32. Austin: Gespräch
Ich sah zu Boris, der in meinem Zimmer stand und mich auffordernd ansah und verschränkte die Arme. „Dir ist aber schon klar, dass ich erwachsen bin und du mir nichts zu sagen hast, oder?"
Dieser Idiot wollte mich doch ernsthaft zwingen, heute mit ihm und den anderen in seinen Club zu gehen.
Ich und feiern! Das war schon seit Jahren nicht mehr vorgekommen und ich hatte auch nicht vor, das heute Abend noch zu ändern.
„Weißt du, was du mich langsam kannst?" Boris kniff die Augen zusammen und sah mich ziemlich zornig an. Ich ging davon aus, dass er das niemals aussprechen würde, doch irrte mich. „Am Arsch lecken, das kannst du mich!", schnaubte er und trottete aus meinem Zimmer, aber nicht ohne die Tür lautstark hinter sich zuzuknallen, damit es schön dramatisch wurde.
Meine Güte, was war denn so schlimm daran, dass ich einfach nicht mit den Andern feiern gehen wollte? Ich würde doch ohnehin nur schlechte Laune machen.
Ich lag weiterhin in meinem Bett herum und entschied mich dazu, mal mit Alina zu telefonieren. Ihre Stimme konnte mich manchmal ganz gut aufmuntern.
Nach einer Weile ging sie auch ran. „Hei Austin. Sorry, dass es so lange gedauert hat, ich war gerade am Wickeln"
„Schon okay", meinte ich. „Ist alles gut mit Elijah?"
„Klar. Er vermisst dich aber, glaube ich."
Ich musste schmunzeln, als sie das sagte. „Gib ihn mir doch mal" Während ich das sagte stand ich auf und ging runter.
Ich war mir sicher, das Boris und die anderen schon weg waren und ich deshalb in Ruhe meinen Abendshake trinken konnte.
Während Alina mir ihren Sohn ans Telefon holte, ging ich die Treppen runter und als Alina mir dann sagte, dass der kleine das Handy in Hörweite hatte, fing ich an zu reden. „Hei, mein kleiner Hosenscheißer. Bist du auch brav zu Mama?"
Als er meine Stimme erkannte, begann er sofort loszubrabbeln.
Ich musste leicht lachen und tat so, als würde ich jedes Wort verstehen, während ich mir das Handy zwischen Schulter und Ohr klemmte und mir meinen Shake mixte.
„Mhm ja... das verstehe ich voll", meinte ich zu Elijah.
Er begann zu lachen und brabbelte weiter.
Unglaublich, dass mich das sinnlose Gelaber eines Babys besser aufheitern konnte als all meine Freunde zusammen...
„Erzähl doch mal Onkel Austin, dass du in der Krabbelgruppe eine kleine Freundin gefunden hast", meinte Alina.
„Ach echt?", freute ich mich.
Aber ganz ehrlich, bei den Genen, war es ja irgendwie klar, dass da die Romanzen nicht lange auf sich warten lassen würden.
„Ich hab auch einen neuen Freund gefunden", erzählte ich, ohne wirklich darüber nachzudenken.
„Wer denn?", fragte Alina neugierig.
„Ist ein bisschen Top secret", meinte ich.
Ich wollte sie nicht in Gefahr bringen, indem ich ihr sagte, was wir getan hatten.
„Oh sowas also", spaßte Alina.
„Nein nein!", wiegelte ich ab.
Toll, jetzt dachte sie, ich hätte einen Fuckbuddy.
Ich schnaubte unzufrieden. „Hei, Elijah, ich dachte, wir telefonieren hier, schick mal bitte deine Alte weg"
„Hei!", beschwerte sich Alina.
Ich musste lachen, ging mit meinem Shake ins Esszimmer und erkannte, dass ich nicht alleine war. Ups. Dale, Chad und Mara sahen mich an, als ich mich zu ihnen setzte.
Ich fühlte mich total dumm, weil ich sie nicht bemerkt hatte. Aber wir wussten ja alle schon lange, dass ich nicht wirklich der Hellste war...
„Okay, hör mal, ich muss Schluss machen. Sag Jerry schöne Grüße, gib Elli einen Kuss von mir und benutz genügend Antiaging-Creme"
„Du kleines Arschloch, na warte..." Sie fing an zu fluchen und ich legte grinsend auf und das Handy beiseite, um mich an die Andern zu wenden. „Hattet ihr auch keine Lust zu feiern?"
„Doch, natürlich", meinte Mara. „Aber du kennst doch die coolen Kids, die immer erst auf die Party kommen, wenn sie schon halb vorbei ist." Sie zeigte auf sich, Chad und Dale.
Ich schmunzelte.
