber nicht sehr schön", gab Claire kritisch aber ehrlich zurück.
Ich schmunzelte traurig. „Das ist ja auch nicht unser Familienwappen. Dale hat das Wappen und ist somit als Jäger gekennzeichnet. Mein Tattoo ist eher sowas wie ein Hinweis darauf, dass ich eine Schande für die Familie bin"
Am Tisch war es still, Claires Blick streng hoch in meine Augen, die nahm langsam die Hand von mir. „Das... tut mir leid"
Ich lächelte leicht. „Schon okay. Hab mich damit abgefunden. Und lieber so, als dass ich mein Leben diesen Spinnern verpflichten müsste"
Ich hatte wohl noch nie so sehr im Mittelpunkt einer Gruppe aus mitleidigen Blicken gestanden wie jetzt.
Ich war froh, dass Boris bemerkte, wie unangenehm mir das war. „Was ist wohl unser Wappen?", fragte er sich selbst und Silas.
Dieser zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung, interessiert mich auch nicht. Nur weil wir Jägerblut haben, heißt das nicht, dass wir jemals Jäger sein werden. Ich habe nicht vor, mein Leben etwas zu widmen, das andere leiden lässt"
Boris nickte zustimmend. „Ach da fällt mir ein. Chantal, hast du meinen Mann gesehen?"
Ich verdrehte die Augen, da ich es hasste, wenn er mich so nannte. „Nein, Borlinda, ich habe deinen Mann seit gestern Abend nicht mehr gesehen."
Er kicherte kurz, wegen der Bezeichnung und zuckte dann mit den Schultern. „Vermutlich ist er bei Benedikt und kümmert sich darum, dass er die Armee zurückzieht, die nach Austin, Raphael und Silas gesucht hat. Ihr solltet da ohnehin mal vorbeischauen und Bene alles berichten. Ich komme dann gleich mit und versohle Charlie den Arsch, weil er mal wieder was durchzieht, ohne mich davon zu unterrichten"
Wir mussten uns alle ein Lachen verkneifen, weil Boris so wirkte, als habe er echt vor, Charlie übers Knie zu legen.
Das wollte ich sehen!
Nur würde es eben nie dazu kommen...
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