Nachdem meine Laune heute Morgen durch Silas' Erwähnung von Jay und meinem Zustand meine Stimmung ziemlich negativ beeinflusst hatte, weil ich dumm war und mir Vorwürfe gemacht hatte, obwohl ich wusste, dass ich das nicht musste, ging es mir jetzt etwas besser.
Trotzdem war ich ziemlich verwirrt, sah zu Dale. „Und gehst du freiwillig oder zwingen die anderen dich?"
Er sah mich an, wollte antworten, aber Chad kam ihm zuvor. „Ich will ihn einfach ungern alleine lassen"
Er schaute mich ein bisschen seltsam an, sodass ich erstmal einen Schluck Blut nehmen musste.
Ach, da sah die Welt schon viel besser aus!
„Ich bin doch da", meinte ich dann. „Er wäre nicht alleine"
Chad schüttelte den Kopf. „Ich würde gerne auf ihn aufpassen"
Das verwirrte mich ziemlich. „Keiner zwingt dich, feiern zu gehen"
Chad zog die Augenbrauen leicht hoch, so als hätte ich ihn herausgefordert und ich bemerkte erst jetzt, dass mein Ton eben ganz und gar nicht okay gewesen war.
Ich seufzte. „Sorry, so sollte das nicht herüberkommen. Ich meine einfach, dass du Dale ruhig bei mir lassen kannst. Ich passe auf ihn auf. Du solltest dich wirklich amüsieren gehen. Wir haben immerhin einen Erfolg zu feiern" Ich lächelte Chad versöhnlich an.
Er schüttelte den Kopf, stand auf. „Wir gehen in zehn Minuten", sagte er, hauptsächlich zu Dale, ehe er aus dem Zimmer ging.
Ich schaute ihm hinterher und dann zu den anderen. „Was ist denn mit dem los?", da das echt untypisch für Chad war, sich so zu benehmen.
Okay, ich hatte eben gelogen. Eigentlich schaute ich nur Dale an und er nur mich.
Mara verschwand mit einem leisen. „Ich lasse euch mal alleine" und trampelte dann hinter Chad die Treppen hoch.
Obwohl wir nun alleine waren, sahen wir uns einfach nur an.
Bis Dale zu sprechen begann. Von sich aus, ohne dass er dazu verpflichtet war. Es verbesserte sich also etwas.
„Ich habe Chad gesagt, dass ich mich bei dir wohler fühle als bei ihm... also nicht direkt so, aber ich glaube, so ist es für ihn herübergekommen, denn er hat mir Gründe aufgezählt, weshalb das sinnlos ist und ich glaube, jetzt ist er eifersüchtig auf dich"
„Oh", meinte ich leicht verwirrt. Das konnte tatsächlich so einiges erklären.
„Ist das denn berechtigt?", fragte ich ihn, trank von meinem Blut, ohne ihn dabei aus den Augen zu lassen.
Dale zuckte mit den Schultern. „Weiß nicht. Ich meine, ein Teil von mir weiß irgendwie, dass er sowas wie mein Bruder ist, aber es ist auch der Teil, der mich unter Druck setzt und dazu verpflichtet, mich so zu verhalten, wie ein Bruder das eben tun würde... ich... Dass das nicht funktioniert, macht mich verantwortlich dafür, dass es ihm schlecht geht, weil ich mich an nichts erinnere und nicht mehr... ich bin... Aber wenn er mir von meinem Leben erzählt , dann hört sich das für mich nach dem Leben eines Fremden an... und ich weiß dann nie, was ich tun oder wie ich reagieren soll, um ihn nicht zu enttäuschen, weil er sich so Mühe für mich gibt... Der Grund, warum ich mich also bei dir wohler fühle, ist, weil ich bei dir zu nichts verpflichtet bin, weil du mich laut deiner eigenen Aussage nicht kennst. Und trotzdem fühlt es sich so richtig an, bei dir zu sein..."
Er machte einen leisen, aber verzweifelten Ton, als er seinen Kopf in die Hände stützte und sich durch die schulterlangen braunen Haare fuhr.
„Ich weiß ja, wie das klingt und dass ihr das auf die Tatsache schiebt, dass ich dich nach meinem Erwachen als ersten berührt habe, aber genau darin sehe ich das Problem. Ihr seht in mir nur den Typen, der von den Toten auferstanden ist. Ihr erklärt damit einfach alles. Aber was ist, wenn das nur ein kleiner Teil des großen Ganzen ist?" Beim letzten Satz sah er mich wieder an, fragend, hoffnungsvoll, so als erwarte er, dass ich ihm die perfekte Antwort geben konnte.
Doch das konnte ich nicht, denn dies waren irgendwie komplett neue Ansichten und diese waren exakte Überlegungen wert.
Ich nickte also. „Du hast recht", stimmte ich zu. „Ich lasse mir das mal durch den Kopf gehen, okay? Aber mach dir keinen Druck, dich an irgendetwas zu erinnern oder so, sonst wird das nichts. Und ja, Chad will dir nur helfen und für dich da sein, aber wenn er es übertreibt, dann sag ihm einfach, dass es dir zu viel wird. Er wird das verstehen, glaub mir. Dein Bruder ist sehr empathisch, er ist ein guter Mensch und er möchte nur das Beste..."
„Wieso war er dann gerade so gemein zu dir?", unterbrach Dale mich, wirkte dabei ein bisschen wie ein schmollendes Kind.
Ich lächelte Dale leicht an. „Weil er eben auch nur ein Mensch ist. Weil er Angst hat. Weil er dich nicht nochmal verlieren möchte. Chad macht viel durch zurzeit. Dafür sollten wir ihm nicht die Schuld geben"
Dale nickte einverstanden, legte die Unterarme auf dem Tisch ab und seufzte. „Sag mir bitte, dass du deine Meinung noch änderst und mit in den Club kommst?" Er sah mich flehend an.
Ich seufzte. „Ich weiß nicht, Dale. Das letzte Mal als ich da war..." ...habe ich Jay mit nach hause genommen, ihn am Morgen danach geheilt, wir hatten an diesem Tag unseren ersten Kuss und in der darauffolgenden Nacht unser erstes gemeinsames Mal... Ich wusste nicht, ob ich schon bereit dazu war, wieder an diesen Ort zu gehen.
„Wovor hast du Angst?", fragte Dale mich einfühlsam, legte seine Hand näher zu meiner.
Nur die Spitzen unserer Zeigefinger und Mittelfinger berührten sich, aber das reichte, um einen gewaltigen Stromschlag durch meinen gesamten Körper zu jagen.
Aus Reflex zog ich meine Hand weg und umklammerte damit meinen Becher.
„Ich... Will nicht unbedingt an meinen Freund erinnert werden", gestand ich Dale, seinem Blick ausweichend.
Trotzdem sah ich, wie er den Kopf leicht schief legte. Er lehnte sich im Stuhl zurück, verschränkte die Arme, sodass es nicht mehr so aussah, als wolle er mich unbedingt berühren und ich würde ihn zurückweisen.
„Lass mich raten: Wenn du zu hause bleibst, allein in diesem riesen Haus, dann sitzt du trotzdem nur alleine in deinem Zimmer herum, starrst auf alte Bilder von dir und deinem Freund und dann weinst du dich in den Schlaf"
Ja so ziemlich sah mein Plan für heute aus...
Ich zuckte also nur mit den Schultern und zog an meinem Strohhalm, um mein Blut zu trinken.
„Dann ist das deine eigene Schuld", stellte Dale fest, seine Stimme klang dabei neutral.
Ich sah ihn an, fragend.
Er zuckte mit den Schultern und richtete sich wieder leicht auf. „Naja, wenn du so oder so an deinen Freund denkst, dann ist es deine eigene Schuld, dass du dich dafür entscheidest, es hier zu tun, während du alleine bist und weinen musst, ohne dass dich jemand tröstet, oder ob du bei deinen Freunden bist, die dich mit Sicherheit aufheitern werden. Das ist deine Entscheidung, deine Schuld und deine Verantwortung, dass es dir dann schlecht geht"
Ich kniff die Augen leicht zusammen, als ich ihn ansah.
Er erwiderte meinen Blick ziemlich normal, so als habe er nicht gerade die halbe Ursache für meine Depression in der Luft zerrissen.
„Du kannst dich nicht mal selbst an deinen Namen erinnern und dann so was", entkam es mir schließlich. Ich schüttelte ungläubig den Kopf, zog an meinem Strohhalm, während ich Dale ansah.
Er schmunzelte. „Hei, vielleicht sind meine Erinnerungen weg, aber ich kann trotzdem logisch denken. Und ich finde wirklich, du solltest mitkommen. Dann können wir zusammen dort sein, wo wir nicht sein wollen. Wir könnten abhauen, wenn's keiner bemerkt"
Ich lachte leicht „So jung und sie werden schon zu Rebellen"
Dale stieg in das leichte Lachen mit ein, wurde ein bisschen rot.
Plötzlich war alles andere so unwichtig und mir war nicht mal bewusst, dass ich der Erste war, mit dem Dale mehr als nur drei Sätze in einem Gespräch ausgetauscht hatte. Dass ich der Einzige war, mit dem er lachte, oder den er anlächelte.
Mir war bewusst, dass da etwas zwischen uns war, ja, aber ich kannte bei weitem das Ausmaß nicht.
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